Vernissagerede für Christine Knuchel anlässlich ihrer Ausstellung im Rathaus in Aarau, November 1995

Von Annelise Zwez

 Sehr geehrte Damen und Herren liebe Christine

 

Die bildende Kunst ist ein Spiegel von Denken, geistiger und körperlicher Befindlichkeit, physischen und psychischen Erlebens der Welt. Dieser Spiegel ist weder vollflächig noch raumfüllend, sondern ein Körper aus vielen einzelnen Facetten, vielleicht ähnlich den Spiegel-Kugeln, wir wir sie als Lichtverteiler von Diskotheken her kennen. So kann die Kunst verschiedenste Aspekte des Menschseins spiegeln, vom einfallenden, diffusen Licht einzelne Impulse fokussieren. Die einen Künstler und Künstlerinnen befassen sich mit theoretischen Strukturen rund um die Konstitutiven des Bildnerischen, andere mit dem Phänomen der Wahrnehmung respektive Täuschung, wieder andere suchen inneren Empfindungenangesichts der Welt Ausdruck zu geben.

Christine Knuchels Triebfeder, immer und immer wieder neue Bilder, neue Materialien zu suchen, ist nicht einfach einer dieser Richtungen zuzuordnen, obwohl sich in ihrem Werk zweifellos sehr persönliche Empfindungen reflektieren. Der Motor, der vorantreibt, so meine ich aus dem Gespräch mit der Künstlerin herausgehört, herausgespürt zu haben, geht dahin, der „anderen Seite“ ein Bild zu geben. Da klingt die „Gleichzeitigkeit des Andern“ an – eine Ausstellung zur Parallelität von hier und dort,Geist und Materie, Leben und Tod, konzipiert von Jürgen Glaesemer, wenige Monate bevor er an Aids starb. Nun, so weit geht Christine Knuchel nicht, es wäre zu weit hergeholt, von der Suche nach dem Jenseits im Diesseits zu sprechen, aber sie peilt eine Welt an, in welcher der Alltag, die Realität des Lebens aufgehoben ist, das Erfahren des Seins in eine neptunischen Schwingung, eine Verbindung mit einer feineren, umfassenderen, harmonischeren Dimension mündet und das Gegenläufige, Widerspenstige, Schwierige der Realebene relativiert.

Gerade die Ausstellung, die ich hier und heute eröffnen darf, betont diese andere Seite, die wir gängig, und in unserem Kulturraum auch leicht abschätzig, als nonverbale Sehnsuchtswelt bezeichnen; ohne zu bedenken, dass auch die Meditation, das Streben nach einem Zustand, in dem Grenzen aufgehoben werden, hier ihre Fülle findet.

Christine Knuchel geht dabei auf zwei verschiedenen Strassen voran – einer sich von innen heraus als Malgeste, als fliessendes, bewegtes Band von Bildern äussernden und einer statischen, in der sich Materialien über ihre interaktive Ausstrahlung definieren. Wobei sich die Richtungen über den Austausch mit der schaffenden Künstlerin, teilweise auch durch ein Vermischen der Medien,  vernetzen. Man kann die grossformatigen und grosszügigen Malereien in den oberen zwei Stockwerken und die  strengsten der geometrischen, Nähe zu Fassaden signalisierenden Bild-Objekte auch als aktive und passive Seite ein und desselben Themas bezeichnen. Und dieses Thema heisst, zum Beispiel, „Verschmelzung von Raum und Zeit“ oder „Rap“ (siehe Bild) – so die Titel der beiden Malfriese – es heisst aber auch, ohne dass dies explizit benannt würde, ganz einfach „schön“.

In den drei Begriffen klingt nicht ohne Hintergrund eine Auseinandersetzung mit Physik auf der einen, fernöstlicher Weisheit auf der andern Seite an, aber auch ein sich den intsive Rhythmen und Schwingungen der amerikanischen Rap-Musik Aussetzen und nicht zuletzt eine sich der Sprache weitgehend verweigernde Annährung an individuelle Empfindungen von Harmonie. Dem Bild „Verschmelzung von Raum und Zeit“ geht tatsächlich ein Gespräch mit einem befeundeten Physiker voraus – heutzutage sprechen ja die Naturwissenschafter wieder mit dem „Rest der Welt“ und umgekehrt, weil sich mit dem Auflösen von Grenzen in der Kommunikation, im Begriff von Materie und Nichtmaterie eine Annäherung an philosophische Dimensionen für beide Seiten geradezu existentiell aufdrängt. Der, welcher diese Sicht für mich am schönsten formuliert hat, ist Fritjof Capra in „Tao der Physik“. Christine Knuchel geht die Fülle der Erkenntnisse, die unser Weltbild ins Wanken bringen, weder westlich-analytisch noch fernöstlich-religiös an. Sie lässt das Erfahrene vielmehr als Malerei erscheinen, die im breit gewählten Format – das sich schlicht und einfach aufgrund der Architektur ihres Ateliers als mögliche Grösse aufdrängt – im breiten Format die Gleichzeitigkeit verschiedener Geschehnisse formulieren lässt. Die linke Seite hat dieselbe Bedeutung wie die rechte, sie sind gleichzeitig Teil eines Ganzen, das wir Menschen – ausser wir wären in einem riesigen Saal – aber nicht gleichzeitig sehen können, weil unsere Augen nicht so konditioniert sind. Wir müssen, im Minimum, die Augäpfel bewegen, um die Schwingungen des Bildes, das Kommen und Gehen der Malintensität, die Bewegungen der Farbe auf der Leinwand verfolgen zu können. Um die je gleiche Sicht zu haben, müssen wir gar den Raum miteinbeziehen, auf und abgehen. Aber wir sind es als Menschen, die uns so verhalten müssen, weil das unsere Gesetzmässigkeiten sind, aber schon das Bild hebt sie auf – nicht in der Phase des Entstehens oder des Aufhängens im Raum selbstverständlich, aber in seinem Wesen, betrachtet unter dem Aspekt der Gleichzeitigkeit. Es kommt hinzu, dass wir schnell merken, dass wir nur entweder den Schwingungen folgen oder einen Ort fixieren können, aber nicht beides, das heisst, wenn wir einzelne Bild-Orte auf ihre Strukturen hin, auf ihre malerische Präsenz als Gestus oder als Stempel oder als geometrische Form konzentrieren wollen, dann verlieren wir die Schwingung aus den Augen. Christine Knuchel führt uns, aufs Ganze gesehen, primär auf einer emotionalen Ebene in diese Gleichzeitigkeit verschiedener Geschehnisse und unser Empfinden ist mehr ein Spüren, ein Ahnen von Räumen ohne die uns im Alltag bestimmenden Grenzen und der relativen Position einzelner Orte. Die Informatiker sind jedoch in gewissem Sinn am selben Thema, wenn sie über die Perfektionierung weltwelter Kommunikationsnetze auf ihre Art und Weise Raum und Zeit ausser Kraft setzen. Kein Zweifel, dass Christine Knuchel auch von dieser Gleichzeitigkeit beeinflusst ist.

Näher am Körper, näher am Leben auch, aber nicht grundsätzlich anders präsentiert sich das Bild „Rap“ (siehe Bild) – eine ausgesprochen rhythmische, schlagende Musik, die meist von Jugendlichen gehört wird, aber – wenn Kinder so clever sind und der Mutter die Musik-CD schenken, die sie selber lieben, ja dann lassen sich eventuell auch die Mütter anstecken. Christine Knuchel hat „Rap“ zu laut das Atelier erfüllender Rap-Musik der Gruppe Staccabo gemalt und ihr Lieblingsstück hatte dabei den Titel „Natural“. Musik kann, vor allem wenn sie alles übrige übertönt, eine unglaubliche Präsenz entwickeln, die unser analytisches Denken wie ausser Kraft setzt und uns ermöglicht, Bilder anderer Schwingungsebenen ausfliessen zu lassen. Hören, Fühlen, Sehen, Erlebtes, Erfahrenes, Ersehntes, Erträumtes, als Vision, als „Gesicht“ Erkanntes verschmelzen in der Lust, dem Zustand der Vielheit, der Fülle ohne Zwang zur präzisen Aeusserungen Bild zu geben. Ein Zustand von Trance – nein, aber schon ein Frei-Raum, eine andere Seite, vielleicht eine Art Schwebezustand, jedenfalls eine Welt ohne Zwänge von aussen und von innen. Bis dann die Malerin erwacht, die sich plötzlich bewusst wird, dass sie ein Bild malen will und sich auch von dieser bewussten Seite her einbringen will. So entstand in langer, in sehr langer Arbeit der Bildzyklus „Rap“.

Wenn ich mich intensiv mit den Bildern von Chrstine Knuchel befasse und vor allem auch bedenke, dass die Künstlerin bis zu einem Jahr immer wieder an einem dieser grossen Bilder gemalt hat – hätte Christine Knuchel einen Manager würde er sie wahrscheinlich schelten und sagen unter ökonomischen Gesichtspunkten sei das schlicht und einfach nicht rentabel, aber die Kunst da eben ihre Eigen-Willigkeiten. Aber gerade diese Ausdauer brachte wahrscheinlich  – nicht nur jetzt, auch früher schon – den Wunsch, das aktive Gebären von Bildern, Visionen zeitweise wegzuschieben zugunsten von Arbeiten, die zum einen eine starke, kunst-handwerkliche, real-sinnliche Komponente haben, zum andern durch das Vorgegebene von Materialien nicht nur fordern, sondern auch bringen. Das Finden von Materialien mit einer Ausstrahlung in bezug auf sich selbst, hat etwas mit einer Offenbarung zu tun. Lange Zeit waren es Stoffe mit ganz bestimmten Zuordnungen – zum Beispiel kunstseidene Futter-Stoffe, die sich in ihrer funktionellen Bestimmung unter den Kleidern geschmeidig dem Körper entlang bewegen – ich habe schon immer gesagt, ich begreife nicht, warum Männer  nichts mit textiler Kunt anfangen können. Aber lassen wir das, es ist heute sowieso fast Vergangenheit, jedenfalls ist es lange her, dass ich mir etwas gekauft habe, das gefüttert war, aber ich kann mich noch daran erinnern. Nun ist es erstmals nicht mehr Textiles, sondern Aluminium, Plexiglas, Kunststoff. Schon vor 10 Jahren hat die Künstlerin mit Spritzen von Metallplatten experimentiert. Doch der Weg führte zunächst noch nicht weiter. Aber die Faszination an mit metallisierter Farbe gespritzten Platten blieb, auch jene für Riffelbleche, für schwarzes respektive transparentes Plexiglas wie wir sie in den neuen Material-Bild-Objekten finden. Die Doppelstegplatten, die wir von billigen Gartenhäuschen oder Terrassenwänden her kennen, haben eine besondere Geschichte. Zum einen lebt Christine Knuchel in Gontenschwil auf dem Lande, wo  – ich habe mich selbst überzeugt – dieses Material für verschiedene Funktionen eingesetzt wird. Zum andern gab es aber da in der Nähe einen Bio-Bauern, der hatte – aus dem Blickwinkel vieler Dorbewohner – immer eine „Schweinerei“ um seinen Hof und seine provisorischen Unterstellhütten. Aber er hatte – wie ich anhand von Fotografien miterleben konnte – einen intuitiven Sinn für Form, für Proportionen, für Verbindungen verschiedener Materialien, die man, spätestens seit der arte povera, als skulptural bezeichnen könnte. Und die Tatsache, dass die meisten Menschen dieses Stimmige, ja sogar Künstlerische in ihrer Alltagsumgebung nicht wahrnehmen, das Visuelle nicht losgelöst von Ordnungssinn und Funktion betrachten können, das hat Christine Knuchel wohl nicht nur bewegt, gerade solche Doppelstegplatten in die eigene Arbeit zu integrieren, sondern wohl auch, just mit ungewohnten, nichttraditionellen Kombinationen verschiedenster Materialien losgelöst von ihren funktionellen Zuordnungen Kunst zu machen. Was sie an den einzelnen Materialien fasziniert, vermag die Künstlerin nicht zu verbalisieren, aber sie fährt mit der Hand über das glänzende Riffelblech, hört und spürt es, sie rückt das Licht zurecht, um Spiegelungen zu erzeugen, sie erkennt in den Hohlräumen der Doppelstegplatten die Möglichkeit durch Stopfen mit Stoffen Bildwirkung zu erzielen, sie streichelt mit der Hand die petrolfarbene – die Künstlerin sagt „käferfarbige“ –  metallisert funkelnde Aluplatte – sie könne es immer noch nicht begreifen, dass ausgerechnet die Autofahrer mit den schönsten Farben, die es gebe, herumfahren dürften. Die einzige Wort-Charakterisierung, die im Gespräch immer wieder kommt ist: Für mich sind diese Materialien „schön“.  Was ist schön? – Es ist zum einen ein Begriff, der sich im Laufe der Zeit wandelt, es ist auf einer substantielleren Ebene aber immer etwas, das im Austausch mit dem Betrachtenden oder Erlebenden ein Gefühl des Abgehobenseins, der Harmonie in einem übergeordneten Sinn auslöst und zwar intuitiv, nicht analytisch. Der Tübinger Bio-Physiker Bernd Olaf Küppers schrieb einmal, er vermute, dass das, was wir unmittelbar als „schön“ empfinden mit einem physisch/psychischen Ur-Wissen kommuniziere, das wir nicht benennen könnten. Ich denke, dass es sich dabei um einen ebenso individuelle wie kollektive Komponenten beinhaltenden Energieaustausch handelt, der sich in der makrokosmischen Ebene vielfältig äussern kann. „Schön“  kann darum ganz verschiedene Gesichter haben. Nun ist dieses „schön“ natürlich nicht die einzige Charakteristik der neuen Arbeiten von Christine Knuchel – ich denke, das würde auch nicht reichen, doch da sind auch die Kombinationen von Farben und Materialien, da ist das Spiel mit opak, spiegelnd und transparent, da ist das Einschieben der Stab-Bänder in Schienen oben und unten, die den Objektcharakter bewirken und ein architektonisches Moment – Christines Vater, der Kunsthaus-Architekt Otto Hänni würde sich freuen – einbringen. Und da ist als wichtige Komponente in vielen Arbeiten die Kombination mit gemalten, bewusst Subjektives formulierenden Bildteilen, die trotz ihrer teilweise landschaftlichen Wiedererkennbarkeit im Kontext der Materialausrichtung der Arbeiten vielleicht am ehesten das beinhalten, was eines von Christine Knuchels liebsten „Koan“ sinngemäss ausdrückt, nämlich eine Antwort auf die Frage: Wenn Du Sinn und Ton auslöschst, was hörst Du dann? All das sind zusammen die Arbeiten, die wir im Parterre und im ersten Stock hier sehen.

 

Ich danke fürs Zuhören.