Saaltexte zur Ausstellung Esther Amrein/Timo Ullmann in der Galerie im Zimmermannshaus in Brugg 18. August bis 30. September 2018

Präambel. Als das Aargauer Kunsthaus im Dezember 1973 die mit einem Pendel ausgeloteten Zeichnungen von Emma Kunz (1892-1963) zeigte, war das ein Ereignis. Die in den 1940er- bis 60er-Jahren gefertigten Arbeiten waren nicht als Kunst entstanden, wurden aber nun, da sich das Denken der kreativ Schaffenden wandelte, als künstlerischer Ausdruck erkannt.

Das Interesse an dynamischen Bildprozessen, an Kunst, die von Parametern – vom Pendel bis zur Computer-Software – gelenkt wird, auf dass sie sich selber formt und zeigt, interessiert Künstler und Künstlerinnen bis heute. Auch Esther Amrein (*1968) und Timo Ullmann (*1987). Es verbindet die zwei- und dreidimensionalen Zeichnun-gen mit der audiovisuellen Video-Installation hinter ihrer verschiedenen medialen und thematischen Erscheinung.

 

Esther Amrein ist Zeichnerin. Zeichnungen werden bestimmt durch Punkte, die sich bewegen und zur Linie werden. Zu frei mäandernden Linien oder sich durch Intensität verdichtenden. Die Hand kann sie mit Bleistift filigran, mit schwarzer Farbe und breitem Pinsel, mit Nadel und Faden und mehr auf Papier bringen. Dasselbe kann auch ein Pendel, mittels Gedankenkraft, ein Roboter, den man mit Strom versorgt. Und was der Mensch kann, können auch andere in der Natur, die Spinne zum Beispiel. All das fasziniert und nutzt Esther Amrein, seit Jahren und immer neu und schon wieder anders; zwei- und dreidimensional, zu Körpern formend, zu „Gegenständen“ komprimierend, zu „Flugobjekten“ ausweitend.

Landläufig ist eine Zeichnung die bildliche Transformation eines Gegenstandes der haptischen Welt, auf dass wir seine Form, seine Eigenschaften verstehen. Dieser Aspekt interessiert Esther Amrein indes nicht. Für sie ist die Kernfrage das „Wie“. Wie entsteht eine Zeichnung, wie bestimmen gesetzte Parameter mögliche Erschei-nungen und was passiert, wenn man sie aus der Fläche in den Raum transferiert oder, umgekehrt, wenn man sie aus dem Raum zurück in die Fläche bringt.

Esther Amrein ist keine Konzeptkünstlerin, sie weiss nicht im voraus, wohin sie eine Idee führen wird. Gerade das ist aber die Motivation! Es sind Versuchsanordnungen, die sie festlegt und dann – stets seriell – beobachtet, was passiert; wie sie die Resultate vorantreiben, ausweiten kann, wann sie unverhofft – durch die Hintertüre – wieder von unserem Leben erzählen.

Was passiert, wenn sie Kombinationen von Pendel- und anderen Zeichnungen mit schwarzer Farbe auf ein starkes Papier überträgt, die Zwischenräume mit einem „Cutter“ heraus schneidet und die recto-verso schwarz-weissen „Netzwerke“ in den Raum hängt? Mit Spannung verfolgt die Künstlerin, wie die Schwerkraft sie dreht und wendet, zu etwas Figürlichem werden lässt, das bei geringstem Luftzug im Raum zu „tanzen“ beginnt. Da ist visuell und thematisch plötzlich eine Dimension, die sich quasi ohne ihr Dazutun von selbst entwickelt.

Der inhärente Verweis auf das Leben ist ein entscheidendes Moment – Esther Amreins Kunst will nicht abstrakte Phänomenologie sein, sondern etwas spüren lassen, das uns mit dem Geheimnis unseres Seins verbindet.

Das wird besonders deutlich in den neuen „Home System I“-Arbeiten. Es braucht mindestens zwei Blicke bis wir glauben, was wir sehen. Die zeichnungsbestimmenden Linien sind Spinnenfäden, Bündel einstiger, räumlicher Netz-Werke, die nach dem Tod ihrer „Erbauer“ in Nischen aller Art zurückgeblieben sind und nun – hinter Glas gepresst – zur zweidimensionalen „Zeichnung“ wurden. Ein bisschen „gruselig“ empfinden wir das alles schon, zumal auch die Skelette Teil der Arbeiten sind, aber der Anblick des Todes ist in unserem Denken so programmiert und das lotet Esther Amrein mit dieser Serie aus.

Vermutlich sind wir froh, dass „Home System III“ im Vergleich etwas Beruhigung bringt, mit neuen Materialien (Crinolbändern) überraschende, durchaus wohlige Körper erprobt, deren Verfallsdatum wir (noch) nicht kennen.

 

Timo Ullmann geht als „Digital Native“ von einem Selbstverständnis der Präsenz elektronischer Medien aus. Das Schreiben von Computer-Programmen ist für ihn ein Handwerk wie es Zeichnen oder Malen auch sind. Prägend, so sagt er, sei für ihn u.a. die Beobachtung gewesen, dass im digitalen Kunst-Raum auch Audio-Arbeiten ihren Platz haben.

„Tomorrow.Sky.Sphere“ vereinigt entsprechend Sound und Video und zwar auf einer gleichwertigen, das heisst für Konzept und Aussage gleichermassen bedeutsamen Ebene. Die am Computer komponierte, auf Sinustönen basierende und „eigendynamischen Prozessen“ folgende, sphärische Musik, zielt auf unser emotionales Empfinden. Dem aufsteigenden und verebbenden Sound hat Ullmann Geräusche aus der Umgebung des Zimmermannhauses eingepflanzt. Wer horcht, hört zum Beispiel Glockengeläut und die Brugger wissen sogleich, dass das „ihres“ ist. So verortet der Künstler sein Werk und uns damit: Hier findet statt, was zu hören und zu sehen ist – draussen und drinnen.

Noch deutlicher verquickt Ullmann die Gleichzeitigkeit von innen und aussen auf der Bildebene. Im Garten des Zimmermannhauses – im Blickfeld der bronzenen „Schönen“ von Eduard Spörri – hat er ein Geviert in den Massen eines Pick-Nick-Tuches bestimmt, in dessen Zentrum eine nach oben gerichtete Video-Kamera installiert ist. Dem anvisierten lauschigen Moment, das die Lust auslösen könnte sich hinzulegen und in den Himmel zu schauen, hat das heiss-trockene Sommer-Wetter von 2018 einen Streich gespielt. Zwar hielten es die Stadtgärtner grün, aber so richtig spriessen wollte das Gras nicht. So ist es eher die Vorstellung davon, die sich im Ausstellungsraum mit Blick auf den künstlichen Rasenteppich unter dem auf fünf Leinwände projizierten Himmelszelt einstellt.

Wer mitspielt und sich hinlegt wird schnell einmal „gestört“. Eine Computer-Stimme liest die Wettervorhersage für den folgenden Tag. Je nach Prognose verändert sich daraufhin der Himmel über dem „Träumenden“, Wolken kommen auf, die Blätter der mächtigen Bäume im Garten beginnen sich zu bewegen oder sie werden ruhig und still.

„Moment! Was geht da vor? Wer ‚spielt’ da mit mir? Was ist da einer Webcam gleich ‚real’ respektive virtuell ‚real’ und was ist aus digitalen Daten ‚komponiert’?“

Die Irritation ist selbstverständlich Programm. Timo Ullmann geht es – in all seinen multimedialen Arbeiten! – um genau diese Schnittstelle, um die Wahrnehmung der technischen Eingriffe in die scheinbare Spiegelung des Realen im virtuellen (digitalen) Raum. Wie weit, so stellt sich die Frage, folgt die Manipulation (inklusive der sphärischen Musik!) definierten Parametern, wie weit generiert sie sich selbst? Wie weit schafft der Künstler die Kunst oder formt sie sich mehr und mehr selbst, indem die Software die „Realität“ bestimmt und nicht mehr der Mensch?

Im konkreten Fall gleicht der Computer die archivierten Video-Aufnahmen aus dem Garten mit der aus dem Internet geschalteten Wetterprognose ab und zeigt im Folgenden das Wetter vom nächsten Tag – so denn die Prognose stimmt. Wir liegen also gleichsam unter dem Himmel von morgen…

Ullmann betont, seine Werke seien nicht als Kritik zu verstehen, wohl aber als mehrschichtiger Ausdruck unserer Zeit. Das „Verrückteste“ ist dabei vielleicht, dass wir erst im „Kunst-Raum“ bedenken, was wir im Alltag bereits als „normal“ einstufen.