Die die weissen Elephanten vorbeiziehen sah….
Über Ordnung, Sprache und Essenz in den Videos von Marie José Burki
1986, noch während des literaturwissenschaftlichen Studiums an der Universität und der Ausbildung bei Silvie und Chérif Défraoui an der Kunstakademie in Genf, realisiert Marie José Burki (geb. 1961 in Biel) das Video „Celui, qui a vu passer les éléphants blancs“. Das vielgezeigte Band, das 1992 an der Documenta in Kassel lief, zeigt parallel zur Zeit, die eine Schnecke braucht, um über einen Bildschirm zu kriechen, Filmstreifen verschiedenster Bewegungsabläufe (Menschen, Tiere, Autos, Flugzeuge), übernommen aus Hollywoodfilmen. Das Relative der Dimension Zeit ist bis heute ein wichtiger Aspekt im Videoschaffen der in Brüssel lebenden, französischsprachigen Schweizer Videokünstlerin. Ueberlagerte Zeitabläufe bilden zum Beispiel auch den Irritationsfaktor der Installation „Paysage“ (Shedhalle Zürich, 1989): Ein gezäumtes, weisses Pferd galoppiert durch die Landschaft; der Reiter ist nur partiell sichtbar, das Vorbeigleiten der Landschaft und die rhythmische Bewegung des Tieres sind bildbestimmend. Das Band war, im rechten Winkel zueinander, auf zwei Wände projiziert, lief aber nicht synchron, sodass der Zeitstandort der Betrachtenden im Verhältnis zum Bildfluss kontinuierlich in Frage gestellt wurde.
Das kritische Beobachten von Normen, Ordnungen und Klassifizierungen in Relation zum Menschen als emotionalem Wesen ist die Grundthematik des künstlerischen Schaffens von Marie José Burki. Ihre Sprache ist dabei eine ebenso präzise, wie einfache und auf einer Primärebene unmittelbar verständliche. Sehr oft benutzt sie unsere archetypische Gefühlsnähe zum Tier. Zum Beispiel in „Les chiens“(1994): Auf dem Bildschirm ist während 20 Minuten ein kleiner, eher hässlicher Hund zu sehen, offensichtlich eine Promenadenmischung. Er sitzt und schaut treuherzig in den Raum. Die Bildbewegungen beschränken sich auf die natürlichen Regungen des Tieres. Eine bildunabhängige Stimme „rezitiert“ derweilen eine Liste von Hunderassen: „Il y a l’affenpinscher, le balkanski Gonic, le bull terrier, le schweizerische laufhund, le doberman…“. Dass das Benennen nichts über das Wesen des Tieres aussagt und die Sympathie unweigerlich dem Hund gehört, lässt den konzeptuellen Ansatz der Künstlerin erkennen. Komplexer, aber nicht minder direkt, ist die Thematik in der Installation „Les uns, les autres“ (1994), in welcher die über eine Videoprojektion vermittelten Augen einer Eule mit dem auf einem Bildschirm erscheinenden „Blick“ eines ausgestopften Artgenossen zu kommunizieren scheinen. Nur die knappen Kopfbewegungen und das gelegentliche Blinzeln der einen Eule lassen den Unterschied zwischen Leben und Tod respektive „Leben“ als Anschauungsobjekt für die Wissenschaft erkennen. Diesmal ist es nicht Sympathie für das Tier, die sich regt, sondern ein schales Gefühl von Ausgeschlossensein. „Die Beziehung, die wir Menschen zu den Tieren haben, sagt viel über den Menschen und nichts über die Tiere aus“, sagte die Künstlerin 1995 in einem Interview.
Thomas Kellein zeigte Marie José Burkis Werk 1995 in der Kunsthalle Basel erstmals in grösserem Zusammenhang. Dabei wurde deutlich, was die Künstlerin meint, wenn sie sagt, dass sie sich während ihrer Studienzeit wohl intensiv mit der Entwicklung des Videos seit den 60er Jahren auseinandergesetzt habe, sich aber weder bildmässig noch technisch noch theoretisch daran orientiere. Tatsächlich ist das technische Know-How, das sie einsetzt – zum Beispiel im Vergleich mit Pipilotti Rist – minimal. Und zum Aspekt Theorie zitiert Marie José Burki gerne Proust, der einmal formulierte: „Ein Kunstwerk, an dem man Theorien ablesen kann, ist wie ein Geschenk, an dem der Preis noch klebt“. Der Ansatz von Burki, die ihr Literaturstudium 1988 mit einer Arbeit über Raymond Roussel abschloss, ist wohl eher im Bereich der Sprache zu suchen, im bildmässigen Darstellen der Relativität von Benennen und inhaltlicher Aussage, die, im Gegensatz zum Wortbegriff, immer auch Assoziatives und Emotionales mitbeinhaltet. Die Betonung dieser Struktur ist vielleicht der spezifisch weibliche Aspekt im Schaffen der Künstlerin. Die Unverständlichkeit der Ausdrucksweise des Tieres im Vergleich zur analytisch argumentierenden Wissenschaft, dient ihr dabei als Metapher. Das heisst auch, dass ihre Arbeiten nicht moralisch zu interpretieren sind und auch nicht aus einer besonderen Affinität zum Tier heraus wachsen. „Ich fühle mich den Menschen näher“, sagt sie.
Für die Basler Ausstellung realisierte Marie José Burki unter anderem eine Installation mit dem Titel „Parade“. Sie zeigt in einem geschlossenen Raum das Vorbeiziehen von Majoretten und Tambouren während eines Umzuges. Der Standort der Kamera ist statisch; das Vorbeiziehen der Gruppen entspricht der Erinnerung der Betrachtenden an eigene Erlebnisse und fokussiert damit vielleicht was Burki meint, wenn sie dazu sagt:“Wir sind in unserem Innern wahrscheinlich alle „un petit soldat“, oder nicht?“ „Parade“ lässt ahnen, dass Burki das Paradigma der Tierwelt mehr und mehr hinter sich lassen wird. Gleichzeitig dokumentierte die eher kritische Rezeption der Arbeit aber auch die Schwierigkeit, das bereits auf den Tieraspekt fixierte Bild der Künstlerin mit neuen Themen ähnlich präzis, emotional und unmittelbar zu erweitern. Annelise Zwez
Erschienen in „Neue Bildende Kunst“, Berlin, 1996