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Vernissagerede anlässlich der Ausstellung Armand Pierre Fernandez (1928-2005), genannt Armand, im Schlosshof Lenzburg, 5.September 1998

 

Die Sammlungen Edmund Wyss und Andreas Brunner – Werke der 1950er bis Ende der 1980er-Jahre, vereinzelt bis heute

Sonderedition „Argovie Hélvetie“ (Lithographie)

Sehr geehrte Damen und Herren

„Yves Klein und ich“, so erzählte Arman 1969 in einem ersten Rückblick auf sein Werk, „wir haben uns einmal die Welt geteilt wie zwei Reichsgrafen. Er sagte mir damals: ‚Ich werde mich für das Organische interessieren, Dir gehört alles, was fabriziert ist‘. Sie sehen, die Wahl meines Materials in einer Fabrik ist ein logisches Resultat meiner Einstellung, die Fabrik ist einer der Tempel meines Kultes.“ Dieses Zitat – geradezu eine „Accumulation“ biographischer, charakterlicher und werkbezogener Momente – ist mir im Katalog zur grossen Retrospektive von Arman in Hannover, Darmstadt, Tel Aviv, Tübingen und schliesslich im Musée Picasso in Antibes, 1982/83, aufgefallen. Wohl nicht zufällig ist es der Abbildung von „Will Power“ (Willenskraft) von 1978 beigestellt, einer dichten Accumulation von bronzenen Spitzhacken aus der Serie der Werkzeuge. Die Kraft dieser Arbeit spürte in Antibes auch der Aargauer Edmund Wyss, der „Will Power“ schliesslich kaufte und heute hier ausstellt.

In den ersten 80er Jahren ermöglichte der Kunsthändler Reto Amarco, der im Zusammenhang mit einer Ausstellung Italo Valenti im Aargau weilte – manche erinnern sich sicher, in der Mini-Fassung der heutigen Ausstellung im vergangenen Dezember in der Neuen Galerie in Aarau, zeigte Andreas Brunner nicht nur seine Armans, sondern auch seine Valentis – dieser Amarco also vermittelte Andreas Brunner und seinem einstigen Studienkollegen Edmund Wyss einen Besuch im Atelier von Arman im südfranzösischen Vence. Die elektrisierende Energie des Künstlers – damals etwas über 50 Jahre alt – das imposante, kraftvolle Werk, der Siegeszug seines Schaffens durch die Vereinigten Staaten und dann vor allem auch Japan, die bevorstehende Retrospektive durch europäische Häuser – das alles faszinierte die Aargauer Kunstfreunde und sie schlossen sich dem fast um den ganzen Erdball verteilten Arman Fan-Club an. Sie kauften nicht nur ein Werk, sondern mehrere und immer wieder – fast wage ich es, von einem freundschaftlichen Sammler-Wettstreit zu sprechen. Doch, während Andreas Brunners Vision sich primär auf das „Concerto“ konzentrierte – auf eine Accumulation von Armans Umsetzungen von Rhythmen in Form an und mit Geigen, Trompeten und Klavier, tendierte Edmund Wyss von Anfang an, und im Laufe der Zeit immer mehr, Armans Werk in seiner Spannweite von den späten 50er bis in die frühen 80er Jahre einzukreisen. So kommt es zum, gesamthaft gesehen, erstaunlichen Phänomen, dass es möglich ist, mit zwei Sammlungen und ein paar Gästen eine Aargauer Arman Retrospektive zu veranstalten. Eine Ausstellung die einen Bogen spannt von den wichtigen, frühen „Allures d’objets“, die quasi die Schnittstelle zwischen Malerei und Gegenstand markieren ( es handelt sich um Malereien kleiner Gegenstände, die Arman unter dem Gesichtspunkt ihrer Veränderung mit der gewählten Distanz auf Leinwände projizierte und dort mit Pinsel und Farbe auf die Fläche übertrug) – eine Retrospektive also, die von den Armans gültiges Werk einläutenden „Allures d’objets“ über die „Colères“, die „Coupes“, die „Combustions“ bis zu den alles dominierenden „Accumulations“ in ihrem ganzen Facettenreichtum aufzeigt.

Eine Aargauer Arman Retrospektive – wie kann das sein? Armans Werk wurde, abgesehen von einem kleinen Feuerwerk im Umfeld der Ausstel­lung im Kunsthaus Zürich von 1970, wenig gezeigt. Doch man vergegen­wärtige sich, dass die 80er Jahre nicht nur das Jahrzehnt der „Transavanguardia“, der „Neuen Wilden“ und de „Neo-Geometrie“ war, sondern auch das Jahrzehnt der Sammler. Als es Europa kurz nach 1980 gelang, das Kunstgeschehen nach zwei Jahrzehnten amerikanischer Dominanz nach Europa zurückzuholen, löste das einen, den gesamten Kunstbetrieb betreffenden Boom aus. Die Zahl der Kunstschaffenden schnellte in die Höhe, aber auch jene der Galerien, der Kunstzeit­schriften, der Museumsneubauten und,vor allem, der Sammler, die den Boom mit ihrer Investitionsfreudigkeit indirekt erst ermöglichten. Diesem Trend konnten sich früher schon an Kunst Interessierte oder mit Kunst Arbeitende kaum entziehen – die beiden Arman-Sammler so wenig wie ich selbst als über Kunst Schreibende. Zu Beginn der 90er kam dann mit der Rezession der Taucher und die Spreu trennte sich vom Weizen. Weder in der Gesellschaft als Ganzes noch auf den Kulturseiten unserer Zeitungen hat die bildende Kunst heute densel­ben Beachtungswert wie in den 80er Jahren. Leider.

Für Andreas Brunner ist denn auch die aktive Zeit des Zusammentra­gens von Werken Armans primär eine Geschichte der 80er Jahre, auch wenn er mir anfangs Woche verriet, dass der „accord final“ – wie Armans Klavierwerk in seiner Sammlung heisst – noch nicht angeschla­gen ist. Betont sei gleichzeitig, dass die Freude, mit Kunstwerken zu leben, nachhaltiger ist als der Moment des Kaufens. Auch die Sammlung von Edmund Wyss entstand in wesentlichen Teilen in den 80er Jahren, ist aber ganz klar ein offenes Gefäss. Wo immer der Sammler ältere Stücke von Arman zum Verkauf angeboten sieht, prüft er sie auf die mögliche Ergänzung seines Arman-Werkes hin. Darum wies er auf meine Frage, welches denn seine Lieblingsstücke seien, spontan auf die in Beton eingegossenen „Coupes et accumulations“ – das heisst geschnittene Objekte – Trompeten zum Beispiel – die der Künstler in neuer Konstruktion mehr oder weniger deckend in Beton eingegossen hat. Es sind ganz einfach die jüngsten Werke in seiner Sammlung; der Künstler hat sie indes Mitte der 70er Jahre geschaffen.

Edmund Wyss relativierte seine Wahl dann aber sogleich und sagte: „Andere sind mir auch lieb“ – die frühen „Allures d’objets“ zum Beispiel – da spricht wohl der mittlerweile kunsthistorisch Versierte im Sammler, gehören doch seine „Allures“ kunstwissen­schaftlich gesehen zu den bedeutendsten Werken seiner Sammlung. Dasselbe gilt für die Nennung der „Accumulation Renault“, der „Fils électriques dans résine de polyester et Plexiglas“ von 1968, die nicht nur grossformatig und bedeutend, sondern, wie ich am Dienstag gesehen habe, auch gewichtig sind; nicht weniger als sechs Männer (allerdings nicht nur Zügelmannen, sondern auch Apotheker und Kura­toren) brauchte es, um sie in den luftigen Museumsraum zu tragen. In die Reihe der ganz wichtigen, frühen Werke wären auch die „Tubes marron“ von 1969 und Andreas Brunners „Tubes bleues“ von 1968, das auf der Einladungskarte abgebildet ist, zu erwähnen.

Es spiegelt sich in diesen Verweisen, dass Armans künstlerisches Hauptwerk nicht heute entsteht, sondern in einer Zeitspanne, die, nach Ansicht von klassischen Arman-Experten, analog der Ausstellung hier, in den frühen 80er Jahren endet. Das heisst aber nicht, dass Arman heute nicht mehr an der Arbeit wäre – oh, nein – und über die Wertung des Spätwerkes – etwa des entzweigeschnittenen Klaviers mit integrierten Motorrädern – unterhalten wir uns besser in 10/15 Jahren, wenn – vielleicht – jüngere Kunsthistorikerinnen neue Sicht­weisen einbringen. Mir zumindest scheint, dass Arman in seinen jüngeren Arbeiten zumindest die gesellschaftliche Mehrdeutigkeit der Wahl seiner Gegenstände nicht abhanden gekommen ist. Wir können ja nicht etwa verneinen, dass Arman mit der für diese Ausstellung geschaffenen, Geschichte und Gegenwart verbindenen Lithographie „Argovie Helvétie“ jenen, wenn auch bildnerisch gewandelten, so doch klar erkennbaren, Gegenstand gewählt hat, der zur Zeit am intensiv­sten mit der Schweiz in Verbindung gebracht wird: Den Franken.

Es ist höchste Zeit, den Aspekt des Kaufens und Sammelns nun hintan zu stellen und von Arman als Künstler, Arman als Südfranzose, als Mitbegründer der „Nouveaux Réalistes“, Arman als Freund von Yves Klein, Daniel Spörri und Jean Tinguely, Arman als Schützling des Pariser Kunsttheoretikers Pierre Restany zu sprechen.

Armand Pierre Fernandez ist 1928 als Sohn eines spanisch-algerischen Einwanders in Nizza geboren. Sein unangepasster Charakter prägt schon die Jugendzeit, doch ebenso entscheidend wie das Eigenwillige ist die Prägung durch das elterliche Antiquitäten- und Möbelge­schäft. Im Hause seiner Eltern sind „Accumulations“ von Gegenständen Alltag. Doch zunächst lehrt Vater Fernandez, ein begeisterter Hobby­maler, seinen Sohn die Oelmalerei. An der provinziellen „Ecole nationale des Arts décoratifs“ in Nizza fühlt sich Armand aber höchst unwohl, so spielt er lieber Schach und so trainiert er lieber mit Yves Klein im lokalen Judo-Club, so reist er lieber mit Klein und Claude Pascal durch Europa.

Die Begegnung mit dem gleichaltrigen, aber sowohl in der Kunst wie in der philosophischen Sicht auf die Welt breiter und tiefsinniger informierten Klein, ist für Arman bestimmend. Bald sind beide in Paris. Arman ist nach wie vor Maler. Bis ihm Yves Klein eines Tages sagt: „Tu es un bon peintre; mais, à Paris, il y a deux milles comme ça“. Da realisiert Arman, dass er Erfinder werden muss, dass er einen künstlerischen Ausdruck finden muss, der absolut neu ist und gleichzeitig ein Stück seiner selbst.Es ist, meiner Ansicht nach, typisch, dass er in dem Moment auf das zurückgreift, was ihn als Kind prägte: Den Gegenstand. Gleichzeitig – wir sind mittlerweile gegen Ende der 50er Jahre – beginnt mit dem konjunkturellen Aufschwung erstmals unsere Konsumgesellschaft Form anzunehmen. Die Fülle von Gegenständen wird zum Ausdruck der Gesellschaft, auch wenn sich erst Künstler und Intellektuelle der Brisanz dieses Wandels bewusst werden. Gleichzeitig dominiert in Paris die lyrische Ungegenständlichkeit und in Amerika der abstrakte Expressionismus die Kunst; beide Richtungen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie nicht Dinge oder Geschehnisse in ein Malfeld stellen, sondern die Leinwand als Ausschnitt von etwas viel Grösserem betrachten, sie darum bis an den Rand füllen.

All diese Momente kombiniert Arman in einer ebenso intuitiven, wie radikalen Art und Weise, als er 1959 seine ersten „Poubelles“ und seine ersten „Accumulations“ realisiert. Er nimmt Abfälle der frühen Konsumgesellschaft, füllt sie randvoll in eine Vitrine und erklärt sie zur „Malerei“. Er nimmt alte Wecker, Schuhspanner, Puppenhände, Gebisse, Kruzifixe etc. und füllt sie ebenfalls in Vitrinen. Gleich­zeitig realisiert Yves Klein seine Körper-Abdrucke, Daniel Spörri seine ersten Mahlzeiten-Reliefs, die sogenannten „Fallen-Bilder“, Jean Tinguely seine ersten, absurden Maschinen aus Abfall-Gegenstän­den. Die „Nouveaux Réalistes“, ein Begriff Pierre Restanys, sind geboren.

Wie Arman sein Werk von dieser entscheidenen Findung her entwic­kelte, sehen sie in dieser Ausstellung. Für das Nachvollziehen seiner Entwicklung, gerade auch in Kontrast zu seinen Freunden, ist Armans Doppelwohnsitz in Paris und New York ab 1961 stets hinzuzu­denken. Oder anders ausgedrückt: Der Einfluss der Pop Art der ersten Stunde ist im Werk Armans ebenso enthalten wie der Einfluss der europäischen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Schaut man sich, zum Beispiel, die geschnittenen und neu kombinierten Violons an, so ist man versucht von einer Accumulation von Kubismus und Pop Art zu sprechen. Schaut man sich, wieder als Beispiel, die Gemeinschaftsar­beit von Arman und Andy Warhol an, so ist sie nichts anderes als eine Pop Art Informel Accumulation in Bildform.

A propos Bild: Man hat Arman immer wieder vorgeworfen, er habe sich im Laufe der Zeit zu wenig entwickelt. Wer das sagt, bedenkt meiner Ansicht zwei Dinge zu wenig: Erstens: Arman denkt nicht als Bild­hauer, sondern als Maler. Das heisst, das Entscheidende ist nicht die Aussenform, sondern die Binnenform – analog zu Geschehen in einer immer gleich rechteckigen Leinwand. Zweitens: Ganz wesentlich ist immer die Wahl der Gegenstände; sie sind mitbestimmender Ausdruck. Bezeichnenderweise beklagte sich Arman einmal, die Leute würden ihm so furchtbar viele Dinge schicken, er könne aber nichts damit anfangen; er könne nur mit jenen Gegenständen arbeiten, die sich ihm als sinnvoll aufdrängen würden.

 

All dies nachzuprüfen, sei nun Zeit gegegeben. Ich danke fürs Zuhören.