Renate Buser im Centre PasquArt in Biel 2005/2006
Trinkt man in Tokio wirklich Coca Cola?
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 10. Dezember 2005
Die Basler Künstlerin Renate Buser hat den diesjährigen Bieler xmas+-Wettbewerb gewonnen. Omoide Yokocho (Allee der Erinnerungen) heisst die Installation, die sie für die Salle Poma realisiert hat.
In Japan beinhalten die Wechsel von Aussen- in Innenräume ein Moment des Innehaltens, sagt Renate Buser. Sie erklärt damit, warum sie die in einem verwinkelten Viertel von Tokio aufgenommenen Fotografien nicht direkt auf die Wände kleisterte (wie die Wolkenkratzer in der Kunsthalle Bern 1998) sondern als eine Art Vorhänge der Architektur der Salle Poma vorlagert oder gar beim Eingang in den Raum hängt; damit die Besuchenden bewusst eintreten.
Trotz dieser Geste an japanische Traditionen, ist Omoide Yokocho keine Reportage über Tokio. Vielmehr hat Renate Buser, die sich seit 15 Jahren mit Architekturfotografie beschäftigt, in Tokios Altstadt, wo sich verwinkelt Kleines und überdimensioniert Grosses dicht verschachtelt begegnen, etwas von dem vorgefunden, was sie in früheren Zyklen quasi in Etappen konstruierte: Die Begegnung verschiedener Blickwinkel, die vertrautes Sehen verunsichern, aber auch erweitern.
Die Aufnahmen zeigen, aufgrund der Enge der kleinen Kreuzung zweier Gassen visuell angeschnittene, Imbissstände, Bars, Leuchtreklamen, Verkehrswege, Türeingänge und anderes mehr. Von Haus zu Haus geführte Kabel, Lichter und Lüftungsschläuche vernetzen die Winkel. Es entsteht der Eindruck eines lebendigen Quartiers voller Geschichten.
Fokus der fast auf 1:1 aufgeblasenen Aufnahmen ist aber erst in zweiter Linie die urbane Umgebung. Zunächst bannt den Blick ein schwarzhaariger, junger, muskulöser Mann in grünem Pullover und blauen Hosen, der auf einem Schubkarren eine gelbliche Schachtel mit chinesischem Bier, roten Harrassen mit Coca-Cola und eine grünliche mit Wein mit Schwung um die Ecke schiebt. Er wirkt so plastisch, dass man den Eindruck hat, er könnte jedem Moment den Kopf drehen.
Doch spätestens jetzt schleichen sich Fragezeichen ein. Buvez Coca Cola steht auf der Harrasse, in westlichen Buchstaben, während rundherum japanische Zeichen dominieren. Photoshop denkt man jetzt wohl. Aber das ist eine falsche Fährte. Renate Busers Aufnahmen sind komplexe Inszenierungen mit klaren Zielsetzungen. Wie ein Location Scout das sind in der Filmbranche jene, die in den Städten die Drehorte suchen sei sie im März bei ihrem zweiten Aufenthalt in Japan durch die Stadt gegangen, sagt sie. Aufgrund einer Vielzahl visionierter Filme, in denen Architektur eine wichtige Rolle spielt, suchte sie Orte, die sich für Filmsettings eignen würden, vielschichtig, erzählerisch, bühnenhaft. Ein ortskundiger Freund führte sie schliesslich hinter den Bahnhof Shinjuku.
Mit einer Grossbild-Kamera und langen Belichtungszeiten nahm sie die Kreuzung der beiden Gassen von vier Standorten aus auf, schwarz-weiss. Danach hielt sie mit einer Videokamera das Leben vor Ort fest. Und da tauchte dann auch der junge Mann auf. Doch nicht nur weil er so schnell entschwand, sondern weil ihre künstlerische Vision mehr wollte als Dokumentation, entstand der zweite Teil in Basel. Hier suchte und fand sie einen Mann, der jenem in Tokio ähnelte und inszenierte nun den figürlichen Teil vor den raumfüllenden Grossaufnahmen in ihrem Atelier. Räumlich so präzise, dass die erneute Fotografie nun farbig etwas Neues entstehen liess.
Zum einen ist die Gegenwart durch die angehaltene Bewegung des Mannes von starker Präsenz, zum andern verweist die leicht schummrige, leicht entrückte, fahl-farbige Stadtkulisse auf etwas Zeitloses, Erinnertes. Das Gegenläufige wird noch gesteigert durch die räumliche Inszenierung in der Salle Poma. Als Betrachterin steht man lebensgross mitten auf der Kreuzung und mehr als im Alltag realisiert man, dass man immer nur einen Teil des Ganzen sieht, dass man aber via Erinnerung die anderen Blicke mit ins Sehen hineinnehmen kann. Eine der vier Aufnahmen ist wesentlich kleiner als die andern; es geht Renate Buser nicht um Illusion, sondern um ein bewusstes Erleben der Fiktion, die theoretisch auch keine sein könnte, nur weiss man das oft nicht so genau.
In dieser Komplexität liegt die Qualität der Foto-Arbeiten von Renate Buser, die mehr und mehr auf internationales Interesse stossen. Aufgewachsen ist die Renate Buser im Aargau der 1960er-Jahre. Prägend war für die Absolventin der Basler Schule für Gestaltung ein Kanada-Stipendium (1996), das die Architekturfotografie definitiv ins Zentrum ihrer Arbeit rückte. Nicht die auf Frontalität korrigierte wie etwa bei Bernd und Hilla Becher – sondern die radikal aus dem Blickwinkel Mensch aufgenommene. Durch direkte Eingriffe am Foto-Negativ aus dem Kontext geschnitten, stellte sie die monumentalen Fragmente in neue Raum-Kontexte. Erst seit gut einem Jahr tritt der Hund oder jetzt der Mensch wieder ins Bild. Und das ist spannend.
Xmas+ zum Vierten
Seit 2002 schreibt der Bieler Kunstverein nicht nur die Weihnachtsausstellung für die Künstlerinnen und Künstler der Region aus, sondern, im Verbund mit dem Centre PasquArt, auch den xmas+-Wettbewerb. Hierbei geht es um einen für alle Schweizer Künstlerinnen und Künstler offenen Wettbewerb für eine Inszenierung der Salle Poma. Den ersten xmas+-Wettbewerb gewann 2002 die in Hamburg und Berlin lebende Berner Künstlerin Petra Grünig, welche den Oberlichtsaal mittels vier Video-Produktionen in einem geheimnisvollen, lichtdurchfluteten Wald verwandelte. Im Jahr darauf war es der Bieler/Berner Peter Gysi, der mit repetitiv ausgelegten Kreisscheiben dem Saal Licht und Stille gab. 2004 dominierten dann spielerische Elemente die Easy-Art-Objekte der jungen Basler Künstlerin Barbarella Maier, welche die uns vertraute Gegenstandswelt durch Materialumformungen, Vergrösserungen und Verkleinerungen quasi aus den Angeln hob. Für die Realisierung der vielfach national beachteten Inszenierungen stellt der Kunstverein jährlich 5000 Franken bereit, die auch heuer durch Sponsorenbeiträge gedeckt werden konnten.