Newsletter V 2024

Apropos Hodler: Blick in die Ausstellung im Kunsthaus Zürich mit  Werken von Nicolas Party, Samian Baumann, Ugo Rondinone, Ferdinand Hodler, Roland Iselin. Foto: azw

Von den aktuell in Schweizer Museen laufenden Ausstellungen ist „Apropos Hodler“ im Kunsthaus Zürich die spannendste. Weil sie viel wagt und gewinnt.

Die grosse Gefahr war, dass die zeitgenössischen Positionen im Dialog mit Ferdinand Hodler (1857-1918) den mit unzähligen keineswegs nur schmeichelhaften Clichés behafteten Künstler schlicht und einfach demontieren. Das ist glücklicherweise nicht der Fall. Das hätte sich das unter der neuen Führung von Anne Demeester neue kuratorische Wege beschreitende Haus auch gar nicht leisten können. Denn als Besitzerin einer der grössten Hodler-Sammlungen hätte es sich damit selbst demontiert!

Das Erfolgsrezept ist meiner Ansicht nach, dass die von einem Kuratorenteam eingeladenen Kunstschaffenden sich nicht explizit mit Hodler beschäftigen, sondern in ihrem Werk analoge Themen bearbeiten wie z.B. Körperlichkeit, Landschaft, Rollen- und Genderfragen, Zeitgeschichte (Krieg/Kolonialismus) und mehr. Dass zumindest die Schweizer*innen das Werk von Hodler kennen, ist gleichwohl anzunehmen.

Besonders eindrücklich sind, in einer Art gegenläufiger Paralleliät, z.B. die Werke des Bergeller Malers Andriu Deplazes (*1993). Während die Figuren in den Landschaften Hodlers entweder männliche Kraft ausstrahlen oder symbolistisch dieser Welt entrückt wirken, strahlen jene Deplazes’ in unmittelbarer Emotionalität  (Nacktheit) Furcht und Ängstlichkeit aus. Auch die Landschaften rund um die Figuren stehen einander diametral gegenüber – hehre Berge und blühende Bäume hier, die versehrte, „blutende“ Natur da.

 

Erstaunlich und ausgesprochen anregend ist, dass die vertretenen Künstler*innen zwar mehrheitlich bekannt sind, aber mit wenigen Ausnahmen (z.B. Ugo Rondinone oder Latifa Echakhch ) nicht zu den Top Shots der Schweizer Kunstszene zählen (auch die internationalen Positionen nicht). Das macht die Ausstellung lebendig, überraschend – vielleicht sogar experimentell. Der Grund dafür liegt zweifellos im kuratorischen Konzept, bei dem 5 Künstler*innen (darunter ein Duo) die Vorschläge zur Teilnahme einreichten und in – wie man hört «heissen» – Diskussionen mit den Kunsthaus-Kuratorinnen Sandra Gianfreda und Cathérine Hug zum finalen Bild der Ausstellung fügten. Es sind dies Sabian Baumann (*1962), Ishita Chakraborty (*1989), RELAX (chiarenza &hauser&co. seit 1983) sowie Nicolas Party (*1980).

Der Versuch, sich anders an eine Ausstellung heranzutasten, gilt erstaunlicherweise auch für Ferdinand Hodler. Da ist z.B. kein einziges der fünf Variationen des «Holzfällers». Da gibt es zwar grossformatige Entwürfe zu «Landsknechten», aber kein «Rückzug von Marignano». Stattdessen ist ein sehr selten gezeigtes, frühes Werk einer «Mutigen Frau» – eine mit wildem Wasser kämpfende Frau in einem Holzboot von 1886 zu sehen. Es wurde von der Kritik alsobald als «unweiblich» taxiert und verschwand in der Versenkung, tritt hier nun aber in Dialog mit vielen anderen Frauen-Darstellungen.

 

Mit Staunen betrachtet man auch den sichtlich gealterten «Krieger mit Hellebarde» von 1895, dem die Uniform längst zu eng geworden ist. Es ist auf  die Rückseite des zum Hauptsaal hin betörenden, blau-weissen Berg-Wandbildes mit Hodlers „Lied in der Ferne“ von Nicolas Party gehängt. Die Rückseite zeigt jedoch einen lodernden Waldbrand und ergibt zusammen mit dem Landsknecht als Ganzes ein äusserst komplexes Bild unserer Welt.

Nicht so einfach zu deuten, ist die markante Präsenz von Sabian Baumann, dessen grossformatige, narrative Zeichnungen oft zweigeschlechtliche Merkmale zeigen. Trotz ihrer faszinierend erzählten Fiktionen wirken sie indes mehrheitlich traumatisch. Eine Gegenwelt zu Hodlers Selbstsicherheit?

Insgesamt zu stark betont ist für mein Empfinden die Thematik von nationalstaatlicher Macht, Kolonialismus und dem darin enthaltenen rassistischen Thema. Hodler wirkte wohl in dieser Zeit und war somit ein Teil davon, aber sein Schaffen direkt in Querverbindungen zu stellen, fällt mir schwer. Umsomehr als sich mit der Präsenz von Sasha Huber und ihren Aktionen gegen den Naturwissenschaftler und für eine Rassentrennung eintretenden Louis Agassiz eine Doppelspurigkeit zur Rassismus-Ausstellung im Aargauer Kunsthaus 2023 ergibt, die hätte vermieden werden müssen.

Hingegen vermisse ich, dass die wunderbaren Bilder von Hodlers schwerkranker Geliebten Valentine Godé-Darel nicht thematisiert und somit auch nicht in Dialog zu zeitgenössischen Positionen gestellt sind.

Auch Hodlers Vision, dass durch die Magie der Proportionen Transzendenz erreicht werden kann, hätte ich mir noch deutlicher herausgeschält gewünscht. Am nächsten kommen dieser Thematik vermutlich die Medaillons, die wie durch ein Fenster in eine andere Welt weisenden Landschaften und Himmelsblicke von Caroline Bachmann.

Der Katalog bildet noch einmal eine weitere Dimension der Ausstellung. Gefallen hat mir u.a. die Forschungsarbeit von Manuel Güdel zu den didaktischen Aufzeichnungen von Hodler zu seiner Unterrichtstätigkeit (u.a. an der Ecole des Beaux Arts in Genf), zumal er gerade hier immer wieder auf die Bedeutung des Parallelismus, der Bedeutung der Proportionen im Körper des Menschen wie auch in grossen Kompositionen ( z.B. in den beiden Fassungen der «Wahrheit» von 1903) hinweist. Wichtig ist auch der Text von Matthias Frehner, der den Lebenslauf von Ferdinand Hodler in Erinnerung ruft. Will heissen die Jahre internationalen Ruhms, die Diskriminierung nach der Unterzeichnung des Briefes gegen die Bombardierung der Kathedrale von Reims, die im Wesentlichen durch die Rezeption heraufbeschworene Stilisierung zum Nationalhelden bis hin zum Feindbild der Nachkriegsgeneration (insbesondere der Frauen) und der internationalen Wiederentdeckung in den letzten Jahrzehnten.

Tausend Dinge mehr liessen sich anmerken!