Reini Rühlin Marktplatz Büren 2011

Kein Mangel an Ideen

www.annelisezwez.ch         Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 28. Oktober 2011

Seit 45 Jahren ist Reini Rühlin bildender Künstler. Mit 70 wagt der Berner den Rückblick. In einer Ausstellung in der Galerie am Marktplatz in Büren und in einem neuen Buch.

Dass eine Retrospektive von den lebendigen Szeemann-Jahren im Bern der 1960er-Jahre bis heute in einer einzigen Galerie ein heterogenes Bild ergibt, liegt auf der Hand. Doch „ein heiliger Faden ‚lauchgrünt’ von Bild zu Bild“, schreibt Alex Sadkowsky in seiner kleinen Fantasmorgie im Rückblick-Katalog.

Gemeint ist der subtile Surrealismus, gepaart mit Ironie und einem Schuss Karikatur, der Reini Rühlins Werk durchweht. Oft um Grossgepriesenem eine menschliche Note zu geben. So malt er zum Beispiel die berühmte, goldene Oskar-Figur just in dem Moment, da sie „mal muss“. Oder er verwandelt ein Unbehagen ins untergründig Lächerliche; zum Beispiel indem er  den latenten Verdruss angesichts übernutzter Wanderwege in ein „Wanderfarben“-Bild verwandelt.

Die beiden Beispiele – beide aus jüngerer Zeit – zeigen stilistisch und motivisch, dass das Heterogene bei Rühlin nicht primär von der

langen Schaffenszeit her rührt, sondern ein Prinzip ist. Der seit gut 25 Jahren in einem alten Wirtshaus in der Nähe von Avenches Lebende nennt sich denn zuweilen auch ein „Ideenkünstler“.  Eine Idee ist ihm eine Art „Aufgabe“. Wie kann er sie umsetzen? Als Bild und wenn ja, auf Papier, auf Leinwand, mit Öl, Acryl oder Wasserfarben oder vielleicht eher als Bildobjekt oder als Skulptur? Popartig, surreal-erzählerisch oder als malerischer Stil-Mix?

Alles ist möglich, alles ist Spiel und Handwerk kein Problem. Klar, haben ihm die Kunst-Kuratoren das immer mal wieder vorgeworfen und ihn trotz seiner prominenten Beteiligung im aufmüpfigen Bern der 1960er- und -70er-Jahre etwas links liegen lassen. Kein Wunder darum, dass der alte und der neue Katalog die kunst-geschichtliche Analyse meidet wie der Teufel das Weihwasser. Rühlin hat in den letzten 20 Jahren nie prominent in einer öffentlichen Institution ausgestellt, wohl aber stets von der Kunst gelebt indem er Bilder verkaufte (sich diese auch verkaufen lassen!).

Vielleicht wäre jetzt die Zeit gekommen, Rühlins Werk neu anzuschauen, zu spüren, dass die Vielfalt einer Haltung entspricht

, die einem Schaufenster gleich unsere Konsumwelt spiegelt in der alles und jedes möglich und kombinierbar ist. Umsomehr als miteinzubeziehen ist, dass Rühlin  über das Bühnenbild zur freien Kunst kam. Seine Ideen sind ihm wie Stücke, die es in Szene zu setzen gilt. Und das Stück, das alle Stücke umschliesst, ist  das Leben. Es gibt mehr Persönliches in seinem Werk als der erste Blick verrät.

Das kann heiter sein. Zum Beispiel im Grossformat  „Face à Face“ von  1989, das Rühlins „Freunde“ aus der Jugendzeit – Tintin, Pluto, Teddy und mehr – zeigt, die sich Hände und Nase an einer fiktiven Glasscheibe platt drücken, um zu sehen, was aus ihm, was aus der Zeit damals geworden ist.

Biographisches kann auch sehr intim sein. Da ist ein schwarz-weisses Bild-Objekt – eine Malerei, die über eine Sonnenblume aus Scheibenwischern in den Raum ausgreift.  Das Werk spiegelt einen wiederkehrenden Traum aus Rühlins Kindheit:

Eine Brücke, über die, so sagt er, er nur hätte gehen können, wenn er das Fenster davor wischte, doch davor warnte ihn eine Hexe in einem Wächterhäuschen. Es ist zweifellos ein Hinweis auf seine elternlose Kindheit; jetzt, im Alter, vermochte er das Bild umzusetzen.

Reini Rühlins Oeuvre – insbesondere auch die frühen Zeichnungen, von denen einige wenige in Büren zu sehen sind – wächst aus dem Kontext seiner Zeit. In Zürich wie in Bern feierte in den 60er-Jahren ein von Sagen, Mythen und Fantasmen genährter Neo-Surrealismus eine Hochblüte. Da war es ein Leichtes einen halben Elefanten zu zeichnen oder einen High-Heel und eine Pfeife zum Objekt zu fügen. Meret Oppenheim, Peter von Wattenwyl,  Susanne Baumann, Alfred Hofkunst, Lilly Keller, Toni Grieb, Tinguely, Spörri und Luginbühl taten Ähnliches auf ihre Weise. Reini Rühlin gehörte zu den Jüngsten und er blieb sich treu. Wenn wir heute nicht alles gleich originell empfinden oder als allzu grafisch beiseite schieben (etwa die „Kopfbälle“ von

2003) , so hat das auch damit zu tun, dass die Zeit das damals Neue längst hat zur Gewohnheit werden lassen.

Galerie am Marktplatz Büren a.A. bis 26. November.  Do/Fr 16-19, Sa 13-16 Uhr.

 

 

Geboren am 15. August 1941 in Basel.

Aufgewachsen im Kinderheim Langenbruck

Lehre als Schaufenster-Dekorateur in Glarus; Kunstgewerbeschule Zürich

Bühnenbildner-Assistent am Stadttheater Basel, später am Stadttheater Bern.

Ab 1970 freischaffender Künstler

Regelmässig Ausstellungen in der Galerie Martin Krebs in Bern. 1972 und 1975 Louise Aeschlimann-Stipendium. 1980 6. Berner Ausstellung in der Kunsthalle. 1988 Weisser Saal, Kunstmuseum Bern.

In der Region Biel: 1975 Galerie Silvia Steiner, Biel; 1992, 1998 Galerie am Marktplatz in Büren; 1997 „Fil rouge“, Galerie René Steiner, Erlach; 2002 „Art Canal“, Freilichtausstellung Zihl-Kanal.

                                                                                                             

 

Bildlegende:

 

Reini Rühlin: „Wanderfarben“, Öl auf Leinwand, 2011 (73 x 92 cm); „Wenn Oscar mal muss“, Öl auf Leinwand, 2010. Bilder: azw