VR „l’autre regard“ Aarbergerhus Ligerz 2009

Wie sehen Männer Kunst Textil?

 

www.annelisezwez.ch

Vernissageansprache  vom 17. September 2009

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Künstler

Ja, wahrhaftig, liebe Künstler. 2002/03/04/05/06/07/08 hiess es an dieser Stelle: Liebe Künstlerinnen. Denn Kunst mit textilen Materialien ist eine Frauen-Domäne. 100fach haben wir Frauen über die Ghettoisierung des Textilen als Kunstmaterial geklagt. Von Ausgrenzung, Diskriminierung, ja sogar Neid und Missgunst in Bezug auf die Hochblüte der Wandteppiche in den 1960er/70er-Jahren gesprochen. Die Biennalen von Lausanne waren so etwas wie der einzige Lichtblick.

Und jetzt hat das aktuelle Komitee „Kunst Textil Ligerz“ eine Ausstellung realisiert, die hinter dem bescheidenen Titel „L’autre regard“ (die französische Version gefällt mir besser als die deutsche) lauter (oder fast lauter) Männer vereint, die weben, sticken, häkeln, mit Fäden und Strümpfen hantieren und weitere Strukturen anwenden, die auch in der Textilkunst relevant sind.

Es sind Jürg Altherr, Roland Jung, Claude Frossard, Ficht Tanner und Jürg Benninger, die der Einladung des Komitees gefolgt sind und  sich hier und heute der „gwundrigen“ Frage stellen, was sie denn anders machen. Die fünf sind nicht etwa Jung-Künstler, die alte Zöpfe abgeschnitten haben und frisch von der Leber weg mit jenen Materialien Kunst schaffen, die sie faszinieren, unabhängig von altbackenen, vorfeministischen Traditionen. Nein, sie sind  zwischen 43 und 74 Jahre alt. Gerade darum ist es besonders interessant, ihre „andere Sicht“ und/oder andere Arbeitsweise unter die Lupe zu nehmen.

Ich würde sie in 2 und 2 und 1 unterteilen. Da sind zwei, deren Werke zumindest auf den ersten Blick durchaus auch von Künstlerinnen geschaffen sein könnten: Die Stickbilder von Ficht Tanner und die Häkel-Skulpturen von Jürg Benninger. Und da sind zwei Werkgruppen, welche die Grundprinzipien des Arbeitens mit Fäden auf eher männliche Art und Weise ein- und umsetzen. Es sind dies die plastisch arbeitenden Jürg Altherr und Roland Jung. Spannend ist, dass gerade sie zwei – beide 65 und älter –  sich gut und sogar mit einem gewissen Leuchten in den Augen an die 1989 verstorbene Raum-Textil-Künstlerin Elsi Giauque, die Schirmherrin der Ausstellungen in Ligerz, erinnern. Denn Elsi Giauque spürte, dass sich in ihren Arbeiten die Textilkunst erweiterte, sich vom sogenannt „Weiblichen“ befreite und  Eigenschaften wie zum Beispiel Druck und Zug oder modulare Rhythmen einbrachten. 

Und dann ist da noch der fünfte, Claude Frossard, der seit notabene 50 Jahren mit seiner Frau Andrée im Bereich Textilkunst zusammenarbeitet. An ihn habe ich eine ganz eigenartige Erinnerung. Das Duo war soweit ich mich zurückerinnern kann – und das ist angesichts meines Alters eine ganze Weile – an grossen Textilkunstausstellungen vertreten, obwohl ihre Arbeiten streng genommen Papierarbeiten sind. Ob in Lausanne oder im Museum Bellerive – immer merkte ich, dass mir dieser Männername fast ein wenig peinlich war. So geprägt davon, dass zumindest in der Schweiz selbst gefertigte Wandteppiche von Frauen stammen, konnte ich mir nie ganz vorstellen, was ein Mann im Handarbeitszimmer zu suchen hat. Cliché, ich weiss. Aber wir haben alle Clichés in uns – Jürg Benninger kann ein Lied davon singen. Seit vorgestern weiss ich, dass ich besser mal nachgefragt hätte. Denn er hat in dieser Ausstellung eigentlich eine Zwitter-Stellung, denn es ist ausschliesslich seine Frau, welche die Zeitungsmakulatur zu Strängen dreht, anfeuchtet und verwebt. Er bemalt die Formate erst danach oder prägt sie mit ihr zum Relief. Es sind somit Duo-Arbeiten, bei denen der Mann die textilen Strukturen zwar stets mitdenkt, mitkonzipiert und auf der malerischen Ebene ergänzt,  aber die traditionelle handwerkliche Trennung zwischen Mann und Frau durchbricht er nicht. Gerade als Vergegenwärtigung der klassischen Situation, sind seine Arbeiten hier wichtig.

Was aber machen Männer anders, wenn sie weben, häkeln, sticken? Schauen wir uns einmal die Stickbilder von Ficht Tanner an. Tanner kommt von der farbigen Zeichnung her und ist stilitisch von den Nach-68er-Jahren geprägt als auf einmal die Fantasie des Intuitiven Blüten bilden durfte, Natur und Körper und Erotik und Pop und Volkskunst einander keine Grenzen mehr setzen. Doch Papier und Zeichenstift waren dem ebenso als Musiker tätigen Appenzeller irgendwie zu beschränkt, zu langweilig. Als er eines Tages eine sogenannte Nach-Stickmaschine erwerben kann, packt in ein Coup de foudre. Eine Nach-Stickmaschine ist eine Art „Wiefel“-Maschine, das heisst sie kann regulierfrei vorwärts-, rückwärts, breit, schmal, lang, kurz nähen. In der Industrie braucht man sie um kleine Fehler bei Maschinengesticktem auszubessern.

Heute – 30, aber mit einem Akzent bei den letzten 10/15 Jahren später – ist Ficht Tanner ein Meister des freien Maschinenstickens. Ohne Vorzeichnung, aber mit der Fülle seiner Papierarbeiten im Gespür, spannt er den im Durchmesser rund 20 cm grossen Rahmen in den Fahnenstoff und beginnt zu „wiefeln“ als wäre die Nadel ein Schraffur-Farbstift. Tage, Wochen ist er an einer grossen Arbeit. Das Männliche an seinem Tun? – Zweifellos die Liebe zur Maschine, den „versäubern“ tut er seine Arbeiten nicht selbst und auch die Aufhänge-Vorrichtungen näht nicht er an; das überlässt er seiner Lebenspartnerin mit der Begründung: „Nähen kann ich nicht“. Und das Textile als weibliche Domäne? Da gilt es das Selbstverständnis eines Appenzellers mitzudenken, der Stickerei immer  als ein Stück regionaler Identität erlebt hat. Und stilistisch? Erstaunlicherweise ist Bilderscheinung letztlich die weiblichste Komponente, gilt doch das intuitive „Hören“ auf Formen, die sich ohne Logik, ohne intellektuellen Filter, ohne konzeptuelle Parameter ausstülpen in der Regel als weibliche Ausdrucksform, insbesondere der 1980er-Jahre. Aber es ist vielerorten zu beobachten, dass heute die Künstlerinnen auf dieses Cliché eher negativ reagieren, während es die Männer erst entdecken.

Welcher Kontrast zur Welt von Roland Jung. Er zeigt – auf Wunsch des Komitees – quasi eine Ein-Raum-Retrospektive, das heisst, es begegnen sich Werke aus den 80er-Jahren und eine ganz neue, situationsspezifische Arbeit. Der Grund ist klar: Die frühen Arbeiten mit Streifenfolien sind gewoben, meinen aber dennoch nicht Textiles. Eher schon ein Notenblatt, auf dem sich Rhythmen entwickeln und zwar – das wiederum textil, wenn man so will – gekenntzeichnet durch ein einfaches Ziehen und Drehen des semitransparenten Streifens an bestimmten Stellen. Der Rhythmus – die Musik – folgt einem Schlüssel, der Regel und Abweichung variiert und in minimalen Schritten stetig weitet. Sehr früh schon hat sich Roland Jung Computer-Programme zunutze gemacht, das Minimale als Potential für Wandlung im Grossen betrachtet. Eindrücklich ist, dass die originell auf Staffeleien präsentierten Bild-Rahmen wirken als wären sie gestern entstanden. Dieser Eindruck ist sicherlich nicht zuletzt eine Folge davon, dass sich Roland Jung enorm zurückgenommen hat, das Pro Patria-Zimmer – das er wegen des indirekten Lichtes liebt – nicht überfüllt hat, sondern – abgesehen von einem Dokumentar-Video – zusätzlich nur eine einzige Arbeit zeigt. Streckgitter heisst der metallene Stoff, mit dem er ein Fenster in 10 Etappen gliedert und seinen materialgegebenen Eigenschaften entsprechend in den Raum zurück wellen lässt. Wir denken an Wind und Vorhänge und sehen zugleich, dass das falsch ist, obwohl wir den Luftzug im Moirée der Rhombenformen zu spüren meinen. Eine Art verdichteter Blick durch lockeres Gewebe ist es, angehalten freilich und metallen zur Form geprägt. Es ist eine analytische Vorgehensweise hier wie dort, die – wie schon Elsi Giauque spürte – Textiles auf eine ganz andere Weise – eine männliche – für die Gestaltung von Kunst einsetzt.

Er liebe Luftmaschen, sagt Jürg Benninger – mit Jahrgang 1966 zwar auch schon 43, aber hier dennoch der Junior. Mit seinem Credo stösst er von Anfang an das Tor zur Fantasie, zum Traum, zum Märchen, zur Geschichte ohne Grenzen auf. Was mich an seinen Arbeiten beeindruckt, ist, dass das Material, das Textile zwingend ist für den inhaltlichen Ausdruck. Benninger geht nicht, wie viele klassische Textilkünstlerinnen, vom Handwerk aus, sondern von der Jahrtausende alten Verwendung des Textilen als Kleidung. Wir bedecken unseren nackten Körper mit textilem Material. Indem Benninger den Körper selbst mit wollenem Faden häkelt, macht er das Kleid zum Körper, den Körper zum Kleid und hebt damit die Trennung zwischen nackt und bekleidet auf. Dieses nackt meint in diesem Fall ungeschützt sichtbar was sich im Innern an ganz persönlichen Gefühlen, Befindlichkeiten, Erlebnissen in Bilder wandelt, unabhängig von politischer, gesellschatftlicher, geschlechtlicher oder  wie auch immer gearteter Korrektheit. Die Arbeiten haben dadurch eine Direktheit – eben eine Nacktheit – die wir beim Betrachten zuerst einmal annehmen müssen. Dass sich Benninger mit seinen Arbeiten zusätzlich in einer Frauendomäne einnistet, provoziert dabei doppelt, was nicht etwa negativ ist, dem Künstler das Leben aber nicht eben einfacher macht. Zwar gibt er uns ein Zückerchen,  indem er sich der Sagen- und Märchenwelt, des Humors, der Ironie auch, bedient, obwohl es letztlich um nichts anderes als um ihn selbst geht.

Auch ist es wohl so, dass das weibliche Publikum leichteren Zugang hat zu seinen Arbeiten, während die Schwelle für die Männer deutlich höher ist.  Auch er selbst spürt das, ist es doch für ihn bis heute mit Nervosität verbunden, einen Woll-Laden zu betreten, quasi fremdes Terrain, umsomehr als ihn das Verkaufspersonal zuweilen argwöhnisch betrachtet als fürchtete es, er könnte ein Ladendieb sein.

Bleibt bei unserem Rundgang das Werk von Jürg Altherr. Sein Schaffen in Relation zur Textilkunst zu stellen, ist wohl am Schwierigsten. Zum einen sehen wir sofort, dass es da Fäden gibt, die in zahlreichen Modell-Skizzen als Beispiele für Drahtseile stehen. Und wir sehen auch, dass die fragil balancierende Raumkapsel in gewissem Sinn eine textile Erscheinung hat, obwohl sie aus Metall ist. Und wir erkennen vermutlich auch auf Anhieb, dass die in den Modellen angedachten Dimensionen eher architektonische, ja sogar städtebauliche Ambitionen haben als skulpturale im gängigen Sinn. Auch wenn man sich zuweilen täuscht, so würden Sie wahrscheinlich alle die Arbeiten eher einem Mann zuordnen als einer Frau.

Ich denke wir haben es hier mit zwei Ebenen zu tun. Die eine ist eine ganz pragmatische, funktionelle – der Faden dient dem Künstler als Hilfsmittel, sei es um Linien zu ziehen oder mit Hilfe von Strumpf-Fragmenten eine unsichtbare Form umfassend sichtbar zu machen. „Mich interessieren Zwischenräume“, sagt er, meint damit aber nicht einfach die Leerräume, die seine Stangen-Konstruktionen in ihrem Innern formen, sondern vor allem die Spannungsräume, die sie in die Luft zeichnen. Und da berühren wir die zweite Ebene. Fäden, seien es Saiten, Garn oder Stahlseile haben die Dimension des Mobilen, das heisst sie erlauben je nach Verwendung mehr oder weniger Beweglichkeit. Und gerade das interessiert den Künstler, das fragile Gleichgewicht. Und das kann er nur mit Fäden zwischen Zug und Druck in Wechselwirkung mit Gewicht zeigen. Das ist alles sehr kompliziert – auch der Künstler zieht oft den Ingenieur bei, um seine Ideen zu konkretisieren – aber hier zeigt es uns auf, dass die Eigenschaften des Fadens als Basis aller Textilkunst eigentlich ein viel grösseres Universum umschreibt als wir uns das im Alltag bewusst sind. Und das macht Altherrs Arbeiten hier spannend.