Kiefer Hablitzel Stipendien

Erkunden der Welt im Bild der Kunst

Annelise Zwez, Bieler Tagblatt, 06.11.2007

Die neu eröffneten Ausstellungen im CentrePasquArt präsentieren sich durch und durch zeitgenössisch. Mechanismen digitaler Dynamik begegnen subtilen Bild-Klang-Welten.



Obwohl sie generationenmässig nur acht bis elf Jahre voneinander trennen, scheinen zwischen den digitalen Projektionen von Charles Sandison (geb. 1969) und den zehn jungen Schweizer Künstlern und Künstlerinnen (geb. zwischen 1977 und 1983) Welten zu liegen. Während es der humorvolle Schotte wagt, sich in seiner Einzelausstellung an Kern-Themen des Lebendigen heran zu tasten, suchen die zu einer Ausstellung vereinten Kiefer-Hablitzel-Preistragenden 2007 in sehr persönlicher Weise nach kleinen, oft narrativen «Wahrheiten». Sie begegnen sich wie die grosse Geste auf der einen, die kleinen Fragen auf der anderen Seite.

Lyrischer Tenor
Aus diesem Gegensatz einen Trend ablesen zu wollen, ist zu hoch gegriffen; auffallend ist aber der über weite Strecken lyrische Tenor der Ausstellung «unter 30» schon. Bedenkt man indes, dass sechs von ihnen erst kürzlich ihre Ausbildung an der Kunsthochschule Genf abgeschlossen haben, so mag dies einiges erklären; allerdings auch Fragen bezüglich der Entscheide der Jury aufwerfen.

Dimensionen des Digitalen
Charles Sandison, der seit zehn Jahren in Tampere in Finnland lebt, erzählte an der Pressekonferenz, er habe zunächst gemalt, dann fotografiert, aber ihn habe immer nur der Prozess und nicht das Produkt interessiert. Endlich habe er dann bei einem Besuch im Elternhaus seinen Kinder-Computer wiederentdeckt und gemerkt, dass Programmieren das sei, was ihn fasziniere. Seither vertieft er sich in die Technik digitaler Software und schreibt wissenschaftliche Programme für seine Bedürfnisse als Künstler um. Indem er ihnen damit ihre Zweckorientiertheit nimmt und als Phänomene zeigt, macht er ihre grundsätzlichen Dimensionen, ihre Parallelen zu Lebensmechanismen zum Beispiel, sichtbar, mehr noch fühlbar. So lehnt er sich unter anderem an das Verhalten von Genen an, die sich in Hunderttausenden von Transaktionen langsam verändern, oder er imitiert bakterielle Mechanismen. Er tut dies nicht selbst referentiell, sondern in Themenbereichen wie der Literatur (Marx, Freud, More, usw.) oder auch dem menschlichen Körper. Erst kürzlich ging das aufgelöste Gesichte in es Phädophilen, das Kriminaltechniker digital rekonstruieren konnten, durch die Weltpresse. Was da funktionsbezogen erschien, wendet Sandison ganz anders an; er lässt das Gesicht einer Person über eine unendliche Zahl von Rechenoperationen bis ins Säuglingsalter zurückführen, wo das Bild dann kollabiert und der Prozess – da chaotisch nie in identischer Form – von neuem beginnt. Da wo es Sandison, wie im genannten Beispiel, gelingt, sinnliche Momente in seine rechnerischen Konzepte einzubringen, lässt er die Besucher tief beeindruckt wieder von dannen ziehen.

Kunst oder Liebe zur Musik
Es ist eine Maxime aller Kunsthochschulen, ob in Genf, Bern oder Zürich, die Grenzen zwischen den Sparten aufzuweichen. Die Ausstellung «unter 30»macht die Früchte deutlich sichtbar, denn Klänge, Geräusche, Musik spielen in vielen Werken eine mitentscheidende Rolle. Da ist zum Beispiel Rudy Decelière, geboren 1979 in Tassin La Demi-Lune (in der nähe von Lyon). Er hat für das CentrePasquArt, dem Wunsch von Dolores Denaro folgend, nicht einfach nach Biel gebracht, was ihm im Sommer in Basel den Preis eintrug, sondern eine neue Arbeit konzipiert, auch diesmal eine Bild und Klang synthetisierende. Er hat grosse Efeublätter direkt auf der Wand in eine streng lineare Formation gebracht, akzentuiert durch Kupferfäden, welche feine, künstliche Naturklänge abgeben und zuweilen über einen Stromstoss alle Blätter in Vibration versetzen. Eine feine, subtile Arbeit, deren Bedeutung im Kontext von Decelières Schaffen durch die Abbildungen in der Begleit-Broschüre unterstützt wird.

Singende Pfauenfedern
Klänge geben unter anderem auch der Arbeit von Alexandre Joly (geb. 1977 in Saint-Julien-en-Genevois) ihre besondere Atmosphäre, beginnt das auf dem Boden ausgelegte Pfauenfedern-Rad doch unsichtbar zu«singen», sobald die Besucherin durch ihr Eintreten die Lichtimpulse der Glasdiamant-Lampe vom ersten Raum in den zweiten überträgt. Jolys Arbeit, ergänzt um ein ausgestopftes Wiesel mit einem Hellseh-Glas in den Pfoten, ist wohl die poetischste Arbeit der Ausstellung. Fantastik gehört auch in hohem zu Virginie Morillo (geb. 1982 in Genf), die nach den märchenhaften «Bühneninszenierung» in Basel nun einen Wachsabguss ihres eigenen Körpers zeigt, der – damit Kerzen dochten durchzogen – langsam verbrennt respektive schmilzt. Es ist beeindruckend, dass keine der zehn Positionen qualitativ ernsthaft abfällt, zugleich zeigen die Arbeiten aber auch, dass die jungen Kunstschaffenden in ihren Werken noch vielfältige Einflüsse verarbeiten oder manches nicht kennen – hätte Morillo die Kerzenfrauen des Biennale-Shooting-Stars Urs Fischer gekannt, wäre sie wohl vor einer, wenn auch gedanklich anders gearteten, Kopie zurückgeschreckt.

INFO: Die Ausstellung «unter 30» dauert bis 2. Dezember, jene von Charles Sandison bis 13. Januar. Öffnungszeiten: Mi–Fr 14–18, Sa/So 11–18 Uhr.

Kiefer Hablitzel Stipendien 07 [0.15 MB]