Preis der Nationalgalerie soll für Berlin punkten
Kultur als Wirtschafts-Standortvorteil. 2000
Erstmals wird am 6. Dezember der Preis der Berliner Nationalgalerie für junge Kunst vergeben. Mit einer Preissumme von 100 000 DM und guter Presse-Arbeit soll er – ähnlich dem englischen Turner-Preis für den Kulturstandort Berlin punkten.
Seit Herbst 1996 ist der „Hamburger Bahnhof“, unweit der einstigen Zonen-Grenze, die „Berliner Nationalgalerie Museum für Gegenwart“. In der grossen (Bahnhof)-Halle sind zur Zeit vier umfangreiche Installationen zu sehen. Es sind die Nominations-Arbeiten der für den ersten Preis der Nationalgalerie für junge Kunst vorgeschlagenen Künstlerinnen und Künstler: Katharina Grosse, Olafur Eliasson, Dirk Skreber und Christian Jankowski. Der hochdotierte Preis soll Berlins Image als europäische Kulturstadt fördern. Oder, kritischer formuliert, es soll aus dem Umstand, dass seit dem Mauerfall eine Vielzahl von Kunstschaffenden nach Berlin zog, Kapital geschlagen werden: Eine lebendige Kunstszene als Standort-Vorteil für Wirtschaftsinvestitionen. Die Künstler/-innen wissen um ihre Zugpferd-Funktion, doch die Zeiten, da kritische Kunstschaffende Preise verweigern, sind längst vorbei.
Es steht ausser Zweifel: In Berlin, vor allem im ehemaligen Ostteil, gärt es, die bildende Kunst liebt das Zerfallende, das Improvisation fordert, wenig kostet und Neues möglich macht. Doch wie es dann gebaut ist, zieht die Künstlerschaft weg oder zumindest in andere Quartiere. Dementsprechend findet man die Künstlerateliers und die neuen Galerien nicht in den gläsern zum Himmel ragenden Konsumtempeln von Sony und Daimler-Chrysler am Potsdamer Platz. Sie haben ihre Lokale zur Zeit in den Nebenstrassen von Berlin Mitte; alle paar Jahre treibt sie die milliardenteure Renovations- und Erneuerungswelle ins Noch-Brachland voran.
Der Preis der Nationalgalerie für junge Kunst wird von den „Freunden der Nationalgalerie“ getragen. Er wird, so die Statuten, an Kunstschaffende verliehen, die in Deutschland leben und nicht älter als 40 Jahre alt sind. Vorschlagsberechtigt sind die „Freunde“, die Mitglieder der Jury sowie Museen und Kunstvereine für zeitgenössische Kunst in aller Welt. Aus der „longlist“ macht die Jury, in der in diesem ersten Jahr als externe Expertin auch die Zürcher „Parkett“-Verlegerin Bice Curiger mitwirkt, eine „shortlist“ mit vier Nominationen. Um die Spannung anzuheizen, werden die vier eingeladen, im Hamburger Bahnhof während zweier Monate eine wichtige Arbeit zu zeigen respektive zu installieren.
Katharina Grosse (geb. 1961 in Freiburg i.Br, lebt in Düsseldorf) ist mit ihren Werken regelmässig in der Schweiz präsent. 1998 war sie Gast im Projektraum der Kunsthalle Bern, zur Zeit ist sie im „Gedächtnis der Malerei“ in Aarau präsent und seit Jahren gehört sie zum Galerie-Programm des Zürchers Mark Müller. Sie zeigt über zwei eingebaute Wände hinweg ein riesiges Farb-Feuer in leuchtenden Spray-Farben: Es ist eine ebenso konzeptuelle wie sinnliche Hommage an die Malerei als Malerei; nicht im Sinne von individueller „Peinture“, sondern als (künstlicher) Farb-Raum, als gemalte Architektur. Sie hat im Konzert der vier gute Karten.
Es sei denn, Berlin könne sich einmal weniger von seiner Geschichte lösen. Denn der im Spektrum von Natur und Künstlichkeit arbeitende, in Berlin lebende Däne Olafur Elisasson (geb. 1967 in Kopenhagen) er war 1998 mit einer Einzelausstellung in der Kunsthalle Basel hat eine raumlange, etwa ein Meter hohe „Mauer“ gebaut. Aus Erde, die er von einer der vielen Baugruben ins Museum hat karren lassen. Erde, die nicht Acker ist, sondern gewachsene Geschichte aus Grund und Schutt (Berlin wurde im Laufe der Zeit mehrfach zerstört und wieder aufgebaut). Es ist eine aufwändige, unspektakuläre, zugleich aber eminent hybride Arbeit, die Kunst und Geschichte und Ort zu einem markanten Zeichen verschmilzt. Eliassons Chancen sind auch darum gut, weil seine politische Arbeit überspielen könnte, dass keine der vier Nomationen aus dem ehemaligen Osten stammt.
Eine gute Ausgangslage auch, weil die beiden unbekannteren Künstler, Christian Jankowski (geb. 1968, lebt in Berlin) und Dirk Skreber (geb. 1961, lebt in Düsseldorf), weit weniger überzeugen. Skrebers Baustelle mit grossformatiger Malerei zwischen karger Landschaft und struktureller Ungegenständlichkeit hat zu wenig Strahlkraft und Jankowskis Video-Parodie auf den Preis selbst, kommt letztendlich nicht über die Anekdote hinaus: In vier Kojen werden Video-Projektionen gezeigt, die vier Kunsthistoriker/-innen zeigen, die je eine Laudatio für einen der Nominierten halten und diesem zur Vergabe des Preises gratulieren. Am 6. Dezember wird die Jury unter dem Vorsitz des „Generaldirektor der Museen Preussischer Kulturbesitz“, Peter-Klaus Schuster, die Trommeln wirbeln und im Rahmen einer grossen Gala bekannt geben, welche Rede die richtige ist.