Katrin Freisager: Porträt und Hinweis auf die Ausstellung im „Art Magazin“ (Rolf Müller) Zürich 1995
Der intime Blick: Die Frauenporträts von Katrin Freisager
Manchmal ist kommender künstlerischer Erfolg förmlich spürbar. Die Zürcher Fotografin Katrin Freisager (geb. 1960) ist ein gutes Beispiel dafür. Schon in den Aufnahmen, die sie 1993 für Pipilotti Rist gemacht hat und in den Körperbefindlichkeit spiegelnden Grossformaten von 1994, erst recht in den Bildern der Indianer South Dakotas, die ihr einen wichtigen Pressfotopreis eintrugen, faszinierte die Gleichzeitigkeit von intensiver,emotionaler Nähe und scheuer, introvertierter Zurückhaltung. Ein Spannungsfeld von ebenso irritierender wie packender Kraft, das die Künstlerin in einer im „Art Magazin“ in Zürich ausgestellten Reihe intimer Frauenporträts noch einmal zu steigern vermochte. Die Subtilität mit welcher sie darin ihre und unsere voyeuristischen Lust, aber auch die gewohnte Wahrnehmung in unerwartete Sicht umsetzt, führte in Zürich zu einem wahren Publikationsboom.
Die Einladung zum „steirischen herbst“ 1994, wo es galt, die Um-kleidekabine eines öffentlichen Bades künstlerisch zu besetzen, führte Katrin Freisager, raumgegeben, zu einem ersten lebensgrossen Hochformat mit einer halbbekleideten, jungen Frau, die indes nicht, wie zu erwarten wäre, steht, sondern auf einer Matratze liegt, in der aufrechten Präsentation aber gleichzeitig „steht“. Katrin Freisager erkannte, dass die Ortsbezogenheit nicht zwingend war, im Gegenteil, dass die auf Aluminium aufgezogene Fotografie ohne anekdotische Komponente noch wesentlich vielschichtiger wirkt. Und so entschloss sie sich, mit ihr befreundeten jungen Frauen weitere Aufnahmen nach demselben Modus zu inszenieren. Mit der Sicherheit der intuitiven Perfektionistin wählte sie die unter Jugendlichen heute übliche, manchmal auch an die 50/60er Jahre erinnernde Unterwäsche, suchte im Brockenhaus Matratzen mit verschiedensten Tupfen-, Blumen- oder Blattmustern, probte das Liegen als Ausdruck der eigenen und der im andern erfühlten Befindlichkeit und fotografierte die unter ihr Liegenden dann von der Leiter herunter; immer zwischen 11 und 13 Uhr. Das helle, kaum dramaturgisch eingesetze Licht betont Alltäglichkeit. Und doch oszillieren die Aufnahmen zwischen Vertrautheit und Fremdsein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird die Rezeption geschlechtsspezifisch, das heisst als Frau reagiere ich anders als ein Mann indem ich das Visuelle auf die eigenen Kontaktstellen zu übersetzen beginne – den Rücken auf der Matratze, die Hand auf dem Schenkel unweit der Scham oder über die Brust gelegt, die Beine und Füsse aneinandergedrückt. Der Blick, der mir entgegenschaut wird zum eigenen Blick in einen fiktiven Decken-Spiegel. Die Nähe zu einer verhalten-erotischen Körperlichkeit tut wohl. Das ist die vertraute, in gewissem Sinn ungern verbalisierte Seite, die zugleich eine fiktive, angeeignete ist —– weil die ungewöhnliche Sicht die liegenden und zugleich als Bild an der Wand „hängenden“ Körper „Jacquelyn“, „Anita, „Pipilotti“, „Monika“ usw. aus der gewohnten, fotografi-schen Illusionsebene wegrückt. Selbst wer einzelne der Fotografier-ten im Alltag beim Namen nennt, erkennt sie in der Fotografie nicht auf den ersten Blick. Wiedererkennen hat mit vertrauter Haltung und Gestik zu tun. Doch gerade das Fremde, und das bedeuten Katrin Freisagers Fotos mit Nachdruck, formuliert den Spielraum für die intime Identifikation.
Annelise Zwez
Galerie „Art Magazin „, Zürich, 21. Oktober bis 18. November.
Ab 7. Dezember im Rahmen von 10 Positionen junger Kunstschaffender im Zürcher Kunsthaus.