Newsletter VII 2023
Bex&Arts: Moni Wespi (*1977 Ossingen, lebt in Almens). Video-Still aus „Dancing Ages“, 2020. Foto: azw
Da ich in meinem Alter offiziell immer Ferien habe, ist mir die Fülle der gleichzeitig neu angekündigten Herbst-Ausstellungen eigentlich schon zu viel. Ich renne teils immer noch den bisher verpassten Sommer-Ausstellungen hinterher. An die Freilicht-Triennale in Bex z.B. wollte ich Ende Sommer fahren, wenn es nicht mehr so heiss ist…2023 ein Trugschluss! Entsprechend k.o. war ich nach dem Parcours. Aber: Es lohnte sich. 2023 ist eine gute Ausgabe von Bex&Arts. Kuratorin Eleonore Varone setzte weniger auf nationale Zugpferde als vielmehr auf neue Namen – oft Kollektive – die nicht nur von der Bildenden Kunst her kommen, sondern ev. auch vom Design, von der Szenographie, der Bühne, dem Film u.a.m. was sich bezüglich des Ideenreichtums keineswegs negativ auswirkt. Was nicht bedeutet, dass Altmeister Olivier Estoppey (*1951) fehlen würde. Sein Beton-Paar auf einem massivem, metallenen Sockel (BILD) ist eine Wucht – wie all seine früheren Beiträge.
Das Thema? «Vivement demain», was vereinfacht formuliert, vielleicht Blicke vom Heute ins Morgen, meint; positive, negative, nachdenkliche, hoffnungsvolle, poetische, geheimnisvolle.
Neben der Ausstellung als solcher, fiel mir vor allem der gepflegte Zustand des Parks-Geländes wie auch der Werke auf, die immerhin schon seit Mitte Mai vor Ort sind. Dass einige mit Wasser spielende Probleme mit der Trockenheit haben, ist nicht ihre Schuld!
Highlights sind subjektive Einschätzungen. Eines ist für mich die Installation «Moonrucker» (2010-2023) von Sonja Feldmeier (Basel). Im unterirdischen, mittels einer Folie in Blau getauchten Bunker zeigt sie ein Moped mit rotem Sattel, das durch eine Vielzahl von Hirschgeweihen in ein surreales Speedgerät verwandelt ist, aber – aus welchen Gründen auch immer – sorgsam unter Verschluss gehalten wird (BILD links). –
Eigenwillig subversiv sind die art brut-artigen Köpfe /Figuren von Augustin Rebetez (Mervelier). Sie wirken wie Wächter am Eingang zur Ausstellung, scheinen aber wie einer anderen Kunst-Epoche entsprungen. Dieses Anti-Elitäre, Volksnahe, Tabus Brechende gehört indes zur Haltung Rebetez’ wie das kürzlich die Schau im Aargauer Kunsthaus eindrücklich zeigte.(BILD rechts)
Eine wunderschöne Arbeit stammt von Moni Wespi (Almens/GR). Die Tänzerin, Choreographin und Video-Künstlerin hat mit «Dancing Ages» – zu sehen in einem kleinen, hölzernen Kuppelbau im Gelände des Parks – eine geradezu mystische Begegnung eines älteren Paares in einer verschneiten Berggegend in Slow-Motion inszeniert, die inmitten unserer bedrückenden Zeit einen Moment des Glücks heraufbeschwört und sei es auch nur ein Traum. (Siehe Titelbild)
Die Arbeit des Kollektivs JocJonJosch (London/Zürich) ist ein eindrückliches Beispiel wie sich künstlerische Intentionen in der Rezeption verwandeln können, wenn sie ohne Zusatzinformationen betrachtet werden. Zu sehen sind drei formlose Haufen von Tonköpfen, die halb überwachsen im Gras liegen. Sofort stellt sich – heutzutage – der Gedanke an ein (Kriegs)-Verbrechen ein und man erschaudert. Für die drei Künstler hingegen ist es, wie im Begleittext steht, eine Untersuchung zur Fragilität und Wandelbarkeit ihrer kollektiven Künstlerschaft.
Obwohl rundum reich, sei nur eine Arbeit noch erwähnt, jene von Lucia Hürzeler (Solothurn/Genf), die seit Jahren umtreibt, wie es wäre mit Wölfen zusammen im selben Gehege zu schlafen. Nun hat sie ein Buch dazu herausgegeben und zur Visualisierung in Bex die bereits 2015 entstandene Nachbildung ihres Körpers in Schlafstellung (Bild: 2015) für eine Nacht im Park platziert und fotografiert, was nun von einer Art Hochsitz aus via einen statischen Dia-Betrachter einsichtig ist. Versetzt man sich selbst in die Situation, wird die Arbeit körperlich nah und emotional reich.
Orts- und Zeit-Wechsel. Basel M54 (Mörsackerstrasse 54), der grosse helle renovierte Schau-Raum der Visarte Basel. Zu Gast: Die Stiftung Cristina Spörri. Zu sehen: Eine limitierte Teil-Retrospektive des zumeist grossformatige Bilder umfassenden Schaffens der Basler Künstlerin Cristina Spörri (1929-2013). Dazu eine kleine Monographie im Christoph Merian Verlag. Der erste Eindruck: Die Bilder kommen im M54 sehr schön zur Geltung und wirken in keiner Weise «verstaubt». Insbesondere die Bilder aus den frühen 1970er-Jahren bestechen durch ihre Kraft und Entschlossenheit.
1972, das war für die Frauen noch fast so etwas wie Mittelalter! Die Zahl der Künstlerinnen, die sich an Formate von 174 x 160 cm und mehr wagten und sich damit am Kunstbetrieb massen, war noch sehr klein (Verena Löwensberg möglicherweise). Dennoch passierte Eigenartiges: Die vor 1940 geborenen Künstlerinnen wurden selten Feministinnen im Sinne einer intensiven Beschäftigung mit dem eigenen Ich und seiner Stellung in der Gesellschaft. Cristina Spörri engagierte sich im Rahmen ihrer kulturpolitischen Tätigkeit (z.B. in der Kunstkredit-Kommission) sehr für Frauenförderung. Aber sie selbst blieb ihren konstruktiven Kompositionskonzepten treu. Das führte dazu, dass die junge Garde (Künstlerinnen und Kritikerinnen) sie bei aller generationenbezogenen Wertschätzung als retro einstuften und ihr der Anschluss an die Jungen nicht gelang (ihn vielleicht gar nicht anstrebte). Es kam hinzu, dass sie bürgerlich verheiratet war, was die junge linke Kunstszene sowieso ablehnte.
Aus heutiger Sicht, ist das nicht mehr relevant. Und darum ist eine Neueinschätzung ihres Schaffens notwendig, was ja sicher auch Ziel der Ausstellung ist. Aber der Monographie-Text von Isabel Zürcher – die ich als Publizistin grundsätzlich ausgesprochen schätze – tut sich hier schwer. Sie wirft der Künstlerin verhalten vor, ihre Bilder würden ihre Suche nach einer spirituellen Dimension nicht einlösen, blieben zuweilen im Grafisch-Gestalterischen stecken.
Klar sind nicht alle Bilder im gleichen Mass Top-Qualität, aber über alle im M54 gezeigten Werke hinweg entspricht dies meiner Sichtweise nicht. In den 1970er-Jahren als Cristina Spörri diese Zielsetzung formulierte, waren wir alle auf der Suche nach dem Jenseits im Diesseits. Esoterik war (noch) kein Schimpfwort, sondern allgegenwärtig. Und wer dieses Mehrschichtige, das wolkig-vage und das definierte der räumlichen Komposition anschaut, findet ihr Suchen sehr wohl. In einem hier sinngemäss wiedergegebenen Zitat von Jean-Christoph Amman von 1989 beschreibt dieser sehr schön, wie das wandern in den malerischen Räumen immer wieder neue Dimensionen erleben lasse.
Es gäbe mehr – dran bleiben!