Ansprache Hans Weber Fotografie Lenzburg 2013

Hommage an das Hero-Areal

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Sehr geehrte Damen und Herren

Lieber Hans

Ich war überrascht. Hans Weber auch, wie er mir sagte.

Überrascht war ich, weil die fotografische Dokumentation, vielleicht sogar die Hommage an den ehemaligen Produktions-Standort der Lenzburger Hero AG nicht dem entsprach, was ich mir vorgestellt hatte. Und zwar nicht weil das Urgestein der Lenzburger Fotografie – Hans Weber ist seit einem halben Jahrhundert mit der Kamera auf der Pirsch – nun etwa zur Alters-Revolution angesetzt hätte, nein, nein, sondern weil in den Fotos, die von Juni bis Oktober 2012 hier im Hero-Areal entstanden, so viel Licht, so viel FARBE, so viel Weite und Grosszügigkeit drin ist und ich doch eher kleine Spuren, wie sie in einem  Kapitel der Ausstellung  zumindest anklingen, erwartete. Und überdies vermutete ich hier Bilder anzutreffen, die deutlich auf das Stichwort „Zerfall“ antworten, werden doch grosse Teile der Gebäulichkeiten demnächst der Spitzhacke zum Opfer fallen.

Auch Hans Weber ging es – lange vor mir – ähnlich. Das Konzept, das er der Stadt Lenzburg respektive der Firma Losinger-Marazzi in einer ersten Phase vorschlug, sah vor, die muffig grau erwarteten Innenräume schwarz-weiss zu fotografieren und nur die Blicke von aussen farbig zu reproduzieren. „Diese Idee musste ich schon beim ersten längeren Aufenthalt in den Hallen revidieren, denn was ich antraf, waren faszinierende, leere Räume mit echter und ebenso durch Lichtbrechungen erzeugter Farbe.“ Ein ganz klein wenig finden wir die Ursprungsidee schon verwirklicht hier – man vergesse nicht, dass die Lichttöne zwischen weiss und schwarz eigentlich Hans Webers „Lieblingsfarben“ sind, so wie das zu den grossen Schweizer Sach- und Reportage-Fotografen seiner Generation und älter gehört.

Aber: Wir hatten bei unseren Falsch-Erwartungen zwei Dinge nicht bedacht. Erstens: Himbeer-Konfitüre und Tomatensauce sind rot, Zwetschgen sind blau, Quitten sind  – zumindest als Gelée orangefarben….und ein Lebensmittelkonzern hat ein oberstes Prinzip: Sauberkeit. Damit wurden alle, die je und egal auf welcher Etage für Hero arbeiteten, eingeimpft. Und so blieb es, gleichsam über den Tod oder – etwas sanfter ausgedrückt – die Stillegung hinaus der Fall. Nicht ohne Makel und natürlich hätte Hans Weber auch Flecken und verbeulte Rohre und abblätternde Putz-Stellen fotografieren können, aber das hätte a) nicht dem Ästheten, den er in seiner Fotografie immer war und ist, entsprochen und b) nicht dem  als Ganzes Vorgefundenen.  So kam es, wie Sie es hier und heute sehen.

Zweitens: Gebäude abreissen und durch neue, auf andere Funktionen und einen höheren Nutzungskoeffizienten ausgerichtete zu erstellen,  ist heutzutage nicht mehr primär mit Baufälligkeit verbunden, sondern mit Marktwirtschaft, möglicher Rentabilität – auch Energiefragen.  Darum stehen wir hier nicht in einem sichtbar baufälligen Haus. Hans Weber hat hiezu durchaus eine kritische Sicht – aber zum einen war Sozialkritik  in der Fotografie nie sein Thema und vielleicht ist er ja viel raffinierter als wir zunächst denken. Indem er uns hier und heute wunderschöne Aufnahmen zeigt, die rot und blau und orange in proportional ausgewogene Flächen, Zeichen und Baukörper aufteilt – als Kunstkritikerin bin ich da und dort schon fast versucht von amerikanischen Malerei-Konzepten der 50er-Jahre zu sprechen – damit zeigt er uns ja just trefflich auf, dass es vielleicht auch andere Zukunftsmöglichkeiten gegeben hätte….

Noch etwas anderes hat mich in der Ausstellung überrascht und ich sagte ihm, ich sei erstaunt, so viel Architektur zu sehen, denn ich hätte ihn bisher kaum mit Architekturfotografie – ein Genre, das zur Zeit gerade Thema mehrerer internationaler Ausstellungen ist –  in Verbindung gebracht.  Er verneint das nicht ganz,  aber sagt doch klipp und klar: Du kennst halt nicht alles. Richtig, wie könnte ich auch bei einem so immensen Oeuvre wie es Hans Weber auszuweisen hat. Er verweist als Beispiel auf die Dokumentar-Essays, die er ab 1995 für die Bamburi Cement Ltd. in der Nähe von Mombasa in Kenya gemacht hat – ein Projekt, das  in seinem wohl geordneten Archiv eigentlich bis in 1970er-Jahre zurückreicht, als sein Freund, der Schweizer Tropenagronom René Haller, die von einer Schweizer Firma ab den 1950er-Jahren verwüsteten Steinbrüche zu renaturieren begann. Hans Weber ist nicht der Lenzburger „Kleinstadtimpressionist“ mit dem wir ihn hierzulande richtiger- und fälschlicherweise zugleich assoziieren! Die unzähligen Bildberichte, die Hans Weber zwischen 1962 und 1986 für die Neue Zürcher Zeitung verfasst hat, handeln nicht, oder nur selten, vom Aargau, sondern von Bettelmönchen in Bangkok, von Kautschuk in Malaysia, von norwegischen Stabkirchen, Nepali-Trommeln, Sgrafitti in Chios und vielem mehr.

Zurück in die Hero. Es ist offensichtlich – Hans Weber war bei seinen Streifzügen durch die damals schon etwa 11/2 Jahre verwaisten Räume, Hallen der ehemaligen Produktions-stätten fasziniert. Hat er sie beim Verweilen mit Erinnerungen gefüllt ? Für ihn, der schon in Lenzburg aufgewachsen ist und dies in einer Zeit als Industrie und Bevölkerung eine Wirtschaftsgemeinschaft im engsten Sinn des Wortes bildeten, für ihn ist diese Hero ein Stück Biographie, umso mehr als er lacht, wenn er daran zurückdenkt, dass auch er – wie Hunderte von Kindern aus der Region –  jeweils im Sommer mit seiner Grossmutter – er betont, seiner Grossmutter! – auf dem Hero-„Trübelifeld“ war, Erdbeeren geschnitten hat. Gründet hier die in den Aufnahmen atmosphärisch spürbare „Liebe“ zu den Räumen? – Oder hat er sich abgelöst davon und war von der Leere fasziniert, dem Alleinsein in diesen Räumen, dem Gefühl sich als Körper auszuweiten bis an die Ränder, selbst Teil des Raumes zu werden, beleuchtet vom Licht, das, hier von links, dort von rechts, da von oben in die Hallen eindringt?

Wie erwartet, sagt Hans Weber: Es war beides. Und wie sehen wir das in den Fotografien ohne zu wissen, wer sie mit welchem persönlichem Hintergrund gemacht hat? – Ich denke in der Präzision. Denn sie löst das aus, was Hans Webers fotografisches Werk auch als Ganzes charakterisiert. Er sucht Rhythmus, er sucht den Standort, der die Proportionen der Flächen, der Zeichen – andernorts der Gegenstände – in ein Verhältnis bringt, das in uns Betrachtenden eine Schwingung auslöst und Schwingung ist immer auch Emotion, somit hier die spürbare Liebe zu den Räumen. Wobei die Lichtqualität in Form von hell und dunkel, aber eben auch von Rot und Blau und Orange, stets hinzuzudenken ist.

In Zeiten, in denen wir alle fotografieren und auch alle wissen, wie man schon mit der bescheidensten Foto-Software ein bisschen  schummeln kann indem man zum Beispiel die Farb-Sättigung etwas erhöht, den Kontrast, die Schärfe usw. – in diesen Zeiten drängt sich die Frage auf, ob nicht auch ein Hans Weber…..ich trau mich fast nicht zu fragen, denn eigentlich weiss ich ja die Antwort und sie kommt auch prompt und heisst „nein, nein!“.

Aber er verweist auf den Dialog der hervorragenden Technik seiner Nikon-Kamera mit dem abzubildenden Motiv. Dialog in dem Sinne, dass die Automatik der Kamera gleichsam mitdenkt, mitgestaltet. Indem sie zum Beispiel Mischlicht produziert – Licht von Neon-Röhren, Tageslicht, Sonneneinstrahlung usw. mischt und in Farbintensität umsetzt, gar Farbe erzeugt, die da eigentlich gar nicht ist. Und das akzeptiert Hans Weber, auch er ein „Cyborg“ – ein Maschinenmensch ­– wie wir inzwischen alle.

Vereinzelt, so ergänzt Hans Weber, sei es auch notwendig gewesen, etwas mehr Licht hineinzubringen, denn die Basissituation sei im Innern schon oft sehr dunkel gewesen und die Motive nicht immer an den hellsten Stellen. Doch deswegen wollte er sich das kleine – hier seltene, anekdotische Bild, dasjenige mit dem Spruch einer einstigen Hero-Arbeiterin: „Mon buro est petit, mais mon coeur est grand“, nicht entgehen lassen.

Es gibt auch andere Aufnahmen, die man als erzählerisch bezeichnen könnte, Sie finden Sie auf ihrem Rundgang den Stellwänden entlang. Ich finde es passend, dass Hans Weber die Aufnahmen nicht etwa gerahmt hat für die Präsentation hier, denn noch sind sie nicht abgelöst vom Ort, noch zeigen sie hier, was hier zu sehen ist, in einigen Monaten schon wird das nicht mehr der Fall sein. Denn werden die Aufnahmen bereits Dokumente sein, Dokumente von Vergangenheit. Plötzlich spüren wir Wehmut und vielleicht sehen wir sie unter diesem Aspekt auch plötzlich in den Bildern, erhält das muntere „Good Bye“, das jemand für die Abschiedsfeier auf eine Wand gesprayt hat, eine andere Färbung.

Vielleicht erhalten dann aber auch Bilder, die jetzt noch klar in den Hero-Kontext eingebunden sind, eine Qualität, die sie deutlicher als hier ins Gesamt-Oeuvre von Hans Weber einreihen. Es sind Bilder, die ein Detail, eine Struktur, einen Rhythmus, etwas Ornamentales zeigen, das gleichsam gegenständlich und abstrakt zugleich ist. Denken Sie an das zerbrochene Glas, das Hans Weber für die Einladungskarte wählte. Es ist eines der wenigen Bilder, welches hier explizit auf die Situation von Zerstörung hinweist, ein Bild mit „Sprengkraft“ quasi, aber gleichzeitig zeigt der Stern, welcher beim Einschlag auf das Glas entstand, dass die Kräfte, die in einem solchen Fall wirken, übergeordnet der Gesetzmässigkeit des Materials entsprechen und  eine Spannung zwischen Zerstörung einerseits und formal faszinierender Erscheinung andererseits bewirken.

Dann gehören aber auch weitere Bilder in diese für Hans Weber typische Kategorie – zum Beispiel ein fast schon tänzerisch wirkender, multiplizierter Dreier-Rhythmus von rundhakenähnlichen Verbindungen in einem 2013 modischen Grün, von dem ich bezweifle, dass die Farbe lichtecht ist, sondern vermute, dass wir es hier mit einem Mischlicht zu tun haben, das die Kamera gleichsam grün einfärbte. Dann gehörten auch Dach-Unter und –Aufsichten sowie eine ganze Reihe von Aufnahmen, die Hans Weber selbst unter „Strukturen“ zusammengefasst hat, in dieses offene gegenständlich-abstrakte Kapitel.

Hans Weber wäre nicht Hans Weber, wenn er  sich nicht stets auch des Gesamtauftrages bewusst wäre. Das heisst hier zum Beispiel, dass auch ein mir sehr wichtiges Bild zur Auswahl gehört, welches das Hero-Areal aus Distanz und aus erhöhter Position zeigt, somit so wie die Lenzburger und Lenzburgerinnen und viele hier weilende Gäste den weltberühmten Schriftzug und den Standort immer und immer wieder wahrgenommen haben, nämlich als in die Stadt eingewachsenes Wahrzeichen, wobei hier die Entwicklung von Lenzburg in den letzten 100 Jahren natürlich mitgedacht werden muss.

Last but not least sei angemerkt, dass die Bilder, welche wir hier sehen, nur ein kleiner Ausschnitt aus einem viel grösseren Konvolut sind, das erfreulicherweise mit der heutigen Präsentation in den Besitz der Stadt Lenzburg übergeht. Und hier sei auch gleich ergänzt, dass der Kanton Aargau alle Fotos von Hans Weber, die den Aargau zum Thema haben, käuflich erworben hat und im Staatsarchiv aufbewahrt.

Ebensowichtig scheint mir im selben Zusammenhang, dass in naher Zukunft auch die Fotostiftung Schweiz in Winterthur endlich vom national bedeutsamen Schatz Kenntnis nimmt, der im Archiv von Hans Weber hier in Lenzburg lagert.

Für den Moment jedoch bedanke ich mich fürs Zuhören und wünsche viel Anregung beim Rundgang durch die Ausstellung.