Fetzen aus der Fülle des Verborgenen
Zu „Bild und Sprache“ von Martin Schweizer im Museum Allerheiligen
Obwohl viele Schaffhauser wussten, dass Martin Schweizer sein Sprachvermögen nicht nur für SN-Texte braucht, sondern auch als Ausdrucksmittel zwischen Klang, Inhalt, Form und Bild einsetzt, überraschte die malerische Gestaltungskraft der Werke in der Ausstellung im Museum Allerheiligen die meisten.
Wer die Augen schliesst und sich fallen lässt, landet zuweilen an einem Ort, wo Wachsein und Träumen keine Gegensätze sind. Es kann da sanft, sinnlich, farbig, fröhlich sein; es kann da aber auch bedrängend, bedrohlich, unheimlich und unbekannt sein. Keine Form, kein Wort, keine Farbe vermag dort ihre Eindeutigkeit zu halten; stetig wächst das eine aus dem andern, deckt sich zu, wird neu, kratzt sich wieder frei, spielt, springt, wischt dem anderen eins aus und verwandelt sich selbst. Martin Schweizers malerische Miniaturen entstehen in der Schwebe dieses Bewusstseins, unter, über, links und rechts des Alltags.
Auch da ist nicht jeden Tag alles neu, es gibt Gewohnheiten – der Form, der Komposition, des Strichs, der Malmittel, der Denk- und Fühlfelder. Besonders gerne wandeln sich Vögel in Fische und Phalli in Flügel und Flugkörper und fliegen damit, vielleicht, zurück zur (weiblichen) Figur. Buchstaben ziehen den Blick an, nehmen das Gespräch mit den Betrachtenden auf, fügen sich zu Wörtern; vielfach solchen der Schauenden selbst. Widerstand wird spürbar, allfällig „falsch“ Geschautes wieder herzugeben. Man möchte die in der Malschicht gefundenen „Spurenelemente“, den „Exorzismus“, die „tapfere, kranke Katze“ stehen lassen, obwohl der analytische Blick längst verraten hat, dass das gar nicht dasteht. Anderswo spielt man vielleicht mit, findet hier das „N“, das „Tar“ zu „Tarn“ macht, dort das „ame“ zu „amen“ und schliesslich zu „Samen“. Oder man erkennt, dass zwischen „Kamerun“ und „Kam/er/um“ nur ein einziger Bogenstrich Unterschied besteht, und spürt im Bildhaften das Zögern des Künstlers.
Die Worte benennen nicht, was das Bild zeigt, sie sind nicht Titel und nicht Legende, sondern schieben sich analog den Farben und Formen in den Malprozess. Sie oszillieren zwischen Inhalt und Gestalt, sind Lust im Wachsein und im Traum zugleich.
Dass sich Bild und Sprache im Malerischen verbinden, ist seit den expressionistischen Tendenzen der 80er Jahre nichts Ungewöhnliches. Es mag sein, dass die 70erJahr-Auseinandersetzungen mit „art brut“ und „Outside“, wo Sprache häufig auftaucht, den Boden dazu bereitete. Es ist überdies bekannt, dass Martin Schweizer sich, zum Beispiel, mit den „Künstlern aus Gugging“ intensiv befasst hat. Sowohl Expressives, Emotionalbetontes wie „art brut“-Verwandtes klingen in seinen Werken an. Als Spiegel der Suche nach dem Ort, wo Bild und Sprache ungefiltert Gedankliches, Gefühlsmässiges, Körperliches ausdrücken.
Was Martin Schweizers Malerei jedoch vom Erwähnten unterscheidet, und damit in unserem Empfinden auch die spezifische Qualität seines Werkes benennt, ist der Grad der Integration von Bild und Sprache. Gewiss, in den Bildern dominiert das Bildhafte – so wie umgekehrt in den Schriften die Sprache vorherrscht. Und doch ist das Eine das Andere in unterschiedlicher Färbung und Thematik. In den Bildern „erzählen“ die Worte, ähnlich der geometrischen Struktur an der Basis einzelner Blätter, von der Wachheit des Künstlers, von der Präzision im Strudel des Auf und Ab von Formen, Schichten, Gefühlen und Impulsen. Und umgekehrt bedürfen die Schriften der „bildhaften“ Vernetzung von gross und klein, klein und gross, laut und leise, oben und unten, hier und hier und dort und dort. Dieses unentwegte, mal spitze, mal weiche Spiel zwischen Bild und Sprache, Inhalt und Gestalt findet man so nirgends sonst; schon gar nicht in der „Nonchalance“ der 90er Jahre.
Die Kabinett-Ausstellung Martin Schweizer, die in Grösse und Dichte dem bildnerischen Werk entspricht, dauert bis zum 18. Januar 1998.