Newsletter Website Annelise Zwez von Januar bis September 2014

Spazierung durch die Schweizer Ausstellungslandschaft und andere Kunsterlebnisse

Januar 2014

Annelise Zwez Kunstmuseum Luzern. Foto: Celestine Baumann
Annelise Zwez Kunstmuseum Luzern. Foto: Celestine Baumann

Dezember/Januar: Allen Unkenrufen zum Trotz sind das bei uns in der Schweiz immer noch die Monate der „Weihnachtausstellungen“, ob sie nun „Auswahl“, „Cantonale“ oder „Regionale“ heissen. Meistens gilt: „Wie man in den Wald ruft, so tönt es zurück“. Positiv: Wer – wie das Aargauer Kunsthaus – alles daran setzt, die „Auswahl“ zum Kunst-Spiegel der Region zu machen, darf damit rechnen, dass Wesentliches eingegeben wird. Aarauer Highlights 2013: Urs Aeschbach, Sonja Feldmeier, Eva Maria Gisler, Michael Günzburger, Anselmo Fox, Christine Knuchel, Sonja Kretz, Daniel Schibli, Andreas Marti, Rolf Winnewisser. Negativ: Wer die Jahresausstellung – wie Luzern – „unter ferner liefen“ abhandelt, erreicht auch bei strengster Jurierung keine höhere Qualität. Eine „Entdeckung“ ist dennoch: Claudia Kübler. Und in LU gern (wieder)-gesehen: Vreni Spieser, Stefan Gritsch, Susanne Hofer u.a. Die „Cantonale“ (Bern-Jura) und die „Regionale“ (BS/BL/D/FR) kontern „lokal“ durch „regional“ – zeigen Kunst aus Biel in Interlaken, Kunst aus dem Jura in Thun, Kunst aus Basel in Freiburg usw. Das ist kulturpolitisch in hohem Mass sinnvoll und der Entscheid der Kunsthalle Bern der „Cantonale“ die Zunge herauszustrecken und zu sagen: „Wir wollen wieder mal unter uns sein“, ist ein Affront! Trotzdem: Wer reist gewinnt: Barni Kieners „Pierres pilotes“ waren noch nie so eindrücklich installiert wie in der Ancienne Eglise von Le Noirmont (JU) und Daniela de Maddalenas vielteilige Installation „in flagranti“ gehört zu den Highlights im Pasquart in Biel.

Doch wenn ich ganz ehrlich bin: Künstlerisch haben mich in den letzten Monaten nichtsdestotrotz vor allem die grossen Museums-Einzelausstellungen in Bann gezogen. Zum Beispiel Thomas Schüttes „Houses“ in Luzern – eindrücklich, wie lange er schon dran ist und sein zentrales Thema, das der „Figürlichkeit“ , der Architektur als „Figur“ im Raum formal und erzählerisch immer neu einkreist.

Und dann war ich in Düsseldorf, Hagen und Bonn. Um die drei Stationen von „Transfer“ – ein Austauschprojekt Korea-Nordrhein Westfalen – zu sehen, im Hinblick auf einen Vortrag. Die Eigenarten? Korea erzählt – nicht die Ungegenständlichkeit ist die Meta-Ebene, sondern die Symbolik, die Poesie, die Fantasie, die „Schönheit“. Nicht die Faszination „Material“ bewegt sie, sondern die Umsetzung des „Materials“ in Malerei, Skulptur, Video, Fotografie, Zeichnung etc. Dass sich eventuelle Studienaufenthalte in Europa/Amerika spiegeln, ist klar. Spannend. Das aktuelle Bild: Celestine Baumann, Besucherin des Kunstmuseumes Luzern, entdeckte die Wechselwirkung zwischen meiner Kleidung und dem Entwurf zur „Traumaschine“ von William S. Bourroughs und knipste – Dankeschön!

Newsletter Februar 2014

azw spricht in Sarajevo zu zeitgenössischer koreanischer Kunst
azw spricht in Sarajevo zu zeitgenössischer koreanischer Kunst

Am 8. Februar habe ich in Bosnien-Herzegovina einen Vortrag über zeitgenössische koreanische Kunst und Fotografie gehalten. Freund Park Byoung-Uk (Seoul) war Direktor von Gastland Korea am Sarajevo Winterfestival. Darum suchte er eine zwischen Ost und West vermittelnde Person. Gibt es einen koreanischen Blick? Ist er anders als der westliche? Ja. In Korea ist die Sehnsucht nach Naturschönheit zutiefst verwurzelt. Die Vision fokussiert aber nicht die reale Natur, nicht etwa den Umweltschutz oder ähnlich, sondern die Idee, die Vorstellung der Natur als Quelle der Schöpfung. Darum kann sie am PC problemlos manipuliert werden und ist dennoch da. Gerade die Fotografen sind hier Meister. Kritische Ansätze, wie sie im Westen fast ein Must sind, findet man selten; wenn schon vor allem bei KünstlerInnen, die im Ausland studierten. Das kann kreativ sein, wenn es sich mit koreanischer Grundhaltung verbindet, aber auch befremdlich, wenn es sich „europäisch“ zu geben versucht. Expressives wird mit Vorsicht angegangen; das Gebot des schönen Scheins zu überschreiten, ist für die KoreanerInnen eine sehr hohe Schwelle. Die Betonung von Rhythmisch-Fliessendem, von subtiler Symbolik in sich oder mit Blick auf Dinge hinter den Kulissen, gibt indes vielen Positionen eine besondere Form von Magie, von Verführung. Eine starke Position hat auch die Performance, die über Haltung und Bewegung einerseits uralte Traditionen aufgreift, aber gleichzeitig klar in die Gegenwart weist. Es kommt hinzu, dass sich Korea wirtschaftlich im Aufwind befindet, nach Jahrzehnten der Besatzung (durch die Japaner) zu einer eigenen Identität (zurück)findet. Und das spiegelt sich auch in der Kunst (ganz im Gegensatz zur oft depressiven Haltung im Westen). Mein Vortrag – mit Bildern und Beispielen – ist unter den „Neuen Texten“ von 2014 zu finden.

Die Foto zeigt die Schreibende während ihrer Lecture in der von Gordana Andelic geleiteten städtischen Galerie, dem Collegium Artisticum. Projiziertes Bild: „Fantasy“ von Lee Young Mi.

Website-Newsletter März/April 2014

azw im Gespräch mit Pierre-Yves Petit-Terwey und seiner Frau im Neuen Museum in Biel
azw im Gespräch mit Pierre-Yves Petit-Terwey und seiner Frau im Neuen Museum in Biel

Abschluss einer langen Zeit der Recherchen und des Schreibens war und ist die Ausstellung Jan Pieter Terwey (1883-1965) im Neuen Museum Biel (bis Juni 2014). Mit der Retrospektive des holländischen Malers, der ab ca. 1921 im Seeland wohnte und arbeitete, wurde ein „weisses Blatt“ der Schweizer Kunstgeschichte beschrieben. Seine postimpressionistischen Bilder (v.a. See- und Berg-Landschaften, Stilleben) sind in Privatbesitz reich vertreten, werden auf Auktionen gehandelt, aber seine Vita war weitgehend unbekannt, eine Einordnung seines qualitativ überraschenden Werkes in einen schweizerischen, ja schon nur regionalen Kontext fand bis heute nie statt. Nicht zuletzt dank Dokumenten aus Holland, aber auch akribischen Nachforschungen im Seeland konnte nun einiges ans Licht geholt werden. Es ist in Texten von Fanny Wisard (Uni Neuenburg), NMB-Kuratorin Bernadette Walter und mir selbst nun schwarz auf weiss greifbar. Es ist eine dankbare Aufgabe, etwas bisher zu Unrecht Unbeachtetes neu zu positionieren!! – Es liegt mir jedoch fern, nun in geschichtliche Tiefen zu versinken – wesentliche Ausstellung hier und dort zu besuchen bleibt wichtig.

Eines der Highlights der letzten Wochen war die Ausstellung Mauricio Dias/Walter Riedweg in Luzern – nicht zuletzt weil sie aufzeigte wie abwechslungsreich Videos installativ inszeniert werden können, als begehbare Bild-Raum-Konstruktion, in kleinen Koffern, als Objekte mit Projektionen usw. Und dies in enger Vernetzung mit der inhaltlichen – das heisst hier der erzählerischen, sozialen, gesellschaftlichen – Dimension. Und aus ähnlichen Gründen eingeschrieben hat sich auch das subtil-persönliche, zeichnerische Raum-Universum von Rita Ponce de Léon (*1982 Peru/Mexico) in der Kunsthalle Basel. Ähnlich, da die Räumlichkeit in den figürlichen Wand-Zeichnungen („Gesprächen ohne Worte“) im Duo mit einem Architekten in den Realraum der Kunsthalle ausgeweitet wurde. Etwas weniger glücklich war ich mit dem „Nordwestwind“ im Kunstzeughaus in Rapperswil (Ausnahme: Das „Mammut“ von Laetitia Reymond).

Kleine Höhepunkte waren die Ausstellung von Gertrud Guyer Wyrsch (1920-2013) in Beckenried (Ansprache azw), die zwei wandfüllenden, poetischen Video-Projektionen von Quynh Dong im Kunstraum Baden, die „lebendige“ Gitarre von Luigi Archetti im Alpineum in Luzern die reflektierte Raum-Intervention von Sabine Trüb und Catrin Lüthi K im Kunstraum Aarau und last but not least die Retrospektive der Monotypien (2003-2013) von Rosina Kuhn im Gluri Suter Huus in Wettingen. Das Bild (Aufnahme Patrick Weyeneth) zeigt azw im Gespräch mit dem Enkel von Jan P. Terwey anlässlich der Vernissage im NMB.

Website Newsletter Mai 2014

 

azw im "Spiegelkabinett" der Glasskulptur von Gerhard Richter in Winterthur
azw im „Spiegelkabinett“ der Glasskulptur von Gerhard Richter in Winterthur

Jetzt oder nie war die Devise am Ostermontag. Gemeint: Die Ausstellung Gerhard Richter in Winterthur. Die neuen, durchwegs horizontal angelegten, farbigen Streifenbilder kombiniert mit den Schräge auslotenden Glaskonstruktionen. Richter war und ist – nicht nur, aber immer wieder – ein „Landschaftsmaler“. Hier ist’s wie ein Gang durch eine sphärische Dimension. Toll. Aber ebenso eindrücklich das Kabinett mit Arbeiten auf Papier seit den 1950er(!)-Jahren. Immer wieder Landschaft. Im Fokus aber nicht Romantik, sondern das Medium der Visualität. Mit welch anderen formalen Lösungen kann man sich dem Thema auch noch annähern? Vielleicht ist das der Kern des „Phänomen Richter“ – dass er immer ganz nah beim Thema des „Darstellens“ geblieben ist. Und: Gratulation an Dieter Schwarz vom KM Winterthur, dass er früh eine Kollektion ankaufte und nun von G.R. in Form einer Schenkung dafür „belohnt“ wird.

Kunst muss nicht immer an den Wänden hangen. Im Bieler Centre Pasquart wurde das Zweipersonen-Theaterstück „Rot“ von John Logan aufgeführt – ein dichter, scharfzüngiger Dialog zwischen Mark Rothko und seinem Assistenten. Wie da – in den 1960ern – zwei Männer, zwei Generationen, zwei verschiedene Auffassungen zur Rolle der Kunst aufeinanderprallen, ist speziell für Insider, welche (fast) jede Allusion, jeden bösen Querschuss verstehen, ein Hochgenuss! – Aber „Kunst“ kann auch Performance sein – Bewegung, Musik, Objekte, die sich zum Bild fügen, zum „Gedicht“ werden. Heiter, leicht, berührend. Keine Hektik, stattdessen Präzision, Fantasie, Reichtum und beste Choreographie. So geschehen und gesehen in den 21 Vorschlägen von Nichi Nichi Kore Ko Niche mit Jonas Kocher (Experimentalmusiker/Biel) und Dafni Stefanou (Tänzerin/Athen). Regie: Ruedy Schwyn (Künstler/Biel). Nachhaltig – unvergesslich. Klamm-heimlich wird das Centre Pasquart in Biel zum kulturellen Allrounder-Ort (zu erwähnen ist nämlich auch das Konzert mit Neuer Musik der Komponistengemeinschaft „L’Art pour l’Aar“ mit 3 Uraufführungen!)

Newsletter Website Juni 2014

azw Mauvoisin
azw im Kanal der Landart-Installation von Michael Heizer im Mauvoisin/Wallis

Etwas vom Schwierigsten ist es im breiten Angebot an Austellungen, Performances etc. herauszufinden, wo es sich lohnt hinzugehen und wo nicht. Bedauern über Verpasstes wird nicht selten getopt durch Besuche, welche die Reise meiner Ansicht nach nicht Wert waren….Negative Beispiele nenne ich nur mündlich, denn die Positiven sind mir lieber. Seit langem war ich wieder einmal im Graphischen Kabinett der ETH in Zürich. Paul Tanner, ist es gelungen, den ungewohnten Ort für Kunst national ins Gespräch zu bringen, nicht zuletzt weil er an den Rändern kratzt. Sind die 144 Künstlerbücher von Mireille Gros „Grafik“? Benennt man sie als „Original-Handschriften“ kann man es bejahen. Sie als Versatzstücke in Schrank-Vitrinen zu zeigen, ist gewagt, erprobt in der dialogischen Form aber präsentatorisches Neuland; erfreulich. Grafik kann – z.B. als Siebdruck – „schreien“, in der ETH wird sie eher bibliophil betrachtet, als etwas zum „lesen“, als Erforschung von „Druck“ auch. Darauf antworten die Arbeiten von Mireille Gros; für sie bedeuten grafische Techniken eine Ausweitung des Zeichnerischen, des sich Manifestierens auf dem „Gastland“ Papier. Sie dominiert das Papier nicht, sie betrachtet es als „territoire“, in/auf dem Gedanken, Formen, Zeichen sich ein Stelldichein geben – dem Moment in Kopf und Händen der Künstlerin folgend. Damit steht die 60-jährige Künstlerin in Kontrast zum Mainstream und gerade das ist so bereichernd! –

Klar, dass ich Alex Sadkowsky im Helmhaus nicht verpassen wollte. Einst gehörte der Maler/Dichter zu den strahlenden Figuren der Schweizer Kunstszene – seine Pop-Frauen teilten Meere aus Luft, seine „Briefpost“ umrundete um die Welt, seine Schuhe trugen ihn mit Siebenmeilenstiefeln….dann wurde es still(er). Und jetzt staunt eine junge Generation über die Jahrzahlen auf den Werken…., stellt aber auch fest, dass die neuen Zeichnungen immer noch die alten sind, auch wenn sie keineswegs gealtert sind. Schön (und WICHTIG), dass das Programm des Helmhauses Kunst, die in Zürich entsteht, hoch hält. Der Mai in Biel/Bienne…..in Sachen Kunst ein Nonstop-Programm. Der „Joli mois de mai“ bietet 25 Vernissagen respektive 50 Ein-Abend-Ausstellungen mit 70 KünstlerInnen mitten in der Altstadt; eine kreative Plattform mit Festivalcharakter, Bistro und allem drum und dran. Die Qualitätsansprüche (bezüglich Kunst und Präsentation) darf man allerdings nicht zu hoch schrauben. Es geht darum, die Rosinen nicht zu verpassen! Darum auch wieder raus…. zum Beispiel in die Kunsthalle Bern, zur Ausstellung des Japaners Shimabuku, der sich als einsamer Wanderpoet durch die Welt bewegt, meist wortlos mit Menschen und Affen kommuniziert und dies in inszenierten Fotografien festhält. Verführerisch, wohltuend – aber nicht doch etwas naiv?? –

Für den Video-Künstler Franticek Klossner reist ein treuer Berner Kreis durchaus bis nach Wil (SG), dessen Kunsthalle überregionales Profil hat. Klossner hat mit seinen projizierten „Flaschengeistern“ einen neue Erscheinungsform für seine videastische Kunst gefunden, die wohl noch lange nicht ausgeschöpft ist. – Zilla Leutenegger ist eine Pionierin in der Präsentation bewegter Bilder, die sie oft mit ortsspezifischer Wandzeichnung und realer möblierter Architektur kombiniert. Dennoch ist es nicht Theater, was daraus entsteht, es bleibt Bild – Bild im Fluss von Zeit – Bild mit eingebauter Zeit für die Reflektion dessen, was zu sehen ist, und sei es auch nur ein Windhauch im Haar der Künstlerin als sie noch ein Kind war (Foto/Video). Die Ausstellung im Museum Gertsch in Burgdorf zeigt das, ist als Ganzes aber doch etwas zu verhalten, um zu begeistern, zeigt auch nur eine wirklich neue Video-Arbeit, aufgenommen in einer Tiefgarage mit Scheinwerfern und Schatten als Protagonisten; eine Nacht-Geschichte (aber keine aus Tausend und einer Nacht!). –

So kommt es, dass die eindrückliche Malerei von Thomas Ritz im Kabinett der Hauptkünstlerin fast die Show stahlen. Auch der Basler arbeitet mit Jugenderinnerungen, die er als zeitverschobene Mischung zwischen Traum und Fiktion in verhaltenen Farben malt. Zusammen mit den neuen Farb-Holzschnitten zu alten Familienfotos von St. Marie de la mer von Franz Gertsch wird der rote Faden klar; das Einst im Heute, im Kopf, im Bild. Da wäre noch mehr – da wäre noch Silvie Défraoui in Solothurn (****), da wäre noch Daniela Schönbächler und Maja von Moos im Kunstpanorama in Luzern (***), Sandra Boeschenstein, Monica Ursina Jäger und Julia Steiner im Kunsthaus Grenchen (***) da wäre noch Bex (**(*)) und die Triennale Wallis und natürlich Manor-Preisträger Raphael Hefti sowie Pascal Häusermann und Frölicher/Bietenhart in Biel (**) – Kunst ist unerschöpflich! – Das Bild zeigt azw in einer höchst erstaunlichen Installation von Michael Heizer (ja, ja der US- Landart-Künstler!) im Mauvoisin im Wallis…..hoch oben beim Staudamm benicar hct. Bei einem Kälteeinbruch hält das Eisen die Wärme und wird zur willkommenen „Bouillotte“….. Foto: Helen Hirsch.

News-Letter August 2014

Malina, Joana und Joëlle turnen das Programm von Christian Jankowski
Malina, Joana und Joëlle turnen das Programm von Christian Jankowski

Für einmal zeigt die Foto zum News-Letter nicht die Website-Eignerin in Aktion, sondern ihre Enkelinnen und deren Freundin. Und natürlich die legendäre Skulptur „Vertschaupet“ von Schang Hutter, die seit 1980 auf dem Bahnhofplatz Biel/Bienne steht (und bisher alle „Attacken“ von grossen und kleinen Kindern heil überstanden hat). Der Grund ist das Projekt „Kunst Turnen“ von Christian Jankowski im Rahmen von „Le Mouvement“ – der dieses Jahr ganz der Bewegung, der Performance gewidmeten „Schweizer Plastikausstellung“. Jankowski hat 14 bestehende Skulpturen im öffentlichen Raum durch einen Turner vom Sportzentrum Magglingen bespielen lassen und fordert die BielerInnen auf, die Posen nachzuturnen. Das haben Joëlle, Malina und Joana gemacht. Das Bild ist eines der Resultate. Die eigentlichen Performance-Tage finden vom 26. bis 31. August statt.

Ein herausragendes Ereignis ist aktuell die Glocken-Installation des polnischen Künstlers Konrad Smolenski (geb. 1977) in der Salle Poma des Centre Pasquart in Biel/Bienne. Das raumgreifende Sound-Piece geht einem im wahrsten Sinne des Wortes durch Mark und Bein. Auf die eigentlichen Glockenklänge (immer 10 Minuten nach der vollen Stunde) folgt ein lautstarker Re-Mix des Glockenklangs, der nach einiger Zeit in reine Vibrationssequenzen mündet. Wer sich – wie einem geraten wird – auf der Tribüne hinlegt wird von Kopf bis Fuss elektrisiert, fühlt sich in einem wilden Kahn, der auf und ab schlingert. Das Oberlicht verfehlt seine mystische Wirkung – dunkle Gefilde herrschen vor, denn mit offenen Augen würde man möglicherweise „seekrank“. Man kann die Macht der Glocken mit der Macht der Kirche (in Polen) in Verbindung bringen, aber eine entsprechende Symbolik drängt sich nicht auf. Was fesselt ist die unmittelbare Verbindung der Besuchenden mit der sicht-, hör- und fühlbaren Elementen der Installation.

Eine andere Ausstellung, die zur Zeit überzeugt, ist die Retrospektive von Haim Steinbach (geb. 1944 in Israel, lebt in den USA) in der Kunsthalle Zürich. Sein durchgehendes Thema ist das Wandregal, die Konsole, die verschiedenste Formen annehmen und mit Fundgegenständen bestückt sind. Interessant ist der von Steinbachs Generation her gegebene Unterschied zu heutiger zusammengewürfelter Trash Art. Auch Steinbach spielt mit Low-Culture – die Dinge stammen aus Brockenhäusern, viele Konsolen sind „gebastelt“ – aber man spürt die „Liebe“, die der Künstler zu jedem Ding fühlbar machen kann. Grossmutter liebte ihre „Nippes“ in der biederen 50er-Jahr-Wohnung und Steinbach verspottet sie nicht.

Eher enttäuschend ist jedoch die Installation von Teresa Margolles ein Stockwerk tiefer (Migros-Museum für Gegenwartskunst). Die schmutzigen, von einer vorbeifahrenden Eisenbahn (Audio-Tape) vibrierenden Glaswände mit den „Gesucht wird“-Plakaten sind von der Umsetzung eines politischen Hintergrunds her eindrücklich, wie immer bei Margolles, aber die Künstlerin muss aufpassen, dass ihre Vorgehensweise nicht mehr und mehr vorhersehbar wird. – „Japanarttoday“ im Kunsthaus Interlaken ist gut, abwechslungsreich – aber halt doch eine Gratwanderung zwischen zeitgenössischer Kunst und Tourismusverträglichkeit. Überdies wohnt nicht ein(e) einzige(r) der fünf Künstler(innen) in Japan, alle in Deutschland respektive der Schweiz! „Transportkunst“, sagt die ehemalige Pasquart-Direktorin Dolores Denaro, dazu. Foto: azw

News-Letter September 2014

Le Mouvement
Willi Dorner: „Bodies in Urban Spaces“. Foto: azw

DAS Ereignis für mich war und ist zweifellos „Le Mouvement“ , die 12. Schweizer Plastikausstellung in Biel/Bienne. Mit dem Thema „Körper im öffentlichen Raum“ schlug sie einen Bogen von Hubachers bronzenem „Tänzer“ (1945) vor dem Neuen Museum zu den live in der Stadt performenden „Skulpturen“ en mouvement. Mit Performance-Choreographien und -Konzepten von 1961 (Simone Fortis „Huddle“) bis 2014 („Titled Arc“ nach Richard Serra von Alexandra Pirici u.a.) wurde die neu-alte Aktualität des Themas unterstrichen. Die Live-Performances Ende August waren der Höhepunkt. Müsste ich eine „Rangordnung“ machen würde ich Luciana Achugars „Pleasure-Project“ (2014), das die Strasse (den Teerboden) so radikal und „schmerzhaft“ auslotete, dabei aber auch Menschennähe zuliess, zuoberst platzieren. Daneben würde ich aber gleich Willi Dorners „Bodies in Urban Spaces“ (s.Bild) stellen, weil die von Ort zu Ort flitzenden jungen, farbigen TänzerInnen den Stadtraum so köpernah, lebendig und lustvoll in Szene setzten. Obwohl beides aktuelle Choreographien sind, loten sie aus, was Jan Verwoert im Katalog als Unterschied zwischen den 60er/70er-Jahren und heute sieht: die nach Innen gerichtete Ernsthaftigkeit damals, die im Heute um den Faktor „lustvoll“ erweiterte Praxis.

Dieser Wandel zeigt sich auch in der (bis November 2014 dauernden) Ausstellung im Kunsthaus Pasquart. Hier haben die Kuratoren Jetzer/Sharp ihre Recherchen zum Thema mit Videos und Fotoserien zur Ausstellung konzipiert. Obwohl zum Teil etwas „schulmeisterlich“, ist die grosse internationale Auslegeordnung interessant. Sie reicht zum Beispiel von Valie Exports „Figurationszeichen“ (1976) bis zu Dara Friedmanns rhythmischen„Dancer“ in New Yorks Strassen (2011) oder von Dieter Meiers „Gehen“ (1969/70) bis zu Gelitins „Nella Nutella“ (Venedig 2001), schliesst aber auch Ikonen wie „Needle Woman“ von Kim Sooja mit ein.

Die 12. Schweiz. Plastikausstellung ist nicht unumstritten – viele vermochten den Wechsel zum „Körper als Skulptur“ nicht akzeptieren. Doch das Konzept entspricht dem Zeitgeist, der das Event (den Moment) dem Statischen vorzieht, der mobil und flüchtig ist. Und insofern richtig. Umsomehr als die Kuratoren ihr Thema strikte anwendeten indem nur der Körper als Sprache dient, keine Kostüme, keine Hilfsmittel. Und zwar strikte. Das mag limitieren, ist aber in der Konsequenz überzeugend und ermöglicht eine thematische Vertiefung im Umgang mit lebendigen Körpern (agierenden Menschen) im öffentlichen Raum, quer durch die Jahrzehnte und auch quer durch die städtischen Parameter, welche mitbestimmend sind. Wermutstropfen: Um den Katalog für die Vernissage der Ausstellung im Pasquart vom 30. August bereit zu haben, konnten keine Fotos der Live-Performances integriert werden. Das verwirrt; vor allem auch zukunftsbezogen. Da wäre es besser gewesen zu warten, um den Katalog zur Dokumentation zu machen.