Alpenglühen: Von William Turner bis Peter Turrini
Panoptikum Materialien zu einem Mythos im Forum Schlossplatz in Aarau 1996
Annelise Zwez, Aargauer Zeitung November 1996
Gastkurator Beat Gugger (Burgdorf) präsentiert im Forum Schlossplatz in Aarau als Thema seiner Wahl eine halb ernsthafte, halb ironische Feldforschung zum Phänomen des Alpenglühens.
Die Kulturkommission, die im Auftrag der Ortsbürgergemeinde Aarau die Räume im ehemaligen Parlamentsgebäude der Helvetik bespielt, sieht in ihrem Konzept Ausstellungen zwischen Kunst, Musik, Literatur und (Gesellschafts)-Geschichte vor. All diese Felder sind in der Materialien-Sammlung zum „Alpenglühen“ vereint, denn seit der Romantik beschäftigten sich Maler, Musiker, Schriftsteller, Naturwissenschafter mit dem in bestimmten atmosphärischen Konstellationen auftretenden Rot-Leuchten der schneebedeckten Hochalpen. Während es die einen als Widerschein einer die Nacht überwindenden immateriellen Welt empfanden, gingen die anderen analytisch und aufklärerisch ans Werk. Wenn wir das Alpenglühen heute primär als Kitsch empfinden, so hat das vor allem mit der politisch motivierten Mystifizierung des Alpenglühens als Licht schweizerischer Identität im Umfeld des ersten und zweiten Weltkrieges zu tun. Dass aber dieser Tage in Warschau Peter Turrinis „Alpenglühen“ von 1992 aufgeführt wird (in der Ausstellung in Aarau ist das Modell des Bühnenbildes zu sehen), zeigt, dass es den Mythos (ob geliebt oder gehasst) nach wie vor gibt und dass er mitnichten auf die Schweiz beschränkt ist.
Die Ausstellung im Forum Schlossplatz ist klein und dicht. Sie deutet nicht, sie breitet Fülle aus; wissend, dass der Mythos so stark ist, dass sich die Diskussion von selbst entzündet. Denn wer hat das Alpenglühen nicht schon erlebt und irritiert seine emotionale Wirkung registiert. Wer kann „Lueget vo Bärge und Tal… wie si d’Gletscher so rot“ aus dem „Röseligarten“ summen ohne ein Moment der Ergriffenheit zu unterdrücken. Das war nicht immer so. Caspar Wolf, der in der zweiten Hälfte des 18. Jh. die Alpen porträtierte, zeigt die Bergketten noch weitgehend als Natur-Macht. Mit der „Eroberung“ der Alpen durch die „Bildungsreisenden“ war diese Macht gebrochen und der Weg frei, den „Sieg“ über das Hochgebirge zu heroisieren. Weil das gleichzeitig auch die Epoche der Romantik war, in welcher dem Licht grosse Bedeutung zukam, wurde das Alpenglühen zu einem Brennpunkt. Interessant ist dabei die Gleichzeitigkeit forschender und besingender Annäherung. Während Friedrich Matthisson seine Liedtexte (u.a. für Schubert) schreibt, vom „Goldenen Schimmer“ und von „des sinkenden Tages sterbender Glut“ spricht, schreibt Wolfgang Goethe seine Farbenlehre (sie ist in der Ausstellung als Experiment zu sehen). Während die Postkarten-Industrie die Romantik ins frühe 20. Jahrhundert verlängert, treibt Albert Heim seine wissenschaftlichen Untersuchungen über die „Luftfarben“ voran. Und während die Ausstellung „Schweiz im Bild,Bild der Schweiz“ (Aargauer Kunsthaus 1974) das rotschimmernde Matterhorn als Lichtform auf Hochhäusern parodiert und dekonstruiert, jodeln die Sängervereini-gungen auch heute noch das Lied vom Licht der Alpen (über die Kopfhörer kann man auch die Schweizer Landeshymne hören).
Die Ausstellung gewährt der Zeit, als man das Alpenglühen ernst nahm (ca. 1850 bis 1945) deutlich mehr Platz als der kritischen Auseinander-setzung mit dem Mythos. Zitate wie „Am Alpenglühen entflammen keine Lichter. Vom höhern Berg gibt’s nur geringe Dichter“ von Karl Kraus sind eher die Ausnahme. Vermutlich nicht nur weil das dankbarer und bezüglich Materialien schiergar unerschöpflich ist, sondern auch, weil die kritische Annäherung, zum Beispiel der bildenden Künstler der 70er Jahre, heute irgendwie abgefakelt wirkt. Allerdings ist auch ihre Präsentation innerhalb der Ausstellung eher lieblos ( Max Matters popartiges „Leuchtobjekt“ von 1969 hat kaum 20 cm um zu leuchten). Dennoch kann man sich fragen – die Plakate „Reisen heute. Ihre Schweiz“ unterstützen diesen Gedanken – ob wir nicht im Zeitalter desdigitalen Widerscheins der Wirklichkeit einer virtuellen Romantik verfallen, die wir gerne mit Ironie an der Realität brechen. Mag sein, dass wir darum lieber mit ironischer Wehmut auf die Zeit zurückschauen als NZZ-Feuilleton-Redaktor J.C.Heer „Den König der Bernina“ ( 1901) schrieb als die Entlarvung des Mythosweiterzutreiben.
Die Ausstellung dauert bis zum 2. Februar (24. Dez. bis 3. Jan. geschlossen). Sie ist von einem kleinen Katalog begleitet. Am 15. Dezember findet ein „Winterspaziergang zum Alpenzeiger“ mit Texten zum Thema Alpenglühen statt. Weitere Veranstaltungen: Siehe Agenda.