Ursula Hirsch Vebikus Schaffhausen 2000

Kunst ist Leben, ist Körper, ist Skulptur im Raum.

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Gedanken zum Schaffen von Ursula Hirsch aus Anlass ihrer Ausstellung im Vebikus in Schaffhausen, 17. Mai bis 17. Juni 2000. Ausstellungstext.

 

Immer schon war der Mensch das Mass für die Kunst von Ursula Hirsch. Ob die Künstlerin Architekturobjekte schuf, Bäche in neue Bahnen lenkte, Flosse für Freiluft-Behausungen baute oder Korn für das tägliche Brot in quadratische Felder säte – immer dachte und denkt sie den Menschen dazu; seine Proportionen, seine Lebenswege, seine Existenz im realen wie im mythischen Raum. Klare geometrische Formen und symbolische Inhalte verschränken sich. Satte Rot, Gelb, Blau und Grün binden emotionale Kräfte mit ein.


Wenn die Künstlerin aus Anlass der Ausstellung im Vebikus ihre Erinnerungen an Schaffhausen bündelt und dabei die legendäre Munch-Ausstellung der 60er Jahre erwähnt und an die stetige Präsenz der “Schule” der “Hallen für Neue Kunst” erinnert, so sind darin analog Grundwerte ihres Schaffens gespiegelt.


In den letzten Jahren verliess Ursula Hirsch die universalen Räume mehr und mehr zugunsten von Nähe zum Menschen als soziales Wesen. Es entstanden unter anderem silhouettenhafte Behausungen für Kommunikation: Einfachste, skulpturale Formen für zwei einander vis-à-vis sitzende Personen. Die jüngste Arbeit der Reihe, das “Couchette Cabriolet” wird diesen Sommer in einer nationalen Skulpturen-Ausstellung im solothurnischen Benken zu sehen sein.


In einem grossen Zyklus löste die Künstlerin in den letzten zwei Jahren das Moment des Sitzens aus dem skulpturalen Umfeld und verselbständigte es zu “Stühlen”. Denn in keinem anderen Gebrauchsgegenstand verbinden sich Figur und Funktion so eindringlich miteinander; der Stuhl als Körper, der Körper als Stuhl. In der Beschäftigung mit dem Thema fächerte sich nicht nur die Vielfalt möglicher Formen auf, sondern auch die Erkenntnis, dass sich im körpernahen Stuhlobjekt das  Leben von der Geburt bis zum Tod zeigt. So entstanden 12 Stuhl-Skulpturen als “Analogie zu einem Leben von 84 Jahren”.


Für jedes siebte Jahr steht eine Form; zusammen spannen sie den Bogen von der Kindheit über Stationen des Erwachsenseins bis zum Alter, zum Tod und darüber hinaus. Theoretische Nutzbarkeit und geistiger Gebrauch stehen in spannender Wechselwirkung.


In der Ausstellung im Vebikus spielt das Hin und Her gleich auf zwei Ebenen. Zum einen ist eine Serie inszenierter Fotografien ausgestellt, welche die Stuhlobjekte in spielerischer Auseinandersetzung mit dem Menschen zeigt. Form und Leben, massive Zimmermannsarbeit und verletzliche Haut stehen darin in direktem Austausch. Die Fotografien bilden den Kern der kleinen, ausstellungsbegleitenden Publikation.


Zum andern haben die 12 Lebensalter-Stühle und -Liegen aber auch zentrale Bedeutung in der Ausstellung selbst.  Diese ist  – analog der Zwischenposition der “Stühle” – ein Lebens-Raum. Sie ist Wohnung im alltäglichen wie Raum für ein Leben im übertragenen Sinn. Wenn Ursula Hirsch bis hin zu Pflanzen, Früchten und Musik momentbezogenes Wohlsein inszeniert, so gestaltet sie damit gleichzeitig Lebenszeit. Stunden, Tage, Jahre, Jahrzehnte – oder, auf die Stühle bezogen, Jahrsiebte – werden im “Kunst-Bild” ein und dasselbe. Die Ausstellung weitet sich vom Raum zum Bewusstseins-Feld.


Der Ernsthaftigkeit steht bei Ursula Hirsch immer auch -und in letzter Zeit immer sichtbarer – der Faktor Lebens-Lust zur Seite. Die Sinne, das Lachen, die ebenso zum Naturel der Künstlerin gehören wie ihr klares Kunst-Wollen, sind in ihre Kunsträume eingewoben wie das Denken und das Leben. Die aus farbtragenden Materialien gewobenen Bilder geben dem Ausstellungsraum die Lust und das Licht dazu. Sie reflektieren, bringen Impulse zum Vibrieren, unterlaufen aber auch, mit einem durchaus subversiven Touch, den Makramé-Kult der Gesellschaft.


Die aus Reflektorbändern genähten Luft-Kleider markieren, selbst für einsame Ausstellungsgänger, die stetige Präsenz des Menschen, repräsentieren als reflektierende Gestalt im doppelten Sinn des Wortes aber auch die energetische Präsenz der Künstlerin selbst.


Was Ursula Hirsch in der Ausstellung als Denk- und Lebens-Inszenierung in vielfältigster Form sichtbar macht, spiegelt sich als gedankliche und gestalterische Struktur auch in den immer zahlreicher werdenden Kunst am Bau-Projekte, die Farbe und Form als Verbindung von Lust und Präzision, von Leuchtkraft und ortsspezifischen, architekturimmanenten Gegebenheiten einsetzen. Wie sehr sie dabei auch den Schalk einzubinden vermag, zeigte erst kürzlich  die “moevenpickY@kunstY.ch”-Installation in der Uto-Badi in Zürich – eine luftige Holz-Konstruktion für hungrige Möven.