Newsletter IX 2023
Thomas Huber – Lago Maggiore (01_01_2022) – Sammlung Zürcher Kantonalbank. MASI Lugano (Standort LAC). Foto: azw
Als ich aus Anlass der GV des Vereins „Amici di Sciaredo“ im Tessin weilte 1, besuchte ich auch das MASI (das Kunstmuseum des Kantons Tessin) in Lugano, insbesondere die Ausstellung „Lago Maggiore“ von Thomas Huber (noch bis 28. Jan. 2024). Spätestens seit der Retrospektive im Aargauer Kunsthaus 2004 bin ich Fan seiner zugleich verschlüsselten wie erzählerischen Bilder mitsamt der dazu gehörenden „Reden“.
https://annelisezwez.ch/2004/thomas-huber-im-aargauer-kunsthaus-in-aarau-2004/
Und nun das: Eine Werkschau, die ausschliesslich Bilder des Lago Maggiore zeigt, entweder nach Süden oder nach Norden, wobei die Landschaften ausgesprochen plastisch, zugleich aber seltsam unbeseelt dargestellt sind. Abgesehen vom Bild, welches das Kapitel gleichsam öffnet, sind immer dieselben Bergformationen und der See zu sehen, selten nur mit grünen Palmen oder einer Siedlung andeutungsweise lokalisiert.
Es komme nicht so sehr auf das Motiv an, sondern was man daraus mache, sagt der 68jährige in Berlin lebende Künstler im einführenden Video im Vorraum des für Sonderausstellungen reservierten Sousol. Dem kann man zustimmen, nur scheint einem im Fall des Lago Maggiore die Vielfalt doch sehr limitiert, insbesondere was den Malstil anbetrifft. Gewiss da ist das Abendrot, andernorts das Morgenrot, da sind Lichtreflektionen auf dem Wasser, da ist es Tag, dort Nacht, da sind die Farben winterlich kalt, dort sommerlich warm, da ist auch mal ein Nebelmeer, aber reicht das?
Das einleitende Bild heisst „Heimkehr“. Huber, der seit 40 Jahren in Deutschland lebt, meint damit seine Rückkehr in eine ihm seit seiner Kindheit am Zürichsee vertraute Landschaft mit Wasser und Bergen. Das Bild zeigt eine Art Schiffswerft mitten im See mit drei aufgehängten Booten und drei massiven Glocken (ein bekanntes Motiv in Hubers Werk), die so etwas wie Erinnerung symbolisieren könnten. Auffallend ist aber hier wie in der ganzen Ausstellung: Es fehlt der Mensch. Man glaubt eigentlich nirgendwo an eine reale physische Welt, obwohl man alles erkennt und benennen kann.
Auffallend unter einem ganz anderen Aspekt ist, dass mit wenigen Ausnahmen (z.B. oben abgebildetem Bild) praktisch alle Werke in Westschweizer Privatbesitz sind. Huber stellt regelmässig in Genf aus, sagt sogar, dass ihm durch die häufige Anwesenheit in der Romandie Felix Valloton plötzlich wichtig geworden sei. Nun ja, aber, um bei Hubers Worten zu bleiben, es ist eine Frage, was man aus einem Sonnenuntergang macht! Wichtiger als Genf ist ihm aber offensichtlich Lugano, wo er seit drei Jahren regelmässig „zuhause“ ist. Künstlerisch ist für mich abwarten angesagt.
Die Parterre-Räumlichkeiten der im 16. Jh. im Stil der Renaissancegotik erbauten «Alten Krone» in der Bieler Altstadt werden seit langen Jahren als Ausstellungsort genutzt. Betreiberin ist die Stadt Biel, welche die Räume bis 2020 juryfrei an Künstlerinnen und Künstler vermietete. Jekami. Vor zwei Jahren dann wählte die Kulturabteilung von Biel/Bienne Kristina Grigorjeva (*1990 in Tallin) und Camille Regli (*1990 in Lausanne) als Kuratorinnen (beide mit einem Master in «Curating» der ZHDK), mit dem Ziel der Bieler Kunstszene mehr internationale Strahlkraft zu geben.
Würden die beiden international gut vernetzten Ausstellungsmacherinnen das mit einem engagierten Vermittlungsziel angehen, wäre das ein Gewinn. Die Realität ist aber, dass praktisch niemand die nur während weniger Stunden pro Woche geöffneten Räume besucht geschweige denn sich ernsthaft mit den Themen wie «The Gleaners», «Mumbles slide along the sleeve» oder «Sweet Crip» (Bild: Sarah Azzeg queer und im Rollstuhl) auseinandersetzt. Man wird den Eindruck nicht los, die beiden jungen Frauen würden die Ausstellungen lediglich für ihre Palmares machen und sich einen Deut um ein mögliches Bieler Publikum scheren. Zwar gibt es jedes Mal einen Saaltext, aber oft in einer kunsttheoretischen Sprache verfasst, welche ein breites Publikum schlicht nicht versteht.
Bewusst besuche ich alle Ausstellungen – kritisieren darf nur, wer tatsächlich da war – aber willkommen fühlte ich mich bisher kaum je, wobei – das sei durchaus eingestanden – ich auch die «falsche» Generation bin.
Das heisst nicht, dass die Ausstellungen schlecht sind, nein, sie leben nur nicht. An der Finissage der «Gleaners» (nach Millets Ährenleserinnen) wurde z.B. der Film «The Gleaners and I» der französischen Filmemacherin Agnès Varda (1928-2019) gezeigt, der das Thema jener die vom Übriggebliebenen leben eindrücklich und differenziert beleuchtete. Vielleicht waren die Kuratorinnen da, aber begrüsst wurde niemand.
Auch die Ausstellung der 28jährigen Bieler Künstlerin Leolie Greet (und Gästen) hat mich berührt. «Mumbles slide along the sleeve» meint soviel wie das, was wir sagen wollen, aber nicht über die Lippen bringen, nur ein unverständliches Murmeln ist. Greet visualisierte das Thema u.a. mit feinen Vorhängen im Raum, mit geknautschten Kleidungsstücken, die von der Decke hängen und einer Kette mit glänzend bemalten Murmel-Perlen aus Gips. Die sinnlich-poetische Ausdrucksweise, die nahe am Körperempfinden agiert, ist mir schon in früheren Ausstellungen (u.a. im Rahmen des Prix Kunstverein 2021) aufgefallen. Aber auch hier: Keine Vernissage-Ansprache, keine Führung, kein Gespräch mit der Künstlerin. So verpufft in der von der Stadt Biel, dem Kanton Bern, der Burgergemeinde Bern, der Pro Helvetia, dem Migros Kulturprozent finanzierten «Couronne» viel Kunst im luftleeren Raum. Sehr schade.
Eine ganz andere Ausstellung: «We’ve lost» von Guy Ben Ner (*1969 Tel Aviv) im Kunstmuseum Luzern. Grundsätzlich habe ich eher Mühe mit Ausstellungen, die praktisch nur Video-Arbeiten zeigen. Auch bei Guy Ben Ner faszinierte mich zuerst der «Treehouse Kit» – ein Bausatz für ein Baumhaus, den er missinterpretiert und mit den Bau- wie den Wohnungseinrichtungsteilen einen Hausbaum konstruiert. Ein Video zeigt dabei den fortschreitenden Arbeitsprozess.
Selbstironischer Humor kennzeichnet das ganze Schaffen von Guy Ben Ner, ob es sich dabei um eine Familiengeschichte, um die Tradition des Judentums oder um eine politische Intervention im öffentlichen Raum handelt. Stets hat der Film-Künstler das Lachen und den Goodwill der Zuschauer*innen auf seiner Seite – die politische Botschaft, die z.B. hinter dem Diebstahl von Leuchtbuchstaben aus Reklamen-Logos, die schliesslich zusammen die Worte «We’ve lost» – den Titel der Luzerner Ausstellung – ergeben, erschliesst sich aber gleichwohl sehr schnell. Obwohl ich Videos wie «Moby Dick» – das absurde Theater von Vater und Tochter in der Familien-Küche – genossen habe (eine Parodie eigener Erinnerungen!), hat mich das Video, in dem Ben Guy Ner, der auch als Dozent in Tel Aviv tätig ist, in einem Asylzentrum für eritreische und sudanesische Flüchtlinge diese in Methoden des Filmens einführt, tiefer berührt – gerade auch jetzt in der von Hass geprägten Kriegssituation zwischen Israel und den Palästinensern.
Fussnote:
1 Mein Bericht zum Projekt des Stipendiaten 2023 der «Amici di Sciaredo», Lorenz Olivier Schmid, findet man nebenan.
Als ich aus Anlass der GV des Vereins „Amici di Sciaredo“ im Tessin weilte 1, besuchte ich auch das MASI (das Kunstmuseum des Kantons Tessin) in Lugano, insbesondere die Ausstellung „Lago Maggiore“ von Thomas Huber (noch bis 28. Jan. 2024). Spätestens seit der Retrospektive im Aargauer Kunsthaus 2004 bin ich Fan seiner zugleich verschlüsselten wie erzählerischen Bilder mitsamt der dazu gehörenden „Reden“.
Und nun das: Eine Werkschau, die ausschliesslich Bilder des Lago Maggiore zeigt, entweder nach Süden oder nach Norden, wobei die Landschaften ausgesprochen plastisch, zugleich aber seltsam unbeseelt dargestellt sind. Abgesehen vom Bild, welches das Kapitel gleichsam öffnet, sind immer dieselben Bergformationen und der See zu sehen, selten nur mit grünen Palmen oder einer Siedlung andeutungsweise lokalisiert.
Es komme nicht so sehr auf das Motiv an, sondern was man daraus mache, sagt der 68jährige in Berlin lebende Künstler im einführenden Video im Vorraum des für Sonderausstellungen reservierten Sousol. Dem kann man zustimmen, nur scheint einem im Fall des Lago Maggiore die Vielfalt doch sehr limitiert, insbesondere was den Malstil anbetrifft. Gewiss da ist das Abendrot, andernorts das Morgenrot, da sind Lichtreflektionen auf dem Wasser, da ist es Tag, dort Nacht, da sind die Farben winterlich kalt, dort sommerlich warm, da ist auch mal ein Nebelmeer, aber reicht das?
Das einleitende Bild heisst „Heimkehr“. Huber, der seit 40 Jahren in Deutschland lebt, meint damit seine Rückkehr in eine ihm seit seiner Kindheit am Zürichsee vertraute Landschaft mit Wasser und Bergen. Das Bild zeigt eine Art Schiffswerft mitten im See mit drei aufgehängten Booten und drei massiven Glocken (ein bekanntes Motiv in Hubers Werk), die so etwas wie Erinnerung symbolisieren könnten. Auffallend ist aber hier wie in der ganzen Ausstellung: Es fehlt der Mensch.
Man glaubt eigentlich nirgendwo an eine reale physische Welt, obwohl man alles erkennt und benennen kann.
Auffallend unter einem ganz anderen Aspekt ist, dass praktisch alle Bilder in Westschweizer Privatbesitz sind. Huber stellt regelmässig in Genf aus, sagt sogar, dass ihm durch die häufige Anwesenheit in der Romandie Felix Valloton plötzlich wichtig geworden sei. Nun ja, aber, um bei Hubers Worten zu bleiben, es ist eine Frage, was man aus einem Sonnenuntergang macht! Wichtiger als Genf ist ihm aber offensichtlich Lugano, wo er seit drei Jahren regelmässig „zuhause“ ist. Künstlerisch ist für mich abwarten angesagt.
Die Parterre-Räumlichkeiten der im 16. Jh. im Stil der Renaissancegotik erbauten «Alten Krone» in der Bieler Altstadt werden seit langen Jahren als Ausstellungsort genutzt. Betreiberin ist die Stadt Biel, welche die Räume bis 2020 juryfrei an Künstlerinnen und Künstler vermietete. Jekami. Vor zwei Jahren dann wählte die Kulturabteilung von Biel/Bienne Kristina Grigorjeva (*1990 in Tallin) und Camille Regli (*1990 in Lausanne) als Kuratorinnen (beide mit einem Master in «Curating» der ZHDK), mit dem Ziel der Bieler Kunstszene mehr internationale Strahlkraft zu geben.
Würden die beiden international gut vernetzten Ausstellungsmacherinnen das mit einem engagierten Vermittlungsziel angehen, wäre das ein Gewinn. Die Realität ist aber, dass praktisch niemand die nur während weniger Stunden pro Woche geöffneten Räume besucht geschweige denn sich ernsthaft mit den Themen wie «The Gleaners», «Mumbles slide along the sleeve» oder «Sweet Crip» (aktuell) auseinandersetzt. Man wird den Eindruck nicht los, die beiden jungen Frauen würden die Ausstellungen lediglich für ihre Palmares machen und sich einen Deut um ein mögliches Bieler Publikum scheren. Zwar gibt es jedes Mal einen Saaltext, aber oft in einer kunsttheoretischen Sprache verfasst, welche ein breites Publikum schlicht nicht versteht.
Bewusst besuche ich alle Ausstellungen – kritisieren darf nur, wer tatsächlich da war – aber willkommen fühlte ich mich bisher kaum je, wobei – das sei durchaus eingestanden – ich auch die «falsche» Generation bin.
Das heisst nicht, dass die Ausstellungen schlecht sind, nein, sie leben nur nicht. An der Finissage der «Gleaners» (nach Millets Ährenleserinnen) wurde z.B. der Film «The Gleaners and I» der französischen Filmemacherin Agnès Varda (1928-2019) gezeigt, der das Thema jener die vom Übriggebliebenen leben eindrücklich und differenziert beleuchtete. Vielleicht waren die Kuratorinnen da, aber begrüsst wurde niemand.
Auch die Ausstellung der 28jährigen Bieler Künstlerin Leolie Greet (und Gästen) hat mich berührt. «Mumbles slide along the sleeve» meint soviel wie das, was wir sagen wollen, aber nicht über die Lippen bringen, nur ein unverständliches Murmeln ist. Greet visualisierte das Thema u.a. mit feinen Vorhängen im Raum, mit geknautschten Kleidungsstücken, die von der Decke hängen und einer Kette mit glänzend bemalten Murmel-Perlen aus Gips. Die sinnlich-poetische Ausdrucksweise, die nahe am Körperempfinden agiert, ist mir schon in früheren Ausstellungen (u.a. im Rahmen des Prix Kunstverein 2021) aufgefallen. Aber auch hier: Keine Vernissage-Ansprache, keine Führung, kein Gespräch mit der Künstlerin. So verpufft in der von der Stadt Biel, dem Kanton Bern, der Burgergemeinde Bern, der Pro Helvetia, des Migros Kulturprozents finanzierten «Couronne» viel Kunst im luftleeren Raum. Sehr schade.
Eine ganz andere Ausstellung: «We’ve lost» von Guy Ben Ner (*1969 Tel Aviv) im Kunstmuseum Luzern. Grundsätzlich habe ich eher Mühe mit Ausstellungen, die praktisch nur Video-Arbeiten zeigen. Auch bei Guy Ben Ner faszinierte mich zuerst der «Treehouse Kit» – ein Bausatz für ein Baumhaus, den er missinterpretiert und mit den Bau- wie den Wohnungseinrichtungsteilen einen Hausbaum konstruiert. Ein Video zeigt dabei den fortschreitenden Arbeitsprozess. Selbstironischer Humor kennzeichnet das ganze Schaffen von Guy Ben Ner, ob es sich dabei um eine Familiengeschichte, um die Tradition des Judentums oder um eine politische Intervention im öffentlichen Raum handelt. Stets hat der Film-Künstler das Lachen und den Goodwill der Zuschauer*innen auf seiner Seite – die politische Botschaft, die z.B. hinter dem Diebstahl von Leuchtbuchstaben aus Reklamen-Logos, die schliesslich zusammen die Worte «We’ve lost» – den Titel der Luzerner Ausstellung – ergeben, erschliesst sich aber gleichwohl sehr schnell. Obwohl ich Videos wie «Moby Dick» – das absurde Theater von Vater und Tochter in der Familien-Küche – genossen habe (eine Parodie eigener Erinnerungen!), hat mich das Video, in dem Ben Guy Ner, der auch als Dozent in Tel Aviv tätig ist, in einem Asylzentrum für eritreische und sudanesische Flüchtlinge diese in Methoden des Filmens einführt, tiefer berührt – gerade auch jetzt in der von Hass geprägten Kriegssituation zwischen Israel und den Palästinensern.
1 Mein Bericht zum Projekt des Stipendiaten 2023 der «Amici di Sciaredo», Lorenz Olivier Schmid, findet man nebenan.