Newsletter II 2024

 

Jeff Wall; «A Sudden Gust of Wind (after Hokusai)» 1993. Aktuell in der Ausstellung Jeff Wall in der Fondation Beyeler in Riehen. Foto: azw (leider mit Reflexen)

Will man einen Newsletter schreiben, so gilt es zuerst zu überlegen welche Themen (Ausstellungen) denn überhaupt in Frage kommen. Was hat man im letzten Monat gesehen? Was ist bedeutend genug, um besprochen zu werden? Aktuell: Jeff Wall bei Beyeler in Riehen, Kratky und seine Gegenwart in Bümpliz/Bern, Flavio Paolucci bei Ditesheim in Neuchâtel, Uwe Wittwer bei Kilchmann und Christoph Rütimann bei Mai 36 in Zürich, «Immersion» und T.A. Steinlen in MCBA in Lausanne, René Zäch in Biel, huber.huber in Olten und weiteres. Ausser bei «Immersion» und Kratky alles Männer? Mmh… Beginnt hier der erwartete Ausgleich zum «Must» von Frauen-Ausstellungen in den letzten Jahren? Es ist zu früh für eine Aussage, aber es gilt, die Entwicklung zu beobachten.

Jeff Wall ist gesetzt; seine Ausstellung ist grandios. Flavio Paolucci auch – es ist unglaublich, wieviel der 90jährige Tessiner noch immer schafft. Kratky dito, denn da taucht einer aus dem Urgrund des Legendären an die reale Oberfläche.

Ich hatte das Glück, mich rechtzeitig für den Vortrag von Jeff Wall angemeldet zu haben und konnte somit seine Überlegungen zur Ausstellung aus erster Hand hören. Wall ist kein Kommunikator – das wusste man schon immer, aber es bestätigte sich. Das begann schon damit, dass er selbst bei einem Vortrag eher bei sich ist als beim Publikum. Ich habe deswegen auch nicht alles bis ins Detail verstanden. Aber dennoch wurde eindrücklich fühlbar, wie sehr jede Fotografie – ob Print oder Leuchtkasten, ob in den 1980ern oder in den 2020er-Jahren – eine ebenso visuelle wie konzeptuelle Inszenierung ist. Als wäre der Künstler Autor, Bühnenbildner und Regisseur in einem. So wundert es letztlich nicht, dass Jeff Walls Oeuvre «nur» knapp 200 Werke umfasst. Nur in ausdauernder Beschäftigung mit einem Bild, kann eine Verdichtung gelingen, die letztlich ein Universum öffnet. Wobei es verschiedenste Universen gibt – existentielle, sachliche ebenso wie humorvolle, ja gar surreale. Ich liebe letztere besonders.

Da ist zum Beispiel das Grossbilddia mit dem Titel «A Sudden Gust of Wind (after Hokusai)» von 1993. Eine Gruppe von Menschen trifft sich an einem bewölkten Wintertag auf einem Feld, das von einem Gewässer durchstossen ist. Die Person links hält einen Stapel Papiere in der Hand, der auf eine Besprechung in einem planerischen Kontext hinweist. Sie könnte die Initiantin sind, neben ihr der Landwirt,(?) dann der Investor und ein Assistent. Doch da kommt eine kräftige Windböe, die nicht nur die Papiere wie Drachen aufsteigen lässt, sondern auch den Hut des städtisch Gekleideten in die Lüfte weht. Blitzartig wird das Basisthema zur Nebensache, der Wind wird zum Akteur des Bild-Geschehens. Und es schleicht sich die Freude des stets gesellschaftspolitisch denkenden Künstlers mit ein, einem Konsortium ein Schnippchen geschlagen zu haben, was durchaus hintergründig zu verstehen ist.

Dann spricht Jeff Wall in Bezug auf die Hängung immer wieder von Ähnlichkeiten, die ihm wichtig seien. Das ist bei Wall nicht äusserlich zu verstehen. Die eindringlichste Kombination ist für mich die Gegenüberstellung des immer wieder unter die Haut gehenden Leuchtkastens von «Dead Troops Talk», in dem Wall ein fiktives «Gespräch» von Soldaten, die bei einem Überfall in Afghanistan getötet wurden, inszenierte (6 Jahre nach dem überlieferten Ereignis). Diesem Bild stellt er über Eck ein Aufnahme gegenüber, die eine scheinbar heitere Situation zeigt. In einem mit Gegenständen vollgestopften Vereins-Schuppen rupfen und zerlegen drei wohlgelaunte Frauen gut gemästete Truten. Vielleicht für ein abendliches Fest des Vereins. Doch plötzlich bleibt einem das Lachen im Hals stecken und die toten Truten übernehmen die Aufmerksamkeit und vernetzen sich emotional mit den Soldaten, ohne dass dafür eine Erklärung notwendig wäre.

Nicht immer sind die «Ähnlichkeiten» so tiefgreifend, aber dass die Ausstellung für Wall ein «Gespräch» zwischen seinen Bildern ist, liegt mit seinem Hinweis auf der Hand.

THOMAS KRATKY kam 1968 als 7Jähriger aus der Tschechoslowakei in die Schweiz. Während einer mehrmonatigen Reise nach Portugal und Spanien (1980) erkennt er über intensives zeichnen, dass er in bildnerischem Gestalten einen Ausdruck für seine inneren Widersprüche finden konnte. In nur 8 Jahren schuf er ein figürliches, zunächst expressives, zuletzt besänftigtes malerisches und zeichnerisches Oeuvre. Durch seine charismatische Persönlichkeit, seinen Hunger nach Austausch mit anderen Kunstschaffenden wurde er im Raum Bern in kürzester Zeit zu einem Magnet, ja zu einer Instanz und nach seinem frühen Tod 1988 zu einer legendären Kultfigur.

Sein Nachlass befindet sich in der Art Nachlass-Stiftung in Bern-Bümpliz. So war denn dies der Ort, wo – auf Initiative von Filip Haag – eine räumlich limitierte Rekonstruktion der damaligen Zeit stattfand, mit Werken von Kratky, aber auch den Kunstschaffenden rund um ihn herum, wie Albrecht Schnider, Alois Lichtsteiner, Dorothee Sauter, Vesna Bechstein, Filip Haag u.a. Ausgesprochen erhellend war ein sehr gut besuchte Diskussionsrunde mit Albrecht Schnider, Ulrich Look und Vesna Bechstein, moderiert von Haag. 36 Jahre nach dem Tod von Kratky musste niemand mehr auf irgendetwas Rücksicht nehmen und so schälte sich, insbesondere in den Voten von Schnider, der zeitweise in engem Kontakt zu Kratky stand, die Persönlichkeit des Künstlers zwischen Anspruchshaltung, Widerspruch und der Sehnsucht Gott und die Welt zu vereinen, heraus. Ulrich Look, der in der Kunsthalle Bern die letzte, schliesslich bereits posthume, Ausstellung kuratierte, fragte eindringlich nach den Gründen für den Wandel zum poetischen Spätwerk, das in beruhigten, farbbetonten Formen ein stilles und überaus poetisches Beisichsein ausstrahlt. Auch wenn hier keine schlüssige Antwort gefunden wurde, so bleibt sie doch Teil des Enigmas Tomas Kratky. Die gezeigten Werke (im Bild: Kleines Tryptichon von 1985) zeigten vorwiegend den frühen, von verschiedensten psychischen Kräften hin und hergerissenen Künstler, was gerade als Ausgleich zu den bekannteren Spätwerken, ausgesprochen spannend war.  (Die Ausstellung ist vom 23. März bis 28. April in veränderter Form in der Villa Renata in Basel zu sehen.)

An zwei direkt aufeinanderfolgenden Tagen besuchte ich die Ausstellungen von FLAVIO PAOLUCCI in der Galerie Ditesheim & Maffei in Neuchâtel respektive HUBER.HUBER in Olten. Beide beschäftigen sich mit der Natur. Doch während die Werke des 90jährigen Tessiners in der ihm seit den 1970er-Jahren eigenen Bildsprache (siehe Foto) von der „Forza della natura“ erzählen, gestalten Markus&Reto Huber (*1975) Fotos, Videos, Objekte, Installationen das Gegenteil, nämlich „Das  Verschwinden“ (so der Titel der Ausstellung). Das Verschwinden der Gletscher, der Rückgang der Artenvielfalt, die Folgen der Klimaerwärmung und mehr.  Der Optimist versus die Pessimisten? Jein – weder ist Paolucci blauäugig noch verneint das Brüderpaar die Urkraft der Natur, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass beide mit den Mitteln der Poesie arbeiten.

Aber während die Malerei und Collage verbindenden Bilder und die Skulpturen von Flavio Paolucci die Vision eines kleinen grünen Hauses, getragen von einem langen Ast und einem einzigen Blatt metaphorisch evoziert, erzählen huber.huber, was Sache ist, wenn auch bewusst nicht mit dem Holzhammer!  In einem Video von 2022 z.B. zeigen sie eine  blühende Steppenkerze und Blätter einer mexikanischen Bergpalme in den Farben eines betörenden Sonnenuntergangs – doch die Schönheit währt nicht lange, das «Purpurlicht» stammt von Waldbränden allüberall auf der Welt und verzehrt schliesslich auch die blühende Kerze. – Die Ausstellung ist von einem ausführlichen Saaltext begleitet, der die Hintergründe zu jedem Werk erläutert. Dieser niederschwellige Einstieg in die Werke ist einerseits familientauglich, birgt aber auch die Gefahr einer Entzauberung hin zu einer Ausstellung als Lehrgang in Sachen Umweltzerstörung. Als wüssten wir nicht schon alle längst um die Gefahren für den Planeten Erde.

Da sind mir subtilere Arbeiten lieber – zum Beispiel die Seifenblasenmaschinen, bei denen das Seifenwasser mit Tusche angereichert ist, sodass die zerplatzenden Kugeln hässliche graue Flecken auf dem ausgelegten Papier hinterlassen. Ein unkommentiertes, eindrückliches Bild für all den Feinstaub in unserer Umwelt.

Problematisch ist, dass die Haupt-Installation im grossen Parterre-Raum nicht wirklich überzeugt. Da hängen gläserne «Eiszapfen» von der Decke. Das Tropfen zeigt sich in Plexiglaspfützen am Boden oder ist in Plastikbecken verschiedenster Grösse und Farbe aufgefangen (ebenfalls Plexiglas). Die zurzeit viel beschworene «Immersion» – das heisst, dass man sich in der Installation bewegen kann – funktioniert nicht, da man nicht Gefahr läuft nass zu werden. Sorry, aber da  passiert bei mir einfach nichts  (es sei denn ich verwandle die Installation in ein Sinnbild für den schlechten baulichen Zustand des Museums!)

Gerne wiedergesehen habe ich aber die Installation mit den durch Licht und Wasser entstehenden Regenbogen und auch die mit einer Salzschicht «glasierten» Korallen (Keramik) in  einer Vielzahl von Glaskuben sind in ihrer stillen Vieldeutigkeit ein Gewinn für die Ausstellung (wäre da nur nicht die Erinnerung an die einzigartigen «Aquarien» mit den versalzenen Meerespflanzen von Julian Charrière von 2016).

Zu guter Letzt noch ein Hinweis auf die zweite Ausstellung in Olten: «Schatzkammer Sammlung». Es ist bereits die 7te ihrer Art und diesmal vom Vorstand der «Freunde des Kunstmuseums Olten» kuratiert. Sie zeigt einmal mehr, welch hervorragende Sammlung das kleine, städtische Museum besitzt. Von den aktuell ans Licht geholten Werken sei z.B. ein wunderbares, kleines Werk von Serge Brignoni von 1931 (siehe Bild) erwähnt oder das Grossformat von Martin Schwarz, welches den Waldfriedhof von Davos mit dem Doppelgrab von Erna und Ernst Ludwig Kirchner in durch und durch kirchnerschem Stil zeigt. Ein Eye-Catcher ist auch das Tondo von Mario Comensoli, das die Helden der 1968er-Jahre in einer gemalten Collage vereint. Auch hier ist der Saaltext mit den Kommentaren des Kuratorenteams  respektive kleinen Hinweisen, wie und wann die Werke nach Olten kamen (z.B. das ikonische Werk von Meret Oppenheim «Da fliegt sie die Geliebte» von 1975).