„com&com“ Retrospektive im Kunsthaus Pasquart in Biel

Von der Lifestyle-Ironie zum Apfelbaum-Punk

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 18. Januar 2010

Das Centre Pasquart spielt seine Grösse aus. „Com&Com“ bestreiten als erste seit Miriam Cahn (2002) sämtliche Räume von Alt- und Neubau. Das internationale Duo aus St.Gallen brilliert und überrascht.

Sie waren schon eine „Bombe“, die C-Files zur „Tell-Saga“, die mit exzessiven PR-Mitteln aller Register einen grossen Science Fiction-Film zu Wilhelm Tell ankündigten, ohne dass das junge Schweizer Duo Marcus Gossolt (geb. 1969) und Johannes Hedinger (geb. 1971) je die Absicht gehabt hätte, das filmische Millionen-Projekt je zu realisieren. Ihre Strategie war vielmehr, die Filmindustrie mit ihren eigenen Mitteln zu „bodigen“. Harald Szeemann war begeistert und lud „Com&Com“ (Commercial&Comunication) zur Biennale 2001 in Venedig ein und lancierte damit deren internationale Karriere.

Ein Opus Magnum mit 30 Jahren kann indes auch ein Fluch sein. „Com&Com“ tricksten die Falle mit einer nochmaligen Steigerung in der sich selbst übertreffenden Vermarktung der Schweizer Nationalhymne als gesponsertes Formel 1-Weltmeister-Ereignis erfolgreich aus, doch ganz kamen sie vom Image der brillanten „Fake- und Fallen-Künstler“ nicht mehr weg. „Wer uns heute noch als das bezeichnet“, moniert Hedinger im Kataloginterview, “hat unsere Arbeiten nicht angeschaut und liegt um Jahre zurück“.

Die bis zurück zu individuellen Arbeiten der beiden aus den 1990er-Jahren reichende Übersichtsausstellung im Kunsthaus Pasquart gibt indes nicht nur Gelegenheit, Fragmentarisches mit Gewinn in einen Gesamtkontext zu stellen. Sie markiert auch eine überraschende Zäsur, die bereits 2005 mit dem US-Road-Movie „The big one“ das Ende der „Spass-Gesellschaft“ einläutet, in dem Ende 2008 formulierten und 2009 als Multicolor-Airbrush-Arbeit veröffentlichten „1. Manifest“ nun aber einen theoretischen Hintergrund erhält. Darin ist vom  Beginn des post-ironischen „Com&Com“–Zeitalters die Rede, von Schönheit, von Wahrheit, die aus Liebe wachse und von der Wiedergeburt der Selbstwahrnehmung. Das mag nicht nur dem einen und andern Besucher etwas suspekt erscheinen, auch die Künstler selbst widersprechen sich: Für Gossolt heisst Post-Ironie Authentizität, für Hedinger aber  Strategie und in der Reflektion „romantische Ironie“.

Fakt ist, dass in der Mitte der Salle Poma ein mitsamt Wurzeln feinsäuberlich ausgegrabener Apfelbaum aus Mörschwil (SG) hängt. „Du wirst ergriffen sein“, sagt Gossolt zur Interviewerin im Katalog. Auch der Titel gehört dazu: „La réalité dépasse la fiction“. Ist das nun romantische Ironie oder ein im Moment noch reichlich irritierender Rückgriff auf die Umweltschutzwelle in der Kunst der 1970erJahre?

Spätestens hier wird einem die Generation des Duos Gossolt/Hedinger bewusst. Sowohl in den „Com&Com“ Lifestyle-Satiren wie im Apfelbaum, den „Ender“-Zeichnungen und den keramischen „Beinkühen“ von 2010 reagieren sie auf das Klima der Zeit und ihrer Befindlichkeit darin. Rückbesinnung ist nicht nur in der Kunst aktuell, sondern auch in der Politik, in der Musik, in der Gesellschaft ein Thema.

Es gibt noch einen zweiten wichtigen Strang im Werk von „Com&Com“, den interaktiven, öffentlichen. Geradezu eine Revolution löste die Geschichte des mythischen Romanshorner Comicdenkmals MocMoc (die Umkehrung von Com&Com) 2003/05 aus. Die Kinder liebten Mocmoc und die Geschichte von Romans Horn, zeichneten, trugen T-Shirts, sangen Lieder. Die einen Erwachsenen freuten sich mit, die andern fühlten sich betrogen und läuteten Sturm.  Durch alle Medien ging der Aufruhr. Mehr als Dokumentieren kann der Mocmoc-Saal im Pasquart  hier nicht; auch die Geschichte um den „Kleinen Prinzen“ Dada als „Botschafter“ des Dada-Hauses in Zürich nicht, aber beide und andere mehr führen sinnvoll zum jüngsten Projekt der Reihe, das auf seine Art das Stichwort Authentizität zu verwirklichen sucht. In dem für Biel erstmals aktivierten „Making Ideas“ geht es darum, Menschen jeglichen Hintergrundes dabei zu unterstützen, verrückte Ideen umzusetzen.

Auch das ist in der Kunst nicht absolut neu, aber es spiegelt eine weitere Facette. „Com&Com“ sind ihres sicheren Umgangs mit PR-Maschinerien wegen sponsor-interessante Künstler. Welch andere Kunstschaffende vermöchten einen roten Weltmeister-Ferrari ins Foyer des Pasquart zu stellen? Wer anders könnte es sich leisten der Bürosysteme-Firma Lista (Degersheim) zu sagen: „Wenn ihr schon sponsert, dann könnt ihr die Kunst auch gleich selber machen“, was dann im einen Eck-Saal, dem „Lista-Office“, zu einer Art Hommage an den Minimalart-Künstler Donald Judd aus farbigen Aktenschrank-Elementen führt.

Diese keineswegs naive Haltung gibt „Com&Com“ Möglichkeiten, die andere nicht haben; zu Beispiel auch für „Making Ideas“ – man wird es sehen.

Die am 21ten Februar erscheinende Publikation trägt den Titel: „Lexikon zur zeitgenössischen Kunst von Com&Com“. Wie sind sie da zu verorten? Das Netzwerk der Bezüge ist auf der Ebene von Biennale und Documenta zu suchen, von Jeff Koons bis Santiago Sierra und viele andere mehr. Was „Com&Com“ darin auszeichnet – und das macht die Bieler Ausstellung mindestens national bedeutsam – ist ihr unverkrampfter, kommunikativer Auftritt, der Humor und Lust ebenso ernst nimmt wie die Substanz der dazugehörenden Wurzeln.

Bis 14ter März 2010. So 21ter Februar, 12 Uhr Buch-Vernissage. Führungen, Rahmenprogramm: www.pasquart.ch