Ansprache Schang Hutter Gassmann AG Biel 6_2013

Stein-Lithographien

Worte zur Ausstellung  von Stein-Lithographien von Schang Hutter (2011) für Marc Gassmann und Blättern von Künstlern aus dem Kunst-Umfeld der Marc Gassmann AG in der Bel Etage des Firmengebäudes der Gassmann AG im Bözingenfeld in Biel.

 

Dienstag, 18. Juni 2013

 

Annelise Zwez

 

Sehr geehrte Damen und Herren

Die Ausstellung, zu der ich heute abend hier sprechen darf, hat mehrere Facetten, künstlerische, klar, medienspezifische – alles, was wir sehen, sind Stein-Lithographien – , dann aber auch unternehmens-philosophische – im Jargon müsste man hier von Bezügen zur Corporate Identity der Marc Gassmann AG sprechen – und last but not least, sehr persönliche; die mag ich besonders.

Die Initialzündung war – wir haben es gehört – das Konvolut von Lithographien, die der Schweizer, der Solothurner Künstler Schang Hutter Marc Gassmann eines Tages aufs Pult gelegt hat. Ohne dass dazu ein konkreter Auftrag bestanden hätte. Ohne dass dazu ein Vertrag über Umfang und Lieferung existiert hätte. Das ist in einem Wirtschafts-Unternehmen selten und entsprechend kann man nachvollziehen, welche Freude die 17 für das künstlerische Schaffen von Schang Hutter charakteristischen Blätter ausgelöst haben. Ich wage es sogar von „Rührung“ zu sprechen.

Als Unternehmer gilt man in unserer Gesellschaft clichéhaft als „reich“ und damit aus dem Blickwinkel von Kultur und Sport jederzeit prädestiniert, Projekte, Aktionen, Events, Publikationen… zu sponsern. Ich könnte jetzt erzählen, was die Firma Gassmann diesbezüglich über Generationen hinweg getan hat. Tue ich nicht, das Aufzählen würde viel zu umfangreich.

Aber: Ich denke, sie spüren, worauf ich hinaus will. In der Kultur gibt es nämlich auch das Umgekehrte, dass man macht, einfach macht, weil man etwas als wichtig erachtet, weil man es so machen möchte und dann auch umsetzt. Zum Beispiel den Druck der eine Art Mappe bildenden Lithographien wie sie hier als „Lithos von Schang Hutter gedrukt – ui,ui,ui, ohne ck – gedrukt von Ernst Hanke auf der Gassmann Presse in Genova“  vorliegen. Wir können dann beim Apéro noch darüber diskutieren, was dieser kleine Druckfehler aussagt, nicht so wenig nämlich. Als Stichwort würde ich sagen: „unbewusst subversiv“. Wir können dann auch besprechen wie die auf zehn parallelen Teil-Kreislinien liegende Figur mit den  nach oben weisenden Armen zu interpretieren ist, ob inhaltlich oder spielerisch, signethaft, gestalterisch.

Hier möchte ich zunächst die angedeutete Überlegung zu ende denken. Zum Stapel der Lithos, die Schang Hutter auf Marc Gassmanns Pult legte, einfach weil er das so wollte. Das ist ein Stück Kultur und mit ein Grund, warum Kultur wichtig ist. Weil sie – auf ganz verschiedenen, inneren und äusseren Ebenen – etwas „schenkt“, das uns berührt. Und berührt sein ist ein Stück Lebensqualität.

Natürlich hat die Geschichte einen Hintergrund. Einen doppelten und dreifachen.

Die Eckwerte haben wir gehört – Schang Hutter realisiert im Steindruck-Atelier hier im Hause drei Blätter, die eine oder mehrere bewegt-rhythmische in typisch hutterscher Handschrift gezeichnete Figuren zeigen. Es sind nicht die ersten Lithos, die Hutter hier schafft, oh nein, Jahrzehnte zurück sind immer wieder Lithos entstanden und haben durch das Faktum des Druckes,  der Vervielfältigung, nicht zuletzt dazu beigetragen, dass Schang Hutters Werk schweizweit – und  auch in Deutschland –  einen sehr hohen Bekanntheitsgrad hat.

Nun aber – mittlerweile nach Genua gezogen, um dort nicht so leicht erreichbar zu sein und damit Zeit zu haben, um Kunst zu schaffen – und – älter geworden und damit nicht mehr so leichtfüssig unterwegs – formt sich, wohl sehr spontan, hier im Haus der Wunsch, selbst ein Presse zu haben – Platz dafür gäbe es ja in seinem Atelier in Genua….denn so könnte er einen Drucker zu sich holen und zuhause Lithos schaffen…. Wir haben alle von Zeit zu Zeit Ideen, Wünsche… die meisten zerbröseln indes wieder, weil es dann doch nicht so leicht ist, sie umzusetzen. Diesmal aber bündeln sich Idee, Ort, Zeit, Umstände und vor allem die Menschen dahinter und der Wunsch wird Realität. Sie können nun sagen, einem Künstler eine Presse verkaufen, die man selbst eigentlich nicht mehr braucht, weil man mehrere hat und das Atelier zur Zeit nicht intensiv nutzt, sei nichts aussergewöhnliches. Und sie haben damit recht, aber Marc Gassmann – Verkörperung der Marc Gassmann AG – denkt, wenn es um bildende Kunst geht, nicht oder nicht nur so. Da – viele von Ihnen haben das vermutlich schon erlebt – kommt sogleich ein „Feuer“ dazu, Begeisterung, etwas dazu beitragen zu können, dass Kunst entsteht.  Der Kunsttheoretiker Hans Ulrich Reck hat genau das einmal als  Definition von Mäzenatentum formuliert.  Und so geht  die einst in der Druckerei Matthieu in Genf stationiert gewesene, in den 1990er-Jahren von der Firma Gassmann erworbene Steindruck-Presse 2011 nach Genua; über den Preis spreche man dann noch.  Dann war mal die Rede davon, dass Marc Gassmann nach Genua fahre und sich im Atelier des Künstlers ein Werk aussuche… doch solchen Projekten widersetzt sich der Alltag eines Unternehmers in unseren, bekanntlich nicht einfachen Zeiten nur zu oft. Die Fortsetzung der Geschichte kennen sie.

Nun ist da aber noch etwas ganz anderes und das hat nun eminent mit Schang Hutter selbst, mit seinem Schaffen im Alter zwischen 70 und 80 Jahren zu tun. Und das gehört mit zu diesem „berührt sein“, das ich schon erwähnte. Die Blätter haben, weil sie wie eine Art Test auf der neu-alten Presse entstanden sind, weil sie nicht für ein offizielles Projekt gezeichnet und gedruckt wurden, einen persönlicheren, intimeren Charakter als manch andere Arbeiten. Es ist als käme darin alles zusammen, das Äussere, das Innere, das Ich und das Du, das aus langer Erfahrung Gewachsene, das Virtuose gar und selbst das Humorvolle, das als „Galgenhumor“ Hutters Werk auf irgendeiner der vielen Ebene auch durchzieht.

In einem Blatt bestätigt er dann die Vermutung: Da gesellt er einer feinen roten Figur die Büste einer Kasperfigur mit der Inschrift „Selbstbildnis Schang“ bei; ganz fein tippt der linke Fuss der Figur auf die Schulter des „Porträts“. Ich stelle mir vor, da hatten es Ernst Hake und Schang Hutter gerade lustig miteinander im Atelier – der eine druckend, der andere auf den Stein zeichnend. Das heisst, man darf diesen Kopf nicht überbewerten und trotzdem ist er natürlich da und überträgt sich auf unser Schauen. Er erlaubt, dass wir – innerhalb der Gruppe hier – auch den sehr detailliert und leicht seitlich gezeichneten Einzel-Kopf mit den markanten Zügen, den stechend scharf schauenden Augen, dem wie ein Segel in alle Richtungen drehbaren Ohr und den sinnlichen, aber hier gleichwohl gespaltenen Lippen als Metapher für den Künstler selbst wahrnehmen.

Wir können hier aber auch einen grösseren, werkumspannenden Zusammenhang anführen.  Schang Hutter ist bekanntlich in den 30er/40-er-Jahren im nahen  Solothurnbiet aufgewachsen und hat beim Vater eine Steinmetz-Lehre absolviert und zog dann nach München an die Akademie. Noch spürte der junge Künstler nicht, wohin der Weg führen würde. Das aus der Vorkriegszeit Überlieferte war noch sehr stark. Und da fühlte er sich nicht wohl. Aber wie das Gefühl von Unsicherheit und Einsamkeit überwinden? Der Schlüssel war Deutschland selbst, nach dem Krieg, wo die Wunden noch überall bluteten und die Dimensionen der Kriegsgreuel erst langsam ins Bewusstsein drangen. Da wusste er es: Nicht er selbst war wichtig, sondern die andern, die um ihr Menschsein Geprellten, die Vergewaltigten, die  von Macht Erdrückten. Dieses Thema durchdringt Schang Hutters gesamtes Schaffen. Auch wenn Sie das Werk von Schang Hutter nicht im Detail kennen, eine ganz wichtige Arbeit ist Ihnen allen vertraut, auch wenn sie sie vielleicht schon lange nicht mehr bewusst betrachtet haben. Ich meine die Bronze-Skulptur „vertschaupet“ auf dem Bahnhofplatz in Biel. Sie datiert von 1980, ist somit schon 33 Jahre da.  Und sie zeigt, dass Schang Hutter sein Thema nicht laut und schrill in die Welt gestellt hat, sondern leise und stets aus der Solidarität, aus dem Mitfühlen, Mit-Sein heraus formulierte. Und dieses Mit-Sein hat natürlich auch immer ihn selbst, seine eigene Befindlichkeit in dieser oft übermächtigen Welt mit eingeschlossen.

Schang Hutters Alterswerk läuft immer noch in dieselbe Richtung, aber die Litho-Serie in unserer Ausstellung zeigt ganz fein und leise, dass der Künstler sich selbst näher gerückt ist, auf neue Art die eigene Verletzlichkeit und die eigene Endlichkeit erlebt und spiegelt und die in einer nicht nach aussen gerichteten Serie, wie der hier zu sehenden, auch zum Ausdruck kommen darf. Das ist das Besondere daran.

 

Nichts kommt von nichts. Dass wir diesen Anlass heute feiern hat auch mit einem Jubiläum zu tun: 20 Jahre Lithographie hier im Hause Gassmann. Ich werde Ihnen nicht einen Sprach-Parcours durch die verschiedenen künstlerischen Themen von Martin Ziegelmüller über Urs Dickerhof bis Flavia Travaglini liefern. Ich möchte vielmehr das herausschälen, was dahinter steckt, die „Begeisterung“, die „Be-Geisterung“. Das neue Gebäude war ein Meilenstein in der Firmengeschichte und entsprechend mit viel Energie ausgestattet. Für den Kunstliebhaber Marc Gassmann war klar: Ohne Kunst am Bau – wie sie sonst fast nur im öffentlichen Raum üblich ist – würde „seinem“ Gebäude Wesentliches fehlen. Denn „Kunst“ war und ist für ihn Anregung. Gespräche mit Kunstschaffenden beinhalten eine andere, oft eine unorthodoxe Sicht auf die Welt. Gespräche mit Kunstschaffenden sind spannend, rühren an Grundsätzlichem, untergraben den üblichen Small Talk. Für einen Unternehmer kann das nur gewinnbringend sein.

Dieses Elixier  übers Bieler Tagblatt in die Region hinaustragen – mit einer BT-Edition nicht nur mit Worten, sondern auch  mit Bildern in den Haushaltungen präsent sein. „Toll“ – fast ist es als höre man Marc Gassmanns Begeisterung als ihm Kulturredaktor Georges Luks, mein Vorvorgänger beim BT, dies vorschlug. Die BT-Editionen waren allerdings noch keine Stein-Lithographien, sondern Offset-Lithos, doch diese sind ja gleichsam die „Kinder“ der Stein-Originale, das heisst man arbeitet auch da mit dem physikalischen Gesetz der Abstossung von Fett und Wasser. Warum also nicht noch einen Schritt weiter gehen, umsomehr als mit Ueli Steinmann ein Mitarbeiter geradezu prädestiniert ist, diesen Job zu übernehmen, ein Steindruck-Atelier einzurichten. Und so folgt das eine dem andern. Der ersten Steindruck-Presse aus Genf folgt eine zweite mit dem schönen Namen „Brunhild“ usw. Noch sind auf dem Occasions-Markt Pressen aus dem späten 19ten respektive dem frühen 20ten Jahrhundert zu haben. Aus der Zeit somit als die Steinlithographie noch kommerziell eingesetzt wurde, während sie heute „nur“ noch im Kunstkontext verwendet wird. Die Künstler, die hier gearbeitet haben, sind nicht kommerziell angeworben worden, sind auch nicht im engeren Sinn spezialisiert auf die Druckgraphik im allgemeinen und die Lithographie im Speziellen. Manch einer hat hier erstmals mit der einst von Alois Sennefelder erfundenen Technik gearbeitet und hier gespürt wie spannend es sein kann als Künstler mit einem Drucker zusammenzuarbeiten.

Etwas, das die Graphik seit jeher auszeichnet, findet man doch auf den meisten alten Stichen zwei Unterschriften unten links und unten rechts: Die eine mit „pinxit“ ergänzt, die andere mit „fecit“ – was so viel heisst wie von X gemalt und Y gemacht repespektive gedruckt.

Gianni Jetzer, aktueller Leiter der „Ars Unlimited“, der im Verbund mit den Galerien kuratierten Ausstellung grossformatiger und multimedialer Werke im Rahmen der Kunstmesse Basel, sagte letzte Woche in der Tagesschau: „Ich bin in der konfortablen Lage, nicht an den Verkauf denken zu müssen, sondern das zu tun, was ich am liebsten mache, nämlich direkt mit den Künstlern zusammenzuarbeiten“. Das ist auf einer – zugegeben etwas bescheideneren Ebene – hier genau dasselbe; es geht um das gemeinsam etwas Realisieren, es geht um Freundschaft. Und so gehören denn alle hier vertretenen Künstler zum Freundeskreis des Hauses. Das ist nun aber beileibe nicht mit einem „Minus“ zu versehen, denn Marc Gassmann hat Kunstverständnis genug, um genau zu wissen, wo die Qualität eines Kunstschaffens eine solche Zusammenarbeit, eine solche Freundschaft zum allseits gewinnbringenden und über die Firma hinaus ausstrahlenden Unternehmen macht.

Überzeugen Sie sich selbst beim erstmaligen oder noch viel besser beim zweiten, vertieften Rundgang, bevor dann Apéro und hoffentlich auch weiterführende Diskussionen angesagt sind. – Ich danke fürs Zuhören.