Die Cantonale Berne_Jura im Ueberblick 12_2011

Waren Sie schon im Kunsthaus Interlaken?

www.annelisezwez.ch         Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 21. Dezember 2012

Der „Cantonale Berne/Jura“ ist es gelungen, Bern zum Kunstkanton zusammen zu schweissen. Neue Netzwerke zwischen Publikum, Künstlern und Institutionen sind ihr Erfolg.

„Ich war noch nie im Kunsthaus Langenthal“, sagt eine Künstlerin aus Thun, die dank der „Cantonale Berne/Jura“ nun daselbst ausstellt. Und hinter verhaltener Hand gestehen Kunstfreaks aus dem Seeland: „Ich wusste gar nicht, dass es ein Kunsthaus Interlaken gibt“. Die von acht Institutionen gemeinsam veranstaltete Jahresend-Ausstellung der mit Bern verbundenen Kunstschaffenden ist die erste Veranstaltung, die eine kantonale Kunstszene bewusst macht. Das allein ist  ein Erfolg, denn nicht nur in der Kultur versteht sich der Kanton Bern viel zu selten als Einheit.

Doch es gibt noch mehr Positives zu berichten: Dank dem Pool von 339 Bewerbungs-Dossiers konnte vor allem in den Randregionen, aber auch in Biel, eine Qualitätssteigerung erreicht werden; ein Gefälle zwischen Thun und der Kunsthalle Bern zum Beispiel, gibt es nicht mehr, im Gegenteil die Ausstellung im Kunstmuseum Thun gehört zu den eindrücklichsten. Umso erfreulicher, dass Künstlerinnen und Künstler aus der Region Biel dazu beitragen, zum Beispiel Michèle Dillier, die in Thun ein Band von hinterleuchteten Röntgenaufnahmen von Mikrochips zeigt, die den Anschein einer gigantischen Weltstadt ergeben. Oder die raumhohe, farbige Zeichnung des „Turm zu Babel“ von Marcel Freymond, die von Thun gleich auch noch angekauft wurde.

Es ist ein Phänomen und ein Plus für die „Cantonale“, dass sie den Blick auf Vertrautes neu schärft. So hätte man vielleicht die beiden goldenen, nichts als Leere umschliessenden Klammer-Zeichen des Bieler Künstlers Markus Furrer im Pasquart als „typisch“ abgehakt und staunt nun ob ihrer konzeptuellen Klarheit in den Räumen des Kunstmuseums Thun. Das tat übrigens auch die kantonale Kunstkommission, welche die Arbeit erworben hat. Analoges gilt für die Installation des Bieler Musiker-Künstler-Kurators Monsignore Dies, die in der Kaffee-Nische der Kunsthalle Bern  nicht nur einen idealen Ort für das Zelebrieren ihrer schwarz-magischen Überlebens-Strategien fand, sondern auch ihre überregionale Eigenwilligkeit zu demonstrieren vermag.

Mit dem Seeland verbundene Kunstschaffende haben in allen Institutionen eine starke Präsenz. Im Pasquart sowieso (das BT berichtete), aber auch in Moutier, wo man unter anderem Werke von Franziska Beck, Mingjun Luo und Jerry Haenggli findet, während die Langenthaler Jury unter anderem Daniela de Maddalena, Aurélie Jossen, Sara Rohner und Christoph Rhis in ihr Haus einlud. Hinzuzählen könnte  man hier auch „Bieler Werke“, wie zum Beispiel die 2010 von Nino Baumgartner für das Bieler Lokal-int. realisierte Recherchen-Performance zum Lauf der Schüss bis zu ihrer Quelle, die nun in der Kunsthalle Bern einen Akzent setzt.

Eine Einengung des Blicks aufs Seeland wäre provinziell – Überraschungen zu entdecken ist mindestens so spannend. Zum Beispiel die 2-Kanal-Video-Arbeit der jungen Bernerin Livia di Giovanna, die reale Holzkuben als virtuelles Spiel mit Licht-und Farbsetzungen inszeniert. Nicht minder spannend ist der konzeptuelle Gegenpart in der Farbe und Bedeutung hinterfragenden Projektions- und Audio-Installation „Etwas von allem ist immer überall“  von Remo Stoller (geb. 1977) in der Kunsthalle Bern. Medial überzeugend ist daselbst auch die Arbeit von Angela Wüst (geb.1986), welche ein Video als Abfolge von Fotografien teilzerstörter Fassaden zeigt. Und der Fotokünstlerin Chantal Michel ist eine Serie wunderbarer neu-alter Stilleben geglückt (Bern/Moutier).

Gesamthaft gesehen, kann von guter Qualität gesprochen werden. Dennoch stellen sich auch Fragen: Warum sind so wenige wirklich schräge, kritische, sozial und politisch animierte, experimentelle Arbeiten zu sehen? Eignen sich Dossiers mit konkreten Werk-Vorschlägen seitens der Kunstschaffenden nicht dazu? Müsste man mehr ortsspezifische Arbeiten ermöglichen? Marks Blond und Haus  am Gern zeigen, dass es geht: In allen Häusern ist eine Foto von zwei Pizzas zu sehen, welche das Bieler Duo mit Schinken, Tomaten und schwarzen Oliven porträtieren, wobei die Originale von lokalen Bäckern stammen – die schönsten von Mihail Moldavon (Moutier). Zu nennen wären hier auch Arbeiten von Fredie Beckmans/Claude Gigon (Biel), Marianne Oppliger/Sophie Hofer (Thun).

Ob das Konzept 2012 wiederholt wird, ist noch ungewiss, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen, doch da sollte der Kanton einspringen und erkennen, dass die „Cantonale“ identitätsstiftende und damit kulturpolitische Bedeutung hat.

Info: Beteiligt sind Kunsthaus Pasquart, Kunsthaus Langenthal, Kunsthalle Bern, Stadtgalerie Bern, Kunstmuseum Thun, Kunsthaus Interlaken, Marks Blond (Bern), Musée des Beaux Arts Moutier. Für die Öffnungszeiten während der Festtage konsultiere man die Websites.

 

 

Entdeckt

In Biel: Eine Videoarbeit die den Planeten Erde durchbohrt (Franziska Bieri)

In Langenthal:  Eine Bodenplatte, die vom Vorplatz des Centre Pasquart stammt (Rony Hardliz/Jürg Orfei).

In Thun: Das gerahmte Flachbild-Video „Passage“ (Annatina Graf)

In Moutier: Die Leinwand „Les Absents“  (Luo Mingjun)

In Interlaken: Eine Ausstellung in der Ausstellung (Ise Schwartz)

In Bern: Ein Stück Unendlichkeit (Ka Moser)

                                                                                                                            

 

Bildlegenden:

Selectomat von und mit Daniela de Maddalena Mit zwei „Arthope“-Münzen kann man in Langenthal (Bild) und Moutier „Kunst für den Hunger zwischendurch“ erwerben  

Doppel-Projektion auf Holzkuben von Livia di Giovanna (Thun).

Doppelporträt Sophie Hofer/ Marianne Oppliger als „Chicken“, gemalt von einem georgischen Künstler (Thun).

Installation „Chez Monsignore Dies“ (Kunsthalle Bern).