Kleine Erregungen voller Witz und Charme
Erotik 17 Kunstschaffende mit Winzig-Werken in der Krone in Aarau. Aargauer Tagblatt Oktober 1997
Die Erotik ist eines der ältesten Themen der Kunst. Und nie fällt sie aus der Zeit. Wie wäre sonst zu erklären, dass die Aargauer Künstlerin Sadhyo Niederberger in nur drei Wochen an die 30 lustvolle, mehrheitlich aus dem Aargau stammende, Künstler und Künstlerinnen findet, die sich an ihrer ad hoc-Ausstellung „Erotik im Kleinformat“ in zwei Räumen der Kronengenossenschaft in Aarau beteiligen wollen. Der Mut, die kurzfristige Idee einer Ausstellung anzupacken, wurzelte im (heimlichen) Wissen, dass in fast allen Ateliers ihrer Kolleginnen und Kollegen irgendwo auf einem Gestell, in einem Kasten verborgen, kleine Lustobjekte stehen; wohl in ganz besonderen Momenten entstanden und nicht zwingend mit dem Hauptwerk verbunden. Gross war das Staunen der Veranstalterin, als die meisten Künstlerinnen und Künstler letztlich nicht Bestehendes einbrachten, sondern die Einladung dazu nutzten, gehütete Ideen (Phantasien) bei dieser Gelegenheit umzusetzen, Neues zu schaffen. So köstlich das einerseits ist, so schade ist es auch. Denn so sind es nicht mehr heimliche, sondern für die Oeffentlichkeit bestimmte Arbeiten. Einzig Sabine Trüb – das Subversive schon immer liebend – zeigt als „Fundstück“ von 1980 eine Fotografie vage sichtbaren, rosaroten Körpergeschehens mit einer überblendeten Pistole im Vordergrund. Die Kehrseite der Erotik steht indes nicht im Zentrum. Die Ausstellung ist keine thematische Auseinandersetzung mit der Komplexität des Themas, sondern eher „Eine Erregung für Grammophon“, wie Esther Roth ihre stumme, Lustklang versprechende Arbeit nennt. Oder eine „Oneiromantie für Jung-
gesellen“, eine alchemistische Anleitung mit Objektchen, zum Erträumen zukünftiger Bräute (Sadyho Niederberger/Bild). Die Qualität der Arbeiten ist dem Projekt entsprechend, sehr unterschiedlich. Clichés kontrastieren Köstliches, Braves hängt neben Deftigem. Zum Freuen (und vielleicht im Körper spüren) sind zum Beispiel der in Wachs gegossene Lippenhauch von Pia Gisler, die beweglichen Aspirinkapsel-Brustwarzen von Sabine Trüb, die versiegelten Schlüssellöcher im Aktenkoffer von Verena Leistner, die „Email-Stamps“ von Bruno Landis, die „Topographie der Gefühle“ von Markus Käch, die unzweideutigen Radierungen von Matthias Linder. Ein Must im Rundgang sind die interaktiven Leuchtbilder der „Vision Mistress“ von Jo Milne und das „Auge des Voyeurs“ von Franziska Schiratzki. Eine der schönsten Arbeiten hat sich, das Thema treffend spiegelnd, an der „bestbesuchten“ Vernissage im Nu aufgelöst: Das erotische Buffet von Lisa Stauffer, das etwas vom Duft von Meret Oppenheims Frühlingsbuffet (Bern, 1959) nach Aarau trug. Ausgeweitet wurde das Thema durch die erd- und körpernahe, irische Geschichte „Unter dem Kissen“ von Sabine Reber, die von Hannes Leo Meyer vorgetragen wurde. Zum Pfeffer der Ausstellung gehört das doppelseitige Objekt, wohl Frankreich, 18.Jahrhundert, aus Privatbesitz, das auf der verschliessbaren Rückseite eines Frauenporträts eine unverblümte Liebesszene zeigt. Im Vergleich dazu sind die Werklein des ausgehenden 20.Jahrhunderts doch recht brav und gesittet, mehr ein Versprechen, denn etwas für Voyeure. (azw)
Erotik im Kleinformat, Kronengasse 5, Aarau. Bis 15. November. Mi – Fr 16 – 18.30, Sa 10 – 16 Uhr.
