Textilkunst im Wandel Schweiz 2009

Die Lust zu sitzen und zu st(r)icken

:!!FILE]www.annelisezwez. ch       Annelise Zwez in Mittelland-Zeitung vom 13. 03. 2009

Kunst Lange war mit Textilien Gestaltetes verpönt – jetzt wird wieder gestickt, gestrickt, geschnitten und vernäht. Woher nur diese neue Lust?

Mütter sind out, Grossmütter sind hip. So könnte man vereinfacht begründen, warum in jüngster Zeit in Ausstellungen landauf, landab textile Techniken Urständ feiern. Es wird gestickt, gestrickt, gehäkelt, zuweilen auch verschnitten, vernäht, verknüpft oder Fäden gespannt und Stoffe bedruckt; in buntem Mix mit anderen Techniken und Materialien. Auffallend ist dabei das weitgehende Fehlen des Webens. Begreiflich, wer will schon einen Webstuhl um die Welt schleppen. Handlich soll die Kunst sein, lustvoll auszuführen, keine Kenntnisse erfordern und womöglich auch vor dem Fernseher ausübbar.

Das Know-How der Frauen bezüglich textiler Techniken ist immer noch ausgeprägter, ideenreicher und auch selbstverständlicher, aber ein weibliches Ghetto ist die neue Lust am Textilen nicht mehr. Die Gobelins des Thuners Reto Leibundgut:!!FILE] sind ein beredtes Beispiel dafür. Doch warum fiel eigentlich das Textile zwischen Stuhl und Bank?

Gobelins sticken, Spitzen klöppeln, Strümpfe stricken – das sind Tätigkeiten, die für viele im Rückblick geradezu Bilder ihrer Grossmütter evozieren. Mit dem Erstarken feministischer Tendenzen ab den späten 1960er-Jahren war darum klar: Hände weg vom rollenprägenden weiblichen Kunsthandwerk. Dass das radikale Verneinen von geschlechtsspezifischen Traditionen seitens der Avantgarde parallel verlief zur ausgeprägten Modeströmung der von Künstlerinnen für Schul- und Gemeindehäuser gefertigten textilen Wandteppiche, spiegelt den Widerstreit der Gender-Kräfte vor  gut 30 Jahren.  Auch die Erfolge der internationalen „Biennales de la tapisserie“ in Lausanne  mit ihren pionierhaften Erweiterungen ins Skulpturale konnten die Kanter-Niederlage fürs Textile nicht verhindern.

Für Schweizer Künstlerinnen wie Beatrix Sitter, Lilly Keller, Verena Lafargue, Christine Knuchel und andere blieb nur die Hinwendung zu anderen Materialien und Techniken, denn die Diskriminierung ging vereinzelt so weit, dass textile Materialien nicht einmal mehr zu Weihnachtsausstel-lungen zugelassen wurden, weil sie a priori als Kunsthandwerk galten. Um 1990 verschwand die Textilkunst fast ganz. Auch die Biennalen von Lausanne wurden beerdigt.

Doch anfangs des 21. Jahrhunderts meldete sich die Generation der Töchter und Söhne der Pionierinnen des Feminismus im Kunstbetrieb. Als Rosmarie Trockel in den 1990er-Jahren mit Strickbildern auftrat, Maja Riklin 1995  in Glarus Sofakissen mit gestickten Mordtaten von Frauen zeigte, war das noch ein subversiver Akt. Als dann aber Loredana Sperini (geb. 1970) 2003 plötzlich mit surreal angehauchten, gestickten Foto-Porträts ihrer Freunde auftauchte, Liliana Gassiot gleichzeitig die Formen und Zeichen stickte, die sie im (türkischen) Kaffeesatz las und das Künstler-paar Jean-Luc Manz/Jean Crotti mit nähmaschinen-bestickten Servietten aus Kairo zurückkehrten, da wurde spürbar, dass die alten Zöpfe brüchig werden.

Die drei Beispiele stehen für drei Stränge. Sperini sagte einmal: „Ich will die Zeit und die Nähe zu den Motiven spüren, wenn ich arbeite“ und erinnerte sich dabei unter anderem ihrer Bewunderung für das gestickte Werk von Lissy Funk (1909-2005), die sie als ihre Lehrerin bezeichnet. Liliana Gassiot hingegen verband sich übers Sticken mit ihrer geliebten rumänischen Grossmutter und fand es überdies praktisch, dass das Sticken mit der Betreuung ihrer kleinen Tochter kombinierbar war. Letzteres bestätigte kürzlich auch die Zürcher Künstlerin Andrea Muheim. Manz/Crotti hingegen stehen für die globalen Einflüsse, denn von Aegypten bis Afghanistan hat Textiles eine ganz andere, keineswegs auf die Rolle der Frau reduzierte Tradition. Was die Stränge verbindet, ist ihr Hang zu körpernahen Motiven.

Dass auch Galeristinnen und Kuratoren auf den Zug aufsprangen, überall Textiles entdeckten und nun auch zeigen, hat sicher nicht zuletzt mit der enormen Wertschätzung der Grand old lady der Kunst, mit Louise Bourgeois (geb. 1911), zu tun, die sich eines Tages ihrer Kindheit im Teppich-Atelier ihrer Mutter erinnerte und in ein Skizzenbuch stickte: „Pourquoi j’ai oublié ça?“ Seither spielt Textiles in ihrem Schaffen eine wichtige Rolle.

Eines ist indes klar: Die neue Lust an textilen Techniken ist nicht eine Aufarbeitung der Textilkunst der 1960er-/70erJahre. Sie ist eine durch und durch zeitgenössische Erscheinung, in der Stile, Techniken, Materialien ihre einengenden Zuordnungen verloren haben, Trash in Bronze gegossen wird, Strick- und Sticknadeln den Pinsel ersetzen, Fäden zu Rauminstallationen werden und auch der Gap zwischen Mode und Kunst durchlässig geworden ist. Ob Shirana Shabazi, Eva Rothschild, Vidya Gastaldon, Chiharu Shiota, Muriel Decaillet oder Jürg Benninger – von Europa über Japan bis in die USA und rund um die Welt sind textile Techniken wieder en vogue. Für niemanden ist das Textile jedoch Monokultur, es ist dem Trend der Zeit entsprechend eine unter mehreren gleichzeitig oder in Folge angewandter Ausdrucksformen. Es erscheint zuweilen auch in direkter Kombination mit Malerei – zum Beispiel in den bestickten Aquarellen von Simone Deflorin. 

Nie ganz verschwunden, heute aber auch wieder verstärkt im Blickfeld sind überdies die Werke jener Künstler und Künstlerinnen, die ausgehend von der arte povera Tuch und Kleider als soziale und/oder farblich-ornamentale Elemente einsetzen. Man erinnere sich der Kleiderhaufen, mit denen Aldo Walker 1987 den Fenstersaal des Aargauer Kunsthauses ausmass, aber auch der Arbeiten von Christian Boltanski, Annette Messager bis hin zum aktuellen Hipe rund um die bedruckten Stoff-Arbeiten des afrikanischen Künstler Yinka Shonibare.

Bilder (von oben nach unten)

Andrea Muheim: „Mit Delphinen im Bad“, Stickerei, 15 x 21 cm, 2005. Foto: zvg

Reto Leibundgut:‹Star›, 2008, Gobelin, 12,5 x 12,5 cm
Courtesy artist & bk Galerie Bernhard Bischoff & Partner

Liliana Gassiot: „Im Kaffeesatz lesen“, Baumwollstickerei auf Serviette, 41 x 44 cm, 2001. Foto: azw

Vidya Gastaldon: “Baba (the Shaman)”, 2001. Foto: zvg Kunstmuseum Thun