Das Bieler Kunstjahr 2004
Reich auf Museumsebene, flau rundherum
Annelise Zwez
Sieht man vom reichen Angebot des Centre PasquArt inklusive Photoforum und Espace libre sowie von den Fototagen ab, so ist das Bieler Kunstjahr 2004 ein ziemlich flauer Jahrgang. Die Bieler Kunstszene dümpelte mehrheitlich vor sich hin. Mit einer Ausnahme: Die Schule für Gestaltung an der Gurzelenstrasse etabliert sich dank den neuen Möglichkeiten im nunmehr eigenen Haus mehr und mehr als Ort öffentlicher Diskussion und bringt sich auch vermehrt ins städtische Geschehen ein, zum Beispiel durch die Werkschau „Bild ist Weg ist Bild…“ mit Werken ehemaliger Absolventen und Absolventinnen der Schule im Centre PasquArt im Dezember 2004.
Zum Erfreulichen auf der Galerienebene gehören die sage und schreibe neun Ausstellungen der Galerie Quellgasse, die seit November 2003 ihren „Wohnsitz“ in Biel hat. Mit Elan zeigte Alfred Maurer ein qualitativ gutes, wenn auch eher klassisches Programm mit Schwerpunkten bei der europäischen Ausprägung der Minimal Art und bei der Original-Druckgrafik. Dass der Galerist von Solothurn her kam, war dabei unübersehbar (Georges Düblin, Urs Hanselmann, Jean Mauboulès, Percy Slanec u.a.). Die subtil geschichteten Druckgrafiken von Ursula Jakob (Burgdorf) retteten als einzige Ausstellung im Männerprogramm die Ehre der Künstlerinnen.
Nach über 35 Jahren Galerietätigkeit etwas reduziert in der Zahl, aber in gewohnter Qualität präsentierte sich das prioritär auf Schweizer Malerei ausgerichtete Programm der Galerie Silvia Steiner, mit Höhepunkten bei Christina Niederbergers (englischen) Kitsch-Persiflagen, bei der spannenden Kombination von Skulpturen von Kurt Sigrist und Malerei von Franz Wanner und der jährlichen Themen-Ausstellung „Malzeit“ (Urs Aeschbach, Guido Nussbaum, Bendicht Fivian).
Dennoch ist unübersehbar, dass Biel, eine vielseitig zeitgenössisch ausgerichtete Galerie, welche die Kunstschaffenden der Region und darüber hinaus professionell betreuen würde, fehlt. Denn ein Ersatz dafür ist Martin Ziegelmüllers Galerie Vinelz nicht. Zwar gab es da auch dieses Jahr wieder einige wichtige „Bieler“ Ausstellungen, Hinderling/Le kou Meyr/Noser zum Beispiel, doch sind es die Künstler selbst, die da wirken. Die mit Engagement geführte Gewölbe-Galerie in der Bieler Altstadt gibt Anstösse – erwähnt sei die Ausstellung von Andreas Becke – vermag jedoch nicht in einer überregionalen Galerien-Szene mitzuwirken. Die Galerie von Lotti Michel – einst ein wichtiger Fokus – ist müde, was nach 30 Jahren nicht als Vorwurf verstanden werden soll. Und der Galerie Item fehlt die Kraft. Auch die „Aart“ – die „anders-artige“ Kunst, die – mit Daniela de Maddalena als treibender Kraft – seit 2003 temporär ungenutzte Räume in der Innenstadt als Kunstplattformen nutzen will, trat nur einmal in Erscheinung (im Mai an der Bahnhofstr. 50).
Unbefriedigend war ebenso das Programm der von der Stadt an Interessierte vermieteten Galerie in der „Alten Krone“. Abgesehen vom „Joli mois de mai“ – dem abwechslungsreichen Stelldichein der Bieler Kunstschaffenden – gab es da auch 2004 vor allem „hüst und hott“, von fröhlichen Tupfern über viel Mittelmass bis zu absolut Dilettantischem. Überspitzt formuliert: In Biel fand man wohl die Werke der Freizeit-Künstler und –Künstlerinnen, nicht aber die künstlerisch wesentlichen Äusserungen.
So gibt nichts anderes als den Bieler Blick zu weiten – zu Biel in Beziehung stehende Galerien dort zu besuchen, wo sie sind – zum Beispiel in Bern den Kunstkeller von Dorothee Freiburghaus (sie zeigte heuer Mingjun Luo, Wolf Zät und Martin Ziegelmüller) oder die Galerie Artraktion (im Programm Ise Schwartz und Ruedi Schwyn), im Jura die Galerie Beat Selz in Perrefitte/Moutier (Ausstellungen Roland Adatte und Fränzi Neuhaus), in Büren die Galerie am Marktplatz (Pavel Schmidt), in Siselen die Galerie Regina Larsson (Gian Pedretti), in Erlach die Galerie René Steiner (Elizabeth Kolly). Zu erwähnen ist auch die zur Tradition werdende Herbst-Ausstellung „Kunst Textil“ in der Stiftung Aarbergerhus in Ligerz, die heuer vier junge Mode-Designerinnen zeigte.
Anders sieht das Bieler Kunstjahr aus, betrachtet man die Aktivitäten des Centre PasquArt und der Bieler Fototage. Letztere waren 2004 die ersten gültigen unter der Leitung von Barbara Zürcher. Unter dem Titel „De la vie à la mort, de la mort à la vie“ bündelte sie Fotoreportagen, die Kreise weit über Fotofreaks im engeren Sinn anzusprechen vermochte und auch bezüglich Qualität und Vielfalt überzeugte. Dementsprechend positiv war das Echo in den Medien und mit rund 3000 Besuchern auch publikumsmässig ein Erfolg. Im Zentrum standen nicht illustre Namen, sondern inhaltliche Dimensionen.
Das bezüglich Ausstrahlung wichtigste Event im Bieler Kunstleben 2004 war zweifellos die Ausstellung Christo & Jeanne Claude im Centre PasquArt, die mit einem Budget von 650000 Franken wohl die teuerste je in Biel realisierte war und während einer Laufzeit von elf Wochen rund 7000 Besucher anlockte, was ebenfalls ein Rekord sein dürfte. Es war auch das erste Mal, dass das Museum eine Partnerschaft mit einem privaten Träger einging, nämlich dem aus den drei Werbebüros Staudenmann, Rickenbacher und Cermusoni bestehenden Verein „Strategia“, der zu seinem 5-Jahr-Jubiläum „etwas Besonders“ realisieren wollte und im Köcher persönliche Beziehungen zum illustren Künstlerpaar hatte. Und die beiden kamen, zumindest an die Vernissage, fernmündlich bestimmten sie freilich die Themen und Werke bis ins Detail mit. Dass sie den Aufwand auf sich nahmen – nicht gratis, Christo und Jeanne-Claude sind ein Kunstunternehmen! – hat sicher mit guten Erinnerungen an die Schweiz zu tun, wie sie das betonten. Doch es gilt auch zu wissen, dass in derselben Zeit eine Schweizer Bank den ersehnten Kredit für die Realisierung des Projektes „The Gates“ in New York sprach. So war denn der für Biel überraschende Auftritt der weltweit Gefeierten eine komplexe Angelegenheit. Wesentlich zum Besucher-Erfolg beigetragen haben die unzähligen Schulklassen, denen aufgrund eines Sponsorships der Firma Rolex Gratis-Eintritte und –Führungen angeboten werden konnten.
Auch im ersten Halbjahr 2004 wartete das Centre PasquArt mit Ausstellungen auf, die nationales Echo fanden. Von hoher Qualität und gekenntzeichnet durch ein ausserordentliches Engagement seitens der Künstler war die vom Bundesamt für Kultur (BAK) finanzierte Ausstellung „NB“ mit den aus Berlin respektive New York zurückgekehrten Atelier-Stipendiaten Bob Gramsma und Frédéric Moser&Philippe Schwinger, übrigens die letzte ihrer Art, der Kredit dafür wurde im Laufe des Jahres gestrichen. Sowohl die begehbaren Raum-Installationen Gramsmas wie die Video-Inszenierungen von Moser&Schwinger waren Highlights. Mit der Einzelausstellung Klaudia Schifferle gab das PasquArt in der Folge einer wichtigen Schweizer Künstlerin, die in den letzten zehn Jahren etwas aus dem Blickfeld geriet, zu Recht eine wichtige Plattform, was von den Medien breit registriert wurde. Einen Bieler Akzent setzte im Mai die Präsentation eines Hauptwerkes der polnischen Künstlerin Magdalena Abakanowicz, das sich seit 1971 im Besitz der Stadt befindet, aber seit 25 Jahren im Depot ruhte. Majestätisch füllte der textile Raumkörper die Salle Poma. Und stiess mit seiner Wucht „aus ferner Zeit“ bei den jungen Künstlerinnen und Künstlern, die im Rahmen der Ausstellung des Aeschlimann-Corti-Stipendiums im PasquArt weilten, auf überraschend begeistertes Echo. Erfreulich, dass einer drei Preise an die in der Region aufgewachsene Mirjam Gottier ( geb. 1983) ging.
Mit „I need you“ – einer internationalen Ausstellung zum Zusammenspiel von Kunst und Publikum – setzte das Centre PasquArt nach „Nonchalance“ (1997) und „In diesen Zeiten“ (2003) erneut auf junge Kunst in einer breit angelegten Gruppenausstellung. Als Kuratoren wirkten Bernhard Bischof, Beate Engel und Dolores Denaro, im Verbund mit Pro Helvetia, die sich mit einem spartenübergreifenden Performance-Programm beteiligte. Dass die Ausstellung auf ein gemischtes Medien-Echo stiess, lag vielleicht daran, dass der Titel enger gefasst war als das Konzept es umsetzte. Schade, denn die Ausstellung war aussergewöhnlich und es ist bedauernswert, dass nicht genügend Sponsorengelder zusammenkamen, um einen Katalog zu realisieren. Dennoch verdient Anerkennung wie es Dolores Denaro trotz sehr bescheidenem Ausstellungsbudget erneut gelang, das PasquArt als wichtigen Ort in der überaus dichten Schweizer Museumslandschaft zu positionieren. Der Dezember schliesslich stand – wie jedes Jahr – im Zeichen der Weihnachtsausstellung, für welche der Kunstverein zeichnet, zum vierten Mal parallel zu „x-mas+“, dem Wettbewerb um eine Installation in der Salle Poma, welchen heuer Barbarella Maier mit „Easy Art“ gewann.
Das Centre PasquArt ist immer auch Ort des Photoforums. Daniel Muller zeigte ein ansprechendes und vielseitiges Programm mit Reportagefotografie von hoher Qualität, der Japaner Ikko Narahara sei genannt, aber auch „Fokus 50er-Jahre“ mit Yvan Dalain und Rob Gnant (eine Übernahme von der Schweiz. Fotostiftung Winterthur). Zu sehen war aber auch Experimentelles mit Nicolas Savary und inhaltlich Fokussiertes (Patrick Weidmann). Auf eher gemischtes Echo stiess das „konservierte Leben“ von Geo&Daniel Fuchs. Einen Berner Akzent setzten last but not least Brigitte Lustenberger und Raphael Hefti. Den (Weihnachts)-Preis des Photoforums gewann Rolf Siegenthaler. Schade, dass sich das Photoforum auch 2004 unter seinem Wert „verkaufte“, zu wenig Ressourcen in die Vermittlung über die Region hinaus einsetzte. Dasselbe gilt für den von der visarte Biel kuratierten Espace libre, wo Künstler erneut Spannendes inszenierten, damit aber wenig Echo ernteten. Herausgegriffen sei zum Beispiel Pino Scuros komplexe Installation „Physiologie des Alltags“, die heiter-sinnliche Malerei von Andrea Nyffeler oder die materialbetonten „PollenKörper“ von Fränzi Neuhaus.
Wesentlich für das Bieler Kunstjahr sind jeweils auch die städtischen Ankäufe. Die Kunstkommission verfügt hiezu über ein Budget von 100 000 Franken pro Jahr. Neu in die Sammlung kamen unter anderem Werke von Roland Adatte, M.S. Bastian, Moser&Schwinger, Ruedi Schwyn, Jürg Häusler, René Zäch, Mingjun Luo, Rudolf Steiner und Carla Etter. Die Kunstkommission vergibt auch das Anderfuhren-Stipendium, das dieses Jahr Lorenzo le kou Meyr zuerkannt wurde. Wenig tat sich im Bereich Kunst im öffentlichen Raum – zu nennen sind einzig die schwarzen Schieferstein-Ringe, die Peter Gysi in rhythmischen Abständen in den aus hellen Betonplatten bestehenden Weg im erneuerten Strandbad am See einliess.