Alfred Wirz Jean Mauboulès Biel 2011

Abstrakte Rhythmen und sinnliche Farben

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 12. 11. 2011

Bei Silvia Steiner und Noémi Sandmeier werden neue Ausstellungen eröffnet. An der Seevorstadt 57 zeigt Alfred Wirz Ölbilder, an der Seevorstadt 71 Jean Mauboulès Glas- und Stahlarbeiten.

Die Ausstellungen des in Frankreich lebenden Schweizers Alfred Wirz in der Galerie Silvia Steiner und des in der Schweiz lebenden Franzosen Jean Mauboulès  in der Art Etage haben beide klassischen Charakter. Das hängt nicht zuletzt mit der Generation der beiden zusammen:  Der im Burgund wohnhafte Basler Alfred Wirz ist 1952, der in den französischen Pyrenäen aufgewachsene Solothurner Jean Mauboulès 1943 geboren. Und sowohl im Werk des Malers wie des Plastikers gibt es Referenzen an künstlerische Stile, die ihnen vom Alter her sogar noch voraus gehen. Alfred Wirz malt Stillleben und Landschaften – traditionellere Themen gibt es kaum.  Jean Mauboulès ist ein Nachfolger der in den 1910er-Jahren aufkommenden geometrisch-konkreten Kunst.

Unzeitgemäss?

Sind die beiden Ausstellungen somit nichts als Retro-Schauen? – Nein, doppelt nein sogar. Alfred Wirz’s Werk setzt in den späten 1970er-Jahren ein. In der brach liegenden Schreinerei seines Grossvaters bemalt  er kleine Holzbretter mit Landschaften aus seiner Umgebung. Schnell wird er überregional bekannt. Das Bescheidene und Persönliche wird als bewusste Haltung erkannt und das Ausklammern von Technik und Umweltzerstörung als wehmütiger Protest gewertet.  Diese Haltung ist heute noch dieselbe. Als ihm die Kunst um 1990 zu  laut wird, zieht er sich nach Montmélard zurück, um sich sein malerisches und persönliches „Universum“ zu bewahren. Die Ausstellung in Biel heisst nicht umsonst „….la clef des champs“, was, ergänzt um das Wort „prendre“, so viel wie „sich auf und davon machen“ heisst. Eine Art „Flucht“ ist auch in den Bildern selbst enthalten.

Wirz’ Felder, Wälder und Wiesen sind  ebensosehr (fast) naturgetreue Abbilder wie Fiktionen. Anders formuliert: Nur dort, wo sich über die Farbe und die Lichtführung ein Kipp-Moment einstellt, beginnen sich die satt gemalten Landschaften von der Erde zu lösen und zu berührenden emotionalen Daseins-Räumen zu werden. Dasselbe gilt für die Stillleben, die in der aktuellen Ausstellung eine wichtige Rolle spielen, seien es Bilder von Quitten auf einem Holzbrett im Schopf seines alten Bauernhauses, Teller und Krüge aus Grossmutters Zeiten auf einem hölzernen Tisch oder eine  blaue Arbeiterjacke über der Lehne eines Stuhls. Noch stärker als in den Landschaften wird hier die Befindlichkeit des Malers angesichts der in den Motiven enthaltenen Zeit-Räume spürbar. Weder der weisse Krug noch die blaue Jacke gehören ins 21te Jahrhundert; nur der Maler kann sie so herbei „zaubern“, dass wir das Unzeitgemässe erkennen und die Ambivalenz, die wir gegenüber der Gegenwart empfinden, gespiegelt sehen.

Dynamik und Gleichgewicht

Der Wechsel von Wirz’s sinnlichen Ölbildern bei Silvia Steiner zu Jean Mauboulès abstrakten Rhythmen in Glas, Stahl, oder auch zeichnerisch, bei Noémi Sandmeier in der Art Etage ist optisch sehr gross. Paradoxerweise wirken die Stahlskulpturen leichter als die Bilder, da sie nicht Erd- sondern Luft-Räume umschreiben und auch die verwendeten Gläser zu Transparenz hin tendieren. Im Kern geht es aber auch im Schaffen von Mauboulès um Spannungen und Kontrapunkte, sogar um limitierte Zerstörung.

Das Werk setzt Ende der 1960er-Jahre ein und findet in den frühen 1970er-Jahre zu jener konstruktiv-konkreten „Sprache“, die heute noch bestimmend ist. Es ist die Zeit, da die konkrete Kunst der auf Max Bill & Co folgenden Generation grosse Beachtung findet und der strengen Geometrie der Pioniere neue, dynamische Momente ein-schreibt. Jean Mauboulès hat dafür eine treffende Beschreibung. Bei den Konkreten, so der Künstler, sei 1 + 1 = 2. Seine Gleichung hingegen laute 1 + 3 – 2 = 2. Diese Mathematik lässt sich fast in allen Werken erkennen; da werden Horizontale und Vertikale aus der Angel gehoben, gekippt, gedreht, dann aber doch wieder so in Beziehung gesetzt, dass sich ein Gleichgewicht einstellt.  Eine Balance freilich, die selten mit Stabilität gleichgesetzt werden kann, was die Arbeiten gerade heute unverhofft zu Zeitspiegeln macht.

Mauboulès lebt seit den 1970er-Jahren im Solothurnischen, doch gelang es ihm früh, sich im Umfeld der konstruktiven Kunst international Gehör zu verschaffen. Insbesondere seine „Collagen“ – die Arbeiten mit geschnittenem, oft auch gezielt gesprengtem doppeltem Glas in Kombination mit markanten Stahlrahmen – wurden zum Label. Dennoch musste auch er miterleben wie die geometrische Kunst in den letzten 15 Jahren ins Abseits geriet, quasi zur Nischen-Kunst wurde. Erst seit kurzem feiert sie ein Revival – wohl nicht zufällig. Denn im Trubel des aktuellen Kunst-Aktionismus ist die Konzentration, wie sie sich in jedem Werk in der Art Etage zeigt, gleichsam Erholung.

Info: Offen: Art Etage Mi-Fr 14-18, Sa 11-18 Uhr (bis 10.12.).Steiner: Mi-Fr 14-17, Sa 14-17 (bis 17. 12.).

 

 

Zitate

Alfred Wirz: „Ich bin kein zeitgenössischer Maler. Ich muss etwas zum Abmalen haben. Die Stillleben arrangiere ich so wie sie auf dem Bild zu sehen sind. Die Landschaften skizziere oder fotografiere ich. Sie sind alle in Fussdistanz zu meinem Wohnort.“

Jean Mauboulès: „Es kann tatsächlich vorkommen, dass ich etwas erfinde, was ich schon erfunden habe. Selten, aber doch. Mein Gedächtnis mahnt mich bei Unsicherheiten freilich und mein Werkverzeichnis bringt  es ans Licht. Dann gibt’s nur eines: Fort damit.“

                                                                                                                     (azw)

 

Bildlegenden:

Linien im Raum: Jean Mauboulès in seiner Ausstellung in der Art Etage in Biel. Bilder: azw

Alfred Wirz: „Le Bleu“, Öl auf Leinwand, 2011.