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Newsletter IV 2025
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Corinne Odermatt (*1985) Soft Sculpture O.T. zu sehen in der Ausstellung Textile Manifeste im Museum für Gestaltung in Zürich. Foto: azw
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Themenausstellungen stehen und fallen mit dem Ideen- und Wissensreichtum der jeweiligen Kurator*innen. Mir fällt auf, dass gerade kleinere Institutionen hier vielfach besonders einfallsreich sind. Vermutlich weil die Einfrau- oder Einmann-Verantwortung ein höheres Mass an Freiheit gewährt. Aktuelle, positive Beispiele sind z.B. «Humanilia» im CACY in Yverdon (Rolando Bassetti) und «Eva Aeppli im Dialog» im Kunsthaus Zofingen (Eva Bigler).
«HUMANILIA» verbindet die lateinischen Wörter «humanitas» und «animalia»: es geht somit um die Nähe von Menschen und Tieren in Malerei, Zeichnung, Skulptur, Installation, Video. Bassetti zeigt wie oft nur ein bis zwei Werke pro Künstler*in, gibt diesen durch einen ausführlichen Guide de Visite Kontext und appelliert natürlich auch an die Besuchenden, weiter zu denken. Er ist – das weiss man mittlerweile – sehr gut vernetzt, agiert für
«sein» Haus stets regional, national und international (mit Schwerpunkt Lebens- und Arbeitsort Romandie naturellement). Mit Gina Fischli und Zilla Leutenegger (da poppt «Humanilia» sicherlich unmittelbar auf!) stammen indes auch zwei der elf Positionen aus der Deutschschweiz.
Das Konzept ist nicht auf eine These ausgerichtet, sondern auf grösstmögliche Vielfalt. Ein Highlight ist z.B. «Adagio» der Portugiesin Joana Vasconcelos (*1971): eine überdimensionierte Keramik-Schnecke mit einem wunderschönen Spitzenkleid. Der Körper nimmt Bezug auf ein Werk von Rafael Bordalo Pinheiro (1846-1905), der als ältester Comic-Künstler Portugals gilt, Vasconcelos verweist damit auf den schillernden Ansatz ihrer Kunst, lädt ein sich temporär in eine Schnecke im Hochzeitskleid zu verwandeln.
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Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Elisa Gleize (*1995, Genf) in ihrem Video «Cycle des nouveau vivants II» indem sie auf die digitalen Möglichkeiten eines virtuellen Universums hinweist.
Mehrere Arbeiten verweisen auf die zuweilen groteske Nähe von Mensch und Tier im häuslichen Lebensumfeld. Die Zürcherin Gina Fischli z.B. zeigt sie, indem sie ihren mit «Stoffblätzen» collagierten Gips-Hunden Namen wie «Gisèle», «Pierre», «Franca» gibt und sie auf Sockeln vor eine Werbe-Plakatwand mit imaginierten Reise-Destinationen setzt.
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Zweifellos durchflutet einem Wärme beim Anblick des frisch geborenen Kälbleins auf einem Heuballen, auch wenn sich der Anblick bei näherem Hinsehen in eine sehr eigenartige Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier verwandelt und wohl deswegen den verschlüsselten Titel «Moon’s Milk for Bone Poem» trägt (Juri Bizzotto *1998 Italien/Lausanne).
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«EVA AEPPLI IM DIALOG» im Kunsthaus Zofingen ist nicht eigentlich eine Themen-Ausstellung, sondern der Versuch, den Blick auf das Schaffen der vor 100 Jahren in Zofingen geborenen Künstlerin zu erweitern. Weder bei Augustin Rebetez, André Aerschmann, Anna Vujić noch Nici Jost gibt es direkte Bezüge zu der einst mit Jean Tinguely verheirateten, insbesondere durch ihre textilen, sitzenden Figuren und ihre genähten und in Bronze gegossenen Charakterköpfe bekannten Künstlerin. ABER, und das ist doch sehr erstaunlich, bei allen fliessen Energien, die bass erstaunen. Es ist hier und dort als sprächen die Figuren, griffen die Hände, öffneten die Gesichter ihre Münder.
Die 100sten Geburtstage von Jean Tinguely und Eva Aeppli haben international zahlreiche museale Ausstellungen hervorgerufen. Eine Doppelretrospektive zeigt z.B. das Lehmbruck Museum in Duisburg, wo auch die späten Gemeinschaftswerke der beiden zu sehen sind. – So gross kann Zofingen nicht einfahren. Da ging es vorerst darum zu wissen, wo Werke in Privatbesitz als Leihgaben erhältlich sind.
Hier kam Eva Bigler entgegen, dass sie z.B. wusste dass Eva Aeppli die Patin von Bernhard Luginbühls jüngster Tochter war und es da lebenslang Kontakte gab…
Doch das Besondere der Ausstellung ist der «Dialog», auch was den Umfang ihrer Werke anbetrifft. Wer hätte gedacht, dass sich Eva Aeppli und der «Wilde» aus dem Jura so viel zu sagen haben. Schon in der grossen Ausstellung Rebetez’ in Aarau fiel eine gewisse Nähe zu Luginbühl und Tinguely auf, so ist anzunehmen, dass er auch Aeppli kannte. Der Austausch ist aber nicht ein gezielter, sondern
wurzelt in einem Denken, das den Menschen als unberechenbares, von Prägungen jenseits der Ratio agierendes Wesen zeigt. Archaisches, Mystisches, Geisterhaftes, Dunkles klingt hier wie dort an; sehr schön z.B. in einem Bild Rebetez’, das Vögel mit spitzen Schnäbeln ineinander verflicht. Da scheinen sich die Figuren Aepplis mit in den Tanz zu mischen.
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Das Dunkle und der Tanz – zwei Momente, die in Zofingen Gewicht haben. Insbesondere im Barocksaal, wo in der Mitte, eine – mir bisher unbekannte – Figur mit hohlen Augen und versehrtem Gesicht und pupurfarbenem Kleid von 1975/76 sitzt. Immer wieder hat sich Aeppli auf den Krieg bezogen. Und da kommt nun als wandfüllende Projektion ein animiertes Video von Peter Aerschmann hinzu, das tanzende Marionetten in Soldatengestalt zeigt und den Raum in eine groteske Verbindung zu Eva Aepplis Figur bringt. Das geht unter die Haut geht.
Eigenartig: Wenn ich die Ausstellung vor dem inneren Auge aufleben lasse, kommt immer wieder eine Kohlezeichnung von 1964 ins Visier: Eine an Auschwitz gemahnende Figur, ausgemergelt, nahe am Tod.
Die Zeichnung will nicht weg, ist da und verbindet sich mit der gewagtesten Position des Dialogs, den grossformatigen Zeichnungen der Baslerin Anna Vujić aus der Serie «Just another fear». Sie zeigen eine beängstigende Weltvision, die Sterne vorgaukelt und den Menschen (die Frau) gleichzeitig zerschneidet.
Eine etwas leichter verdauliche Kontrastposition markiert die auf rosarot spezialisierte Badenerin Nici Jost rund um eine von Aepplis scheinheilig-hübschen Figuren aus der Serie «Les cinq roses» (1969/71). Treffend der Titel eines kleinen Silikon-Ohrs mit integriertem Video: «I spy with my little eye». Zentral ist aber eine Reihe von Makro-Aufnahmen der Falten des Rosen-Kleides, die danach fragt, wo der Körper aufhört (Aepplis Figuren sind ja mit Ausnahme von Kopf und Händen immer nur Stoff!).
TEXTILE MANIFESTE im Museum für Gestaltung in Zürich setzt sich in ganz anderer Weise mit dem Material «textil» auseinander. In einer die Besuchenden zunächst fast erschlagenden (und zugleich faszinierenden) Üppigkeit zeichnet Kuratorin Sabine Flaschberger die Bedeutung textiler Kunst seit der Bauhauszeit (vereinzelt gar bis zurück ins 15. Jh.) nach und betont ihre Verbindung mit der starken Präsenz des Textilen im zeitgenössischen Kunstschaffen. Es braucht einige Zeit bis man sich in der «Kathedrale» mit Mittelgang (Chronologie) und Seitenschiffen (verschiedene Arbeitsweisen und Themen) zurecht findet! Umsomehr als die Ausstellung auch einen dokumentarischen Anspruch hat. Das heisst, man will auch die vielfach unterschätzten Persönlichkeiten –
insbesondere mit der Kunstgewerbeschule Zürich in Verbindung stehende – würdigen. Das Museum für Gestaltung kann das nicht nur, aber weitgehend mit Werken aus seiner eigenen (immensen) Sammlung und über die bereits im «Textilen Garten» (2022) erprobte Zusammenarbeit mit der Fondation Toms Pauli in Lausanne. Als Beispiel: Die reiche Präsenz von Werken von Lissy Funk (1909-2005) von den frühen illustrativen Stickereien bis zu den späten, abstrakten Applikationen.
Der Titel «Textile Manifeste» hat eine Doppelbedeutung. Zum einen sind fast alle Künstler*innen in den Text-Blöcken mit einem Kernsatz zu ihrer Arbeit zitiert, zum andern will das Museum ganz offensichtlich die Ausstellung als Ganzes als Plädoyer für die lange verfemte Textilkunst verstanden wissen.
Zu Recht und untermauert durch zahlreiche grosse Ausstellungen in den letzten Jahren (Etel Adnan im Zentrum Paul Klee 2018, Magdalena Abakanowicz und Elsi Giauque in Lausanne 2024, um nur zwei zu nennen).
Mit der Textilkunst Vertraute erkennen manches wieder – z.B. die Raum-Elemente von Elsi Giauque – umso spannender sind die Entdeckungen, z.B. die Schnurmalerei von Margrit Schlumpf-Portmann (1931-2017) und dann vor allem auch die zeitgenössischen Positionen, darunter auch Männer! Genannt sei z.B. der bereits international erfolgreiche Textildesigner Rafael Kouto, der auf hochwertiges Modedesign aus recycelten Materialien (er nennt es Upcycling) setzt und ein eigenes Label betreibt.
Oder die farbgewaltigen, popartigen Soft Sculptures (Applikationen) von Corinne Odermatt (*1985 in Stans), die mit ihrer intensiven Sinnlichkeit unwiderstehliche Präsenz
ausstrahlen.
Nicht unerwähnt bleiben darf das Moment des Kollektiven, das im Textilen schon immer eine grosse Rolle spielte – man denke an Teppichknüpf-Gemeinschaften in Indien ebenso wie in Nordafrika. In Zürich ist das eindrücklichste Beispiel aber das «alphabet imaginaire», das Stephanie Baechler – eine der aktivsten und vielseitigsten Textilkünstlerinnen der Schweiz – mit einem Kollektiv von Student*innen geschaffen hat.
Ein virulentes Thema im aktuellen Kunstbetrieb sind «Nachlässe», denn mit den ab den 1960er-Jahren immer zahlreicher werdenden Kunstschaffenden, wächst jetzt und in Zukunft die Zahl der Künstler*innen, die nurmehr mit ihren Werken in unserer Welt präsent sind. Ein hervorragendes Beispiel von Nachlass-Verwaltung ist die ART-Nachlass-Stiftung in Bümpliz bei Bern, die einen eigenen Kunstraum betreibt und darin die vor Ort gelagerten Werke mit aktuellen Positionen ins Gespräch bringt. Aktuell: «Natures impact» mit Werken von Beatrix Sitter-Liver, Sylvia Hostettler, Erich Müller-Santis u.a.
Einen wahren Effort leisteten die Gemeinden Baden und Wettingen, indem die städtischen Galerien – der Kunstraum Baden und das Gluri Suter Huus in Wettingen – eine Doppelausstellung mit Werken der 2024 verstorbenen Simone Hopferwieser realisierten. Das war allerdings nur möglich, weil die Nachkommen mit von der Partie waren, was wiederum bedeutet, dass Nachlassverwaltung eben auch steht und fällt mit dem Einsatz der nachfolgenden Generation. Das bekannteste Beispiel hiezu ist sicherlich Felix Klee, der sich nach dem Tod seines Vaters (1940) ein Leben lang mit vollem Einsatz für dessen Werk einsetzte. Nun, nicht alle Nachlässe haben solches Potential und manches ist schlicht nicht für die Ewigkeit gültig.
Simone Hopferwieser (ledig Cottier) wurde 1927 in die bürgerliche Oberschicht der Industriestadt Baden geboren, heiratete um 1950 ohne Berufsausbildung und zog mit ihrem Mann nach Basel. Sich eingeengt fühlend sprengte sie die Fesseln, schrieb sich in die Klasse von Martin Christ an der Kunstgewerbeschule Basel ein. Ein sehr schönes, frühes Porträt zeugt von ihrer Befindlichkeit damals. Nach der Scheidung führte sie ein Geschäft für skandinavische Inneneinrichtung in Basel – eine Zeit, in der sie lernte, sich in der Geschäftswelt eine eigene Position aufzubauen (keine Selbstverständlichkeit für eine Frau in den 1960ern!).– Abseits der Öffentlichkeit arbeitete sie jedoch an Bildserien (Acryl auf Papier), die eine Art Suchbewegung zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion markieren.
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1971 kehrte sie nach Baden zurück, entwickelte hier ihr Hauptwerk zwischen Konstruktivismus, Op- und Popart. Mehr und mehr wurde sie nun in der Region als Künstlerin wahrgenommen, doch sie hatte das Pech zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, wie viele Künstlerinnen ihrer Generation. D.h. sie war keine 68erin, somit auch keine Feministin, interessierte sich nicht für Körper-Themen, war zudem (ab 1983 in zweiter Ehe) bürgerlich verheiratet. Mit ihrer Kunst entwickelte sie die Moderne für sich weiter, aber das interessierte in dieser Zeit nicht wirklich. Und so blieb ihr Schaffen – aus heutiger Sicht zu Unrecht – mehr oder weniger auf den Raum Baden limitiert. Es kam hinzu, dass sie sich ab 2000 mehr und mehr zurückzog – mit 73 und mehr Jahren mag man nicht mehr um Öffentlichkeit buhlen. Gleichwohl arbeitete sie weiter und schuf ein hervorragendes Spätwerk, das in den besten Werken die Höhepunkte ihres Schaffens zeigt: Klar konstruktiv, aber auch betont farbig, oft bewegt und niemals engen Parametern folgend. Bild: 2007 100 x 100 cm
Die Kuratorinnen – Sarah Merten und Patrizia Keller – haben das Werk im Vorfeld der Retrospektive schätzen lassen. Die so ermittelten Verkaufs-Preise sind sehr bescheiden, wie das bei Werken, die nicht in Auktionen gehandelt werden, heute vielfach der Fall ist. Mit Qualität hat das nichts zu tun, leider aber mit Markt!
Auch das Aargauer Kunsthaus hat in einer ersten Stellungnahme von einer Aufnahme in die Sammlung abgesehen. Es ist wahrhaft zu hoffen, dass eine vertiefte Beschäftigung mit dem Werk von Simone Hopferwieser diesen vorläufigen Entscheid noch revidiert, denn obwohl sich das Aargauer Kunsthaus als Haus der Schweizer Kunstgeschichte versteht, ist es auch das einzige Museum im Kanton Aargau!!
Alle Fotos: azw