Text für Kunstzeitschrift artis 12_1992
Josef Felix Müller
Galerie Raymond Bollag Zürich, Kunstmuseum St.Gallen
„Ich glaube, es gibt nur missverstandene Künstler“, sagte Josef Felix Müller schon 1984, das heisst, im Zenit des frühen Erfolges, der seinem Werk im Umfeld der „Wilden“ zuteil wurde. Die mancherorts mit Mühe akzeptierte Weiterentwicklung des St.Gallers zeigt heute eindrücklich, worin das früh geäusserte Unbehagen und worin die Kraft dieses Werks letztlich bestehen. Im Gesamtbild zeigt sich je länger je mehr, dass Josef Felix Müller derherausragende Kämpfer für eine neue (männliche) Körperlichkeit ist. Der in ländlicher Umgebung aufgewachsene Künstler hat sich nie einer domestizierenden Kunst-Ausbildung unterworfen, sondern von Anfang an aus dem eigenen Körper heraus Bilder geschaffen. Es waren Malereien, Skulpturen, Holzschnitte, Lithographien, welche die Trennung zwischen Kopf und Körper, zwischen Verstand und Gefühl als Schmerz, als Schrei, als Todes-Angst zum Ausdruck brachten, aber auch mit Sehnsucht nach der Einheit von Kopf und Körper lechzten. Die Radikalität, mit welcher der Künstler an die Arbeit ging, dabei weder vor Blut, Gewalt noch Tod zurückschreckte, liess ihn indes – angesichts der Erschrockenheit des Publikums – als „geilen Bock“ erscheinen. Die feineren Arbeiten, die früh schon Begriffe wie „Sensibilität“ oder „Zärtlichkeit“ forderten, wurden weitgehend an den Rand gedrängt und als wichtigen Faktor vernachlässigt. Nicht zuletzt aus diesem Missverständnis heraus zog sich Josef Felix Müller vor einigen Jahren weitgehend aus dem hektischen Kunstbetrieb zurück, wohl um sich der Wirkung seines Schaffens und des eigenen Wollens vermehrt bewusst zu werden. Der Eindruck, den sein neues Schaffen auslöst, ist ambivalent: Die Retrospektive der Druckgraphik in St.Gallen beeindruckte als Ganzes, enttäuschte jedoch im Bereich neuester Arbeiten. Weder die „Windräder“ mit eingeschriebenem Sonnenrad ( Hakenkreuz nach links) noch die Mappe mit „96 Pflanzen“ ( beide 1992) zeigen den erwarteten Grad an Eigenständigkeit und Dichte. Und auch die beigestellten 12 Skulpturenstühle überzeugen nicht restlos. Die Ausstellung in der Galerie Raymond Bollag in Zürich mit neuen Arbeiten auf Papier, Malerei auf Leinwand und Holz-Skulpturen vermittelte hingegen eine ausgesprochen sinnlich-warme Geschlossenheit. Da waren zum Beispiel die Blätter, die den haarigen Bauch-Abdruck des Künstlers mit dem Nabel in der Mitte zeigen – subtile, erotische Arbeiten von geradezu taktilem Reiz. Sie ( im Bielefelder Katalog von 1991/92) mit Yves Kleins blauen Frauenkörper-Abdrucken zu vergleichen mag äusserlich zwar einleuchten, inhaltlich näher sind jedoch die „Körpergefühls-Figurationen“ von Maria Lassnig. Die Analogien zum Werk von Josef Felix Müller sind viel eher bei Künstlerinnen zu suchen als bei Künstlern. Zu sehen waren in Zürich ferner braun gefärbte Oel/Papier-Arbeiten, die Malerei und Abdruck als oft mehrschichtige Körpersymmetrien aufzeigen. Die sinnliche Intimität der kleinformatigen Blätter, welche Empfindungen von Berührung, aber auch von innen und aussen, von Materie und Schatten, von Körper und Ausstrahlung vermitteln, strahlen jene körperliche Dichte aus, die Josef Felix Müller schon immer von anderen Künstlern unterschied. Eine Rolle spielt dabei die Flüssigkeit (in Analogie zum Körper), welche die Grundmalerei haben muss, um beim Zusammenklappen einen Abdruck zu erzeugen. In den stärker linearen Blättern, die Körper eher als Gerippe, zum Teil in Verbindung mit Umrisslinien von Tieren, zeigen, nimmt sich der Künstler noch mehr zurück ohne indes an Substanz zu verlieren. Getragen wurden die Blätter schliesslich von einem der gezeigten Leinwandbilder, das in warmer, oelig-lasierender, fast nur andeutungsweise erscheinenden, hellen Malerei die Rückenansicht eines knieenden Körpers zeigt, so, dass die männlichen Geschlechtsteile mit ins Abbild rücken. Es ist wohl nie zuvor ein Bild gemalt worden, das männliches Körpergefühl so „unmännlich“, das heisst so weich und so sinnlich-zärtlich in Malerei übertragen hat.
Annelise Zwez