Cyborg Frictions: Mit Elektronik ins Nirwana?
Bern stand übers Wochenende im Zeichen des Körpers auf dem Weg zu seiner virtuellen Identität. In der Dampfzentrale zeigte Sterlac sein technologisches „Ich“, im Kornhaus moderierte Lischka den „Werbekörper“.
Annelise Zwez, Bieler Tagblatt November 1999
Lange beflügelte der Traum vom Fliegen die Fantasie des Menschen. Heute kann er fliegen, sogar ins All. Die neue Vision heisst „Cyborg“ – der Mensch, der sein Körper- und Geist-Ich durch Technologie erweitert und den Tod in ewiges Leben wandelt. Die Idee, am Morgen anstelle von Kleidern den werbewirksamsten Körper für den Tag zu wählen, rückt durch Roboter-Entwicklungen immer näher. Sind wir die letzte Generation, die altert und schliesslich stirbt, wurde im Forum für Medien und Gestaltung gefragt. Einer der seit 30 Jahren die Ausweitung der körperlichen Identität durch die Technik probt, ist der auf Zypern geborene Australier Sterlac. In Bern gastierte er mit „Ekoskeleton“, seiner insektoiden Mensch/ Technik-Performance. Wir müssten endlich erkennen, so der Künstler, dass der menschliche Körper nicht etwas Gegebenes sei, sondern eine in ihrem Bewusstsein auszuweitende Struktur. Die Technologie sei ein Teil der menschlichen Existenz. Dass seine Position nicht zuletzt ein West/Ost-Dialog ist, machte die Performance klar: Bevor sich Sterlac in seine pneumatische Elektronik-Skulptur einbinden liess, stand er mehrere Minuten still im Raum, sich ganz auf sich und das Kommende konzentrierend. Wenn er merken würde, dass in einer Performance das technoide Moment dominierte, würde er sie abbrechen, sagt er. Für die Zuschauenden, die sich wegen des ohrenbetäubenden (absichtlich verstärkten?) Lärms der Motoren die Ohren mit Pfropfen verstopfen mussten, war dies am unmittelbar Sichtbaren schwierig nachzuvollziehen. Sie sahen ein sechsbeiniges, hundertfach verkabeltes Ding zwischen Altar, Opferstätte und Mondläufer, das sich im Gleichschritt mit den vom Künstler ausgelösten, elektronischen Impulsen im Raum bewegte und den Künstler durcheinanderschüttelte. Weder das noch die langfingrige, elektronische Hand wirkten auf Fantasy Gewohnte überwältigend. Und so ertappte er oder sie sich über kurz oder lang dabei, dass die Augen dem von Sony life auf eine Projektionswand übertragenen Video folgten und nicht der Hardware. Die überzeugende, mediale Aufbereitung mit mehreren Kameras, Zoomeinstellungen, Ueberlagerungen, Schnitten etc. brachte das Visionäre der Perfomance weit besser ins Bewusstsein als das sich real Abspielende. Diese Erkenntnis war, wenn auch ungewollt, letztlich die Essenz der Performance. Indem sie aufzeigte, wie sehr unsere Wahrnehmung bereits heute vom virtuellen Bild bestimmt ist. Und plötzlich ist der Gedanke, den Körper (real oder virtuell) zuhause zu lassen und nur noch mit dem Geist durch die Welt zu wandeln, gar nicht mehr so weit weg. Wäre da nicht der Satz des im Rahmen von „Werbekörper“ auftretenden Philosophen Bernd Guggenberg (Berlin): „Ein Leben in der totalen Möglichkeitsform ist die Hölle“.