20 Jahre Galerie 25 by Regina Larsson in Siselen

20 x Kunst_von Ruth Burri bis Martin Ziegelmüller

Vernissagerede vom 20. Oktober 2013 in der Galerie in Siselen (Berner Seeland) 

 

Sehr geehrte Damen und Herren

Liebe Regina, liebe Künstlerinnen und Künstler

Eigentlich, so sagte mir Regina Larsson letzte Woche, habe sie gar nicht Galeristin werden wollen. Aber die „Männer“ damals, 1993, seien so begeistert gewesen von der Idee, in dem von ihr (ich hoffe sie hören das Ausrufezeichen), von ihr mit viel Elan und noch mehr Arbeitskraft zu neuem Leben erweckten alten Bauernhaus mit angebautem Stall eine national ausgerichtete Galerie zu eröffnen, dass sie sich habe anstecken lassen.  Dass damals der in den 1970er-Jahren einsetzende Boom der Landgalerien gerade zu Ende ging und eine neue Urbanisierung einsetzte, kümmerte das Team um Fernand Schmutz, Jörg Grünig und Regina Larsson nicht. Ein bisschen „mit dem Kopf durch die Wand“ gehörte – gehört auch heute – zum Programm und im übrigen sei Siselen ja nur einen Katzensprung von Bern entfernt.

Weil es nun ja nicht so einfach war zu sagen: Wir eröffnen und dann zu meinen, dass alle Künstler sich darum reissen zu kommen und der Galerie einen Namen zu geben, begann man primär mit Originalgrafik und auch noch nicht so sehr im Gegenwartsbereich. Blätter von Ernst Morgenthaler, Viktor Surbek, Felix Hoffmann u.a. waren im Herbst 1993 versammelt. Im Januar 1994 folgte bereits etwas, das sich in der Folge als feiner roter Faden durch die Zeit schlängelt: die Liebe zum Buch. Wenn man bedenkt, wie viel Bedeutung Kunstschaffende bis heute ihren Publikationen beimessen, ist es eigentlich durchaus richtig, Bücher als mehr denn Buchhandlungs- und Büchergestell-Objekte zu betrachten. Heute sogar noch mehr als gestern, wo es gilt, anders zu sein als die Website. 1994 – das war noch vor dem Selbstverständnis des Internets, türmten sich Bücher von Pablo Neruda, Salvador Dali, Le Corbusier, Kandinsky u.v.a.m.. um den zentralen Holzofen in der alten Galerie. Und zwar nicht als Brennmaterial! Hatte jemand kalt, bekam er von Regina Larsson mit Sicherheit einen wärmenden Tee oder ein anderes feuriges Wässerchen. Bücher – Sie wissen es –bilden immer noch einen Teil der Galerie, anders, aber immer noch mit Liebe und ein bisschen Wehmut angesichts der Entwicklung im Print-Sektor.

Im Frühling 1994 wird’s dann erstmals bernisch; Werner Otto Leuenberger, Marcel Wyss, Peter Stein und Daniel de Quervain (der erste Name, der hier historisch und heute gegenwärtig auftaucht) zeigen „Originalgrafik“.

Im Sommer1994 löst die Galerie dann das Wörtchen „national“ auf der Ebene der lebenden Künstler ein. „Vier Luzerner Künstler“ ist der Titel. Zugegen sind Werke von Josef Muff, Roland Pirk-Bucher, Walter Rahm, Martin Zimmermann. Vielleicht zucken sie jetzt unsichtbar die Achseln hoch und denken: „Nie gehört“. Ich muss ihnen gestehen: Ich auch nicht, obwohl ich die Region Luzern eigentlich sehr gut kenne.  So habe ich – quasi als pars pro toto – Google gefragt, ob es einen Roland Pirk-Bucher kenne. Oh ja, meinte der Internet-Suchdienst und verwies mich auf die Website des 1951 in Luzern geborenen Künstlers . Und was für eine Homepage! Ich war echt begeistert. Ein Luzerner Surrealist – im Lande von Max von Moos nichts Aussergewöhnliches. Aber der Surrealismus hat im momentanen Kunstbetrieb kaum Brot –  das kann sich wieder einmal ändern aber es mag erklären, warum es dem Künstler trotz der Eigenständigkeit seiner  figürlichen Arbeiten nicht gelungen ist, national – ja nicht einmal regional – so richtig im Gespräch zu bleiben.

Warum ich das so ausführlich erzähle, fragen Sie? Weil da an dieser Nahtstelle das Herz – oder vielleicht besser – eines der Herzen der Galerie 25 schlägt. Sie zeigt unter anderem –Kunst, die nicht dem Mainstream entspricht, ja mehr noch, aus komplexen Gründen von anderen Galerien links – oder mira rechts – liegen gelassen wird; sei es zu Recht, zu Unrecht, zu was auch immer. Da wirkt von Seiten der Galerie, von Seiten von Regina Larsson, eine Kraft, die Partei ergreift für Anderes. Es hat mit Solidarität zu tun – sicher – aber nicht mit wehleidigem Partei ergreifen, sondern ebenso sehr  mit Lust. Etwa so wie die Galerie eben nicht in Bern ist, sondern in Siselen. Und so wie ein Verbund von Künstlerinnen, konkret die Gesellschaft Schweizerischer Bildender Künstlerinnen (abgekürzt GSBK), heute vielerorts belächelt wird, sich Regina Larsson aber zur Präsidentin der Sektion Bern wählen lässt, um den Frauen – ich sag’s ein bisschen salopp – den Marsch zu blasen.

Klar, da gibt es auch Pragmatisches – eine Galerie in Siselen muss nicht Berner und schon gar nicht Zürcher Mietzinse einkalkulieren. Und die Verkaufspreise der Werke sind – nicht immer, aber oft – in Segmenten, die es theoretisch manchem erlauben würden, Kunst zu erwerben.

Doch ich habe jetzt vorgegriffen. Denn anfänglich waren sie ja ihrer drei hinter dem Namen „Galerie 25“. Doch nach relativ kurzer Zeit fanden es die Herren nicht mehr so lustig und de facto hätte man die Galerie spätestens 1997 in Galerie Regina Larsson umtaufen können. „Gewiss“, so sagt sie, „ich hätte die Galerie schliessen können, denn die Galerie bedeutete, dass ich meine eigene Arbeit als Künstlerin nicht mehr vorantreiben konnte und um die Galerie zu finanzieren ständig neue Restaurations-Aufträge annehmen musste, was hiess, dass ich von Montag bis Donnerstag auf der Baustelle war und kaum zuhause das Tenue wechselte – zunächst zu jenem der Putzfrau – dann zu jenem der Galeristin, in dem ich übers Wochenende die Kunstgäste in den Räumen und im Garten empfing. Am Montagmorgen stieg ich dann wieder ‚in die Hosen’.“

Der Kick war facettenreich –zum einen machten die vielen Begegnungen, die Auseinandersetzung mit Kunst und Künstlern Spass, zum anderen war da aber auch der für die Frauen meiner und Reginas Generation typische Reflex: Denen zeige ich, wo der Bartli den Most holt.

Und das gelang der Galeristin auch, die Galerie 25 wurde zu einem Begriff und die Vernissagen – vor allem jene bei schönem Wetter, die in den Garten hinter dem Haus lockten – zum beliebten Treffpunkt. Und mit welcher Kadenz sich die Ausstellungen folgten!! Bis zu 7 x pro Jahr wurden die Gäste geladen, die Sonderaktionen noch gar nicht mitgerechnet. Und unermüdlich sorgte die Galerie für einen Mix, der Kunst aus Berlin mit solcher aus Vinelz in Dialog brachte, von der Grafik zur Malerei, zum Objekt, zum Buch, zur Skulptur, zur Fotografie, zur Installation hin und her wechselte. Auffallend ist, dass gewisse Künstlernamen zwar mehrfach auftauchen, aber die Vielfalt war der Galeristin lieber als die kontinuierliche Arbeit mit sogenannten Galerie-Künstlern, wie man das heute oft beobachten kann. Das macht es vielleicht etwas schwierig, die Erinnerungen zu bündeln. Doch die Galeristin meint: „Mir wird es sehr schnell langweilig“, darum lässt sie sich lieber immer wieder von Neuem, seit einiger Zeit auch von Thematischem faszinieren. Und auch von einer starren Grenze zwischen freier und angewandter Kunst wollte sie nie etwas wissen. Kreativität kennt keine Grenzen, ist man versucht, ihr als Credo um den Hals zu hängen.

Spätestens jetzt muss ich etwas ganz Wichtiges in meine Ansprache einschieben: Da gibt es nämlich eine berührende Geschichte; sie geht in ihren Anfängen bis in die 1990er-Jahre zurück. Da war nämlich ein leidenschaftlicher Sammler von buch- und bildkünstlerischen Werken aus Tibet, der nicht so genau wusste, wie er seine Freizeit-Leidenschaft in einen Austausch zwischen Kauf und Verkauf bringen sollte. Der Zu-Fall führte ihn nach Siselen. Und es wurde klar: Da ist eine Fachfrau, die weiss wie man Dinge ordnet und in eine Form bringt. Das war die eine Seite – auf der anderen realisierte der Banker und Sammler schnell, dass die Zukunft der Galerie nur gesichert werden konnte, wenn jemand den Finanzhaushalt ins Lot brachte. Somit eine Win-Win Situation und….irgendwann noch ein bisschen mehr.  Und schliesslich sehr viel mehr, denn das niedrige, aber durchaus charmante Bauernhaus wurde Vergangenheit und der Chäsereiweg, der ganz neue Möglichkeiten bietet, wurde Gegenwart und heute zeichnen Regina Larsson und Stefan Vogt gemeinsam für die Geschicke der Galerie.

Diese hat ganz verschiedene Standbeine: Von den Ausstellungen war schon die Rede – das ist das, was wir kennen. Aber da sind auch die Nachlässe von Künstlern, die als Ganzes zu Regina Larsson kommen.  Da zahlt sich aus, dass die Galeristin nicht primär eine Schreibtischtäterin ist, sondern weiss wie mit Bildern, die Schaden gelitten haben, umzugehen ist, wie Papier behandelt werden muss, wie etwas ein- und wieder ausgerahmt wird usw. Das gibt ihr die Möglichkeit als Expertin, als Restauratorin, Gewähr zu geben für den Unterhalt eines Nachlasses. Das ist ja bekanntlich ein Kapitel, das immer wieder zu heissen Diskussionen führt, weil wir in einer Zeit leben, in der sich die Kunst derart vervielfältigt hat, dass wir nicht mehr wissen wohin damit und vor allem auch ältere Kunst  zuweilen in eine Abwärtsspirale gerät, die schmerzt.

Nun geht es heute ja nicht nur um einen Rundblick auf 20 Jahre Galerie 25 by Regina Larsson, sondern auch um eine aktuelle Ausstellung mit Werken von 20 Kunstschaffenden. Wer nun glaubte die Galeristin würde hier streng konzeptuell aus allen 20 Jahren jemanden aussuchen und zeigen, um Zeit und Entwicklung sichtbar zu machen, irrt.  Lieber war der Galeristin ein Mix aus persönlichen Entscheidungen, die mit erinnern zu tun haben können, mit Wertschätzung, aber auch ganz pragmatisch mit Möglichkeiten, mit eben erst im Kunsthandel entdeckten und erworbenen Blättern – zum Beispiel von Gian Pedretti – aber auch mit zukunftsorientierten Entscheidungen und last but not least mit jener immer schon vertretenen Haltung der Galerie als selbstverantwortliche Plattform für Kunstschaffende. So ist es auch nicht eine streng  nach qualitativen Kritierien zusammengestellte Ausstellung, die ein Bild der künstlerischen Vision der Galeristin zeichnen würde. Gewiss, es gibt Bilder in der Ausstellung wie zum Beispiel  die „Krebse“ von Pat Noser, welche Regina Larsson mit grossem Vergnügen im Atelier der Künstlerin in Biel aussuchte. Ausschlaggebend war dabei aber nicht die inhaltliche Dimension des Bildes – obwohl Meerestiere bei einer Skandinavierin  ja zweifellos Erinnerungen auslösen – sondern die Qualität der Malerei. Im Gespräch mit der Galeristin spürt man immer wieder das grosse Wissen der Restauratorin, da kann ihr kein Künstler und keine Künstlerin ein x für ein y vorgauklen. Entweder jemand beherrscht die angewandte Technik oder er oder sie schludert und dann finden wir die entsprechenden Arbeiten wohl nur einmal in der Galerie.

Sehr oft beschränkt sich die Galeristin aber auf die Urteilskraft, die Verantwortung der Kunstschaffenden selbst. Wenn er oder sie das eine oder andere zeigen will, dann ist das in Ordnung, aber schon möglich, dass die Galeristin dann unter vier Augen anfügt, sie habe auch schon besseres gesehen. Mir persönlich ist das sympathisch, weil es ehrlich ist. Ich kenne genug Galeristen, die einem Schnürsenkel mit dem Prädikat „excellent“ verkaufen würden, wenn sie könnten.

Damit will ich nun nicht etwa die Ausstellung schlecht machen, oh nein, denn das Prinzip kennt auch das Umgekehrte, nämlich, dass Regina Larsson gerührt erlebt, welch qualitätsvolle Werke ihr die Künstler und Künstlerinnen für eine Ausstellung anvertrauen.

In diesem Feld erlaube ich mir, Sie ganz subjektiv auf meine Highlights hinzuweisen (wobei ich einschränken muss, dass die Ausstellung noch im Werden begriffen war, als ich da war) und ich auch nicht alle vertretenen KünstlerInnen näher kenne.

Als erstes – Sie werden es gleich begreifen – muss ich die wunderbaren „Flügel“ von Erica Pedretti erwähnen. Die sind schlicht grossartig – als Objekte einerseits und in ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung andererseits. Und – hier nun das Subjektive – ich besitze seit 1984 einen dieser Flügel und jeder Luftzug in meinem Schlafzimmer bringt ihn noch heute sanft ins Schwingen. Als Objekte finde ich sie grossartig, weil sie ihren Naturbezug sogleich zeigen – und zwar nicht in Referenz zur Vogel-, sondern der Pflanzenwelt  – Sie kennen doch sicher diese sich drehenden Samenständer – dann aber über den feinen Flaum am „Rückgrat“ den Vogel mit hineinnehmen und in den Zwischenkörpern auch gleich noch die Insekten. Letztlich verweisen sie  aber auf den Menschen und dessen ewigen Traum vom Fliegen, von der Freiheit. Und da kommt nun die Kunstgeschichte ins Spiel, denn die ersten dieser Flügel entstanden 1978 und waren u.a. in der Kunsthalle Bern und 1980 an der Plastikausstellung in Biel (allerdings ein grosser schwarzer, nicht einer von diesen hier) zu sehen. Damals war in der Kunst von Frauen, die eben erst begonnen hatten, fraubewusste Arbeiten zu schaffen, (war)der Flügel ein Symbol ersten Ranges. Es gibt aus dem frühen 1980er-Jahren unzählige Flügel – vor allem in Form von Objekten, Zeichnungen (im weitesten Sinn), Material-Collagen und vieles mehr – . Aber  eben: Diejenigen von Erika Pedretti entstanden schon ab 1978 – was ihre Bedeutung unterstreicht.

Dann sei auch auf das wunderbare „Freiburg by night“ von Martin Ziegelmüller hingewiesen. Martin staunt jetzt vielleicht und denkt: Was, jetzt liebt die Zwez plötzlich meine Bilder, das tönte doch auch schon anders…. Ja, ich mag diese Freiburg-Bilder – und auch andere Städteansichten – sehr. Hier finde ich neben der Malerei auch das Projekt besonders interessant. Martin Ziegelmüller reiste nämlich jeweils um 4 Uhr morgens auf „seine“ Brücke in Freiburg. Nie schläft eine Stadt so sehr wie in den frühen Morgenstunden, nie ist sie so dunkel, nie so sehr Geisterstadt, Schatten-Welt…. die Stadt und der Maler werden zum verschworenen Team.

Überrascht haben mich die beiden Bilder von Ise Schwartz – es ist übrigens die erste Visite der Künstlerin hier in der Galerie. Da  meint man das Werk einer Künstlerin gut zu kennen und schon tauchen Werke auf, die man überhaupt nicht kennt und das Bild noch einmal erweitern. Typisch ist der Aspekt des Musters. Von den Bildern auf eine konstruktive Malerin zu schliessen wäre also falsch. Seit Jahren geht es der Künstlerin jedoch darum, den einstmals eher vertrauten Stoffmustern, neue, zeitgenössische Ornamente entgegenzusetzen, in der Gegenwart nach Mustern zu suchen, bis hin zu den Strichcodes auf den Waren, die wir kaufen. Auch hier ist das vermutlich der Weg der Interpretation, den wir zu gehen haben.

Ein konstruktives Moment, das nicht eigentlich mit Geometrie zu tun hat, finden wir auch in den Fotografien von Valerie Chételat. Die abgebildeten Räume sind Architektur und Architektur hat im rechten Winkel zu sein, sonst wird’s gefährlich (oder zumindest kompliziert), doch hier geht es nicht um Boden, Wände, Decke – obschon es genau das ist, was wir sehen – sondern um das für menschliche Tätigkeit, menschliches Verweilen gebaute Volumen. Doch die Menschen sind verschwunden, nur Reste erinnern noch an einstiges Leben. Wir wissen nicht, ob als nächstes der Bagger oder der Renovierer in Erscheinung treten wird, ob Zerstörung oder Wiederauferstehung die Zukunft ist und dieses Vakuum ist es, mit welcher die Fotografien von Chételat über sich selbst hinausweisen.   

Sehr vielmehr mit Konstruktion hat im Vergleich die Stahlplastik von Elsbeth Röthlisberger zu tun. Mir gefällt, dass die Plastik nicht einfach harmonisch in sich ruht, sondern scheinbar experimentiert, wie weit sie aus der sicheren Vertikale ausscheren und ausgreifen kann. Es kommt hinzu, dass mit Stahl arbeitende Plastikerinnen sehr selten sind, obwohl mir gerade zwei in den Sinn kommen – die über 90jährige Gertrud Guyer Wyrsch und die auch bereits 74-jährige Aargauer Künstlerin Gillian White.

Ich könnte endlos weitererzählen, doch bei 20 KünstlerInnen müssten sie noch lange zuhören bis ich endlich alle erwähnt hätte…. darum schliesse ich jetzt einfach alle mit ein ins Dankeschön für 20 Jahre Galerie Regina Larsson.

Schön, dass Sie mir zugehört haben.