- Newsletter II 2025
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Hält Wache: Der Fuchs von Augustin Rebetez überschaut die Ausstellung „Jurabilder – Imaginaires du Jura“ im Kunstmuseum Solothurn
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Eigentlich wollte ich den zweiten Newsletter 2025 mit einem Rückblick auf die Ausstellung von Marina Abramovic im Zürcher Kunsthaus beginnen, da mir die Art und Weise wie die Ausstellung präsentiert wurde, sehr gut gefallen hat; nicht einfach ein chronologisch-dokumentarischer Rückblick, sondern ein geglückter Mix zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Doch das ist angesichts von Neueröffnungen bereits derart kalter Kaffee, dass ich den Schwerpunkt lieber auf zwei Ausstellungen lege, die beide je verschieden über rein künstlerische Belange hinausweisen. Gemeint sind zum einen die „Jurabilder“ im Kunstmuseum Solothurn, die ein faszinierendes „Gemälde“ des Juras vom Aargau bis nach Genf zeichnen; malerisch, zeichnerisch, fotografisch, filmisch. Und zum andern „Modell Neutralität“ im Aargauer Kunsthaus in Aarau, die sich mit der Schweiz in der Welt, aber auch im Bereich des Datenschutzes, ja gar des Museumsbetriebes befasst.
Jurabilder /Imaginaires du Jura
Die Idee für die Ausstellung in Solothurn kam vom Komitee der Filmtage, das einen Fokus Jura plante. Eine glückliche Idee unter verschiedensten Aspekten. Einer, der mir besonders gefällt, ist der Einbezug des Juras in einen gesamtschweizerischen künstlerischen Kontext, denn seit Caspar Wolfs “Bärenhöhle bei Welschenrohr”(1777) war der Jura vom Aargau bis Genf ein vielgemaltes, romantisches Landschaftsmotiv. Wer wusste schon, dass der Maler von “L’origine du monde”, Gustave Courbet, auch “La gorge de la Loue” (1874) gemalt hat und in La Tour de Peilz gestorben ist (1877)?
Kooperation mit den Filmtagen bringt es mit sich, dass der Fotografie bis zurück zu den Anfängen viel Gewicht gegeben wird. Erstaunlich, was da in den Archiven des Juras alles schlummerte und jetzt dank neuen Digitalisierungstechniken wieder gezeigt werden kann. Etwa die Kalotypien von Ruinen, Schlösser u.m. von Edouard Quiquerez (1835 – 1888), der in Bellerive (VD) tätig war. Die Fotografie ist es auch, welche das Jurabild zum Historienbild macht, etwa durch die ab Digitalisaten von Glasplatten neu ausgedruckten Bilder aus den Erzminen von Delémont um (1900) von Joseph und Jules Enard.
Eindrücklich evoziert wird auch der Jura als Grenzgebiet, sei es in einem Entwurf zum Bourbaki-Panorama von Edouard Chastres(1838-1902) oder in Aufnahmen zur Grenzbesetzung, insbesondere im ersten Weltkrieg. Hingucker sind zweifelsohne mehrere restaurierte, frühe Filmdokumente wie etwa La Brévinne (sic) der Pathés Frères von 1931.
Die Vergangenheit ist im Vergleich zur Gegenwart stärker gewichtet. Der Bogen umspannt 250 Jahre! Wenig ergiebig ist die zweite Hälfte des 20ten Jh. mit Bildern von Coghuf und Albert Schnyder aber doch angedeutet. Und klar auch, dass ein Tinguely mit Eisenbestandteilen aus der Klus nicht fehlen darf.
Doch dann erwacht ein neues Interesse an der immer noch viel Ursprünglichkeit bewahrenden Juragegend. Laut und voller Dynamik in den Geister und andere Kräfte beschwörenden Skulpturen von Augustin Rebetez, der im Jura aufgewachsen ist und in Mervelier ein Studio betreibt, das aus dem Off in die Welt ruft. Welch guter Gedanke ihn das Museum von aussen und im Foyer bespielen zu lassen.
Es geht aber auch subtiler: Die fünf Videos umfassende Performance-Installation von Anne und Jean Rochat (*1982), die an Orten umgesetzt wurden, die einst von Malern als Standorte für ihre Bilder gewählt wurden, sind ein Highlight der Ausstellung. Klar was mit Titeln wie Gustave oder Caspar gemeint ist!
Die Ausstellung ist reicher als dieser kleine Text , sprengt eigentlich die Möglichkeiten eines städtischen Museums; es bleibt darum einfach ein Kompliment an das erweiterte Kurator*innen-Team mit Kathrin Steffen, Marianne Burki, Markus Schürpf und Daniel Schwarz.
Modell Neutralität
Erstaunlicherweise wesentlich weniger umfangreich ist die Ausstellung “Modell Neutralität” in Aarau mit 14 Positionen. Die Idee dazu sei nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges aufgekommen, sagte Kuratorin und Direktorin Katharina Ammann und zwischen den Worten konnte man heraushören, dass die Umsetzung des Themas mit relevanten Arbeiten nicht einfach war, auch wenn sich in der Sammlung des Hauses bereits das Herzstück der Ausstellung befand: Die riesige Installation “Davos” von Thomas Hirschhorn, welche 2001 enstand, und das WEF kritisch thematisiert, aber auch die Stadt, in welcher er aufwuchs. Welch eine Arbeit, sie neu aufzubauen! Es lohnte sich indes, die Arbeit ist so aktuell wie damals!
Doch dann wurde es schwierig, denn bekanntlich ist die politische Schweiz nicht wirklich ein Thema, das vielen Schweizer Kunstschaffenden unter den Nägeln brennt. Welch ein Segen darum, dass da ein bisher unbekannter brasilianisch-schweizerischer Doppelbürger namens Guerreiro do Divino Amor (*1983) auftauchte und für die Biennale Venedig 2024 ein üppiges Bild seiner Wahrnehmung der Schweiz zwischen Olymp und kritischer Aussensicht inszenierte. Und dieses entwickelte er nun eindrücklich weiter für Aarau, insbesondere mit einer Vielzahl von je einer Göttin gewidmeten Leuchtkästen (im Bild: die an Calvin erinnernde Calvina), welche die Schweiz ganz schön durchleuchten, unter anderem mit einer nicht eben schlanken Figur auf einem hohen Seil, deren Organismus fortlaufend shreddert, was nicht an die Öffentlichkeit soll.
Eine unerwartete Klammer zwischen Hirschhorn und ihm selbst, erzählte der Künstler im Rahmen einer Führung. Er habe ihn anlässlich einer Ausstellung in Paris, so Guerreiro, vom Credo, dass alles auf eine einzige Aussage heruntergebrochen werden müsse, befreit; dafür sei er ihm ewig dankbar. Sein Auftritt in Aarau en est la preuve!
Der erwähnte Hochseilakt könnte gleichsam eine Parabel für die den «Pandora Papers» gewidmete, linguistische Video-Arbeit von Gabriela Löffel (*1972 CH) mit dem Titel «Grammar of calculated ambiguity» sein. Doch während bei Guerreiro der Humor nie fehlt, geht es bei Löffel hier und anderswo stets um eine klare, antikapitalistische, politische Meinung wider die Machenschaften von Waffenindustrie, Finanzwelt usw. Das ist so formuliert nicht «mein Bier», darum habe ich mich nur rudimentär in die Arbeit eingehört.
Die Waffenindustrie – ein stetes Thema, wenn es um die bewaffnete Neutralität der Schweiz geht – ist auch Motiv der Installation des in Biel lebenden Ostschweizers Felix Stöckle (*1994), der Vintage Tourismusplakate bewusst laienhaft auf Holzplatten malte, um aufzuzeigen wie oft darin militärische Versatzstücke verharmlost werden. Das ist vielleicht von etwas weit her geholt, aber mit der innewohnenden Prise Satire ist es ok. Dazu gibt es eine Vitrine mit Pfadimesser «suisse made» und andere ambivalente Stücke bis hin zum Sturmgewehr und – Stöckles Liebe zu allem Schrägen aufnehmend – die berühmten Tiger-Finkli als «Pantoufle Suisse» – eine Allusion zur «Patrouille Suisse».
Ausgesprochen gefallen hat mir die Installation der Kurdin Mirkan Deniz (*1990), die in Aarau nicht nur den bereits mehrfach gezeigten, von ihr nachgebildeten Tisch, an welchem 1923 Kurdistan aufgeteilt wurde, in den Kontext stellt, sondern auch einen grossformatigen, ausgefransten, schwarzen Teppich wie er damals in Lausanne, wo die Konferenz stattfand, unter dem Tisch gelegen sein könnte. Er ist nicht mehr identifizierbar, aber immer noch da, das Thema des kurdischen Volkes immer wieder ungelöster Teil des Weltgeschehens. Der Link zur Schweiz ist für sie, dass Bundespräsident Pascal Couchepin 2008 die eigenartige Idee hatte, den Tisch dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan zu schenken und damit die neutrale Schweiz unverhofft (und ungeschickt) ins Thema einflocht.
Vielleicht um dem Thema ein paar politisch heikle Zähne zu ziehen, weitete Katharina Ammann das Thema auf die allgemeine Frage «was ist neutral» aus, zum Beispiel mit der ebenso originellen wie erschreckenden Installation von Kim de Motta (*2000 CH), die aufzeigen will, dass offenbar der Gang einer Person (ersichtlich in Überwachungskameras) via KI immer öfter als männliches oder weibliches Geschlechterzuweisungsmerkmal genutzt wird. Daher auch der Titel «How would I walk, had I never seen a woman walk». Die Besuchenden sind in einem Raum eingeladen auf einem Laufband zu gehen, was dann in einem anderen Raum quasi verarbeitet gezeigt wird. Und jede Menge Fragen aufwirft!
Alle Fotos: azw
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