Die Intitimät der Öffentlichkeit
Kunstmuseum Freiburg: Nika Spalinger und Shelly Silver. 2000
Wer hat nicht schon vergessen, dass er, auf den Bus wartend, nicht allein ist , sondern mitten in der Öffentlichkeit. Dieser Intimität sind Nika Spalinger und Shelly Silver in der Installation „Caché parmi les feuilles“ auf der Spur.
Erstmals wagte es das in Kritkerkreisen als „verschlafen“ geltende Musée dart et dhistoire in Freiburg, zwei jüngeren Künstlerinnen „carte blanche“ für eine vielteilige Raum-Video-Installation zu geben. Kuratiert von Verena Villiger zeigen Nika Spalinger (Bern/Freiburg) und Shelly Silver (New York) eine gemeinsam konzipierte Ausstellung. „Caché parmi les feuilles“ vernetzt zum einen die Thematik von Sehen und Nichtsehen, zum anderen Realität und Virtualität, Innen- und Aussenräume; und dies gleich mehrfach. Wer ins abgedunkelte Labyrinth einsteigt, ist einen Moment lang verwirrt. Ist er nun im Museum, in Freiburg, oder auf dem Weg vom Bahnhof zur „bollwerk apotheke“ in Bern? Ist er allein oder mitten unter Menschen? Und wenn ja welchen? Denen auf der Treppe vor ihm oder jenen, die mit ihm im Museum sind? Bald differenziert die Wahrnehmung hier Realität, dort die videastisch gespiegelte Welt. Doch um die Ecke wird schon vieles wieder unklar: Was soll dieses Bild einer Mutter, die ihr Kind am Kopf hält, aufhebt und wieder abstellt, mitten im städtischen Verkehr und dies unablässig, immer und immer wieder. Ist da ein Thriller angesagt? Nein, aber mit dem Video kann man der Zeit ein Schnippchen schlagen. Sie nicht linear dauern lassen, sondern endlos wiederholen, was in Realzeit vielleicht gerade mal vier Sekunden waren. Spiel. War das nicht schon immer der springende Punkt im künstlerischen Schaffen der 1958 in Bern geborenen Nika Spalinger? Ein weiterer Film dreht sich ein jener der Erinnerung an frühere Arbeiten. An „Transfert“ zum Beispiel, wo uns Nika Spalinger durch charakteristische Geräusche aus einem Lüftungsschacht vorgaukelte, Biels Verkehrsprobleme seien über Nacht durch ein unterirdisches Tunnelsystem gelöst worden. Oder an den grossen Uhrzeiger, der sich im alten CentrePasquArt (1995) knapp über dem Boden drehte und drehte, sodass man kontinuierlich darüber hüpfen musste. Im vergangenen Jahr weilte die in Freiburg arbeitende Künstlerin im Berner Atelier in New York. Und lernte da die Videokünstlerin Shelly Silver kennen, deren Hinterfragen von Identität sie faszinierte. Das Team als Steigerung erlebend, schlug sie Freiburg statt einer Einzelausstellung eine Duo-Arbeit vor, die Video, Rauminszenierung und Installation zu einem Ganzen fügt. Im Sommer entwarfen die beiden das Konzept und filmten das Rohmaterial für die sechs Sequenzen aus dem städtischen Alltag von Freiburg, Basel und Bern. Die Dominanz des auf sich selbst konzentrierten Menschen im öffentlichen Raum im Zug, im Tram, auf den Bus wartend usw. entspricht der Handschrift der Amerikanerin. So wie das eingeschobene, grell belichtete Kabinett mit den zwei weissen Parkbänken auf grauem Kies, das in Umkehrung der Videopraxis die greifbare Realität als virtuell erscheinen lässt, dem Denken Nika Spalingers entspringt. Dennoch wäre es falsch das Duo zu trennen denn die Kraft der Installation liegt im Loop der Wechselwirkungen. Im Labyrinth, das virtuelle Blicke in die Realität freigibt, das Menschen (oder präziser: Fragmente von Menschen) zeigt ohne dass sich diese gesehen fühlen, das den Betrachter auf einer Bank sitzend zum Vis-à-Vis von Menschen macht, die auf einer Bank sitzend auf den Bus warten usw. In der Komplexität entziehen sich Nika Spalinger und Shelly Silver der Gefahr des Big Brother-Voyeurismus und zeigen mit Lust sowohl das Spiel wie seine Regeln und machen die Besuchenden nicht nur zu Mitsehenden, sondern ungefragt auch zu Mitspielenden. Und das ist Spass mit Hintergrund. Musée dart et dhistoire, Fribourg: „Caché parmi les feuilles“, Video-Raum-Installation von Nika Spalinger (CH) und Shelly Silver(USA). Finissage: Sonntag, 18. Februar, 18 Uhr, mit Performance von Victorine Müller.
Bitte mehr Ausstrahlung
Das von Yvonne Lenherr geleitete, kantonale Museum für Kunst und Geschichte in Freiburg ist selten in den Schlagzeilen. In der Deutschschweiz kennen das über einen Alt- und einen Neubau verfügende Museum gar nicht. Wer in Kunstkreisen „Freiburg“ hört, denkt an „Fri Art“, die kleine, kaum über finanzielle Mittel verfügende Kunsthalle in der Unterstadt. Und dies obwohl die Freiburger Sammlung an spätmittelalterlicher Skulptur schweizweit als die qualitativ herausragendste gilt. Doch trotz ansprechender Internet-Homepage gelingt es Freiburg weder mit diesen Kostbarkeiten noch mit Wechselausstellungen überregionale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Letztere sind häufig auch nicht sehr originell und ziehen darum die über Kunst Schreibenden selten an. Es ist als hätte hier noch niemand etwas von einem Kampf ums Publikum, von modernem Management und werbewirksamer Medienarbeit gehört. Mit einem Ausstellungsbudget, das sich jährlich zwischen 300’000 und 400’000 Franken bewegt, könnte man deutlich mehr machen. Yvonne Lenherr verweist auf die wissenschaftliche Arbeit, die in Freiburg geleistet werde, zum Beispiel im Hinblick auf die für 2001 geplante Ausstellung des 1523 in Bern verstorbenen Hans Fries, von dem es mehr als 40 signierte (!) Werke gibt. Ein Museum, das sich gleichwertig zwischen Vergangenheit und Gegenwart positioniert, hat in der Schweizer Museumslandschaft durchaus Platz, umsomehr als die Geschichte zur Zeit von vielen arg vernachlässigt wird. Doch dies bitte mit mehr Ausstrahlung!