Vernissagerede für Roman Buxbaum anlässlich seiner Installation „Kunst macht frei“ im Kunstraum Aarau,
- Dezember 1992
Von Annelise Zwez
Sehr geehrte Damen und Herren,lieber Roman
Ich darf es vorwegnehmen: Noch nie war es so spannend, die Arbeit eines Künstlers über eine gewisse Zeit hin zu begleiten.
Jedesmal, wenn ich mit ihm zusammentraf, galt das Vorbesprochene nicht mehr. Stattdessen lag ein ganzer Kratten an Neuem auf dem Tisch. Dieses Faktum voreilig als „Unsicherheit“ zu definieren, wäre völlig falsch. Ich denke eher, Roman Buxbaum geht mit den Materialien seiner Kunst um wie ein Maler mit seinen Farben. Ueber die Bilder des Malers kann man erst diskutieren, wenn sie fertig sind. Hier spielt sich der Entstehungs-Prozess nicht im geschlossenen Atelier ab, sondern offen – als transparentes Spiel auf einem grossen, variablen Denk-Feld.
Als Beispiel: die Installation, die wir heute abend einweihen. Das erste Bild, das sich im Gespräch mit Roman – ich glaube, es war im vergangenen Sommer in unserem Familienhaus am Bielersee – das erste Kunstraum-Bild, das sich formte, sah etwa so aus: Links von der Säule ein Sag-Bock, auf dem ein pensionierter, in Wien lebender Kroate in seinem Rhythmus Holz sägt, so wie er dies auch im Hinterhof seiner Wohnstätte täglich von 8 bis 12 und 14 bis 17 Uhr tut.
Und rechts von der Säule Roman, der in ähnlichem Rhythmus ein altes Pult seines Grossvaters zersägt und die einzelnen Teile mit dem Brandeisen „Kunst macht frei“ stempelt. Das Rituelle des „Sägens in der Zeit“ hätte die beiden Gewichte ausbalanciert. Zum Teil aus finanziellen Gründen, aber auch weil der Kroate bosnischer Abstammung inzwischen im Hinterzimmer eines Wiener Wohnblocks für seine ganze, aus dem Kriegsgebiet geflohene Sippe sorgen muss, löste sich die Idee, ihn herzuholen, das Ganze performanceähnlich zu inszenieren, irgendwie auf.
Die Idee blieb noch eine Weile in Form einer Art Requisiteninstallation mit grossformatigen Fotos, wurde dann, letzte Woche, in eine „Hütte“ transformiert – das Holz dazu war schon da – zerfiel dann aber, weil der Künstler plötzlich realisierte, dass Raum zwar in der immateriellen Vorstellung dehnbar ist, in der Realität aber nicht. Geblieben sind eine Anzahl von Polaroid-Fotos an der Rückwand von Roman Buxbaums Ahnen-Hütte. Damit ist die Idee trotz allem im Raum geblieben, quasi als Teil des immensen Denk- und Materialienfundus des Künstlers.
Aehnlich ist es dem Projekt „Vaclav Stuhle“ gegangen – ursprünglich war die Arbeit, ausgehend von Feldpostkarten, die der tschechische Soldat Vaclav Stuhle im ersten Weltkrieg nach Hause schickte, schon für die Ausstellung im Centre PasquArt in Biel vorgesehen. Ich kann mich erinnern wie Andreas Meier, Leiter des PasquArt, und ich im Treppenhaus standen und uns gegenseitig unser Leid geklagt haben, dass Roman Buxbaum ausgerechnet die Arbeiten, die wir in Texten bereits aus dem Haus geschickt hatten, nun nicht da seien – bei Andreas Meier ging es um die Thematik „Zahnarzt“, bei mir um die Feldpost für Vaclav Stuhle.
Eine Zeit lang fasste das Projekt Stuhle, das auf hintergründigste Art und Weise Beamtentum ausleuchtet, dann in diesem Raum Fuss. Es hätte hier quasi die Thematik der sinnlosen Schicksalsdominante „Krieg“ erweitert. Vaclav Stuhles Leben war geprägt vom ersten Weltkrieg – Roman Buxbaums Biographie ist vom zweiten Weltkrieg mitbestimmt- und der Kroate Ivan steht eben jetzt in den Schrecknissen, die Krieg immermit sich bringen.
Auch diese Idee verflüchtigte sich, da sie den Real- und Denkraum gesprengt hätte. Aber – und das gilt für Stuhle wie auch für die erwähnte „Zahnarzt“-Arbeit – sie sind als Pars pro toto dennoch da – für Vaclav Stuhle liegen kleine Holzbündel postbereit in der Hütte, vielleicht bringt sie Roman Buxbaum demnächst auf die Post. Es wird kalt, diesen Winter. Und in der Agenda 1991, die daneben liegt, sind die Feldpostkarten von damals in den Lauf des Jahres eingeordnet. Nur die Jahrzahl stimmt nicht. Vermutlich hat ihm Roman Buxbaum jeweils an diesen Tagen Feldpost geschickt. ( Leider haben die in Bern die Briefe und Pakete immer wieder zurückgeschickt, weil sie Vaclav Stuhle einfach nicht fanden.)
Auch das Thema „Zahnarzt“ ist in der Hütte präsent. Buxbaums Grossvater war Zahnarzt und als er seinerzeit von den Nazis abgeholt wurde, blieb sein kleiner Tisch einfach da – wie festgehaltene Zeit. Inzwischen ist vieles verfallen oder mit Staub überdeckt. Die Zeit steht immer noch und doch ist sie weiter gegangen. Der Tisch steht nun in der Hütte – ein Stück Vergangenheit und ein Stück Gegenwart.
Allerlei Zeitschriften, die der Grossvater abonniert hatte, stopfen nun Löcher in den Wänden. Sie fallen uns auf, weil sie deutsch geschrieben sind. Wie war das doch damals in der Tschechoslowakei – ach ja, da gab es ja deutschsprachige Minderheiten und andere, die dann fliehen mussten, als Hitler kam und wieder andere, die dann wegen ihres Glaubens abgeholt wurden und nie wiederkamen.
Roman Buxbaums Hütte ist primär aus Materialien gebaut, die im Estrich seiner Grossmutter und seiner zwei Grossväter die Wirrnisse der Zeit überdauerten und nun – nach der sogenannten „Wende“ – wieder frei transportierbar sind. Es sind unscheinbare Stücke, die einzig auf einer emotionellen Ebene Bedeutung in sich tragen. Für Roman Buxbaum ist es die Geschichte seiner Familie, welche die Atmosphäre der Hütte füllt. Und weil Familiengeschichte etwas ist, das man jederzeit in sich selbst mitträgt – ob man will oder nicht – kann Roman Buxbaum nahtlos vom Vergangenen zum Gegenwärtigen überführen.
Diese innere Struktur macht er in dieser Installation sichtbar – mehrfach. Erstens indem er all die Dinge in einem tschechischen Transporter hieherverfrachtet hat. Zweitens indem er in diesem Raum eine Hütte daraus gebaut hat. Drittens indem er mit dem geschichtsbeladenen Stempel „Kunst macht frei“, sein Bedürfnis brandmarkt, sich mittels Kunst der eigenen Identität nicht nur bewusst zu werden, sondern sich auch von ihrem drückenden Ballast zu befreien.
Der Einladungsbrief zum heutigen Anlass und zur Ausstellung hat, wo immer er eintraf, heftige Diskussionen ausgelöst. Wegen der nationalsozialistischen „Reiz-Schrift“, mit welcher die drei Worte ins Papier gebrannt sind. Dass der Doppelbogen in der CSFR bedruckt und einzeln von Hand gestempelt (!) wurde, hat auf einer äusseren Ebene finanzielle Gründe – sie wissen, der Wechselkurs vom Schweizer Franken zur tschechischen Krone ist beschämend irreal, das heisst kaufkraftmässig etwa 1: 10 – auf einer inneren Ebene ist damit aber der Lebensweg des Künstlers wiederholt. Er muss sich hier mittels Kunst befreien von dem, was er respektive seine Familie früher dort erlebte, sei es während des Nazi-Regimes im 2. Weltkrieg, sei es durch die Errichtung des Kommunismus danach oder 1968 im Rahmen der Emigration.
Auch dass der Künstler seine persönlichen Einladungen von Prag aus sandte, gehört in diesen Kontext, in den – eigentlich noch sehr neuen – Kontext eines Menschen, der plötzlich zwei Heimaten hat – sie hören den komischen Klang von „Heimaten“ – Heimat kann man eigentlich nicht in den Plural setzen.
Es ist jedoch bezeichnend für die Arbeitsweise von Roman Buxbaum, dass wir dieses „Kunst macht frei“ nun nicht plakativ vorgesetzt erhalten – etwa als Riesenschrift an der leeren Wand – sondern, dass wir es suchen müssen. In der Hütte finden wir Hölzer, die den Stempel tragen – im Kasten, an die Wand gelehnt. Das ist nicht nur ein bewusstes Zurücknehmen, sondern es entspricht dem Künstler, dass er mit Materialien, Wörtern, Schriftbildern Pfeile aussendet.
Um unsere Aufmerksamkeit zu schärfen, uns Bilder, Inhalte zu suggerieren. Er wirft uns ganz gezielt Köder vor die Füsse; was wir damit machen, ist quasi unsere Sache. Wobei wir sicher sein dürfen, dass Roman irgendwo um die Ecke schaut, neugierig, zu sehen, was er ausgelöst hat.
Die Dinge, die er uns präsentiert, sind nie beliebig, sondern stets so verdichtet, man könnte auch so sagen so voll von innerer Dramatik, dass wir darauf reagieren, ob wir wollen oder nicht. In diesem Prinzip liegt der entscheidende Faktor, der das Private ins Allgemeingültige kippen lässt. Was Buxbaum uns als Kunst-Impuls präsentiert, muss, um existentiell zu sein, mit ihm zu tun haben, muss aber gleichzeitig uns alle treffen, Teil unserer eigenen Welterfahrung sein.
Nur wenn das so ist, findet die Installation, die der Künstler uns hier zeigt, Platz im sogenannt „erweiterten Kunstbegriff“ von Joseph Beuys. Danach ist alles Kunst, was mit bildnerischen Mitteln zu neuer Erkenntnis führt. Das ist eine Gratwanderung, die der Künstler hier in dieser Ahnen-Hütte im Vergleich zu anderen Werkgruppen auf die Spitze treibt.
Da ist’s gleichzeitig gefährlich, aber auch ungemein spannend und verlangt wesentlich mehr bewusstes Agieren als man vielleicht auf den ersten Blick denkt. Nur ganz selten, und dann eigentlich unfreiwillig, lässt Roman den Zufall mitspielen. Hier, in diesem Raum zu Beispiel: Müll ist sehr oft Heimat für Kleinlebewesen; sie legen ihre Eier ins modrige Holz. Und wenn sie Pech – oder Glück, wie man will – haben, kommt Roman vorbei und transportiert den Müll aus dem kalten Estrich in Südböhmen in den doch etwas wärmeren Kunstraum im schweizerischen Aarau und siehe da, kleine Flügel-Tierchen befreien sich mittels Kunst vom Ballast ihrer (Eier)-Schale. So entdeckt hier, vor zwei Tagen. Im winzig-kleinen Ereignis spiegelt sich von der Struktur her Welt-Geschichte – vom Mais über die Kartoffel bis zu den Kühen in Lateinamerika.
Dieses Spiegeln – das ja eigentlich ein Sehen und Erkennen ist -, dieses Kippen von Materiellem in Vorstellungsmässiges, dieser Prozess des Reflektierens – da treffen sich jader Spiegel und das Nachdenken in einem Wort – da liegt die Substanz des Kunstschaffens von Roman Buxbaum.
Da liegt auch der Grund, dass sein Werk wenig mit Schwitters und auch nur sehr wenig mit der „arte povera“ zu tun hat, auch wenn äusserliche Vergleiche möglich sind. Viel interessanter sind Vergleiche zum Beispiel mit Daniel Spörri – Essensreste und Ahnenspuren wären da zueinander in Beziehung zu setzen. Oder mit Boltanski, der äusserlich sehr anders arbeitet, aber von derselben Schicksalsdimension ausgeht. Oder dann natürlich mit Kabakows sogenanntem „Scheiss-Haus“, der armseligen Hütte, die er an der Documenta aufbaute. Aber da stimmt eigentlich nur die Armseligkeit, sonst wenig, denn Kabakows Hütte war Klage.
Diese hier ist es eigentlich nicht, gar nicht sogar, denn Roman sagte mir, die Idee mit der Hütte sei eigentlich eine Allusion an das Matthäus-Evangelium, wo – in Kapitel 17, Vers 4 – Petrus auf einem Berg, wo es ihm gefällt, zu Jesus sagt: Lass uns hier Hütten bauen. Und das sagt er ja, weil es ihm da gefällt. Auf Roman übertragen würde das wohl heissen – in der Kunst gefällt es mir, also will ich hier mit meiner persönlichen Welterfahrung eine Hütte bauen. Einen Ort, um zu Verweilen und Nachzudenken – über Vergangenheit und Gegenwart, über „Zwang und Freiheit im Schicksal des Einzelnen“ wie der Künstler seine Ausstellung in Biel genannt hat.
Denken ist etwas Individuelles. Ich hoffe, ein paar Anstösse gegeben zu haben – den Rest überlasse ich Ihnen. Ich danke fürs Zuhören.