- Newsletter X 2024
Christina Hemauer/Roman Keller „Paravento“ 2024 – zu sehen in der Ausstellung „Giardino di Acclimatazione“ in der Villa dei Cedri in Belinzona. Foto: azw
Lassen sie mich mit einem allgemeinen Aspekt beginnen: Den Saaltexten, welche Museen, Kunsthallen und Galerien auflegen, um den Besuchenden Hintergründe zu den ausgestellten Werken zu vermitteln. Das ist oft sehr hilfreich. Bei thematischen Ausstellungen besteht allerdings die Gefahr, dass damit das Publikum im Sinne der Kuratierenden manipuliert wird. Kürzlich ging mir das so unter die Haut, dass ich den Saaltext nicht mehr konsultierte, um nicht eine weitere Klatsche zu bekommen. Konkret spreche ich von «Giardino di Acclimatazione» in der Villa Cedri in Bellinzona. Aufgrund des Titels erwartete ich eine Ausstellung, die aufzeigt wie Kunstschaffende mit den heutigen Umwelt-Veränderungen umgehen. Von «Garten» war dann allerdings kaum die Rede, sondern fast nur von der «bösen» Welt, die alles zerstört. Ein einziges Werk habe ich entdeckt, das eine positive Möglichkeit aufzeigte, konkret einen Paravent von Christina Hemauer und Roman Keller (siehe Titelbild). Fasziniert haben mich weniger die Sonnenkollektoren darin als vielmehr die «Tillandsien», Pflanzen, die Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen und dabei Schadstoffe zu absorbieren vermögen. Für mich ist das Neuland und wenn auch erst eine Vision, so doch der Versuch einer Perspektive.
Vielleicht habe ich überreagiert, aber als selbst Klodin Erbs «Süsse Früchte» (siehe Bild) die «prekäre Situation unserer Existenz» thematisieren sollen, weil die teils exotischen, teils einheimischen Früchte in der Realität nicht nebeneinander existieren können, war das der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Ich bin alles andere als eine die Probleme der Natur verleugnende Person, aber es stellt sich die Frage, ob denn die Künstler*innen mit der Interpretation ihrer Werke einverstanden waren?
Die Antwort: Sie hatten nichts zu sagen, denn es handelt sich um eine Ausstellung mit Werken aus der Sammlung der Schweizerischen Post und der Villa dei Cedri – dem städtischen Museum von Bellinzona.
Hier nun das Positive: Ich wusste zuvor nicht, dass die Schweizerische Post eine grosse und vor allem qualitativ hochstehende Sammlung an Schweizer Kunst hat und diese auch aktuell stetig weiter äufnet. Und nicht nur das: dem programmatisch festgeschriebenen Blick auf die Peripherie entsprechend sind darin Kunstschaffende aus allen Schweizer Regionen vertreten und nicht einseitig urban und/oder kunstmarktorientiert. Nach einer ersten Sammlungspräsentation mit dem Titel «Fragile» in Chur im Frühjahr 2024 (habe ich nicht gesehen) war nun eine sehr andere Auswahl unter besagtem Titel in Bellinzona zu sehen. Die Kombination mit Werken der Villa dei Cedri sorgte für die Einbindung in die Südschweiz, z.B. mit Arbeiten der zur Zeit vielerorten zu sehenden Una Szeemann (Stichwort: Monte Vérita/Lo Locle). Ihre verkohlten Palmenüberreste (Bronze) thematisieren die Diskussion um die neuerdings als «Neophyten» taxierten und darum bereits vielerorten gefällten und verbrannten «Tessiner Palmen» (siehe Bild). Oder auch – wie könnte es anders sein! – Flavio Paolucci (*1934), dessen poetische Reduktion in «La foglia del nord» im programmatischen Saaltext «logischerweise» sogleich das Prädikat «prekär» erhält.
Summa summarum: Die Qualität der Ausstellung überzeugte mich über weite Strecken, man lasse sich aber nicht vom Saaltext kanalisieren.
Interessant ist, dass ich im Rahmen desselben Aufenthaltes im Tessin auch die in den 1930er-Jahren erbaute, mir bisher unbekannte «Fondation Bally» in der aufwändig renovierten Villa Helenum in Castagnola (Lugano) besuchte und daselbst eine Ausstellung unter dem Titel «Arcadia» sah. Vom Titel her erwartete ich eine eher romantische Ausstellung, die Bezug nimmt auf die 1930er-Jahre als sich das Tessin zur «Riviera der Schweiz» erklärte und ein auch bezüglich Gartengestaltung global-exotisches Image gab. Konkret vertraten dann aber nur einige Aquarelle von Hermann Hesse aus dieser Zeit dieses Credo. Im übrigen ging es darum wie Kunstschaffende in der heutigen Zeit ihr «Arcadien» finden. Somit ein Thema ganz ähnlich wie in Bellinzona, hier aber nicht primär Gletscherschwund &Co. beklagend, sondern eigene – keineswegs unkritische – Welten schaffend. Die ebenso aus der Schweiz wie aller Welt stammenden Künstler*innen wirken zwar etwas zusammengewürfelt, einzeln betrachtet, gibt es dennoch Ansätze, die zu gefallen vermögen.
Da ist z.B. die Idee von Julia Steiner (*1982 CH) mit einem fiktiven Luftzug Blätter und Blütenreste durch die Fenster ins Haus zu wehen und das Treppenhaus damit in ein zeichnerisches (Rest)-Arkadien zu verwandeln. Überraschend sind die drei Kopfporträts von Vanessa Beecroft, (*1969 I) von Performances her übertragene Büsten, welche eine Art verwitterte Ideale von einst verlebendigen. Mehr als nur verwittert sind die umgefallenen Säulen des griechischen Arkadien, die eh nur aus Plastikfolien aufgeblasen sind und somit immer schon eine Illusion, auch wenn sie jetzt durch Lichtspiele verlebendigt sind (Zuzanna Czebatul *1986 PL). Viele Arbeiten sind für die Ausstellung entstanden, so zeigt z.B. die zwei Räume umfassende Ausstellung in der Ausstellung von Virgile Ittah und Kai Yoda (beide *1985 – seit 2016 als Duo mit multikulturellem Hintergrund auftretend) das Resultat einer zweimonatigen Residenz vor Ort. Ausgehend von Leonardos Sant’Anna (Mutter/Kind/Lamm in bucolischer Landschaft) schufen sie eine ortsspezifische Installation, die in ihrer Üppigkeit und ihrem Weihrauch-Ambiente «arkadisch» sein mag, mich dennoch nicht so richtig in Bann zog (siehe Bild).
Auch in der Fondation Bally ist der Tessiner Bezug gegeben, insbesondere durch die märchenhafte, grossformatige Cyanotypie von Lisa Lurati (*1989), die einen imaginären magischen Garten zeigt. In diesen Sehnsuchts-Tenor stimmen auch die keramischen «Insekten-Häuser» des Franzosen Raphael Emine (*1986) im Innen- und Aussenraum der Villa, die in symbolischer Weise nicht nur nach Biodiversität rufen, sondern durch einen asiatischen Touch im Formalen auch nach dem Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen.
Der Saaltext – um das Thema weiter zu ziehen – ist informativ, ohne meinungslenkende Zusätze, gibt gerade so viel Fakten, dass man selbst weiter denken kann. Er enthält auch einen kurzen thematischen Abschnitt und verweist auf die Geschichte der von der französischen Tänzerin Hélène Bieber erbauten Villa, was alles in allem ein Rund ergibt.
Szenenwechsel:
Kurz vor Torschluss habe ich das reiche «Insert» von Walid Raad in den Sammlungsräumen des Zürcher Kunsthauses erlebt. Gerhard Macks Beschreibung im Kunstbulletin machte es zu Recht zu einem «Must» (ansonsten bin ich mit Besuchen im Kunsthaus Zürich eher zurückhaltend, da hier der «Museumspass» nicht gültig ist und somit der Eintritt teuer). Trotz seiner Beteiligung an der documenta 11 (2002) war mir der 57jährige Libanese mit Wohnsitz New York kein Begriff. Er arbeitet heute auch ganz anders als damals, d.h. anstelle der Auseinandersetzung mit der Geschichte Libanons ist eine theatralisch-performativ-literarische Auseinandersetzung zum Wesen der Kunst, des Sammelns von Kunst zwischen privaten Leidenschaften und musealen Verpflichtungen getreten. Walid Raad erweist sich dabei als genialer Erzähler, als eng mit seinem Thema Verbündeter, wobei der Peak die Fiktion ist, die Art und Weise wie er Fiktionales auf dem Grat zwischen möglich und unmöglich mit einer gewollten, unablässigen Verwirrung des Publikum vorantreibt.
Konkret sah das so aus: Er ging von einer Schenkung des Grafen Thyssen-Bornemisza (Villa Favorita/Lugano_Museum Madrid!) ans Kunsthaus Zürich aus, die sich in der Folge als eine Art Umkehr des Zeigens von Kunst erweist und gleichwohl eine wunderbare Hommage an die Magie der Kunst und die Leidenschaft des (privaten) Kunstsammelns ist.
Da ist zum Beispiel die Geschichte eines kostbaren Orientteppichs, der von seiner Grösse und Machart her eigentlich 25 kg schwer sein sollte, sich im konkreten Umgang damit aber als sooo schwer entpuppt, dass ihn niemand aufzuheben, geschweige denn an die Wände des Chipperfield-Baus in Zürich zu hängen vermöchte. Keine wissenschaftliche Studie, so Walid Raad, konnte das Phänomen bisher klären; es bewirkt aber, dass deshalb in der Ausstellung nur eine Foto davon gezeigt werden kann; eingebettet in die Geschichte ihres Ankaufs durch Thyssen-Bornemisza und dem Erbgang an seine Nachkommen. Gibt es eine schönere Geschichte zum Mehrwert von Kunst als eine, die Realwert und Erlebniswert zusammenzählt?
(Sie lässt mich im übrigen entfernt an eine Reihe des belgischen Duos Jos de Gruyter & Harald Thys [1]z.Zt. im Kunsthaus Biel denken, die in die Bilderrahmen einiger entfernt an Magritte erinnernden Werke je 40 kg Blei integrierten, um sie gewichtiger zu machen.)
Bild: Von diesen Werken darf laut „Heini“ nur die Rückseite gezeigt werden, da er entdeckte, dass die Rückseiten Himmelsdarstellungen zeigen.
Walid Raad brachte sich auch ganz persönlich ein, indem er anhand eines fotografischen Figuren-Fries all seine «Beziehungen» zu Thyssen-Bornemisza aufschlüsselt. Z.B. erzählt er – hier faktisch wohl richtig – dass das Schiff, mit dem er 1983 aus dem Libanon floh (um dem Militärdienst im Bürgerkriegsland zu entgehen) Fiona hiess und im Besitz der Werft von Thyssen war.
Reale Bezüge zur Zürcher Sammlung gibt es kaum in Walid Raads Schau. Eine erzählt davon, dass Thyssen offenbar 6 Collagen-Objekte von Christian Schaad (1894-1982) besass und dieses in Zürich nun zu seiner Freude mit dem 7ten der Reihe vereint wurde.
Walid Raad führte seine Inszenierung in sog. Walkthrough persönlich vor, die – wie Gerhard Mack schreibt – fulminant waren. Ich habe mich mit dem Audio-Guide begnügt und habe dadurch wahrscheinlich akustisch und tempomässig besser verstanden, was Raad sagte. Ich kann mir vorstellen, wer immer mich dabei anschaute, sah, dass ich ständig schmunzelte. Gratulation an das erneuerte Team des Kunsthauses, das solcherart aufschlussreiche und gedanklich nicht zu unterschätzende Experimente umsetzt.
N.B. En passant habe ich automatisch auch die kleine Ausstellung gesehen, die Werke des kanadisch-chinesischen Künstlers Matthew Wong (1984-2019) solchen von Vincent van Gogh gegenüberstellt. Es ist ein emotional berührender Kunstdialog, welcher nicht nur auf einer visuellen Wahlverwandtschaft beruht, sondern vor allem auch auf einer existenziellen, psychologisch-emotionalen. Und: Sie bringt van Gogh von einer von Kunstgeschichte überfrachteten Betrachtungsweise eindrücklich zurück in die Gegenwart. Nicht verpassen!
Auch wenn, wie immer, vieles auf der Strecke geblieben ist, höre ich hier für heute auf und melde mich später wieder zu Wort. – Annelise Zwez Ende Oktober 2024
Einzelnachweise