Vernissagerede für Ernst Jordi anlässlich seiner Ausstellung im Kulturforum Zollikofen, 17. November 1995
Von Annelise Zwez
Sehr geehrte Damen und Herren. lieber Ernst
ich freue mich, dass ich den Text für den in Zusammenarbeit mit Leonardo Bezzola für diese Ausstellung entstandenen Katalog verfassen durfte und nun auch hier zu Ihnen sprechen darf. Ich mache es Ihnen indes nicht so leicht, dass, wer mir in den folgenden paar Minuten zuhört auch gleich den Katalogtext gelesen hat. Wer den „ganzen“ Ernst Jordi fassen möchte, muss sowohl zuhören wie – das an allererster Stelle, schauen – und später lesen und das Geschriebene anhand der Fotografien bester Bezzola-Qualität noch einmal memorieren.
Möglicherweise habe ich beim Vorbereiten dieser Ansprache herausgefunden, was den Bernern ihre legendären „harten Schädel“ in Bezug auf die bildende Kunst eingebracht haben…..nämlich …. ihre herausragende Stellung im Umgang mit dem härtesten aller Bildhauer-Materialien, dem Eisen. Zwar hat der Berner Serge Brignoni die als erste Schweizer Eisenplastik geltende Arbeit 1933 in Paris geschaffen. Doch das ist für die Nachkommen der „Ancienne République de Berne“ gewiss keine Neuheit, haben doch im Laufe der Geschichte manche Berner ihre Meriten in französischen Landen erworben. Bern und die Eisenplastik, das ist dann vor allem ab etwa Mitte der 50er Jahren ein eigenes Kapitel Schweizer Kunstgeschichte. Und so wie Zürich bis heute die Stadt der konkret-geometrischen Kunst ist, so leistet auch die Schweizer Eisenplastik insbesondere hier in Bern Widerstand gegen die Auflösungstendenzen der Kunst in virtuelle Welten. Dass ich damit unter anderem den Eisenplastiker Ernst Jordi meine, liegt auf der Hand, doch schauen Sie sich die neuen Arbeiten an – da reicht der Satz aus den 70er Jahren wonach Ernst Jordi dem harten und unbeugsamen Eisen durch Einsatz von Feuer und Kraft weiche Gestalt gebe schon lange nicht mehr. Und auch die Charakterisierung seiner Arbeiten als geballte, verknotete, in Material und Form verdichtete Energie ist nicht ausreichend als Beschreibung für die neuen, fast ausschliesslich dieses Jahr entstandenen Arbeiten. Ernst Jordi hat eine – wenn ich in die Runde schaue – schiergar unglaubliche Schaffenskraft. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen gehört er zu den bei uns im Vergleich zum Ausland zahlreicheren und heute immer seltener werdenden Künstlern, die ihr bildnerisches Schaffen auf grossem, praktisch geleistetem, handwerklichem Wissen aufbauen. Ernst Jordi ist von seiner ersten beruflichen Ausbildung her Mechaniker und das mit Lehrjahren in den 60er Jahren – vor dem grossen Einzug der Elektronik. Ernst Jordi weiss seit mehr als 30 Jahren wie man Einzelteile in einen funktionellen Zusammenhang bringt – auch ein Kunstwerk muss funktionieren und damit meine ich nicht nur das Wasser-Spiel, das Ernst Jordi, als Beispiel, 1991 für die Stiftung Brüttelenbad realisiert hat. Jede gute Plastik muss in sich stimmen.
Nun ist eine Mechaniker-Ausbildung natürlich keine Eisenplastiker-Ausbildung; die hat Ernst Jordi vor allem durch Arbeiten, durch Schauen, durch Erfahren und immer neu Gestalten erworben. Gewiss, Kurse an der Kunstgewerbeschule Bern und Besuche von Ausstellungen haben seinen Blick geweitet und seine Wissen um die Kunst – vor allem die Plastik – erweitert. Nicht zuletzt die grossen, die Skulptur des 20. Jahrhunderts aufarbeitenden Ausstellungen in den 80er Jahren – in Basel 1980 und 1984, in Dietikon 1989 – haben hier Uebersicht vermittelt. All das zusammen macht – wie ich im Katalog schreibe – „Ernst Jordi zu einem der wenigen Schweizer Eisenplastiker der Gegenwart, die ihr Material von seiner Beschaffenheit und seinen Möglichkeiten her bis ins Innerste kennen“… und beherrschen. Das ist Teil von Ernst Jordis Schaffenskraft.
Ueber künstlerische Qualität im Sinne von eigen-ständiger und eigen-williger Gestaltungskraft sagt er freilich nichts aus. Aber gerade da ist Ernst Jordi in den letzten fünf Jahren entscheidend vorangekommen. Sein Werk ist nicht stehen geblieben – wie man das sonst so oft sieht. Und das hat ganz primär mit einem Schritt zu tun, vielleicht auch einer Art Synthese…. Ein Plastiker, der mit einzelnen Teilen arbeitet, ist immer in gewissem Sinn ein konstruktiver Künstler indem er aus verschiedenen Elementen eine Plastik baut, konstruiert. Und mit Konstruieren verbinden wir gängigerweise die Vorstellung eines Konstruktions-Planes. Doch genau das hat Ernst Jordi um 1990 durchbrochen. Vielleicht hat er an die Künstler und Künstlerinnen gedacht, die ihre Skulpturen mit Gips oder Ton formen und dabei prozesshaft am Bildausdruck arbeiten, der ihnen vorschwebt. Denn ein solches Formen ist immer Interaktion zwischen Arbeits- und Denkprozess. Und diese beiden Methoden – die konstruktive und die prozesshafte – hat Ernst Jordi zusammengeführt als er aufhörte zu zeichnen, aufhörte sein Kunstwollen mit dem Bleistift vorzuformulieren. Er begann sich intuitiv auf das Material einzulassen und aus seinen Gegebenheiten – seiner Geschichte als industriell geformtes, vielleicht jahrzehntelang genutztes, nun schrottreif zerlegtes Ding – er begann aus den Material-Gegebenheiten und seinen werkstattmässigen Bearbeitungsmöglichkeiten Form entstehen zu lassen.
Das brachte ihm eine Freiheit, die beflügelte – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Freiheit hat – ich denke, das ist wohl ein Archetypus – immer etwas mit einem Gefühl von Leichtigkeit zu tun und gerade das kenntzeichnet Ernst Jordis neue Plastiken: Sie sind leichter geworden. Bei manchen genügt schon ein Windstoss, um sie in Bewegung zu versetzen, bei anderen ist Menschenkraft – und Lust am Eingreifen – gefordert, um sie aus der Ruhe zu bringen, Gleichgewicht als Prozess von Kraft und Masse herauszufordern. Dieses Befreiungsmoment, das auch neue, anders geformte, leichtere, sensiblere Materialien – wie zum Beispiel Federn, Sägeblätter, Drahtseile, gar Bremskabel oder Tachometersaiten – zum Einsatz bringt, ist ein zweiter Teil der aktuellen Schaffenskraft des Künstlers. Ein dritter ist Ernst Jordis Auffassung von Kunst. Er stellt, seiner und einer etwas älteren Generation entsprechend, den Waren-, den Gegenstandscharakter von Kunst nicht in Frage.
Als Eisenplastiker ist Skulptur für ihn etwas Greifbares, das höchstens durch die Verwendung von Recyling-Material, das indes nicht nur gedankliche, sondern vor allem auch praktische Hintergründe hat, durch dieses skulpturale Umwandeln von industrieller Funktion in freie bildnerische Bedeutung mit dem Gedanken an Metamorphose verbunden ist. Doch ist diese, dem Material entsprechend, langfristig angelegt. Für Ernst Jordi ist Kunst bildnerischer Ausdruck, gefasst in eine Form, die uns als kleines oder grösseres Monument begleiten, vielleicht sogar Fetischcharakter annehmen soll. Stellen Sie sich eine Skulptur von Ernst Jordi an einem Ort vor, an dem sie täglich vorbeigehen. Können Sie dann – wenn das draussen im Garten ist – vergessen, zu schauen, ob der Wind bläst und die Flügel der Skulptur bewegt – oder, wenn das in einem Innenraum ist – vorbeigehen ohne der Wipp-Plastik einen kleinen Schubs zu geben oder an den langen „Rüsseln“ zu ziehen, um die Statik aus den Angeln zu heben? Ich kann es nicht und ich denke auch Ernst Jordi nicht. Nur ist das bei ihm etwas anders; er fängt dann schon wieder von Neuem an, weil er doch da bei der letzten Arbeit noch etwas entdeckt hat, das formal noch nicht ausgeschöpft ist und darum nach einer weiteren Arbeit, einer Variation ruft. Und so entstehen eigentliche „Skulpturenfamilien“ – Sie sehen das hier deutlich. Auch dieser Aspekt ist zu berücksichtigen, wenn wir staunend sehen, wie viele Plastiken Ernst Jordi dieses Jahr geschaffen hat.
Nun kann man sich natürlich fragen, ob denn allein der Schritt von der mehr oder weniger vorgeplanten Arbeit zum freien Umgang mit Materialteilen die wichtige Entwicklung im Werk von Ernst Jordi ausgelöst habe. Ich denke, die Antwort ist nein. Denn alles, was wir nach aussen sichtbar tun, ist Spiegel unseres Inneren, das wiederum beeinflusst ist vom Erleben im Aeusseren, sei es individuell oder kollektiv, als Zeitströmung. Im individuellen Bereich konnte Ernst Jordi das Zeichnen erst loslassen, als er selbst – nicht primär handwerklich, sondern als Persönlichkeit – so viel innere Sicherheit spürte, so viel Vertrauen ins eigene Schaffen gewonnen hatte, dass er glauben konnte, was die spontane Intuition ihn machen hiess. Es kommt als Erleichterung hinzu, dass die Eisenplastik – im Gegensatz etwa zum Steinhauen – mit etwas Aufwand allfällig notwendige Korrekturen zulässt. Das Zeichnen loslassen sagt aber nichts aus über die Richtung einer Entwicklung. Wir können konservativ vorgehen und durch den Vergleich mit frühen Arbeiten beweisen, dass die Bewegung, das Schwingen im Raum schon immer Ernst Jordis Thema war, mit dem Unterschied allerdings, dass früher die Bewegung nur als Potenz da war, das Ausgreifen von “ Rüsseln“ meist eine statische Funktion hatte, die geballte Kraft von damals sich heute aber als heiteres Versprechen, als lustvolle Erwartung präsentiert, jederzeit bereit zum Spiel. Aehnliches gilt für die technisch so brillant gelösten Windmobiles, die ihre Vorbilder in den „Hängern“ haben, die es seit den 70er Jahren gibt. Das alles stimmt, aber es erklärt noch immer nicht, warum das Werk diese Richtung eingeschlagen hat und da, denke ich, dürfen wir ein kollektives Moment einfliessen lassen.
Wenn uns unsere Zeit etwas lehrt – in der ganzen Komplexität von Angst und Freude – dann ist es, dass alles in Bewegung ist, dass sich insbesondere im technischen, im elektronischen Bereich alles überschlägt, dass aber auch die moderne Naturwissenschaft nahe daran ist, unser Weltbild aus den Angel zu heben, weil es – auf der Ebene des Mikrokosmos – wahrscheinlich keinen Unterschied gibt zwischen Materie und Nichtmaterie, auch Eisen also nur eine extrem verdichtete Form von energetischen Impulsen ist. Bewegung zeigt sich auch darin, dass wir von einem Geschehen längst nicht mehr nur nicht ein statisches Bild sehen wollen, sondern bewegte. Die zeitgenössische Kunst nimmt viel von diesen Momenten auf – Ernst Jordi tut das in der ihm und seinem Material eigenen Bedächtigkeit – denken Sie daran, dass schon die späten Pfahlbauer mit Eisen umzugehen wussten – aber auch Ernst kann dem Bedürfnis, Statik aufzulösen, Bewegung ins Geschehen zu bringen, nicht widerstehen. Und er tut dies – auch das gehört, zumindest nach aussen, zu Ernst Jordi – er tut es fröhlich, spielerisch. So wie er auch dem in der aktuellen Kunst umstrittenen, aesthetischen Moment grosse Bedeutung einräumt – seine Skulpturen sind mit unseren heutigen Augen auf den ersten Blick lustvoll anzusehen – wobei allerdings unserer Vorfahren im 19. Jahrhundert das wohl anders empfunden hätten; auch Aesthetik ist etwas, das ständig im Fluss ist, genauso wie das Urteil über das, was nun gute Kunst und was schlechte Kunst sei.
Der einzige Masstab, der gilt, sind wir selbst und darum ist auch die Kunst, für die wir uns engagieren ein Spiegel unserer selbst. Schauen Sie gut! Ich danke fürs Zuhören.