VR Eva Diener Galerie ArchivArte Bern 2009

Malerei wider die Weltstürme

www.annelisezwez.ch    Vernissagerede vom 2. April 2009

Sehr geehrte Damen und Herren
Liebe Eva Diener

Hand aufs Herz: Wenn Sie die 2003/2005 gemalten, grossformatigen Bilder, die uns hier umgeben, in einem luftigen Museumsraum sähen, würden sie auf eine Frau zwischen 70 und 80 als Autorin tippen? Wohl kaum. Würden sie sie stattdessen einer jungen Künstlerin, einem jungen Künstler zuordnen? Ebenfalls nein.

Wir müssen also einen anderen Ansatz suchen. Bezogen auf das, was im Moment in dieser Ausstellung zugänglich ist aus dem Schaffen von Eva Diener, führen uns einige Zeichnungen aus den 1980er-Jahren auf die richtige Spur.

Um 1980 kehrte die Figur in die Malerei zurück. Da immer mehrere Generationen, die sich verschiedenen Stilen zugehörig fühlen, künstlerisch tätig sind, ist das nicht ausschliesslich zu verstehen, aber doch als Kraft. Was heisst  „die Figur“ und was heisst „zurück“?  Nach dem 2. Weltkrieg war es für eine jüngere Generation von Kunstschaffenden nicht mehr möglich figürlich zu malen, weil, vorab in Europa, die Ungeheuerlichkeit des Krieges den Glauben an den Menschen zerstört hatte. So brach sich die ungegenständliche Malerei in breitem Mass Bahn.

In den 1970er-Jahren breitete sich dann erstmals der Schreck aus, dass der Mensch nicht nur des Menschen Wolf ist, sondern er mit seiner Lebensweise auch die Natur zerstört. Politisches, Kritisches kam auf den Plan, Gegenständliches und Ungegenständliches gaben sich die Hand.

Eva Dieners Schaffen  setzt in den 1950er-Jahren ein, nähert sich dann besagter Abstraktion, fliegt bis in die 1970er-Jahre durch die Lüfte ungebrochenen Zukunftsglaubens. Die Retrospektive, die vor wenigen Wochen im zürcherischen Herrliberg zu sehen war, zeigte dies punktuell und zugleich beeindruckend auf. Doch dann kam die Krise. Was soll das alles in einer Welt, die ihre Menschen nicht mehr ernähren kann (Stichwort Biafra), einer Welt, die sich die Natur rücksichtslos untertan macht (Stichwort Thesen des Club of Rome) und schon wieder daran ist, Krieg zu führen (Stichwort Vietnam).

Eva Diener reagierte wie sensible Kunstschaffende gleichzeitig und unabhängig voneinander quer durch die westlich orientierte Hemisphäre. Sie besann sich auf den Menschen im Raum, den existentiell mit der Erde verbundenen, den zum Sein in einer Welt verdammten, deren Geschicke er als einzelner nur bedingt mitbestimmen kann. Zu diesem Zeitpunkt bereits zwischen 45 und 50 Jahre alt, geht Eva Diener nicht in „Sturm und Drang“ auf die Leinwand los, sondern nimmt die malerische Tradition, aus welcher sie stilistisch kommt, jederzeit mit, wenn auch nun in verstärkt  zeichnerischer, gestischer, bewegungsorientierter Art und Weise. Aber bezüglich Farbe zum Beispiel bleibt sie die Malerin, die sie schon immer war.
 
Kunstgeschichtlich betrachtet, gehört Eva Diener zu den Pionierinnen der „Neuen Figuration“, auch wenn die in den späten 1970er-Jahren gemalten Werke noch nicht die Sicherheit und Souveränität der heutigen Hauptwerke hatten. Anhand der Blätter aus den 1980er-Jahren können wir erahnen, in welchem Rahmen sich die Künstlerin damals bewegte.

Weil eine Rückbesinnung auf den Menschen eigentlich nur über den eigenen Körper möglich ist, konzentrieren sich viele Arbeiten der 1980er-Jahre auf die Einzelfigur, oft gelängte und auf die Umrisse vereinfachte Figuren, die weder Mann noch Frau sind, sondern ganz einfach existentielle, ängstliche, ungeschönte Metaphern für das Sein des Menschen im Raum.

Es waren mutige und wichtige Bilder für die damalige Zeit. Dass man sie bei Ausstellungen in der Schweiz – Eva Diener lebte ja zumindest zu ¾ in Kanada – in den Topf der „Wilden“ einerseits, der sich erstmals mit solcher Kraft äussernden Kunst von Frauen (damals noch mit diskriminierendem Unterton „Frauenkunst“ genannt) andererseits warf, stösst ihr bis heute sauer auf.

Wir Kunstkritikerinnen kennen solche Reaktionen – wir, die auf übergeordnete Kräfte achten, ja mehr noch, davon fasziniert sind, und die Künstler und Künstlerinnen, die von ihrer individuell-persönlichen, „unabhängig“ geglaubten Entwicklung ausgehen.

Nun, wichtig ist eigentlich nur – und darum betone ich das hier – dass Eva Diener eine pionierhaft in ihrer Zeit stehende Künstlerin war und ist. Mit den sogenannt „Wilden“ teilte sie zwar die Expressivität und die Emotionalität, aber nicht die Inhaltlichkeit. Bei ihr geht es um eine kritische Sicht auf die Welt und nicht um laut schreiende und auch nicht um feministische Ich-Gefühle, sondern um die individuelle Anteilnahme am Ausgesetzt-Sein des Menschen in der Welt. Bezogen auf die Schweiz ist für mich der Vergleich mit den Figuren von Schang Hutter der aussagekräftigste. Es gäbe aber auch andere zu erwähnen.

Dass übergeordnete Strömungen dennoch wichtig sind, zeigt sich darin, dass auch der nächste Schritt, der uns unmittelbar zu den hier gezeigten Hauptwerken führt, parallel mit einer umfassenden Tendenz einhergeht. Um 1990 – viele bringen es auf der äusseren Ebene mit dem 1. Irak-Krieg in Verbindung, der das Kriegsgeschehen via Fernsehen quasi in die Stube brachte – findet im Figürlichen vielerorts eine Abkehr vom Introspektiven, Individuellen, zum Kollektiven, Weltbezogenen statt. Auch hier geht Eva Diener der Strömung indes voraus. Mit der Werkgruppe der „Toxics“ wechselt sie bereits um 1987 von der Einzelfigur zu Darstellungen, die  – expressiver denn je zuvor – Kräfte sichtbar machen, die weit über das Schicksal eines Einzelnen hinausgehen, ganze Völker, Kontinente, vielleicht sogar die Menschheit als Ganzes betreffen.

Es gilt dabei einige Momente zu analysieren. Eva Dieners Figuren waren, wie gesagt, nie „Ich-Figuren“ im engeren Sinn. Die Künstlerin geht so weit, dass sie sagt: Nur weil es mir gut geht, immer gut gegangen ist, war und bin ich fähig Anteil zu nehmen, mich quasi zur visuellen „Anwältin“ jener zu machen, die unmittelbar bedroht sind.  Dennoch lassen die Bilder keinerlei Distanz spüren, sondern zeugen sehr unmittelbar von Mitfühlen, Mitleiden, Mitschreien. Sie sind aber gleichzeitig nicht einfach Opfer-Bilder, sondern drücken ebenso sehr das Aufbäumen wider die Kräfte aus, welche den Menschen und mit ihm die Natur bedrohen.

Das ist das eine. Und dann ist da die Grösse der Bilder. Mit dem verstärkten Einfluss der amerikanischen Kunst (insbesondere Barnett Newman) auf Europa in den letzten 1950er-Jahren, gerieten auch bei uns die bisher üblichen Bild-Dimensionen aus den Fugen. Bei Eva Diener ist indes nicht diese indirekte Beeinflussung relevant, sondern die „amerikanische“ respektive „kanadische“ Grösse ihrer Ateliers, die es schlicht zuliessen, dass sich die Künstlerin mit dem Einsatz ihres ganzen Körpers mit ihren Leinwänden auseinandersetzte. Feuer, Stürme, Winde, Wasser konnten und können quasi physische Gestalt annehmen und die Menschen geradezu in Lebensgrösse aufscheinen lassen und in ihrem Hin- und Her-Wogen im Sog der von Farbe getragenen Kräfte zeigen.

Und dann noch etwas: Eva Diener war unter kommerziellen Aspekten nie eine sehr erfolgreiche Künstlerin, auch keine Vielausstellerin, Kanada und die Schweiz unter einen Hut zu bringen, war nie einfach. Sie war finanziell auch nie im engeren Sinn von Verkäufen abhängig. Das kann fatal sein, hier nicht, im Gegenteil, es hat verhindert, dass Eva Diener von dem abwich, was ihr bis zuinnerst ein Anliegen war. Sie konnte es sich quasi leisten, Bilder zu malen, die niemand für die gute Stube kaufen wollte und obwohl das fürs eigene Ego nicht nur einfach zu verkraften ist, hat sie stets aus der Not eine Tugend gemacht indem sie ihren inneren Antrieb, den dunklen, den „giftigen“, den „zerstörerischen“ Kräften ein Gesicht zu geben, nie verriet.

Allerdings gibt es da auch im Leben von Eva Diener eine Zäsur. Weil da kein Galeristen hinter ihr her waren und sagten: „Wir müssen neue Bilder haben“, kam es, dass sie um 1990 temporär aus der Malerei ausstieg und sich, mit derselben Energie, auf die Erschliessung eines in ihrer kanadischen Lebensumgebung erworbenen Stück Landes konzentrierte, das sie in ein kleines ökologisches „Paradies“ verwandeln wollte, bis sie schmerzlich erkennen musste, dass man nur sehr bedingt eine heile Welt in der Welt kreieren kann, da wir alle Teil sind des „Global village“ – so der Titel einer Werkgruppe, aus welcher eines hier in der Ausstellung ist. Um 1997 kehrt sie ins Atelier zurück.

Man kann nicht sagen, dass diese Auszeit ihre Malerei grundlegend verändert hätte, man kann auch nicht sagen, dass das Spätwerk qualitativ besser sei. Und doch ist da eine Intensität, welche das Erlebte in sich trägt und malerisch zeigt. Die Figuren vermitteln verstärkt Körperliches, sind verstärkt Schicksals-Gemeinschaft, sind spürbar als Miteinander bedroht von Macht, Gewalt, Feuer und Aschenregen. Eva Diener ist inzwischen 65 Jahre alt. Da hat man nicht mehr Lust, auf zeitgenössische Tendenzen zu achten. Das heisst, stilistisch bleibt sie beim expressiven Stil der 1980er-Jahre und schafft von da an das, was man ein Alterswerk nennt. Alterswerke sind nicht immer, aber oft Höhepunkte.

Hanna Gagel behauptet, das gelte insbesondere für Frauen, die in der zweiten Lebenshälfte zu Ausserordentlichem fähig seien. Ich weiss nicht, ob das generell stimmt, aber sicher trifft es auf das 20. Jahrhundert zu, das in seinem letzten Drittel bei vielen Frauen nicht nur einen Nachhol-bedarf auslöste, sondern auch möglich machte. Bernisch gesehen denke man zum Beispiel an die Bildhauerinnen Marianne Grunder und Gertrud Guyer-Wyrsch. Es gilt aber auch für Eva Diener, die in den letzten gut 10 Jahren ein grossartiges Werk geschaffen hat.

Interessant finde ich zum Beispiel die neuere Koppelung von gruppendynamischen, figürlichen Kompositionen in riesigen Formaten, wie zum Beispiel „Field of Ashes“, das den wichtigsten Platz hier in der Ausstellung einnimmt, mit der motivischen Vereinzelung, die nun nicht mehr einen Menschen zeigt, sondern einen toten Fisch, überlebensgross, malerisch souverän in den Bildraum gestellt und ohne auch nur eine Sekunde Zögern Mensch und Kreatur miteinander verbindet.

Ich denke nur Maria Lassnig – auch so eine Frau mit überragendem Alterswerk – wäre fähig, ähnliches zu tun, aber sie hat nie Fische gemalt. Aber auch diese Fische sind im Grunde Porträts und zwar sehr ambivalente. Denn der Fisch ist so gemalt, wie ihn der Mensch – auf dem Fischmarkt zum Beispiel – präsentiert. Der tote Fisch in der Wildnis, der hängt nicht mit dem Kopf nach oben im Raum.  Wir sehen zwar nicht, dass diese Fische aufgehängt sind, aber wir assoziieren das. Das heisst der Mensch gibt dem Fisch den Tod, gleichwohl ist der Fisch aber auch Metapher für Folter, Gewalt und Tod an Menschen. Macht steht im Raum.


Man kann sich fragen, warum gerade der Fisch. Man darf in der Kunst nie allzu weit suchen, meist sind pragmatische Antworten die besten. So wohnt Eva Diener in der Nähe des Meeres. Der Fisch ist omnipräsent. Und dann malt Eva Diener ihre Figuren ja schon seit jeher ausgesprochen gelängt und mit kleinem, oft nach oben gerichtetem Kopf, zuweilen sogar mit offenem Mund. Und wie der Fisch haben auch ihre Figuren meist keine Arme.

Da ist rein formal – schauen Sie sich die kleinen Bilder im Nebenraum an – die Verwandlung von Mensch in Fisch geradezu nahe liegend, auch wenn die Vereinzelung dann natürlich andere malerische Forderungen stellt. Die kleinen Bilder beweisen auch gleichsam, dass Eva Diener eigentlich zwischen Fisch und Mensch gar nicht unterscheidet. Und das spüren wir beim Betrachten der Bilder, darum sind sie uns so nahe.

Die Ausstellung, die ich hier und heute eröffnen darf, hat noch eine weitere Dimension. Sie bedeutet einen grossen Schritt, für Eva Diener und für die SNGBK, die Schweizerische Nachlassgesellschaft Bildender Künstlerinnen. Denn Eva Diener hat sich entschlossen, ihr

Werk in die Schweiz zurückzubringen, ihm ab heute und in die Zukunft hier in Bern ein „zuhause“ zu geben. Dass in dieser Ausstellung nun  aber nicht Frühwerke gezeigt werden, sich die Künstlerin vielmehr mit ihrer ganzen Vitalität, ihrem heutigen Schaffen präsentiert, heisst – ich brauche es eigentlich gar nicht zu betonen – dass dieser Schritt keineswegs bedeutet, dass sich Eva Diener nun zurücklehnen will, sie könnte das gar nicht, aber… die Zeit läuft nichtsdestotrotz, für sie, wie für uns alle.
Ich danke fürs Zuhören.