Cross female in Künstlerhaus Bethanien Berlin 2000

Weiblichkeit zwischen Erotik, Lifestyle und Ironie

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt Oktober 2000

Während die Künstler seit dem Geschlechterkampf der 1970er und 80er Jahre noch kaum zur Erotik zurück gefunden haben, heizen die Künstlerinnen dem überlieferten Bild der Weiblichkeit tüchtig ein. „Cross female“ in Berlin zeigt es.

Machten die Künstler den weiblichen Körper mit der Projektion ihrer sinnlichen Gefühle lange Zeit zum Motiv ihrer Werke – man denke an Manet, an Klimt, an Picasso – so ist das Thema seit dem Feminismus für viele Künstler ausserhalb des homo- und transsexuellen Bereiches ein Tabu. Die Künstlerinnen hingegen haben die schmerzhafte Zeit der Eroberung ihres eigenen Körpers (ab ca. 1968) längst hinter sich gebracht und in irritierend-ironische Spiele mit der (eigenen) Körperlichkeit vorangetrieben. Dabei queren sie die Clichés von Werbung, Mode und Pornographie und nehmen die männlichen Lüste provozierend auf die Schippe. Humor und kritische Hintergründigkeit stehen in spannender Balance.

Wer zum Beispiel kam schon je auf die Idee, die PC-Maus umzudrehen und die kleine Kugel als Klitoris zu betrachten – das Schwarz-Weiss-Video „Aphrodite’s Hard Child“ der Ungarin Hajnal Németh (geb. 1972) tut es mit (fast) echtem Ächzen und Stöhnen. Dabei geht es nicht nur um ein erotisches Spielfeld, sondern ebenso um die Aspekte des Technoiden und der Dominanz des Männlichen in der Computerszene. Damit befasst sich – auf eher theoretischer Ebene – auch die deutsche Künstlerin Cornelia Sollfrank (geb. 1960). Sie gründete 1997 die cyberfeministische Allianz des „Old Boys Network“ (OBN). In der Ausstellung präsentiert sie neben dem Internet-Auftritt des OBN ein Video-Interview mit einer der weltweit wenigen „Hackerinnen“, der Amerikanerin Clara G. Sopht.

Sinnlicher und unmittelbar irritierender ist im Vergleich die stilsichere Mode-Kollektion der Italienerin Alba d’Urbano (geb. 1955). Sie ist aus Stoffen genäht, die in einer digitalen Print-Transkription den nackten, auf Idealmasse zugeschnittenen Körper der Künstlerin zeigen. Die einfachen Anzüge zeigen somit zwei Körper gleichzeitig, einen unsichtbaren und einen scheinbar sichtbaren. Damit öffnet sie ein Denkfeld, das von der Unmöglichkeit des Menschen, sich selbst anders als gespiegelt zu sehen bis hin zum Spannungsfeld von Innen und Aussen und der Konstruktion virtueller Identitäten reicht.

Die Ausstellung zeigt rund 30, vorwiegend europäische und amerikanische Positionen, darunter auch drei schweizerische. Sie findet im Künstlerhaus Bethanien im Berliner Kreuzberg-Quartier statt; einem Kulturzentrum, das an die Rote Fabrik in Zürich erinnert. Ausgangspunkt war die Frage, wie sich Weiblichkeit nach all den vielen Gender (Ge-schlechts)-Diskussionen der 1990er Jahre in der Kunst heute zeigt; ob dekonstruiert, in Virtualität aufgelöst, von binären Codes und Rollenmustern befreit oder vielleicht eben doch nicht. Aus der Beobachtung, dass der weibliche Körper nach wie vor bildprägend erscheint, aber nicht mehr zwischen den Polen von männlich und weiblich agiert, sondern tradierte Vorstellungen durchquert und verschiebt, entstand die Optik des „cross female“.

Dass bei der Auswahl Künstlerinnen ins Zentrum rückten, ist naheliegend. Nur wenige Ausnahmen bestätigen die Regel, unter anderem die Licht-Leucht-Video-Installation „Will I ask for help?“ des Zürchers Daniele Buetti (geb. 1956), der die Mechanismen gestylter Schönheit mit ihren eigenen Mitteln auf Empfindungen hinter den Maskeraden hin befragt. Es ist eindrücklich zu sehen, wie die Arbeit des Szenen-Stars im Kontext der Ausstellung an Substanz gewinnt. In denselben Spannungskreis von Innen und Aussen gehörte die Performance von Victorine Müller (geb. 1961 in Grenchen), die an der Eröffnung ganz in Latex eingeschlossen auftrat und damit, so war zu hören, viel Echo auslöste. Internationale Beachtung findet in Berlin ferner das hierzulande mehrfach gezeigte, aus Abbildungen von Babykörpern netzartig collagierte Abendkleid der Baslerin Maja Rickli (geb. 1958), das Rollenmuster parodistisch hinterfragt.

Eindrücklicher als Zoe Leonards bärtige Pin up Girls sind die Fotografien von Natacha Lesueur (geb. 1971). Die in Zusammenarbeit mit Bruno Pelassy realiserte Fotoserie zeigt Männerfüsse, die sich in geradezu tragischer Erfolglosigkeit in hochhakige Frauenpumps zu zwängen versuchen. Nachdenklich stimmt, dass nur gerade eine Pionierin feministischer Kunst vertreten ist, nämlich die Amerikanerin Lynn Hershman (geb. 1941). Der Grund dafür ist unter anderem, dass nur wenige der in den 70er Jahren Furore machenden Künstlerinnen beim Thema blieben und denen dabei, wie Hershman es formuliert, der Wandel von B.C. (Before Computers) in A.D. (After Digital) gelang. Ausgestellt ist eine ihrer digitalisierten „Venus“ (nach Tizian), die sie, um ihren fluiden Charakter zu betonen, als Fotografie auf Glas präsentiert. Hershman ist mit der Umwandlung ihrer „Roberta“-Figur in „Cyborg-Roberta“ auch eine der aktivsten Künstlerinnen im World Wide Web. Weitere Positionen zwischen kristallisierter Unterwäsche, fotografischen respektive digitalen Umsetzungen von Schönheitsbegriffen und interaktiven „Traum-Küchen“ sowie Auseinandersetzungen mit dem Einsatz des Weiblichen in Computer-Spielen (z.B. Lara Croft) ergänzen das reiche Panoptikum.

Links: www.crossfemale.de
www.durbano.de
www.lynnhershman.com
www.obn.org/hackers