Zustände unerwarteten Ausmasses

Kunsthaus Grenchen zeigt Pavel Schmidt. Bis 06.01.2002

www.annelisezwez.ch      Annelise  Zwez in Bieler Tagblatt vom 13.11. 2001

Pavel Schmidt ist „mitnichten dem nichts engegenstrebend“, doch sein Geist-Tanz zwischen „Hodenberg und Tittental“ kann ganz schön anstrengend sein. „Sichtware“ gibt‘s zur Zeit in Grenchen.

Annelise Zwez

1968 kam Pavel Schmidt (geboren 1956 in Bratislava) mit seinen Eltern von Mexico herkommend nach Biel. Obwohl bereits in der Gymnasialzeit an den Verlockungen der Kunst riechend, studiert Schmidt zunächst Chemie in Bern, bevor er 1978 von Solothurn aus nach München aufbricht. Die Kunstakademie wird zum geistig-künstlerischen Knotenpunkt. Beeinflussend wirkt insbesondere die Präsenz von Daniel Spoerri (ab 83), dessen Assistent er 1986 wird. Wie schon in der Kindheit, lebt und arbeitet Schmidt als Nomade zwischen Freunden, Orten, Kulturen und Sprachen. Die Beziehungen zur Jurasüdfussregion brechen indes nicht ab und bleiben ihm wichtig.

Nachdem Andreas Meier 1994 im Centre PasquArt den Objektkünstler ins Zentrum stellte, konzentriert sich Dolores Denaros letzte Ausstellung im Kunsthaus Grenchen auf das zeichnerische Werk. Einsetzend mit vier „hommages à franz kafka“ (1976) und  – zumindest chronologisch – endend mit Illustrationen menschlicher Augen, die er zeichnend und schreibend zu Trugbildern, Trauerdrüsen und Tränenseen befragt. Dazwischen ein Meer assoziativer Verknüpfungen zu tausendundein Bild-Gedanken in Form von Blättern zwischen Bild und Sprache.

Der rote Faden schlängelt sich dabei nicht primär durch Formen und Motive, sondern thematisiert vielmehr das Phänomen des unstillbaren Drangs ständig zu denken und zu empfinden. Lust und Leiden sind darin so nahe beeinander wie die Libido und der Intellekt. Weder noch sind fähig zu Objektivität – in der Kunst lebt der Gartenzwerg und im Gartenzwerg die Kunst. Mehrfach hat Schmidt in Form von Aktionsveranstaltungen Gartenzwerge gesprengt – ein Video berichtet davon – und die Brösel später mit zerschlagenen Gipsabgüssen römisch-griechischer Statuen wieder verschraubt – „die sachlage einmal verneinend und einmal vereinend oder avoir des frais d’entretien und bitte eintreten“.

Nein, einfach macht es einem Pavel Schmidt nicht; besser man versucht gar nicht zu verstehen, das Dadaistische respektive Surreale als solches zu nehmen und dahinter die Lust und die Wehmut zu spüren, dass es das Ganze nicht gibt, das alles immer läuft und läuft und sich dreht und wendet ohne dass man dabei gescheiter würde. Denn aus der Glasglocke gibt es kein entrinnen, weder für den „verteidigungsminister noch den gartenzwerg“. Der Orgasmus mag zwar mal Befreiung schaffen, doch „mehrsamkeiten bedeuten auch bei einer samenallgegenwart nicht glück“.

So kristallisiert sich als Essenz des, gemessen am Ganzen, nur in kleinen Ausschnitten gezeigten zeichnerischen Werkes von Pavel Schmidt ein kulturkritisches Oeuvre heraus, das einerseits gegen Leerläufe, Unverständnisse und Trivialisierungen auf die Barrikaden geht und andererseits mit „Aeskulaps“ Hilfe doch nur eines versucht:  Das Zerfleddernde zu heilen, zur Einheit zu fügen; das „überrräumliche, jenseitige, unbegrenzte verstehbar zu machen… und dabei… dem wundersamen die anerkennung nicht zu verweigern.“

In alledem ist Schmidt kein virtuoser Zeichner, das Zeichnen ist ihm eher Analogie zum Schreiben und das Schreiben scheint ihm, so gibt die Handschrift den Eindruck, nicht schnell genug gehen zu können, der Geschwindigkeit der Denkimpulse immer ein wenig hintennachzuhinken. Um Stil geht es dabei nicht; die Kunstgeschichte – insbesondere jene des Barocks – ist ihm ebenso Reservoir wie die Naturwissenschaf­ten. Und doch, da ist immer wieder der Kopf – mal als Halbrund nur die Hirnschale zeigend, mal als Glasglocke Kopf und Phallus verbindend, mal sich zum Knäuel oder zur Kugel verdoppelnd und sternengleich Bahnen ziehend oder sich auch nur zum Oval längend. Der Mensch, so „levap tdimsch“, ist sich selbst sein eigene Kopfgeburt. Und im Verbund mit anderen ein Labyrinth, durchflossen von Bacchus‘ Strömen, berauscht vom Rhythmus der Lust, bis die Zeit bricht und alles von vorne anfängt. So zumindest könnte man die Installation deuten, die Pavel Schmidt im Keller des Grenchner Kunsthauses eingerichtet hat und die sich auf Fussdruck in Bewegung setzt.

 

Kunsthaus Grenchen. Pavel Schmidt. Bis 6. Januar 2002. Di bis So 14 – 17, Do bis 20 Uhr. Führung mit Pavel Schmidt: So, 25. Nov. 14 Uhr. Zur Ausstellung ist im Verlag Kehayoff, München, ein Künstlerbuch mit Zeichnungen und Texten erschienen. Es ist im Museum zu Fr. 38. – erhältlich.