Ansprache von Annelise Zwez zur Eröffnung der Ausstellung „Sammlungen und Nachlässe“ in der Galerie 25 by Regina Larsson in Siselen                                         Sonntag, 27. August 2017

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Regina, lieber Stefan

 

Was ich Ihnen als erstes erzähle, können Sie als indirekte Werbung für die Galerie 25 auffassen. Und das ist nicht falsch. Die Anekdote ist aber nichtsdestotrotz nahe an der Realität.

Da stirbt in Bern im hohen Alter von 90 Jahren Madame de Blumenthal (der Name ist frei erfunden). Sie hat eine ansehnliche Kunstsammlung, die sie – Bern und seiner Kunstregion verbunden – seit den 1950er-Jahren aufgebaut hat, meist aufgrund persönlicher Beziehungen. Die Nachkommen haben es immer geschätzt, dass das Haus der „Grandmaman“ voll war mit Bildern an den Wänden. Aber jetzt, da sie das in den 1920er-Jahren erbaute Haus liquidieren müssen, beschliessen sie die Sammlung zu verkaufen, weil sie – alle um 1980 geboren – ein anderes (oder vielleicht auch gar kein) Empfinden für Bilder dieser Stil- und Zeitepoche haben. Also gehen sie – das Haus Kornfeld wäre zu hoch gegriffen, das wissen sie – also präsentieren sie die Bilder – auch kleinere Skulpturen – dem Auktionshaus Dobiaschofsky in Bern. Der zuständige Herr ist bereit für einen Augenschein, schaut sich alles gut an, prüft die Signaturen, doch schlussendlich eröffnet er den Nachkommen von Madame de Blumenthal, dass ihn mit Ausnahme eines kleinen Ölbildes von Serge Brignoni und eines Holzschnittes von Otto Tschumi, nichts interessiere, da er die Werke auf einer Auktion seines Hauses nicht als verkäuflich einstufe.

Die Blumenthals, die zum Teil längst anders heissen, sind entsetzt, depremiert auch. Nicht nur, weil sich der erhoffte finanzielle Gewinn in Luft ausgelöst hat, sondern weil das, was Grandmaman geliebt hat, offenbar niemanden mehr interessiert (sie ja schliesslich auch nicht).

Nun ist es aber ein Phänomen, dass sich immer da, wo etwas zerfällt auch etwas Neues bildet. In diesem Fall eine Kunstsammler-Gemeinschaft, die anders denkt, andere Ziele verfolgt und mindestens so glücklich wird, wie Madame de Blumenthal, wenn sie in der Galerie von Verena Müller selig oder anderswo wieder einmal nicht widerstehen konnte und ein Bild kaufte. Das Profil der Galerie Regina Larsson ist hiefür eine mögliche Plattform.

Szenenwechsel: Da erhalte ich eines Tages einen Anruf eines Herrn Stöckli aus Genf, der sich als Sammler von Bildern von Clénin aus dem benachbarten Dorf Ligerz vorstellt. Es gibt zwei Clénin (beide in den 1980ern gestorben) – den Walter Clénin, für dessen Werke es zwar heute auch keinen Markt mehr gibt, aber der durch seine grossen Wandbilder – z.B. im Bundesgericht in Lausanne – kunstgeschichtlich seinen Platz hat. Und den ihm verwandten Otto Clénin, der unter dem Namen „Helgelimaler“ bekannt ist, was eigentlich schon alles sagt. Besagter Herr Stöckli wollte mir also seine „Helgeli“ zeigen. Oh je, dachte ich, aber höflicherweise sagte ich ja gut, er solle doch vorbei kommen. Und dann staunte ich. Das waren ja gute Bilder, die er mir da zeigte! – Und dann begriff ich: Es gibt scheinbar zwei Otto Clénin – den Helgelimaler, der nette Sujets zu günstigen Preisen verkaufte – und einen zweiten, der wirklich Maler sein wollte. Besagter Herr Stöckli war seit langen Jahren unterwegs, diesen „wirklichen Maler“ zu suchen und je mehr er in Galerien abseits der Heerstrassen, in Kleinst-Auktionshäusern, im Internet usw. fand, desto mehr wurde er zum Kenner, zum Fachmann, fast hätte ich gesagt zum „Kunsthistoriker“. Mit grosser Freude und Stolz. Geschichten wie diese, gibt es mehr als Sie denken!

Noch einmal Szenenwechsel:

Die Galerie25 betreut u.a. das in gewissem Sinn abgeschlossene Werk des 75jährigen Fernand Schmutz, der einst im Raum Bern als Grafiker einen guten Namen hatte und ein begnadeter Schachspieler war, immer aber auch freier Künstler mit einer besonderen Liebe zu Paris. In der aktuellen Ausstellung ist er nicht mit dabei. Aus gutem Grund: Es soll ein Buch erscheinen, welches das Werk des Künstlers greifbar macht. Mit einem Text einer versierten Kunsthistorikerin. Das Galeristenpaar Regina Larrson und Stefan Vogt dachten dabei an Dolores Denaro, weil sie wussten, dass sie ihn schätzt. Als ich davon hörte, setzte ich eine skeptische Mine auf – wissend, dass die meisten schreibenden KunsthistorikerInnen sich gerne in dem sonnen, was sie schreiben, d.h. ein Stück des bestehenden Ruhmes der bearbeiteten Werke auf sich selbst ummünzen möchten. Das wäre hier wohl kaum der Fall.

Der Zufall wollte es, dass ich gleich nach dem Gespräch in der Galerie mit Dolores Denaro etwas zu besprechen hatte und so habe ich sie – ohne Auftrag – en passant gleich gefragt, was sie von einer solchen Idee halten würde. Und sie strahlte und sagte: Ja, das würde sie sicherlich machen, wenn eine entsprechende Anfrage kommen würde. Und dann wurde alles klar: Noch während der Gymnasialzeit, d.h. in den späten 1980ern, betreute sie eine von der Stadt Biel betriebene, kleine Galerie an der Dufourstrasse. Eine Ausstellung galt Werken von Fernand Schmutz, der damals noch voll aktiv im Leben stand. Es war eines ihrer ersten Erlebnisse mit Kunst überhaupt und sie ist überzeugt, dass er sie auf den Weg zur Kunst geschickt hat. Im Kontext unserer Ausstellung hier heisst das, dass auch ein emotionales Erlebnis den Startschuss zum Anlegen einer ganz persönlichen, beglückenden Sammlung abseits des Kunstmarktes werden kann. In Bezug auf die ausgestellten Werke könnte ich mir vorstellen, dass jemand, der den Schaufenster-Magier Peter Knuchel in prägender Loeb-Bern-Erinnerung hat, zum faszinierten Sammler seiner Zeichnungen – somit des anderen, versteckten Peter Knuchel werden könnte.

 

Und noch einen Grund für eine Nischen-Sammlung von individuellem Wert möchte ich nennen: Den Ortsbezug. Von welcher Bedeutung dieser sein kann, zeigte in diesen Räumen vor nicht so langer Zeit die Ausstellung von Fernand Giauque, die mit ihrer Fülle, einem Buch und einer klugen Preispolitik geradezu einen Hype auslöste.

Fernand Giauque lebte während Jahrzehnten in Murten. Dass auch eine Künstlerin namens Petra Petitpierre, die einst Meister-Schülerin von Paul Klee am Bauhaus war, in Murten lebte und mehr noch, hier in d

en späten 1930er-Jahren mehrfach mit Paul Klee zusammentraf, ja gar der Witwe Lilly Klee nach 1940 beim Ordnen des Nachlasses half und zahlreiche Werke des Meisters restaurierte – das alles wissen nur wenige, obwohl es 1995 eine Retrospektive im Kunstmuseum Olten gab.* Sie finden in dieser Ausstellung sieben Werke von ihr, alle von Stefan Vogt im Gedanken an diesen Ortsbezug im Dschungel des Low-Budget- Kunstmarktes entdeckt und erworben und nun hier im Angebot.
Was ich hier sagen will ist zweierlei: Das Spüren, dass Werke in unmittelbarer Nähe vom eigenen Lebensraum entstanden sind, kann eine besondere Beziehung auslösen, die andere nicht haben und so zu einer kostbaren Sammlung führen. Aber es spricht auch für die Existenz der Galerie25 – denn auf eigene Faust durch den Abseits-Markt zu navigieren, braucht sehr viel Geschick (oft auch einige Netz-Passwörter, um hier und dort überhaupt in Angebote hineinzukommen), da reicht ein Stöbern in einem Antiquariat hier oder dort nicht.

Da findet man zum Beispiel keine der letzten sich noch auf dem Markt befindlichen, erotischen Fotos von Toni Grieb und schon gar keine seiner frühen malerischen Arbeiten und auch nur sehr vielleicht eine Landschaft von Traugott Senn und wenn schon, wer sagt einem, welcher Preis adäquat ist? Ich lasse hier sogar eine eigene Erfahrung einfliessen, habe ich doch – vor langen Jahren – einmal in einem Antiquariat eine Bielersee-Landschaft von Traugott Senn erworben, weil es einen direkten Bezug von Senn zu unserem Familienhaus in Twann gibt. Dass ich dies für einen zu hohen Preis tat, merkte ich erst später. Darum Vorsicht!

Ortsbezug kann unter Umständen auch Motivbezug heissen. Da habe ich vor vielleicht zwei Jahren für die lokalen Gemeinde-Nachrichten ein kleines Porträt des in Twann lebenden Bratschisten Rolf Dieter Gangl geschrieben. Als ich bei ihm war, habe ich gestaunt. Das gesamte Treppenhaus in seiner mehrstöckigen Wohnung war tapeziert mit Darstellungen der Kirche von Ligerz. Da gab es einmal eine Auktion in Ligerz mit genau diesem Motiv-Thema. Ich habe damals Recherchen dazu gemacht und festgestellt, dass es tatsächlich unglaublich viele Darstellungen der schmucken Kirche mit Blick auf den Bielersee und vor allem auch die Petersinsel gibt. Von alten Stichen ab dem späten 18. Jahrhundert über romantische und biedermeierliche Versionen bis zur Blüte der Landschaftsmalerei in den 1930er-Jahren und mit expressivem Duktus bis in die Gegenwart. Leider hat Ferdinand Hodler sie nie gemalt und Rolf-Dieter Gangls Ligerzer Kirche-Sammlung ist auch gar nicht auf diesem Level situiert, aber es verquickt sich darin seine Liebe zu seiner Wahlheimat sowie die Tatsache, dass er in dieser Kirche schon häufig musiziert hat und er es spannend findet, immer wieder die Augen offen zu haben für neue Entdeckungen.

Dieses Beispiel kann man unzählige andere Möglichkeiten ausweiten, auch sehr anspruchsvollen. Hier in der Ausstellung geht es sogar bis zu einer Fotoserie zum Thema „Neue Bürgerlichkeit“ von Valérie Chételat, die Stefan Vogt in der gleichnamigen Ausstellung hier im Haus erworben und seiner persönlichen Sammlung angegliedert hat. Das ist dann schon nicht so einfach, aber in der Fotografie durchaus ein weites Thema, spielt doch das Intérieur da eine wichtige Rolle und man könnte sich fragen, ob nicht – wenn man den Begriff „neu“ in Zeitfenster einteilt, ob dann nicht jedes malerische Stillleben auch zum Thema gehört. Ich denke da gerade an die Leinwand von Fernand Giauque, die ich kürzlich hier in der Galerie erworben habe. Aber auch an zahlreiche aktuelle Werke von Pat Noser, die das Thema der Gegenstände im häuslichen Umfeld subversiv ins Zentrum rücken. Sie sehen: Sammeln ist ein weites und ein faszinierendes und nachhaltiges Thema.

Ich habe bisher fast ausschliesslich Werke von Kunstschaffenden erwähnt, die entweder bereits verstorben sind oder deren Werk aufgrund ihres Alters abgeschlossen ist. Das liegt hier in der Galerie von Regina Larrson, wo zahlreiche Nachlässe oder Teil-Nachlässe aufbewahrt – auch restauriert – werden, gleichsam auf der Hand. Aber ich spüre, dass die heute anwesenden Künstlerinnen – haben sie übrigens die Überzahl an Künstlerinnen bemerkt? – dass die heute anwesenden Künstlerinnen mich bereits entsetzt anschauen und sich fragen, ob ich sie demnächst für tot erklären werde. Mitnichten, natürlich. Denn meine eigenen, beglückenden Berufserinnerungen fussen fast alle auf persönlichen Begegnungen mit Kunstschaffenden, sei es im Rahmen von Ausstellungen oder in ihrem Atelier. Und meine eigene Kunstsammlung ist grossmehrheitlich aus solchen Begegnungen heraus entstanden – Ausnahmen inklusive. Das eine schliesst das andere nicht aus! Was sich auch im Programm der Galerie spiegelt.

Und darum gibt es auch in dieser Ausstellung Werkgruppen von Künstlerinnen, die täglich in ihren Ateliers arbeiten – genannt sei z.B. Elsbeth Röthlisberger – und für welche Sammler und Sammlerinnen überlebensnotwendig sind! Ihr Schaffen mit zu verfolgen, die Wandel in ihrem Werk zu beobachten, ist sehr spannend.

Ich kann dieses Dilemma zwischen rückwärts und gegenwärtig hier nicht ausräumen. Das müssen wir vielleicht bei einem Glas Wein weiterdiskutieren.

Aber einen Aspekt muss ich noch auflösen: Die Überzahl an Künstlerinnen ist nicht Zufall. Denn auf der Nischen-Ebene findet man aufgrund der Situation von Künstlerinnen entlang des ganzen 20. Jahrhunderts mehr Unentdecktes, bisher nicht Beachtetes, in seiner Qualität Verkanntes als bei Männern. Das Problem ist eher, dass man ihre Werke an noch versteckteren Orten suchen muss. Doch das kann dann immer mal wieder zu Überraschungen führen. Hier in der Ausstellung sind das für mich die Arbeiten von Anne Hildegard Monika Ryter – ein Name, den ich nie zuvor gehört habe, deren Werke mich aber überzeugen. Gerade sie – die ich eigentlich früher schon hätte entdecken können, sei es in der Galerie25 oder bei meinen Forschungs-Gängen durch die Berner Frauen-Kunstgeschichte – ist ein gutes Beispiel dafür, wie spannend „entdecken“ sein kann oder wie Peter Böhm 1997 zu Monika Ryter schrieb: „Die grosse Kunstwelt wird dieses Werk wohl nie zur Kenntnis nehmen, aber das soll unsere Freude daran nicht schmälern. Wir empfinden das Glück des Botanikers, der eine seltene Blume entdeckt hat, die hier – und nur hier – wächst….in einer winzigen ökologischen Nische.“

Gehen Sie nun auf ihre eigene Tour! – Ich bedanke mich fürs Zuhören.

* Den Text zu Petra Petitpierre, den ich damals schrieb finden Sie auf meiner Homepage www.annelisezwez.ch