Laudatio zum 15-Jahr-Jubiläum des „Joli mois de mai“ anlässlich der Verleihung der Ehrung für kulturelle Verdienste 2016 durch die Stadt Biel

Dienstag, 29. November 2016, Theater Palace, Biel/Bienne

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren

Liebe Initianten, Promotoren, Organisatorinnen, Freunde und Freundinnen des Jolimai

Ich wette, es erinnern sich nur wenige daran: Der „Joli mois de mai“ – dieses einzigartige und irgendwie typisch bielerische Kunstfestival – ist ein „Kind“ der Expo.02. Im Jahr 2001 freute man sich in Biel Stadt der Expo.02 zu werden und hatte zugleich Angst davor, die Kultur in der Stadt selbst könnte während der Dauer der Landesausstellung schlicht „vertrocknen“. Also sollte ein Link geschaffen werden. Mit einem Budget von sage und schreibe 600’000 Franken unterstützte der Gemeinderat besondere kulturelle Anstrengungen im Expo-Hinterland. Das Branding hiess „2002émotions“ und umfasste vielerlei Veranstaltungen, von Daniel Zimmermanns Gymnastikprogramm „Die 10 Schweizer“ über ein Stelldichein der Schweizer Photoinstitutionen im Pasquart bis zu einer bemerkenswerten Reihe von Installationen von 30 Bieler Kunstschaffenden in der Französischen und in der Stadt-Kirche unter dem Titel „Open.02“.

Nicht direkt in den Kontext von „2002émotions“ und damit auch nicht Profiteure der sprudelnden Kulturgelder, aber zweifellos vom selben Leitgedanken angeregt, waren die erste Ausgabe des „Joli mois de mai“ in der Alten Krone und die von Heinz Peter Kohler temporär geführte „Expo-Galerie“ in der Obergasse.

All diesen Veranstaltungen war – kritisch formuliert – eines gemeinsam: Sie waren ein Flop. Nicht primär weil sie künstlerisch zweit- oder drittklassig gewesen wären, nein, durchaus nicht, sondern weil man die Bieler und Bielerinnen ab 15. Mai bis in den Herbst 2002 nicht im Expo-Hinterland traf, sondern auf dem Expo-Gelände am See und die BesucherInnen der Arteplage keinerlei Interesse zeigten, auch noch in der Stadt Kultur zu konsumieren.

Es sei an einer Vorstandssitzung der Visarte Biel – Biel hatte sich 1975 von Bern losgesagt und bildet seither eine eigene Sektion der Schweizer Künstlergesellschaft, – es sei, wie gesagt, an einer Vorstandssitzung der Visarte Biel/Bienne von 2001 gewesen, dass Jean-Denis Zäch für das Expo-Jahr ein Stelldichein der Bieler Kunstschaffenden in der Alten Krone vorschlug, das dann in der Folge von Zäch zusammen mit Hannah Külling – welche auch „Open.02“ kuratierte – mit Ruedi Schwyn und Verena Lafargue erstmals in der im Kern bis heute geltenden Form umgesetzt wurde.

Den Auftakt machte am 2. Mai 2002 das Künstlerpaar Françoise & Daniel Cartier, die damals u.a. mit Wortbildern und monochromen Farbflächen experimentierten, gefolgt vom tunesischen Künstler Tahar Mguedmini, einem expressiv-gegenständlichen Maler, der damals in Biel lebte und heute ein auf der Insel Djerba bekannter und geschätzter Künstler und Dozent ist.

Ich muss gestehen, dass ich das eben Gesagte recherchiert habe, aber über keine eigenen Erinnerungen verfüge. Das Bieler Tagblatt, wo ich damals Redaktorin war und für die bildende Kunst zuständig, brachte keinen einzigen Text dazu und auch im Bieler Jahrbuch 2002 – für das ich alljährlich die Highlights des Kunstjahres zusammenfasste – steht kein Wort, ganz im Gegensatz zu den Veranstaltungen von „2002émotions“. Das Presse-Management des ersten „Joli mois de mai“ war offenbar noch nicht ganz up to date. Das ändert sich dann bereits 2003, wenn klar wird: Der „Joli mois de mai“ soll nicht als Flop im Expo-Hinterland in Erinnerung bleiben, sondern Fahnenträger der Bieler Kunstschaffenden werden. Den Auftakt im Jahr 2003 machte Pat Noser, die gleich zwei Freunde – Claude Hohl und Lorenzo Lekou Meyr – mit dazu einlud, um (Zitat) „ein wenig Leben in die Bude zu bringen“. Dennoch brauchte es einige Jahre bis der Anlass von einer internen Künstler-Austausch-Plattform zur Publikums-Veranstaltung, ja gar zum Festival, wurde.

Einer war jedoch vom ersten Moment an mit dabei und darum feiern wir ihn heute abend ganz besonders: Der Grafiker, Zeichner und Liebhaber-Fotograf Robert Schüll. Vom ersten Abend an schuf er Jahr für Jahr für jeden Abend ein kleines fotografisches Porträt des Anlasses, das schon am nachfolgenden Tag in der Krone aushing. Die „Tagblätter“ wie er sie nennt, waren und sind mehr auf die Personen als auf die Kunst ausgerichtet, was ich immer mal wieder ein wenig bedauerte, aber insgesamt sind seine Jahres-Sammlungen von hohem dokumentarischem Wert. Dank ihnen kann ich Ihnen zum Beispiel sagen, dass Monika Löffel am 1. Juni 2005 vibrierende Gräser in die Alte Krone zauberte.

Aufgrund des eben Erzählten wird aber auch das vielzitierte Bonmot von Robert Schüll von 2010 klar: „Blieb ich“, so Schüll, „beim ersten ‚Jolimai’ manchmal zum Nachtessen in der Alten Krone, damit der Künstler nicht allein ist, darf ich heute sicher sein, dass jede Vernissage ein Stelldichein von Vielen sein wird“.

Stichwort „Nachtessen“ – hier muss erwähnt werden, dass der Joli mois de mai von Anfang an als „Kunst & Kulinarik“ konzipiert ist – wie man das heute so schön nennt. Das heisst, es gibt parallel zu den Ausstellungen und den von den KünstlerInnen bereit gestellten Apéros stets ein „restaurant temporaire“, das neben Tranksame originelle Menus bereit stellt. Bis 2010 waren Susan&Ueli Engel federführend, dann übernahm nach einem Entreacte die Cantina mobile das Zepter. Auch wenn mir bewusst ist, dass für viele das gemütliche Zusammensein bei Speis und Trank ein wichtiger Punkt ist rund um den Joli mois de mai, so gehe ich hier nicht näher darauf ein – dazu bin ich schlicht nicht die richtige Person.

Wesentlicher ist für mich, dass der Joli mois de mai nie eine jurierte Kunstplattform sein wollte, nie eine Weihnachtsausstellung im Wonnemonat Mai. „Wir wollen so wenig Regeln wie möglich“, sagte Robert Schüll einmal in einem Interview. Das heisst, wer Mitglied der Visarte ist, kann sich anmelden und erhält ein Datum und einen Platz, kleiner oder grösser, je nach Zahl der Bewerbungen, die ziemlich schnell grösser und grösser wurde.

Dazu kommen mir zwei wichtige Punkte in den Sinn: Es gibt Regionen in der Schweiz, in denen die Mehrzahl der Kunstschaffenden nicht Mitglied der Künstlergesellschaft ist, zum Teil sehr bewusst. Mit einem lokalen Verein wolle man als Künstler oder Künstlerin doch nichts zu tun haben. In Biel jedoch sind fast alle dabei – lieber würde ich sagen, „alle“, aber das stimmt nicht ganz – aktuell sind es rund 100 Künstlerinnen und Künstler. Das ist ein Bieler Phänomen, das ist Bieler Kultur; sie zu ergründen haben sich schon viele aufgemacht, denn es gibt Analogien im Bereich der Musik, der Literatur und mehr.

Für uns hier heisst es aber zunächst ganz konkret: Die Einschränkung der Teilnahme am Jolimai auf Visarte-Mitglieder ist nicht eigentlich von Belang. Und wenn es einst oder jetzt ein Problem war oder ist, so ist da sicher jemand, der eine Hintertüre findet und den Bewerbenden ganz einfach als Duo, als Gast, als Kollektiv mit unter seine Fittiche nimmt. Ob das der ominöse „esprit biennois“ ist?

Die zweite und noch eine dritte Frage dürfen wir allerdings nicht ausklammern. Wer Mitglied der Visarte werden will, muss ein Dossier einreichen und wird daraufhin aufgenommen oder auch nicht. Im Laufe langer Zeit schwankte indes der Anspruch an Qualität und Professionalität, sodass das künstlerische Niveau insgesamt doch recht unterschiedlich ist. Und entsprechend waren und sind die inzwischen auf 25 angewachsenen Ein-Abend-Shows auch von unterschiedlicher Qualität. Robert Schüll war sich dessen immer bewusst; einmal gestand er mir: „es gab immer wieder Abende, da betete ich, dass die Kritikerin nicht erscheint“.

Dieses auf und ab ist nicht problemlos, denn wer aufs Gratwohl in die Altstadt wandert und am 7. Mai und am 10. Mai Pech hat und enttäuscht wieder von dannen zieht, der überlegt sich, wann er wieder kommen will. Hubert Dechant trieb diese Problematik einmal auf die Spitze. Er meldete sich an, überliess seinen Platz aber heimlich einer nicht Visarte-Niveau entsprechenden Kinderbuch-Illustratorin und kommentierte sein Vorgehen damit, dass dies kein Problem sei, da das Niveau des Joli mois de mai eh nicht höher sei. Da platzte mir dann doch der Kragen und am übernächsten Tag war im Bieler Tagblatt zu lesen: „So nicht“.

Aber Dechant hatte natürlich einen wunden Punkt getroffen. Wollte und will der Jolimai eine Kunstplattform sein oder einfach ein Event, bei welcher sich die Künstlerschaft der Region selbst feiert, quasi um den eigenen Bauchnabel tanzt?

Es ist nicht primär die Öffnung hin zu Tandem-Ausstellungen mit Künstlern und Künstlerinnen aus anderen Regionen und auch nicht die Erweiterung der Räumlichkeiten durch den Einbezug der „Voirie“ ab 2011, die dafür sorgen, dass der Jolimai bis heute ein lebendiger Organismus geblieben ist.

Es sind vielmehr die Kunstschaffenden selbst, die erkennen, was für eine einmalige Chance diese Kunst-Flashs sind. In den Zentren der Schweiz – in Zürich, in Basel, in Genf – kennen sich die Kunstschaffenden kaum untereinander, geschweige denn dass ein Dialog stattfinden würde. In Biel sorgt gerade der Jolimai dafür, dass das anders ist, da er die Möglichkeit bietet, den anderen Kunstschaffenden der Region vom eigenen Tun zu berichten. Aber nicht so wie in einer Galerie, sondern so wie Kunstschaffende das gerne tun – nämlich mit unerwarteten, einmaligen, Normen sprengenden Experimenten, Installationen, Aktionen verschiedenster, oft performativer Art, aber auch mit unerwarteten zwei- und dreidimensionalen Werken.

Ich muss gestehen, dass mir – wenn ich meine Erinnerungen abfrage – vor allem solch ausserordentliche Events in den Sinn kommen. Zum Beispiel die beiden „Tricoteuses“ (Carla Etter und Patricia Laurelin, 2009), die sich herrlich in ihren Fäden verhedderten, oder Pavel Schmidt, der die Zeit tot zu schiessen versuchte, oder – ganz besonders – Benedikt Loderer, der sich 2011 in wunderbar-satirischen Sketches zu fünf Künstler-Charakteren äusserte: Dem Forscher, der Ergriffenen, dem Auch-Künstler, dem Erotomanen und dem Wut-Künstler. Nie mehr vergessen habe ich auch Laurent Guenats Wortkaskade zur Zweisprachigkeit von Biel/Bienne, die er unter anderem in ein Spiel mit dem Wort „bi“ einband – von der Bi-bel über das Bi-jou und die Bi-lanz bis zu Bi-se und Bi-wak.

Da ist aber auch die Erinnerung an die Aktion „Asupi“ von Daniela de Maddalena, die das Sammeln von Fussball-Bildchen parodierte und anfänglich etwas belächelt wurde und dann zum Tauschhandel-Hit des Jolimai 2009 wurde. An dem etwas ausufernden „Totentanz“ von Monsignore Dies, Christoph Lambert und Jerry Haenggli war ich nicht dabei – das ist nicht so ganz meine Welt und Robert Schüll meinte nach dem einvernehmlichen Ende mit der Polizei: „Eigentlich wünschte ich mir ja schon lange mal einen Jolimai-Skandal, aber jetzt bin ich doch froh, dass die Geschichte kein Nachspiel hat.“

Ich hoffe, es sprudelt jetzt auch in Ihren Köpfen! Ich möchte aber noch anfügen, dass „Experiment“ nicht zwingend Spektakel heissen muss, dass auch leise Töne „Überraschung“ bedeuten können – eine unsichtbare Zeichnung mit Wasser zum Beispiel (susanne muller) oder die erstmalige Präsentation von Blldern, die etwas Neues oder Anderes wagen – Sygrid von Gunten kommt mir da in den Sinn oder – war’s heuer oder letztes Jahr – die grenzenlos aufwendigen Flaschen-Deckel-Bilder von Andrea Nyffeler. Es gibt kein Ende…..der Jolimai ist nach 15 Jahren ein übervolles Füllhorn!

Ein letzter Punkt brennt mir unter den Nägeln. Das Verhältnis von französisch- und deutschsprachigen Künstlern und Künstlerinnen am Jolimai. Ich vermisse in Biel zuweilen eine starke und auch überregional bedeutsame Präsenz französisch geprägter, bildender Kunst. Und dementsprechend war ich sehr froh, als Isabelle Hofer mir auf meine Anfrage ganz zufrieden anwortete: „il y en a quand même quelques-uns et j’avoue ne pas me sentir en minorité“. Und dann auch – ähnlich wie alle, mit denen ich Gespräche führte – „J’ai eu toujours un grand plaisir d’y exposer“.   – Klar, dass es auch Schwieriges gibt – zum Beispiel die Tatsache, dass die Künstler und Künstlerinnen alle Arbeit gratis leisten und selbst den Apéro aus der eigenen Tasche finanzieren – man muss das mit denken und diesem Umstand grossen Respekt entgegen bringen.

Ich freue mich riesig, dass die diesjährige Distinction an den Jolimai geht und ich weiss, dass alle im Saal sich freuen, dass Robert Schüll, der mit Leib und Seele und seit vielen Jahren „Vater“ des Jolimai ist, mit uns hier weilt, grossen gesundheitlichen Herausforderungen zum Trotz.  Aber: Denken sie daran – ohne Hilfe von Seiten des Vorstandes der Visarte Biel/Bienne gäbe es den Jolimai nicht – allen Mitengagierten gebührt darum ebenso unser Dank – und denken sie auch daran, dass es letztlich die Kunstschaffenden sind, die dem Jolimai das Besondere, den „Esprit biennois“ einhauchen. Ich bin überzeugt, dass sie das auch unter der Leitung von Marina Porobic machen werden und wer weiss vielleicht gelingt es der Co-Präsidentin der Visarte Biel/Bienne sogar bisher unentdeckte Talente aufzustöbern und auch die bisher nicht mit eigenen Ausstellungen aufgetretenen, für Biel aber sehr wichtigen, international tätigen Kunstschaffenden mit ins Boot zu holen. Um den Spiegel noch runder, nach aussen und nach innen noch repräsentativer zu machen. Er lebe hoch, der Joli mois de mai!