Zwischen Anpassung, Provokation und Gewalt

„Sans Consentement“ im Centre d’art Neuchâtel (CAN). Bis 18.08.2002

Ähnlich wie in Biel findet man auch in Neuenburg künstlerische Antworten auf die Expo.02. Etwas landimässig im Kunstmuseum (Fonction Fiction), provokativ hingegen in „Sans consentement“ im CAN.

Seit seiner Gründung hat das Centre d’art Neuchâtel (CAN) immer wieder mit thematischen Ausstellungen nachhaltige Positionen definiert. Nach „Non, Pas comme ça!“, „Mayday“ und anderen ist nun „Sans consentement“ (Ohne Einverständnis) zu sehen – erneut eine Ausstellung, die sich mit psychisch definierten Verhaltensweisen auseinandersetzt, diesmal mit Verführung und Gewalt. Die ausgewählten Werke – Fotografien, Videos, Drucke, Objekte, Zeichnungen – tun dies subtil, subversiv, zum Teil aber auch direkt und schonungslos. Als Gastkuratoren zeichnen Marco Costantini und Jean-Christophe Blaser, beide an dem auf Fotografie spezialisierten Musée de l’Elysée in Lausanne tätig. Die Ausstellung ähnelt strategisch jenen von Marc Olivier Wahler (bis 2000 künstlerischer Leiter des CAN), vermag aber das auflockernde Moment der Ironie nicht im selben Mass zu integrieren. Dennoch ist erneut erstaunlich was das kleine CAN an pointierter und gesellschaftlich relevanter Kunst zu versammeln vermag, zum Beispiel das an der Biennale Venedig 2000 für grösstes Aufsehen sorgende Gewaltvideo „Flex“ des 32jährigen Briten Chris Cunningham.

Die Ausstellung ist als Antwort auf die Expo.02 bewusst provokativ, Kontrapunkt und ebenso bewusst international. Sie versammelt Künstler/-innen aus Ungarn, Russland, den USA, aus Frankreich, Deutschland, der Schweiz usw. Was sie verbindet, ist die Auseinandersetzung mit realer oder potentieller Gewalt, im Leben wie im Film, mit Spuren von Krieg, mit offen sexueller aber auch versteckter Vergewaltigung bis hin zum Traum, zur Wahnvorstellung. Fingiertes, Inszeniertes, Trugschlüsse Provozierendes wird von den überwiegend jungen Kunstschaffenden ebenso eingesetzt, wie Suggestion und Realität. Im Kopf der Betrachtenden ist dabei oft das eine vom anderen nicht zu trennen.

Da sind zum Beispiel mittelgrosse Fotografien (Sergey Bratkov) von Mädchen mit langen Haaren, roten Kleidern und Netzstrümpfen oder feminin gekleideten Jungen mit geschminkten Lippen, die vereinzelt auf einem Bett oder einem halb zerschlissenen Fauteuil sitzen. Was in der Realität Rollenspiel ist, suggeriert in der Vereinzelung – gerade bei einem osteuropäischen Künstler – Prostitution, Kinderhandel. In Abwandlung von Liam Gillicks auf die Wand applizierten Sentenz „aloreslesgensétaient-ilsabrutisàcepointavantlatélévision?“ (die Leute, waren sie so abgebrüht vor dem Fernsehen?) könnte man fragen, ob unser Blick so gedrillt ist, dass wir selbst da Gewalt wittern, wo keine ist? Die Grenze ist hauchdünn – die Fotografie der jungen, schwarz gekleideten Frau, die den Jungen mit dem roten Pullover neben sich auf der Bank kaum berührt … welche Art von Zuneigung zeigt sich da und überdies – möglicherweise – geschlechterverkehrt?

Eindeutig ist die Gewalt hingen im Fall der im Filmraum gezeigten Videoarbeit von Chris Cunningham, zu welcher nur Erwachsene Zutritt haben. Da wird Sexualität als erotischer Geschlechterkampf ausgetragen, reduziert auf die Leiber von Mann und Frau. Verführung und Gewalt erscheinen als pervertierte Triebkräfte. Und dies in einer Bildqualität, die das Abstossende in Faszination verkehrt und damit das Geschehen bildmässig und psychologisch an die Grenze der eigenen Schizophrenie treibt.

Es gibt aber auch Harmloses in dieser 24 Positionen zeigenden Ausstellung, etwa Spiegel mit Sperma-Flecken (Philippe Meste), eines dieser pubertär-erotischen Videos des 57jährigen US-Amerikaners Paul Mc Carthy (Cultural Soup, 1987) oder die Tapeten mit dem Wundblut Christi als Repetitionsmuster (Olaf Nicolai). Subtil und fein hingegen sind die Zeichnungen von Maria Lindberg, die Traumata mit sensibler Poesie und einer Prise Humor aufzulösen suchen und überraschend die von Gianni Motti zusammengetragenen, nicht publizierten Kriegsfotos.

Ein Coup ist den Neuenburgern durch die Zusammenarbeit mit dem französischen Kunstmagazin „Crash“ gelungen, das eine seiner Ausgaben vollumfänglich der CAN-Ausstellung widmet, ergänzt um literarische und wissenschaftliche Texte zum Thema, darunter so spannende wie der gesellschaftliche Umgang mit Vergewaltigung seit dem 18. Jahrhundert (Michel Perret).

Das französischsprachige Begleitmagazin „Crash“ ist vor Ort erhältlich. Es kann auch über info@can.ch angefordert werden.