Miriam Cahn Retrospektive Centre Pasquart Biel 2002
Text Kunstbulletin
www.annelisezwez.ch Erschienen in Kunstbulletin März 2002
Mit einer sämtliche Räume des Bieler Kunstmuseums umfassenden Retrospektive fordert die Basler Künstlerin Miriam Cahn eine neue Sicht auf ihr in den letzten 25 Jahren enstandenes Werk. Der Zeitpunkt ist günstig gewählt. Ausserhalb der Region Basel fragte man sich schon lange, was es mit der da und dort vereinzelt auftauchenden Malerei der einst radikal auf die Rechte der Frauen in der Gesellschaft pochenden Feministin auf sich habe. Fast zehn Jahre sind es her, dass sie letztmals in einem öffentlichen Institut in der Schweiz ausstellte. Und weit schien der Weg von den raumfüllenden Kohlezeichnungen mit weiblichen Häusern und männlichen Kriegsschiffen der frühen 80er Jahre zu den sämig, farbig, zuweilen fast ätherisch gemalten Akten, Tieren und Landschaften. Die von Miriam Cahn (53) weitgehend selbst konzipierte Ausstellung in Biel gibt mannigfaltige und spannende Antworten.
Immer wieder hatte Miriam Cahn in den letzten Jahren betont, dass der „Fernseh-Krieg“ am Golf (1991) eine Zäsur in ihrem Schaffen bedeute. Doch erst jetzt wird im Rückblick klar, was Miriam Cahn damit meinte, warum sie die Ausstellung im Graphischen Kabinett des Zürcher Kunsthauses (1993) mit “ was mich anschaut“ überschrieb. Es ist der Wandel vom Zeichen zum Bild, vom Agieren zum Ausdruck des Getroffen-Seins. Mit einem Alphabeth an Zeichen, typisierten Figuren und Gegenständen war sie, an sich und der Gesellschaft leidend, auf die Barrikaden gegangen, hatte „ihr Frausein“ zu ihrem „öffentlichen Teil“ erklärt und wurde als Künstlerin international gehört. Eine Kämpferin mit Körpereinsatz, stachlig im Umgang und zugleich eminent wichtig, für die Frauen und für die Männer. Doch diese „Kriege“ laugten offenbar auf die Dauer aus und es stellte sich die Frage nach der persönlichen Betroffenheit, nach dem, was der Blick in die Welt in ihrem eigenen Körper auslöste. Was für Formen, was für Farben, was für Sehnsüchte, was für Gefühle, was für Aggressionen, was für Träume. Die auf Verwandtschaft mit der Natur hörenden L.I.S.-Arbeiten ( Lesen im Staub) und die M.G.A.-Arbeiten (mit geschlossenen Augen) waren, wie sich jetzt zeigt, in gewissem Sinn Vorläufer. Der entscheidende Wandel kam jedoch 1994 mit dem Wechsel von der Zeichnung zur Malerei.
Die Bieler Ausstellung trägt den Titel „Architekturtraum“ ein Gebäude aus verschiedenen Materialien, Sichtweisen, Techniken und Zeiten: Malerei, Zeichnung und Fotografie, ja sogar Skulptur; Frauen und Männer, Hunde, Vögel, Äffinnen, Fische; Pflanzen unter und über der Erde, Berge, Seen und Luft-Häuser. Jeder Raum, ob betitelt oder nicht, hat seine eigene Geschichte und Qualität. Manche sind historische Rekonstruktionen, viele neu. Entscheidend für die heutige Position scheint die Dimension des Fühlens. Ob Kopf oder Figur, ob Mann oder Frau oder Tier oder Landschaft, die Leinwand zeigt immer eine Art Röntgenbild, in dem sich Körper und Geist, vielleicht sogar Seele, verbinden. Wobei, so hat man den Eindruck, Miriam Cahn weder das innere noch das äussere Abbild will, sondern das zeigen, was die Ausstrahlung des Vis-à-Vis in ihr selbst auslöst, am Tag des Malens, in der Zeit der Komprimierung von gegenwärtiger und erinnerter Befindlichkeit. Assoziativ zugeordnete Fotografien erzählen da und dort davon. Dabei schaut und fühlt die Künstlerin logischerweise als Frau und thematisiert das auch. Das Schauen, das zuweilen einem Durchbohren der Luft gleicht, ist geschlechtlich, die Brüste tragen Ausdruck wie das Gesicht und die Vagina. So betrachtet sind wohl auch die Männerbilder nicht eigentlich Du-Bilder, sondern Ich (als Frau) mit der Lust auf Zeit den Mann in sich zu spüren. Doch es geht nicht nur um Geschlecht. Miriam Cahns „Fühlkörper“ kennen keine Grenzen, weichen auch sentimentalen Regungen nicht aus („Der sanfte Vogel“). Die Inhaltlichkeit ist dabei getragen von einer sämigen Ölmalerei, in welcher die Farben vielfach besonders energiereiche Zonen markieren, sei es eine blaue Phallus-Nase, weiss-leuchtende Brüste, sinnlich-rote Lippen, grau verschattete Augen oder ein heisses Geschlecht.
Zweifellos spiegeln sich in Miriam Cahns ebenso sanfter wie herausfordernder, neuer Malerei die regelmässigen Aufenthalte im Oberengadin. Weite und Ruhe und Licht. Nicht zufällig sagt sie in dem im Begleitbuch (Cantz-Verlag) abgedruckten Interview mit Peter Burri, sie fühle sich in gewissem Sinn als Outsiderin. Dennoch steht ihre Malerei in einem Bezugsfeld von Segantini bis Maria Lassnig und Marlène Dumas, von Josef Felix Müller bis Rudolf Blättler.