Urs Dickerhof: Spieler auf den Bühnen bildender Kunst
Kürzlich ist Urs Dickerhof (58), Maler, Plastiker, Schriftsteller, Direktor der Schule für Gestaltung Biel und engagierter Kunstvermittler aus der öffentlichen Kulturpolitik zurückgetreten; ein Rückblick
Zuerst war da das Staunen, dass Sie nach dem Scheitern der weit fortgeschrittenenen Pläne der für 1997 respektive 1998 geplanten Bieler Plastikausstellung das Präsidium der veranstaltenden Stiftung nicht abgaben. Sich vielmehr für eine Neukonzeption der seit den 50er Jahren schweizweit bekannten Ausstellungen im öffentlichen Bieler Stadtraum begeistern liessen. Und dann, wenige Monate nach der offiziellen Lancierung des Projektes, der Rücktritt. Was war der Grund dafür?
Als ich nach der mit Bundes- und anderen Geldern reich bestückten Jubiläums-Plastikausstellung von 1991 das Präsidium der Stiftung übernahm, schwebte mir, zusammen mit Peter Killer, eine Alternative vor. Wir wollten nach der über weite Strecken „unsichtbaren“ 91er Ausgabe in der Stadt Skulpturen zeigen, die man auch tatsächlich sieht, und auf dem Strandboden einen multimedialen „Lustgarten“ installieren. Die Eidgenossenschaft signalisierte von Anfang an, dass sie im Gegensatz zu früher keine Gesamtprojekte mehr unterstütze, nur noch Arbeiten einzelner Kunstschaffender. So begleitete uns das Geldproblem kontinuierlich. Ich bin kein Mensch, der leichtfertig Risiken eingeht und ein Projekt durchzieht, obwohl das Geld fehlt. So liess ich die Ausstellung obwohl am Schluss nicht mehr viel fehlte platzen und plädierte für eine Auflösung der Stiftung.
In Kunstkreisen sprach man allerdings nicht nur von Geld, sondern auch von einem Projekt, das nicht den 90er Jahren entspreche. War Ihnen, anders als bei ihren im Rückblick wichtigen und erfolgreichen Austellungsprojekten der 70er Jahre wie „Tell 73“, „Tatort Bern“, „Berner unter 30“ usw.nicht ein wenig die Zeit davongelaufen?
Vom Konzept her glaube ich das eigentlich nicht, aber bezüglich der Art und Weise wie man heute Sponsoring-Gelder auftreibt, möglicherweise schon. Ich stelle mir heute noch Mäzene vor, wenn ich an Unterstützung denke. Ich sah mich auch nicht als Kurator, sondern als dem Ort seines Schaffens verpflichteter Künstler. Vielleicht ist das etwas, was es heute kaum mehr gibt. Es war für mich jedenfalls völlig überraschend, dass sich nicht die Kunstschaffenden gegen die Liquidierung der Plastikausstellung wehrten, sondern die Stadt, das Centre Pasquart, der Kunstverein das heisst Behörden, Institutionen, Kuratoren usw. Für mich war indes von Beginn weg klar, dass ich nur noch helfen wollte, das Neue aufzugleisen.
Also quasi das Scheitern aufheben und dem Vergangenen wieder eine Zukunft geben?
Für mich persönlich war es das grösste Scheitern im Rahmen meiner öffentlichen Tätigkeit, nicht vergleichbar mit einem Bild oder einem Buchprojekt, das nicht gelingt. Da musste ich durch künstlerische Arbeit erst mal wieder den Ausgleich finden. Ob es objektiv ein Scheitern war, weiss ich allerdings nicht, wenn ich sehe, wieviel Kräfte dadurch mobilisiert wurden. Dass ich schliesslich ziemlich abrupt als Stiftungsratspräsident zurücktrat, hat nicht mit Frustration oder Missstimmung zu tun, sondern mit der vorverschobenen Neukonzeption der Bieler Schule für Gestaltung als wichtiges Standbein der Berner Fachhochschule. Da bin ich als Direktor mehr als nur gefordert und die Kunst aufgeben, das stand nicht zur Diskussion.
Bereits zuvor waren sie als Vorstandsmitglied der einflussreichen Berner Kunstgesellschaft zurückgetreten. Und haben bei der Nachfolge, quasi als Beispiel, wie man Kulturpolitik lenkt, dafür gesorgt, dass ihre zwei Anliegen nämlich die Gestalterschule und die Kunst nun durch zwei Bielerinnen vertreten sind, durch Franziska Raetz und Susanne Müller. Wie haben sie auf den Vorwurf reagiert, sie hätten lediglich zeigen wollen, dass es, um Sie zu ersetzen, zwei Frauen brauche …
Ich habe mich geärgert, da es doch darum geht, die Präsenz Biels in Bern immer wieder zu betonen. Susanne Müller ist hier in Biel als Künstlerin kulturpolitisch aktiv und die Kunsthistorikerin Franziska Raetz unterrichtet an der Bieler Schule für Gestaltung. Es geht darum, Synergien zu schaffen, wie damals als ich bewirken konnte, dass die Stadt Biel zusammen mit der Bernischen Kunstkommission, deren Mitglied ich 1976-1984 war, in einem gemeinsamen Effort die Plastik „vertschaupet“ von Schang Hutter ankaufte, die seit 1980 auf dem Bahnhofplatz ihren festen Standort hat. Oder als ich das Angebot, aus Teilen des Nachlasses der Bielerin Margareta Corti ein Stipendium zu gründen, mit dem bestehenden Louise Aeschlimann-Stipendium zu etwas Bedeutenderem verbinden konnte.
Warum und unter welchem Umständen kamen Sie 1979 eigentlich als Direktor an die Schule für Gestaltung in Biel. Sie waren damals in Bern als Künstler, Kunstvermittler und Kulturpolitiker ja bereits voll etabliert, hatten eine Vielzahl von Stipendien für bildende Kunst und gleichzeitig auch den Literaturpreis der Stadt Bern erhalten, Museumsausstellungen realisiert, Bücher herausgegeben usw. Wieso wechselt man da in den Lehrbereich?
Das ist tatsächlich nicht so einfach zu beantworten.Biel kannte ich eigentlich nur von den Plastikausstellungen und den Eishockey-Spielen her, wobei ich natürlich als SC-Bern-Fan zu den Spielen gegen den EHC Biel anreiste … Den einzigen bildenden Künstler, den ich näher kannte, war Walter Kohler-Chevalier. Ihn traf ich eines Tages an und da fragte er mich, ob ich nicht Lust hätte Nachfolger von Rudolf Schindler als Direktor der Schule für Gestaltung zu werden. Ich wehrte ab, ich hatte noch nie unterrichtet und plante eben im Kontext eines grösseren Kunst am Bau Auftrages für einige Zeit nach Deutschland zu reisen. Dann traf ich ihn wieder an und er fragte wieder und mein Auftrag war ins Wasser gefallen … und am 1. April 1979 trat ich meine Stelle in Biel an und einen Monat später zog ich nach Nidau. Ich wusste nicht so recht, auf was ich mich da eingelassen hatte; es war vermutlich einfach eine Umbruchzeit da. Ich arbeite ja auch in meiner Kunst so, dass ich ­p; lesend, schauend, reisend ­p; immer wieder auf neue Aspekte suche und finde und diese collageartig mit meinem Denken und Schaffen vernetze. Es gilt nie nur etwas, sondern immer ganz viel gleichzeitig.
Was für ein Biel trafen Sie damals an?
Die Art und Weise wie ich in Biel auf- und angenommen wurde, das war fantastisch. Da war eine solche Offenheit und Neugierde von allen Seiten. Da waren engagierte Künstler und Künstlerinnen … Ich bin der Meinung, dass man als Künstler dem Ort, wo man lebt, etwas zu bieten hat. Ich meine da nicht die Schule, sondern die Gesellschaft, die Stadt, das Leben. Man kann als Künstler nicht nur nehmen. Da muss Austausch sein. Darum war es für mich auch keine Frage, nach Ablauf meiner Amtszeit in der Kantonalen Kunstkommission das Präsidium der Bieler Kunstkommission zu übernehmen. Ich ermuntere auch meine Schüler und Schülerinnen immer wieder dazu. Die „Art Galleries“ an der Dufourstrasse, das „Kunstmuseum respektive -mausoleum“ von M.S. Bastian, Edi Aschwanden, Silly Mano, Le Kou Meyer und anderen im ehemaligen Bielerhof kam durch solches Denken zustande. Es war eine gute Zeit, damals in den 80ern, als ich da an der Bar stand und Cocktails mixte. Ich hoffe, die Plastikausstellung 2000 wird etwas von diesem Geist aufleben lassen, mitten in der Stadt.
M.S. Bastian erzählte einmal, dass die Gruppe ohne Rückendeckung von Urs Dickerhof da wohl über Nacht schon wieder rausgeflogen wäre. Wie ist das zu verstehen?
Die Kunstkommission der Stadt engagierte sich sehr früh für dieses aufmüpfige, gärende, lebendige Unternehmen. Und der damalige Grundstückeigentümer, Viktor Kleiner, war ein Kunstsammler mit viel Toleranz. Nur einmal als die Jungen ihr Lokal „Viktors Hafenkneipe“ nennen wollten, da griff er ein. Wenn man mit dabei ist und spricht und erklärt, dann wird, wo auch immer, vieles möglich.
Nun haben Sie sich aus diesen vielen Engagements zurückgezogen. Was machen Sie mit der gewonnen Freizeit? Autofahren lernen?
Nein, nie ich würde viel zu viele Leute überfahren, ich bin doch ständig daran, an irgendetwas herumzustudieren. Ich weiss, es gibt den Spruch, dass man mit mir nur ein Projekt lancieren kann, wenn man mich mit dem Auto mitnehmen kann … Aber von Freizeit kann keine Rede sein; die Schule fordert mich und ich habe Projekte für Bücher und Bilder und Ausstellungen. Im übrigen werde ich im Expo-Jahr 60 Jahre alt … da will man Prioritäten setzen.
Der Künstler
Nach einer kurzen Phase expressiver Auseinandersetzung mit Malerei wird Urs Dickerhof Mitte der 60er Jahre zu einem der wichtigsten Schweizer Exponenten der von Amerika auf den Alten Kontinent überschwappenden Pop Art. Die Stars aus Werbung und Unterhaltungsindustrie, Supermen und lonesome Cowboys werden zu den Protagonisten seiner Bilder. Das Schablonenhafte, Puzzleartige steht zugleich für den Bildermix der ersten Hochkonjunkturjahre wie für das Zerteilte, Anonymisierte, Genormte. Bild und Sprache vermischen sich. «Free Sex» wird zum Reizwort; zum Versprechen und zum Abklatsch zugleich; Freiheit, die keine ist.
Das Erzählerische seiner collageartigen Bilder, später auch seiner mehrschichtigen Metall-Skulpturen werden zu einer sehr persönlichen Bildwelt. Einem Bild-Denk-Prozess gleich verwebt er, was die Welt an Freude, Angst und Begierde Auslösendem an ihn heranträgt; ohne dass je daraus ein Ganzes würde. Ob hier oder dort, unterwegs auf Reisen oder im Atelier an der Kanalgasse 3, ununterbrochen drängen Bilder, Worte, Musik ins Leben nicht mehr als Fragmente preisgebend.
«Wir sind ständig Teil einer beängstigend uniformierten Menge …», schreibt Dickerhof in den «Notizen aus dem Tal».“Wie viele Namenlose! Um uns (in uns?) dieses Leben einer entindividualisierten Masse: Potentielles Kriegsmaterial die Anonymität der Masse/Menge als monströse Anhäufung leblos-lebendiger Materie. Quelle chance pour tous ces souffleurs de n’importe quoi!“