Timm Ulrichs Patrick Hari Linus Bill Photoforum Biel 2011

„Ich habe gar keine Kamera“


www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 10. Oktober 2011

„Was nun?“ frägt die neue Ausstellung im Photoforum Pasquart. Was nun nachdem die Fotografie sich selbst ad absurdum führt. Antworten von Linus Bill, Patrick Hari und Timm Ulrichs.

So eine Ausstellung gab es im Photoforum Pasquart noch nie. Da sagt der eine Künstler: „Ich habe gar keine Kamera“ und der andere: „Ich fotografiere, doch nur wenn es sein muss“ und der dritte: „Ich arbeite lieber mit Siebdruck“. Nichtsdestotrotz ist die Fotografie das zentrale Thema von Timm Ulrichs, Patrick Hari und Linus Bill.

Dass junge Künstler wie der 29-jährige Bieler Linus Bill oder der 34-jährige Zürcher Patrick Hari – beide Absolventen der Fotoklasse der Hochschule der Künste Zürich – ihr Medium angesichts der überbordenden Präsenz fotografischer Bilder im Lebensalltag in Frage stellen, liegt nahe.  Interessant ist die Ausstellung indes nicht zuletzt, weil Bill als Co-Kurator den 71jährigen deutschen Künstler Timm Ulrichs mit zum Teil wiederbearbeiteten Werken aus den 1970er und 80er-Jahren ins Bieler Boot holte.

So sind denn im Photoforum für einmal nicht der Reportagefotografie im weitesten Sinn verpflichtete Essays zu sehen, sondern Objekt-Skulpturen von Patrick Hari, die sich mit der Lagerung fotografischer Bilder in Regalen, Gestellen, aber auch unserem Gehirn befassen. Und Bild-Streifen von Timm Ulrichs, die sich konzeptuell und experimentell mit der Kamera als „Waffe“ als „Röntgeninstrument“, als „Spion“ befassen. Und last but not least mehrere Bildebenen überlagernde grossformatige Siebdrucke, die so hintersinnige Titel wie „Weniger Jugend – mehr Polizei“ tragen ohne dies freilich lapidar zu illustrieren, denn nach Ansicht von Linus Bill sind Worte eine Art „Gift“ für Bilder.

Der Hannoveraner Timm Ulrichs gehört zu einer Künstler-Generation in Deutschland, welche die Kunst ab den 1960er-Jahren zu einem Instrument des Lebens und der Gesellschaft machte (man denke an Joseph Beuys). Ulrichs liess sich auf sein Augenlid das Wort „The End“ tätowieren, im Wissen, dass man es in der Begegnung mit dem wachen Künstler nicht sehen wird, dereinst, wenn er tot ist und man ihm die Augen geschlossen hat, aber sehr wohl. In Biel ist ein Video der Tätowierung sowie eine Fotografie des Augenlids auf Leinwand sehen.

Die Ausstellung zeigt  die Werke der drei Künstler nicht, wie sonst im Photoforum üblich, in geschlossenen Zyklen, sondern als Diskurs. So begegnen sich zum Beispiel die Serie „Checked Baggage“ von Timm Ulrichs, die Objekt-Skulptur „Eine Geometrie der Macht (Elefant)“ von Patrick Hari und der Siebdruck „Bastle eine Bombe in der Küche deiner Mutter“ von Linus Bill in einem Raum und markieren so die drei Positionen, welche die Fotografie im herkömmlichen Sinn hinterfragen. Dass der Ansatz Ulrichs nicht derselbe ist wie jener seiner Studenten (Bill war kurzzeitig Schüler  von Ulrichs), ist fast logisch, die Konstellation aber dennoch erstaunlich interaktiv.

Ulrichs arbeitet aus einer Position der Skepsis und des Misstrauens gegenüber den zu seiner Zeit neuen Mitteln mit Fotografie in Zonen hinter der äusseren  Wirklichkeit vorzudringen; so zum Beispiel die Methoden des Röntgens von Gepäck an den Flughäfen. Er fragte Passagiere, ob der mit ihm anwesende Fotograf ihre „durchsichtigen“ Koffer ablichten dürfe, was ihm – so erzählte er dieser Tage in Biel – vor allem Männer erlaubten, den Frauen sei das wohl zu privat gewesen. Um die Einheit von Kunst und Leben sichtbar zu machen, legte der Konzeptkünstler sich dann auch gleich selbst noch aufs Förderband (was heute aus Strahlengründen längst nicht mehr erlaubt wäre).

Patrik Hari ist in ganz anderem Sinn kritisch gegenüber der „Macht“ der Bilder. Er lässt die Besuchenden real oder fiktiv auf einen bequemen Sessel sitzen und „bestrahlt“ sie von oben mit dem seltsamen Bild-Fundstück eines Kleinkindes mit einer amorphen Gummipuppe in seinen patschigen Händchen. Die Foto liegt auf einer Strahlenachse mit einer reflektierenden Kreisplatte am Boden, die wiederum auf den „Probanden“ zielt. Die Assoziationen reichen von parapsychologischer „Laborsituation“ bis zu „Folterinstrument“, weisen aber in jedem Fall auf die beängstigende Fülle von Bildern diesseits und jenseits der Sichtbarkeit. Es ist eine äussert faszinierende Arbeit und nicht die einzige ihrer Art in der Ausstellung.

Linus Bill geht einen anderen Weg – er führt die Fotografie banaler Raumsituationen durch Überlagerung mit Denk-, Fantasie- und Tätigkeitsfeldern in erzählerische, oft auch comicnahe Lebenssituationen zurück. Der Siebdruck gibt ihm dabei die Möglichkeit die „Malerei“ hiefür ins Boot zu holen, verweist durch Format und Oberflächenstruktur aber auch auf die Plakat-Industrie.

 Bis 27. November 2011. Finissage mit Buchpräsentation und Führung durch Timm Ulrichs (16 Uhr). Mi – Fr 14 – 18, Sa/So 11 – 18 Uhr.

 

Die Künstler

Timm Ulrichs:Geboren 1940 in Berlin. 1959 Abitur in Bremen. 1959-1966 Architektur-Studium in Hannover. 1961 erste Ausstellung als „lebendes Kunstwerk“. Arbeiten in verschiedensten Medien. Hunderte von Einzel- und Gruppenausstellungen, vor allem in Deutschland. In der Schweiz: „Fluid Art Canal“ 2006/07 (Freilichtausstellung Zihlkanal).

Patrick Hari:Geboren 1977 in Zürich. 2003/04 Vorkurs F+F in Zürich, 2004-2008 ZHdK (Zürcher Hochschule der Künste), Fachbereich Fotografie. 2009 ZKB Kunstpreis, seit 2010 Atelier Binz 39, 2011 Atelierstipendium Kunming, China (2012).

Linus Bill:Geboren 1982 in Biel. 2001 Matura Gymnasium Alpenstrasse. 2008 Abschluss ZHdK, Fachbereich Fotografie. Ausstellungen: u.a. 2008 „Wir nehmen auch Euro“, Dummy Galerie, Berlin; 2010 „Am besten man bleibt zuhause“, Grand Palais, Bern; 2011 „La Deuxième Chance“ (mit Adrien Horni), Doufourstr. 31, Zürich.

                                                                                                                             

 

Bildlegenden:

„Was nun“ im Photoforum zeigt Timm Ulrichs „Checked Baggage“ von 1975/82 im Diskurs mit Patrick Haris Objekt-Skulptur „Macht der Geometrie“ und Linus Bills Siebdruck „Bastle eine Bombe in der Küche deiner Mutter“ (beide 2011).  Bilder: azw