VERNISSAGEREDE ANLAESSLICH DER AUSSTELLUNG VON ROLF GREDER, HEINZ PETER KOHLER UND DANIEL SALZMANN IM REBHAUS IN WINGREIS

September 1998

Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Künstler

„Heller Himmel, weiter See“, auf was der Titel der Ausstellung, die ich hier und heute eröffnen darf, anspielt, ist drei Wochen vor der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse offensichtlich. Als „Hoher Himmel, enges Tal“, präsentiert sich das Gastland Schweiz dort.-

Wenn ich am Morgen aufstehe und zum Fenster hinaus auf den See schaue und unbewusst kontrolliere, ob man die Berge sieht oder nicht, dann ist da ein heller Himmel und ein weiter See, selbst wenn es regnet. Doch wenn ich dann Lärm in der Gasse höre und zum Jura hin aus dem Fenster schaue, dann ist da eine enge Strasse und der Himmel weit oben. Ich weiss selbstverständlich, dass eine enge Dorfgasse kein enges Tal ist, aber manchmal kommt es mir so vor, auch in Zürich und in Bern.

Mit anderen Worten: Es gibt den hellen Himmel, den weiten See, aber auch das enge Tal und den hohen Himmel – auch in dieser Ausstellung: Dunkles und Helles, Lichtes und Gedrängtes, Kahles und Belaubtes, Leuchtendes und Erlöschendes, Wildes und Stilles, Lebendiges und Totes.

Heinz-Peter Kohler, Daniel Salzmann und Rolf Greder. Den Bogen vom Aquarellisten zu dem mit Acrylfarben Malenden zu spannen, ist naheliegend; das Satte, Sämige dort mit dem Flüchtigen, sich an den Farbrändern fast schon Auflösenden zu vergleichen, lockt. Rolf Greders „Imagerie populaire“ hier einzubeziehen, würde hingegen in eine Sackgasse führen. Das zu erkennen und nicht das Malerische, sondern das Konzeptuelle in Greders „Volière“ in den Vordergrund zu rücken, ist vielleicht die Schwierigkeit bei der Kombination gerade dieser drei Künstler für eine Ausstellung. Astrologen würden wohl sagen: Kunststück, wenn zwei, zusammen mit mir sogar drei, in engstem Jahreszeitraum geborene Skorpione einem einzigen Fisch gegenüberstehen.

Als ich dem bekannten Berner Künstler Franz Eggenschwiler, ein versierter Astrologe, einmal erzählte, ich sei im Skorpion geboren, sagte er nur: „Oh, diese Leidenschaft“. Ich gebe Ihnen das mit auf den Weg durch die Räume von Heinz-Peter Kohler und Daniel Salzmann. Und verweise als Kontrast darauf, dass in Kurzcharakterisierungen des Fisches immer die Worte „Opfer“ und „Retter“ auftauchen. Doch damit genug Astrologie.

Es gibt viele Sichten auf den See. Grundlegend scheint mir der Unterschied, den ich sowohl bei Heinz-Peter Kohler wie bei Daniel Salzmann entdecke. Da sehe ich nämlich, dass es eigentlich keinen Blick auf den See gibt, sondern nur den Blick über den See zum andern Ufer und den Blick in den See. Während der erste zur Gegenständlichkeit, zum Abbild hin tendiert, zieht der andere die unbekannte Ungegenständlichkeit geradezu an. Beides finden wir, in den Aquarellen und in den Acrylbildern, nicht linear getrennt, sondern oft beides in einem. Ueber den Bildern kreisen – vielleicht – Rolf Greders Falken und Milane und in die Bilder taucht – nahe beim Ufer – die Wasseramsel. Wann haben Sie den Milan letztmals über den See in den Himmel fliegen sehen?

Kein See ohne Ufer. Ob die Pfahlbauer nun im oder am See gewohnt haben, eines ist sicher, wir Menschen brauchen das Land, um zu leben; darum birgt der See so viele Geheimnisse, darum haben wir den Traum vom Fliegen wie die Vögel nie ausgeträumt. Darum ist Landschaft am See immer wieder Motiv für Maler, ob der Himmel hell oder dunkel, der See blau oder grün, die Rebstöcke voller Trauben oder kahl wie Stämme.

Heinz-Peter Kohler ist vielleicht der konsequenteste Aquarellist in der Schweizer Kunst. Er hat immer am See gelebt. Ob er mit Wasser male, weil er am See wohne, habe ich ihn anlässlich der Vorbesprechung des heutigen Tages gefragt. Zunächst wich mir der Künstler aus und sagte: Als er jung gewesen sei, hätte er es sich gar nicht leisten können, Oelfarben und Leinwände zu kaufen. So sei er Aquarellist geworden. „Ja,ja“, erwiderte ich mit journalistischer Hartnäckigkeit, „äusserlich mag das schon stimmen, aber wie ist es innerlich?“ Da lässt die Abwehr des Künstlers nach und er sagt: „Eigentlich schon“. Und wir schauen gemeinsam einen Moment zum Fenster hinaus und ich merke, wie ich den See noch nie so sehr als Bild angeschaut habe, die Westwind-Wellen noch nie so sehr als Pinselstriche wahrgenommen habe. Und plötzlich werden mir Heinz-Peter Kohlers Aquarelle zu Wasser und ich begreife, was er meinte als er von „Bildern am Rand“ sprach. Zunächst dachte ich, er meine damit die Ränder, die an den Farbbegrenzungen so charakteristisch versickern und doch immer sichtbar bleiben, auch wenn sich mehrere Schichten überlagern. Doch jetzt merkte ich, dass „Rand“ nicht nur das meinte, sondern auch die Flüchtigkeit, die Spiegelung, die Erscheinung, den Traum, die Vision, das Verfliessende. Würden wir die Bilder ins Wasser tauchen, wären sie bald nur noch Spuren ihrer selbst.

Ob das Wassermoment ähnlich auch für Louis Moilliet und Paul Klee, die im Zusammenhang mit Heinz-Peter Kohlers umfangreichem Werk immer wieder genannt werden, gilt? Ich bin mir da nicht so sicher. Heinz-Peter Kohler ist mit Jahrgang 1935 eine andere Generation; nicht ein 68er wie Rolf Greder, sondern ein Vertreter der sogenannten Beat-Generation, ähnlich Jos Nünlist, der zur Zeit in der Galerie Silvia Steiner in Biel ausstellt. Die späte 50er respektive frühe 60er Jahr-Generation glaubte, parallel zu den Anfängen des konjunkturellen Aufschwungs, der Krieg sei nun überwunden und eine bessere Welt bahne sich an. Eine Illusion, wie sich bald zeigte und für viele eine lebenslange Enttäuschung. In den Aquarellen Heinz-Peter Kohlers schwingt solches mit; Emotionales prägt die Arbeiten stärker als Motiv und Form. Selbst der Blick über den See ist ein Blick in den See, ähnlich den „Reisen“, die der Künstler malend unternimmt, ohne das Atelier zu verlassen.

Daniel Salzmann – mit Jahrgang 1955 exakt 20 Jahre jünger als Heinz-Peter Kohler – schweift nicht so sehr in die Ferne. Er ist auch nicht am See aufgewachsen, sondern in einem engen Tal mit hohen Bergen gen Norden und gen Süden. Wenn er auch, wie ich selbst, an einem 7. November in Biel geboren ist und mittlerweile schon lange im Raum Burgdorf, Biel, Bern wohnt und sein Atelier in Ligerz hat, so verrät doch sein Dialekt die Herkunft aus dem Oberwallis. Die Nähe der Wälder, die nahe Sicht auf das Land spiegelt sich in seinen Bildern. Sie sind körperlicher, sinnlicher als jene Heinz-Peter Kohlers, so wie das der 80er-Jahr-Generation entspricht. Was die beiden Werke miteinander verbindet, ist jedoch eine emotionale Sprache, die gefühlsmässige Energien frei in den Blick auf den See und das Leben am See einfliessen lässt. Während sich indes dort das Licht im Wasser spiegelt, erscheint es hier in Pigmente gebunden, mal satt und sämig, mal lasierend und dünn aufgetragen.

Die körperliche Nähe, die ich meinte, drückt sich darin aus, dass Daniel Salzmann in allen Werkgruppen von einem in Greifbarkeit herangeholten Gegenstand – insbesondere Rebstöcke und Granatäpfel – ausgeht. Und zwar als Gegenstände wie als Symbole. Die Malerei, die sich, davon ausgehend entwickelt, meint das Atelier, vor allem aber die Landschaft um den See, präziser, die Landschaft um das eigene Sein, das Verweilen an einem Ort, das Eintauchen in eine Stimmung, die – hier – von Winter und Sommer, von hell und dunkel, grün und blau, von Wein, Wald, hellem Himmel und weitem See bestimmt sind. Er geht mit ihnen ein Stück Juraweg im Licht, malend, sinnend, schauend, denkend. Dabei erhalten die Bilder mehr und mehr Freiheit – Licht, Farbe, Bewegung überlagern die ursprünglichen Motive, wandeln sie in Empfindung, in Leben. Den Künstler auf den Wandlungsprozess ansprechend, erinnert er sich eines Leitsatzes, den ihm einst sein Lehrer an der Schule für Gestaltung in Sion mitgab: Denken musst Du vor dem Malen und nach dem Malen. Mit anderen Worten, die Analyse, zum Beispiel bezüglich Spannung und Komposition – schauen Sie in den Gruppen den steten Wechsel zwischen den Zahlen zwei und drei an – das Konzeptionelle bildet den Rahmen, in dem sich Farben und Sinne malend in Bilder verwandeln sollen.

Stichwort Konzept. Gehen wir, angefüllt mit der Malerei von Heinz-Peter Kohler und Daniel Salzmann, auf die „Imagerie populaire“ von Rolf Greder zu, so können diese Bilder zunächst nicht mithalten. Das Malerische ist nicht ihr Credo. Sie wissen, besser als ich, dass Rolf Greder immer ebenso ein engagierter Kulturpolitiker wie Künstler war. Etwas bewegen, Bewusstsein schaffen, der Kultur, der Kunst Raum geben ist ein wichtiger Teil seines Denkens. Kultur ist für den von den ökologiekritischen 70er Jahren Geprägten immer auch Natur. Der Kultur Raum geben heisst für ihn stets auch der Natur Raum geben. Wenn er uns hier ein kleines Vogel-Lexikon der Region zeigt, so kommt zum umweltkritischen Moment noch ein Stück Biographie; Rolf Greder hat schon als Kind Biels Stadtvolière mitbetreut. Vögel sind für ihn emotional besetzt. Darum sind sie auch überlebensgross dargestellt. Aber entgegen Heinz-Peter Kohler und Daniel Salzmann setzt er dieses Gefühlsmoment nicht malerisch um, sondern in gewissem Sinn politisch. Dass die „Falken“ in seiner „Imagerie“ ein starkes Gewicht haben, darf wohl durchaus in diesem Sinn gelesen werden.

Rolf Greder spricht denn auch nicht von Bildern, sondern von Zeichen, von Piktogrammen und erinnert sich der aufklärerischen Bilderbogen, die früher oft den Illustrierten beigelegt worden sind. Als ich ihn frage, ob er sich denn vorstellen könnte, dass diese Bilder gar nicht hier hängen, sondern auf Tafeln rund um den See aufgestellt sind, nickt er und holt schmunzelnd die grossformatige Dokumentation seines öffentlichkeitsorientierten Schaffens herbei und zeigt mir die Baumtafeln, die er vor exakt 10 Jahren zusammen mit Susanne Müller als „Skulpturen“ – wohlverstanden, Plakate als Skulpturen – auf dem Bieler Strandboden plaziert hat. So müssen wir hier nicht von Kunstgeschichte und nicht von Malerei sprechen, sondern die Fenster öffnen, um Rolf Greders Milane, Bussarde, Bachstelzen, Kohlmeisen, Wiesenweihen usw. in Ueberlebensgrösse hinausfliegen zu lassen, damit sie mit ihrer Kraft Raum schaffen für viele ihrer normalgrossen Artgenossen. Den Uhu behalten wir noch zurück, er geht lieber erst, wenn wir schon gegangen sind.