Newsletter IV 2024

Noémi Pfister: Crashing Sky – Malerei (grossformatig) 2023. Aktuell in der Ausstellung „Vom Körper im digitalen Leben“ in Langenthal zu sehen. Foto: azw

Eigentlich wollte ich mal wieder einen Newsletter schreiben, der sich auf Ausstellungen in Galerien konzentriert – denn die Galerien insgesamt leisten sehr wichtige Arbeit für die Kunst – doch was ich gerade hier und dort gesehen habe, „gluschtet“ mich zu wenig für eine schriftliche Vertiefung. Hingegen gibt es drei  institutionelle Ausstellungen, die mich reizen: Tobias Spichtig respektive Klarà Hosnedlovà in der Kunsthalle Basel und „Vom Körper im digitalen Leben“ im Kunsthaus Langenthal.

Nach Basel reiste ich aufgrund eines Zeitungsartikels zu TOBIAS SPICHTIG (*1982 Sempach) von Daniele Muscionico – ein im Ausland gefeierter und hier kaum bekannter Künstler; das interessierte mich. Doch – nicht zum ersten Mal – ist  Muscionicos Schreibe an sich in meinen Augen virtuoser als das, worüber sie konkret berichtet. Spichtig, der in Berlin und Zürich lebt, ist gewiss eine schillernde Gestalt, die sich rücksichtslos durch alle nur erdenklichen Ausdrucksformen, Materialien, Techniken und Inspirationsfelder frisst, aber gerade dieses Unstete macht es schwierig die dennoch erstaunlich fokussierte Basler Ausstellung wirklich als „Update zum Basler Totentanz“ anzunehmen. Denn die nächste Ausstellung sieht mit Sicherheit schon wieder ganz anders aus. Dennoch: Die Reise lohnt sich.

Im Zentrum steht das Porträt – von Vampiren und anderen Untoten bis zu Bildnissen von Menschen aus seinem persönlichen Umfeld. Betrachten tut man sie von einer im Oberlichtsaal eingebauten Bühne mit fasnächtlich-glitzernden Fransen

Wie man im Saaltext nachlesen kann, ist Spichtig dafür bekannt, dass er den Zugang zu seinen Bildern in Ausstellungen oft verbaut. Auch in Basel gibt es einen Raum aus alten, verschlossenen Schränken. Aber zentral kehrt er hier die Situation um, lädt die Besuchenden ins Theater ein, macht sie zu Akteuren, die von den Gestalten seiner Bilder keineswegs feindlich betrachtet werden. Das ist eine überzeugende Inszenierung. Nicht so einfach zu integrieren sind mehrere zwischen die Porträts gehängte Bilder, die andeutungsweise Berge zeigen, in einem Fall sogar mit „Eiger, Mönch, Jungfrau“ benannt sind. Sind sie als eine Art „Selbstporträts“ zu begreifen indem sie die Herkunft des Künstlers spiegeln?

Auf der Bühne finden sich überdies eine Reihe von leblosen, in Kunststoff gegossene Figuren, die gleichsam nur noch aus Bündeln ihrer Kleider bestehen, in jedem Fall fleisch- und wohl auch seelenlos sind. Ich mag sie nicht recht als apokalyptische Vision des Menschseins heute erleben, aber klar ist, dass ich sie nicht mag – ganz im Gegensatz zu vielen Bildern. Ich werde wohl auf die nächste Spichtig-Ausstellung warten müssen, um mir ein vertieftes Bild des Künstlers zu machen.

Um ehrlich zu sein: Eigentlich hat mich letztendlich die zweite Ausstellung in der Basler Kunsthalle von KLARÁ HOSNEDLOVÁ (*1990 CZ – lebt in Berlin) nachhaltiger beeindruckt Im Kern verarbeitet die Künstlerin die kommunistische Vergangenheit ihres Landes. Das Parkett des langgestreckten ersten Saales im Parterre ist mit Betonplatten ausgelegt, die an vielen Stellen aufgebrochen sind und den Blick frei geben auf Dreck, Pfützen (Kunstharz), aber vereinzelt auch tote – immer noch farbige – Schmetterlinge.

Genau diesen Gegensatz greift sie in den mächtigen, dem Untergrund der Platten ähnlichen Wand-Reliefs aus Styropor, Stein- und Mineralstaub auf, indem sie in die Wölbungen körpernahe Objekte mit Edelstahl- oder Kunstharzrand einfügt, die stark beschnittene Ausschnitte aus einer alltägliche Szenen nachspielenden Performance mit Schauspielern zeigen. Erstaunlicherweise sind es aber keine Fotografien oder ähnlich, sondern mit Baumwollgarn GESTICKTE  und gleichwohl exakte Darstellungen. Es ist mir nicht klar, ob es ganz oder teilweise Handarbeiten sind; sicher ist aber, dass damit eine Dauer, eine  zweifellos bewusste Langsamkeit, eine Intensität auch, eingewoben ist. Will heissen: Dieses Zuneigung ausstrahlende, menschliche Moment ist ihr sehr wichtig als Kontrapunkt zur Umgebung – ähnlich wie die Zuneigung zu den nurmehr durch ihre Farben lebendigen Schmetterlinge.

Eine Steigerung erfährt der erste Saal nicht in den Räumen zwei oder drei, wohl aber im letzten, von seiner Inszenierung her geradezu überwältigenden Raum. Denn hier sind die «Felsen» in die Vertikale gekippt, erinnern mich als textile Hängeobjekte (gekämmtes, gefärbtes Flachs- und Leinenwerg) von ferne an die Abakan von Magdalena Abakanowicz.  Auch hier sind vielfach gestickte und in Rahmen gefasste Objekte eingebettet, wobei  die Bildausschnitte hier deutlich körperbetonter sind. Obwohl auch hier dieselben Betonplatten wie in Saal I den Boden bilden, ist der Dialog losgelöster, die Skulpturen scheinen mir vielmehr die Kraft organischen Wachstums zu symbolisieren – der Titel der Installation ist denn auch «GROWTH». Ob damit – wie der Saaltext suggeriert – Wachstum als Wucherung, gar als Krebsgeschwür und somit als kritischer Gesellschafts-Kommentar gemeint ist, bin ich mir nicht sicher.

 

In gänzlich anderer Form behandelt die Ausstellung im KUNSTHAUS LANGENTHAL das Thema Körper: «Vom Körper im digitalen Leben» ist die Schau betitelt und zeigt neun junge, ex aequo männliche und weibliche Schweizer Positionen. Es ist eine Qualität des von Raphael Dörig geleiteten Kunsthauses, dass es nicht nur, aber immer wieder sehr junge Kunstschaffende zeigt, auf die Gefahr hin, dass die Arbeiten der einen oder des anderen noch nicht ganz Museumsqualität haben. In der aktuellen Ausstellung geht es wirklich darum, wie die «Digital Born», d.h. die in den 1990er-Jahren Geborenen, mit dem physischen Körper in der Kunst umgehen. Das ist eine spannende Thematik und sie ist sehr vielfältig eingefangen.

Die Behauptung, dass sich weibliche und männliche Herangehensweisen gerade bei einem Thema wie der Körper unterscheiden, gilt als längst überholt. Dennoch fällt in Langenthal auf, dass die weiblichen Positionen oft näher am «Fleisch» agieren, und sei dies auch nur ein Bandwurm, während die männlichen vielfach einen Übersetzungsschritt dazwischen schieben.

So zeigt z.B. Noah Ismael Wyss (*1999 Bern) ein wächsernes(?) Labtop, auf dem sich während des Aufenthaltes der Nutzer*innen im World Wide Web – dem Titel «Donna und Harry» nach zu schliessen – männliche und weibliche Haare abgelagert haben; eher gruselig, aber künstlerisch ok. Während Giulia Essyad (*1992 Genf) sich selbst – ihrem Körpervolumen entsprechend – in dunkel gehaltenen, an Kirchenfenster erinnernden Fotomontagen mit Lichteinschlüssen, als eine Art  weiblicher, barocker Putenengel präsentiert. SIEHE BILD OBEN LINKS.

So zeigt Thalles Piaget (*1996 Biel) in der abstraktesten Arbeit der Ausstellung das vielfarbige Lichtspiel eines physisch zerbrochenen Bildschirmes wie es sich in einer Makroaufnahme in übereck installierten Spiegeln bricht und digital  animiert zeigt. SIEHE BILD RECHTS Während Noémi Pfister (*1991 Basel) in einer ganz anderen Wechselwirkung aufzeigt, dass digitale Bildinszenierungen sich durchaus auch in Malerei auf Leinwand übersetzen lassen. Dabei sind es vor allem die von Licht durchwirkt scheinende Farbigkeit und die surrealen Elemente, welche die Umwandlung signalisieren (z.B. ein Skateborder, der sich von einem Moped ziehen lässt, während dahinter ein Licht spendender Vulkan ausbricht). SIEHE TITELBILD (Sehr schön auch Pfisters Zeichnungen!).

Zwischen den beiden Ausrichtungen steht für mich die überzeugende, raumfüllende Installation von Victoria Holdt (*1992 Basel), die mit ihrer Arbeit zweifelsohne auf Visualisierungen von Körperhaftem in der Wissenschaft Bezug nimmt, durch den  Tanz der Projektionen im Raum aber in eine eigenständige künstlerische Form umsetzt. Konkret geht es um mikroskopische Aufnahmen einzelner Segmente eines Bandwurms, der sich bekanntlich als männlich/weibliche Einheit in seinem Wirtkörper (Tier/Mensch) selbst vermehren kann. Damit spielt die Künstlerin indirekt auf zahlreiche aktuelle Themen an und weitet so die Thematik geschickt.

Summa summarum: Eine Auseinandersetzung  mit dem Thema anhand der gezeigten Arbeiten lohnt sich.

So viel für heute.