Christian Helmle, Martin Möll, Christian Schwager – Die Spur des Flüchtigen – Photoforum Biel 2003

Die Kamera und die unbenannte Zeit

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 29. August 2003

 

Eine künstlerisch überzeugende Ausstellung präsentiert das Photoforum im Rahmen von „musées.03“: „Die Spur des Flüchtigen“. Fotografien von Christian Helmle, Martin Möll und Christian Schwager.

Die Fotokamera und der Begriff der Zeit sind untrennbar miteinander verbunden. Oft öffnet sich ihre Blende nur eine Hundertstelsekunde und doch meinen wir, die Fotografie betrachtend, die Ewigkeit zu sehen. Wir repetieren den Moment, wandeln die Flüchtigkeit in Dauer, lösen sie aus dem Kontext der realen Zeit und verschieben sie in eine unbenannte Zeit. Und reflektierend füllen wir sie mit unserer Zeit.

„Die Spur des Flüchtigen“ („l’empreinte du fugitif“ im Original) spiegelt diese Wechselwirkung zwischen Moment und Dauer eindrucksvoll und sehr verschieden in der Art. Dokumentar- und Kunstfotografie sind dabei nicht unterscheidbar. Christian Möll – ein junger Berner Fotograf – zeigt Bilder aus dem Niemandsland. Bilder, die für ihn zeigen, was der amerikanische Autor Paul Auster in seiner Novelle „Das Land der letzten Dinge“ beschrieb. Menschenleere Bilder in austauschbaren Szenerien, die uns allen bekannt und doch nicht greifbar sind, die real und irreal in einem sind: Zum Beispiel eine Bushaltestelle im Rheintal. Ihr Design ist bekannt und ebenso die Erotik missbrauchende Werbung: „1kwh = 5 x Haarewaschen.“ Im Vordergrund: Unkraut. Auf der Strasse: Weder Auto noch Velo. In der Ferne ein paar Allerweltshäuser, dahinter eine hügelige Landschaft. Die schwarz-weisse Fotografie ist weich-grau unterlegt und als Digitalprint auf Blache appliziert. Die Leere vermittelt Leere, sie würgt, und doch suggeriert sie auch die Hoffnung der Moment sei nur ein flüchtiger nach und vor dem Leben. Ein Gedicht müsste man dazu schreiben.

Wenn Fotografie Kunst wird und sich in Ausstellungen präsentiert, wird der Entscheid des Fotografen, wie er ein Bild präsentiert, auf welchem Grund, mit oder ohne Rahmen, gross oder klassisch klein, zu einer wichtigen Entscheidung. Die aktuelle Ausstellung ist fast ein Lehrstück zum Thema. Martin Mölls Wahl der Blache ist eine gute, weil die Bilder in der Assoziation „Lastwagen“ Unterstützung finden. Nicht so in Christian Schwagers Aufnahmen mit dem Titel „Panzerland“, die, kleinformatig und teils überhöht mit weissen Passepartouts und weissen Rahmen, durch die Präsentation an Kraft verlieren. Ausgangspunkt für die auch als Publikation vorliegenden Aufnahmen sind Schwagers Erinnerungen an die RS, als er sich über die von Panzern verursachten Zerstörungen der Landschaft ärgerte. Jahre später dahin zurückgekehrt, erlebte er die Orte ganz anders, nämlich als Brache, die mehr und mehr von der Natur zurückerobert wird; nicht zuletzt weil Simulatoren heute Fahrten im Gelände teils ersetzt haben. So fotografierte er die Ambivalenz des faszinierendem Ödlandes, der klinischen Atmosphäre der Simulatoren und einer in der Natur kaum mehr sichtbaren Panzersperre. Doch die emotionale Wirkung will auch in den rahmenlosen, erzählerischen Vielfach-Blöcken nicht so recht greifen; für die Ausstellung (nicht das Buch) eindrücklicher wären wohl einzelne Grossformate gewesen.

Grossformate wie sie Christian Helmles packende Zeitspuren prägen. Formate, die den Eindruck erwecken, als wären sie ein „normales“ Blickfeld und somit ein „normales“ Vis-à-vis, was sie natürlich nicht sind. Denn der bekannte Thuner Fotograf malt mit der Kamera. Zum Beispiel indem er dem Wind abpasst und die Kamera – länger als üblich – beobachten lässt wie er den „Goldregen“ bewegt und den fremden Ast mit den roten Blättern dazu (Leissigen, 20.5. 2000). Da wird das Gelb und das Rot zum tachistischen Bild und doch bleibt es Natur. Die Bewegung in der Zeit „malt“ sich in die Fläche und lässt dennoch nie vergessen, dass sie Spur von Flüchtigem ist. Dass dies einer Gratwanderung gleichkommt, dass in der satten Farbe auch der Kitsch lauert, zeigt ein einziges, „gekipptes“ Bild; rückwärts bestätigt es aber gleichzeitig die Qualität von Aufnahmen wie „Staubbach“, „Heimwehfluh“ und anderen mehr. Die Bewusstheit des Fotografen gegenüber Bild, Zeit und Spur zeigt sich auch im beeindruckenden Grossformat „Astra“ (2.3.2000), das einem durch ein (noch) intaktes Fenster hindurch auf einen Hausabbruch blicken lässt, dessen Bruchstücke – einen Sonntag lang vielleicht – mit Schnee bedeckt sind.