Jubiläumsbuch 20 Jahre Centre Pasquart 2010

Kunst ohne Ethik ist Kosmetik

 

www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom  23. Oktober 2010

Zum 20-Jahr-Jubiläum denkt das Centre Pasquart  über seinen Erfolg nach. In einer umfangreichen, spannenden Publikation. Einem Buch der Freude, aber auch der Nachdenklichkeit.

Zumindest bei einem Schweizer Guiness Buch der Rekorde hätte die Jubiläums-Publikation des Centre Pasquart gute Chancen auf einen Eintrag. Denn ganze 312 Seiten stark ist die kleine, kompakte Buchpublikation, in welcher das Kunsthaus, die Sammlung, das Photoforum, das Filmpodium, der Kunstverein und der Espace libre auf ihre Tätigkeit im Pasquart-Komplex schauen, in die Zukunft blicken oder auch einen anderen Weg der Betrachtung wählen, jenen des Bieler Menschenfressers zum Beispiel.

Die erste Ideenskizze von Andreas Meier, Gründungsdirektor des Pasquart, sah eine einheitliches Buchkonzept vor, um den „Centre“-Gedanken des Pasquart zu betonen. Dass schliesslich die Diversität obsiegte, ist sinnvoll – die ganz unterschiedlichen Kapitel der das Centre Pasquart bildenden Partnerorganisationen machen das von Noémi Sandmeier gestaltete Buch lebendig. Auch wenn es in den Texten da und dort Überschneidungen gibt; wer ausser der Journalistin liest schon alle 312 Seiten?

Das Potpourri mit streng geschichtllichen, von innen oder von aussen beleuchtenden, Erinnerungen beschwörenden oder gar fantastischen Herangehensweisen ist aber auch… ehrlich. In  dem Sinne, dass die im Pasquart-Komplex angesiedelten Organisationen mehrheitlich eigene Profile zeigen und nicht ein Kulturzentrum mit Einheitskonzept bilden wie es bei der Gründung der Stiftung als Vision angedacht war.

Es beginnt ziemlich nüchtern, geht dann aber glücklicherweise nicht so weiter. Stiftungsrats-präsident Jean Pierre Bechtel mag in seiner Préface die Sorgen – um die Finanzen zum Beispiel – nicht über Bord werfen. Das ist gut so, denn schon der folgende Text von Dolores Denaro zum Erfolg des Kunsthauses ist so sehr „Sonnenschein“, dass bei  den einen oder anderen Lesenden wohl die Frage nach der Selbstkritik auftaucht.

Andreas Meier schreibt zurückhaltender, zum Teil sogar humorvoll; etwa wenn er erzählt, dass er im Feuer der Museumsplanung eine Ausstellung Léo-Paul Robert /Albert Anker veranstaltet und vor lauter Angst um die Sicherheit der Werke gleich in den Räumlichkeiten geschlafen habe.

Ein Highlight sind sowohl im Kapitel Kunsthaus wie in  jenem des Photoforums die  Abbildungen sämtlicher Einladungskarten; wie viele Erinnerungen werden da lebendig! Eine gute Idee sind auch die „cartes blanches“, die künstlerische Momente und so schöne Sentenzen wie „Kunst ohne Ethik ist Kosmetik“ (Marina Abramovic) einbringen.

Erstmals so richtig in Erscheinung tritt die 1990 gegründete Stiftung Kunsthaus Sammlung, die in der von Andreas Meier geprägten Frühzeit der eigentliche Nucleus der Pasquart-Geschichte war (Text: Annelise Zwez). Die 30 Porträts von Betty Stocker und Caroline Nicod zu wichtigen Sammlungs-Werkgruppen eröffnen überraschende Einblicke in zum Teil ungehobene Schätze (zum Beispiel das grafische Oeuvre von Martin Ziegelmüller).

Stellt das Kunsthaus sein Licht – obwohl berechtigt –  vielleicht etwas zu unkritisch unter den Scheffel, tut es das Photoforum zu sehr. Die grossartigen Leistungen im Rahmen der bescheidenen Budget-Möglichkeiten werden in den Texten von Daniel Mueller, Markus Schürpf und Alain  Meyer zu wenig spürbar  und reiben sich am überregionalen Anspruch in einem Umfeld, in dem das Photoforum nicht mehr Pionierin ist wie vor  20 Jahren.

Erstaunlich ist das Kapitel zum Filmpodium. Zwar fehlt eine recherchierte Geschichte, doch die Texte von Eszter Gyarmathy, Mario Cortesi, Jaques Dutoit und  Nicole Hess beleuchten die Situation, die Aufgaben und die Möglichkeiten eines Nischenkinos so fundiert – kritisch und freudvoll zugleich – dass es eine Freude ist, sie zu lesen. Die Wichtigkeit  des Filmhistorischen umschreibt Gyarmathy zum Beispiel mit dem schönen Vergleich: “Das Miniatur-Lichtspieltheater Filmpodium kämpft wie David (das Erinnern) gegen Goliath (das Vergessen).“

Aus der (Zeit)-Not eine wundervolle Tugend gemacht hat der Kunstverein. Nadja Schnetzler lud die fünf noch lebenden Präsidenten (Rudolf Hadorn, Friedrich Märki, Franziska Burgermeister, Hans Dahler, Henri Mollet) zu einem Gespräch am Cheminée ein und liess ihre  (zuvor sorgfältig memorierten) Erinnerungen von Béatrice Schmidt  in eine publizierbare Form bringen. Schön, dass hier tausend Geschichten  unmittelbar Sprache erhalten!

Der von Bieler Kunstschaffenden betriebene  Espace libre, der seit der Eröffnung des „neuen“ Pasquart vor 10 Jahren mit von der Partie ist,  mag (noch) nicht zurückblicken. Zu sehr drückt das Künstler-Daseins in der „Provinz“. Darum lud man zum runden Tisch und liess einen jungen Berner/Bieler Autoren (Luke Wilkins) seine Schlüsse daraus ziehen:“… ich der Menschenfresser… ich sitze im Stadtbild… ich habe Gewicht, ich sitze zu Gericht. Ich sage: Alles. Hier. Ich sage Schnauze und Schnurre und Brumm. Ich bin Künstler…“

Zahlreiche Listen mit wichtigen Namen ergänzen das kostbare Geschichtsbuch.