Balthasar Burkhard im Kunstmuseum Bern 2004

Begreift die Welt aus dem Schwarz

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 11.Jun 2004

Die Retrospektive des 60-jährigen Berner Fotografen Balthasar Burkhard im Kunstmuseum Bern dokumentiert dessen Bedeutung als Pionier von Kunst mit Fotografie. Ein Maler mit schwarz und weiss.

„Omnia“ (Alles) heisst die Ausstellung Balthasar Burkhards in Bern und Direktor Matthias Frehner setzt im Buch-Katalog gleich im ersten Satz denselben Massstab: Burkhard ist für die Fotografie was Hodler für die Klassische Moderne. Ob soviel Anspruchs-Haltung, könnten schon mal die Warnlampen blinken. Am besten man vergisst sie, denn man täte Burkhard unrecht damit. Der grosse, langgezogene Frauen-Akt im ausstellungsmässig schwierigen Berner Treppenhaus-Raum zeigt auch ohne grosse Worte, dass Burkhard zu den wichtigen Pionieren von Kunst mit Fotografie zählt.

Die vierteilige, geradezu filmische Akt-Aufnahme entstand 1983 nachdem Burkhard nach mehreren Jahren in den USA wieder in Bern ist. Bern, wo er in den 60er-/70er-Jahren als Dokumentarfotograf der Kunsthalle von jung an zur Kunstszene gehörte. Wo er zusammen mit Markus Rätz die ersten grossformatigen Foto-Leinwände von Innenräumen schuf – etwas, das es methodisch zu dieser Zeit noch gar nicht gab. In den USA, wo Burkhard unter anderem versucht, Schauspieler zu werden, kehrt er zurück zur Fotografie im engeren Sinn, übernimmt aber die Selbstverständlichkeit amerikanischer Malerei-Grossformate und die Nähe zum Film.

Dass der raumbreite, in sich gedrehte weibliche Rückenakt vierteilig ist, hat zum einen praktische Gründe – es gab damals noch keine Möglichkeit Formate von mehreren Metern Länge zu kopieren – zum anderen ist darin aber auch der Raum und das entlang Fahren mit der Kamera respektive den Augen enthalten.

Möglicherweise ist aus der notwendigen Teilung auch Burkhards ausserordentlicher Sinn fürs Fragment entstanden. Die vier einzelnen Männerbeine, die er, ebenfalls 1983, als getrennte Hochformate konzipierte, sind längst Ikonen der Körperfotografie. Und auch im jüngeren Werk gehören Körperfragmente – zum Beispiel die wunderbaren Aufnahme von Gesichtspartien einer japanischen Geisha – mit zum Überzeugendsten. Kern ist dabei, dass es gelingt das Fragment so zentral herauszuschälen, dass es nicht als Teil auf ein fehlendes Ganzes verweist, sondern selbst das Ganze ist.

Und in diesem Ganzen wiederum ist das enthalten, was Burkhard auf seinen Reisen umtreibt, das, was seine Aufnahmen vom Abbild ins Visionäre wandelt: Im Blick auf die grossen Städte der Welt das Meer der Zivilisation zu greifen, in Urwald-Szenerien das Geheimnis der Natur zu ergründen, in den Alpen das Erhabene der Berge spürbar zu machen, in der Wüste die Unendlichkeit einzufangen und im „Elefant“ das Tier an sich zu zeigen. Er tut dies durch Monumentalisierung zum einen – wobei damit nicht einfach das Grossformat gemeint ist, sondern der Ausschnitt, das pars pro toto – zum anderen durch eine sehr plastische Foto-Malerei.

Mit Ausnahme einiger Akzente setzenden roter, grüner, gelber Tafeln, gibt es die Farbe in Burkhards Werk nicht. Gleichzeitig ist aber auch der Begriff „schwarz-weiss“ nicht zutreffend, denn das Weiss gibt es eigentlich – ausser im Weiss des Schnees – kaum. Burkhards Fotografie ist „grau“ im nuanciertesten Sinne des Wortes. Die Arbeit im Labor (nicht am PC!) ist Burkhard von grosser Wichtigkeit. Jeder Abzug ist quasi ein Original. Und da steigert sich auch, was bereits in der Aufnahme angelegt ist: Das Gestalten aus dem Schwarz heraus. Nicht die Hinwendung zum Licht ist zentral, sondern der Schatten, das Dunkel. Mit ihm schält Burkhard die Plastizität, die Raumpräsenz heraus, aber auch das Schattige, Verborgene im übertragenenen Sinn.

Burkhards Retrospektive in Bern findet nur knapp drei Jahre nach zwei grossen Ausstellungen im Helmhaus in Zürich und im Kunstmuseum Thun statt. Ist das nicht eine Überdosis? „Bern durfte sich die Chance der ersten Gesamtschau nicht entgehen lassen“, sagt Matthias Frehner dazu. Wohl richtig, umso mehr als mit dem 265 Seiten starken Buch-Katalog das Werk nun in seiner Substanz und seiner Position innerhalb der Fotogeschichte greifbar ist. Von der Präsentation her allerdings kommt die Berner Ausstellung nicht an die Atmosphären in Zürich und Thun heran. Die Krux der niedrigen Berner Räume!

Nicht zuletzt darum, stellt Burkhard auch nicht einseitig die Grossformate ins Zentrum, sondern gibt Kleinformaten gleich viel Gewicht. Das ist insbesondere für intime Serien wie jene der „Schnecken“ oder der „Orchideen“ sinnvoll, während man die Delphine vor Schottland lieber im Grossformat springen sähe. Wenig Raum gewährt die Ausstellung den Porträts, die mit zum Bekanntesten des Künstlers zählen. Mag sein, dass er sich hier von der Präsenz des Themas in der Fotografie allgemein absetzen wollte. Stattdessen zeigt er – und das vielleicht die erheiterndste Arbeit – einen grossen Teil seiner lexikalischen Arbeit zum Alphabeth der Tiere.