Centre Pasquart Bilanz Denaro Abschied 2011

Künstlerisches Programm von nationaler Bedeutung

www.annelisezwez.ch          Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 26. November 2011

Am 26. November wird Dolores Denaro nach 10 Jahren als Direktorin des Kunsthauses im Centre Pasquart verabschiedet. Ein Rückblick auf ihr künstlerisches Programm.

Was war das Highlight der 10 Jahre mit Dolores Denaro am Schalthebel des künstlerischen Programms des Kunsthauses Pasquart? Waren es die „Helden heute“ aus der Reihe der internationalen Themenausstellungen? War es die erstmalige Präsentation der Hess-Collection in der Serie der „Sammlungen“? War es „com&com“ aus der „Rubrik“ der ersten Museumsausstellungen von Schweizer Künstlern? War es – im Programmteil „regional“ – susanne mullers Wagnis, die Salle Poma mit Sand aufzufüllen, um darin (Video)-Ball zu spielen? Oder war es „Seriously ironic“ – die junge türkische Kunst  im Rahmen der  internationalen Kooperationen?

Es ist schwer zu sagen, was den „Publikumspreis“, was den „Kuratorenpreis“, was den Preis der Kunstschaffenden erhalten würde. 

Die Vielfalt der Möglichkeiten ist indes ein Ausdruck von Qualität. Es sei die Behauptung gewagt, dass Dolores Denaro mit ihrem künstlerischen Programm ein Maximum aus den gegebenen finanziellen und personellen Parametern herausgeholt hat. Kritik ist immer möglich und jeder und jede Direktion hätte es anders gemacht. Und das Programm allein steht auch nicht für alles, was ein Kunsthaus ausmacht. Aber jetzt, da es möglich ist, den Fokus auf ihre Ausstellungen (je nach Zählart 65 bis 75) zu richten, gilt es „chapeau“  zu sagen. Es gelang Dolores Denaro  das Kunsthaus, das flächenmässig zu den grossen und budgetmässig zu den kleinen in der Schweiz zählt, programmatisch zu einem national beachteten Zentrum für zeitgenössische Kunst zu machen.

Eine Analyse zeigt schnell, dass Denaro mit Rubriken gearbeitet hat, dass gewisse Programmpunkte immer wieder kamen, allen voran die jährlichen Themenausstellungen von „In diesen Zeiten“ (2003), „I need you“ (2004) bis zu „Felicità“ (2010) und „Arkhaiologia“ (2011). Da es mit grosser Anstrengung gelang, zu allen einen Katalog herauszugeben, wird die Reihe auch in Zukunft greifbar bleiben. Erfunden hat  sie Denaro freilich nicht; die bis heute legendäre  „Nonchalance“-Ausstellung von Christoph Doswald und Andreas Meier ging ihr 1994 voraus.

Die Themenausstellungen waren Denaros liebstes Gefäss, denn nirgendwo sonst konnte sie so sehr als Kuratorin wirken und eigene Konstellationen in Szene setzen. Ihr Vorgehen war weniger das einer intellektuellen Vertiefung eines Themas als vielmehr eines Schachbretts, das es mit Figuren zu besetzen galt, die – im besten Fall – interagieren und Diskussionen auslösen.  Das gelang dort am besten, wo das Thema einen Nerv der Zeit traf, wie zum Beispiel bei „Branding“ (2006), worin es um die Macht von Labels ging. Das Zielpublikum war nicht einseitig die Kunstwelt, sondern in verschiedenen Aspekten vom Thema Angesprochene. Das trug Denaro zum Teil Kritik ein; es war in den Medien von „harmlos“, von zu wenig radikal, zu wenig politisch, philosophisch zu wenig vertieft die Rede, doch nichtsdestotrotz zogen diese Ausstellungen das nationalste Publikum aller Veranstaltungen an.

Eine wichtige Rubrik waren Denaro auch die Museums-Erstausstellungen von Schweizer Kunstschaffenden respektive die „Comeback“-Inszenierungen von Künstler und Künstlerinnen, die zeitweise aus dem Blickfeld verschwunden waren. Zu ersteren zählen unter anderem Simone Zaugg, Francesca Gabbiani, Isabelle Krieg, Stefan Banz, zu zweiteren Klaudia Schifferle, Claudia di Gallo, Hannes Brunner und Franziska Megert. Keine dieser Ausstellungen ist  qualitativ „durchgefallen“ – und es war rückblickend wohl auch richtig, die Kataloge erst gegen Ende zu publizieren, um die Installationen im Pasquart in die Zukunft zu tragen, allen voran die Inszenierungen in der Salle Poma. Man denke zum Beispiel an Isabelle Kriegs Äste-Schrift „I refuse to be depressed“, an Claudia di Gallos „Trailblazer Cosmologie“ oder an Francesca Gabbianis Scherenschnitt-„Filmstills“ (zu Pasolini, Kubrick etc.). Im selben Kontext zu erwähnen ist auch das 2008 lancierte „Romand“-Gefäss mit Emanuelle Antille, Stéphane Zaech und anderen, kuratiert von Caroline Nicod.

Einen mehr oder weniger durchgehenden Programmteil bildeten auch die bereits von Andreas Meier initiierten Präsentationen bestehender Sammlungen, um damit eine Fülle schweizerischer und internationaler Positionen nach Biel zu holen. Ein Coup war gleich zu Beginn das Engagement von Donald Hess, der die damals jüngste Museumsdirektorin der Schweiz  – Denaro war bei Amtsantritt gerade mal 31 Jahre alt – mit der Ausstellung eines Teils der „Hess Collection“ unterstützen wollte. Unvergessen die reiche Präsenz der amerikanischen Feministin Lynn Hershman. Nicht alle Sammlungen überzeugten gleichermassen, zuweilen galt es auch Druckversuche in Schach zu halten, doch die erst kürzlich angesetzte Präsentation der Kollektion des Davoser Kieferorthopäden Thomas Spielmann mit Schweizer Positionen  wie Daniela Kaiser, Jules Spinatsch, Roman Signer und andere lässt auf eine Fortsetzung hoffen.

Ein überall mit Argus-Augen verfolgter Programm-Aspekt ist die Einbindung der lokalen Kunstszene. Dolores Denaro lud zu allen Themen-Ausstellungen Kunstschaffende aus der Region ein; ein wichtiges Moment. Erinnert sei an Installationen von Hannah Külling, M.S.Bastian, Ruedy Schwyn. Ansonsten beschränkte sich die Direktorin auf Einzel-Schauen und verwies im übrigen auf den für die regionalen Jahresausstellungen zuständigen Kunstverein. Das war nicht sonderlich originell, die Einzelausstellungen waren zum Teil aber durchaus nachhaltig. Ins Gedächtnis gerufen seien zum Beispiel Berndt Höppners sich stetig wandelnde Installation in der Salle Poma (2002), die „welthaltigen“ Raum-Inszenierungen von Christoph Rihs (2004), die kritische Befragung von Geld und Wert durch „Relax“ (Antoinette Chiarenza/Daniel Hauser).

Weitere Gefässe waren „Sammlung“, Stipendienausstellungen, Kooperationen mit Pro Helvetia,  Botschaften und Kulturvereinigungen;  sie brachten so wichtige Ausstellungen wie „simply beautiful“ (Kunst aus Korea), „timelapse“ (ein Austausch China/Schweiz) oder auch die japanische Künstlerin Chiharo Shiota nach Biel.

Bildlegenden:

Dolores Denaro – Ansprache anlässlich der Vernissage von „arkhaiologia“ – August 2011. Bild: azw

Bilder aus dem Programm: „Aurum“ – Mai Thu Perret. Carola Bürgi – Installation Salle Poma. Antony Shuralev – Installation Galerien.

Patricia Picchinini – „Genipulation“. Bilder: azw

 

Zweittext:

Dolores Denaro hinterlässt ein Kunsthaus ohne Defizit und mit nationaler Ausstrahlung.

 

Als Denaro 2001 zur Direktorin des Centre Pasquart gewählt wurde, war die 31-Jährige die jüngste Schweizer Kunsthistorikerin in museumsleitender Position. Die Budget-Situation hatte den Ausschuss gezwungen, eine (kostengünstige) Newcomerin zu wählen. Dolores Denaro packte die Chance, die man ihr bot.

Wenn sie jetzt Abschied nimmt, so nicht weil sie genug vom Kunstbetrieb hat, sondern weil die Stiftung Centre Pasquart von Anfang an eine Rochade nach 10 Jahren anstrebte und die letzten Jahre nicht nur einfach waren. Ihr Rücktritt ist kein Karrieresprung, sondern vorerst ein Rückzug, um nach Mutterschaft, Krankheit und Unfall neue Kräfte zu gewinnen.

Dolores Denaro hat mit enormer Anstrengung ein künstlerisches Programm realisiert, das dem Museum insbesondere in der Deutschschweiz Bekanntheit und Anerkennung brachte. Dafür gebührt ihr Dank.

Der Preis dafür war freilich eine strikte Konzentration auf das von ihr geplante Programm. Lustvolle Zusammenarbeitsformen mit den Partnern des Centre Pasquart oder Kunst im Doppelpack, zum Beispiel mit den Fototagen oder der Schweizer Plastikausstellung, kamen nicht zustande. Auch gelang es Denaro zu wenig die Bieler Bevölkerung einzubinden, ihr Stolz auf ihr überregional beachtetes Kunsthaus zu vermitteln. Eine gewinnende Atmosphäre zu schaffen ist  ein komplexes Unterfangen.