Maia Aeschbach Leben und Werk Monographie 2012

Hunger und Heimweh

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in „Graphit, Milch und Schweinefett“, Publikation zum Kunstschaffen von Maia Aeschbach (*1928 in Flims, wohnhaft in Küttigen AG)

Ist eine Frau, die mit 54 Jahren ihre erste Ausstellung hat und mit knapp 60  erstmals öffentliche Anerkennung erfährt, erst ab diesem Zeitpunkt als Künstlerin zu bezeichnen? Kann man ihr vorausgehendes Leben demzufolge in einige wenige Zeilen zusammenfassen? Oder ist ein Lebensweg immer als Ganzes zu betrachten, weil das Späte ohne das Frühere nicht denkbar ist?

Im Fall von Maia Aeschbach gilt eindeutig Zweiteres, umsomehr als die gesellschaftlichen Umwälzungen im Genderbereich im 20. Jahrhundert manche Chronologie auf den Kopf gestellt hat. Maia Aeschbach ist bei weitem nicht die einzige, die im Alter eine junge Künstlerin wurde. Man denke dabei nicht nur an Meret Oppenheim, sondern – im Aargau – zum Beispiel an Ilse Weber (1908-1984), deren Spätwerk im Umfeld der „Innerschweizer Innerlichkeit“ rezipiert wird, oder an Valery Heussler (1920-2007), die zu Beginn der 1970er Jahre das Handwerk des Schmiedens erlernt und von der Malerin zur Eisenplastikerin wird.

Als sich Maia Aeschbach  1987 erstmals mit schwarzen, darunterliegende Farbschichten nur andeutenden Zeichnungen um einen Aufenthalt im Kuratoriums-Atelier in der Cité Internationale des Arts in Paris bewirbt, zieht sie schlagartig die Aufmerksamkeit  der Kunstszene wie auch der Kunstvermittlung auf sich. Wie kann es sein, dass eine Frau mit fast 60 Jahren quasi aus dem Nichts so radikale, materialmässig verdichtete Werke von zugleich metallener wie hautartiger Wirkung und überdies architektonischer Klarheit schafft?

Rund 20 Jahre wird sie in der Folge diesen Strang ihres Werkes vorantreiben; dann reichen die Kräfte nicht mehr. Ausser Fotografien ist wenig von ihren papierenen Kleiderhülsen, Rohren, Gestellen, Stapeln, Fächern und Bergformationen geblieben – Konstruktion und Dekonstruktion, Aufbau und Zerstörung gehören sowohl physisch wie psychisch, und weit über das künstlerische Oeuvre hinaus, zum Spannungsfeld der in Flims geborenen und aktuell in Küttigen lebenden Künstlerin.

Wie sehr sich ihr Leben als Ganzes zwischen den Polen von Anpassung und Auf- respektive Ausbruch bewegte, wie sehr im Spätwerk Spuren der „anarchistischen“ Zürcher Zeit um 1950 wieder auftauchen, wie sehr die Kreativitätsdynamik der 1968er-Jahre ihre Entwicklung mit bestimmte, wie schmerzvoll 1981 das Ausbrechen mit allen Konsequenzen für sie war, das alles brachten erst vertiefte Recherchen im Hinblick auf dieses Buch vollständig ans Tageslicht.

 

Geboren wurde Maia Briner am 8. Mai 1928 in Flims. Vater Ernst Briner (1898-1983) war Lehrer in Horgen, wegen Asthma rät man ihm jedoch eine Stelle in den Bergen anzunehmen. Zusammen mit seiner Frau gründet er 1927 ein Knabeninstitut in Flims.  Es heisst, Ernst Briner sei ein sehr guter Pädagoge gewesen, kein Zuchtmeister sondern einer, der seine Schüler zu begeistern vermochte. Als Bewunderer von Rudolf Steiner habe er auf Entwicklung und Zuneigung gesetzt.

Maia Briners Mutter Gertrud Georg (1899-2000) hingegen managte den Betrieb; mit der Kehrseite, dass sie wenig Zeit für ihre Kinder und, nach Ansicht ihrer Tochter Maia, auch wenig  Interesse an einem Familienleben gehabt habe. Ihre Geschwister sähen das vielleicht anders.

Maia Briner wuchs mit zwei Schwestern auf: Trudi, geboren1925 und Ursula, geboren 1931. Die Ältere studierte an der Ecole des Beaux Arts in Genf Bildhauerei. Sie heiratete später den heute verstorbenen Benedikt Dolf, Pfarrer, Komponist und Musiklehrer. Trudi Dolf ist auch die Mutter von Menga Dolf, geb. 1963, Malerin und aktuell Präsidentin  der Künstlergesellschaft Visarte, Sektion Graubünden. Ursula Briner (später Brunner-Briner) war eine sehr gute Cello-Spielerin, von Beruf jedoch Laborantin. Sie lebte längere Zeit in den USA und noch heute in Bern. Mit ihrer Schwester Trudi pflegte Maia lange Jahre eine intensive Beziehung; regelmässig war sie mit ihren Kindern in Maienfeld in den Ferien.

In Gesprächen betonte Maia Aeschbach, sie sei als Dauer-Internatskind aufgewachsen. Oft habe sie die Intimität von Mutter und Vater nahe bei sich vermisst. Sie habe auch gelitten unter dem Eindruck, ihre Schwester Trudi werde von der Mutter bevorzugt. Immer wieder erzählte sie die Anekdote, wonach sie und ihre Schwestern des öftern in einer Abstellkammer „gewohnt“ hätten, wenn Vater wieder einmal zu viele Kinder aufgenommen habe. Ihre Jugend sei eine Art Pfadilager gewesen und selbstverständlich habe sie sich keinen Streich entgehen lassen. Sie habe das  gemocht, weil sie nicht kontrolliert worden sei, habe sich aber doch in gewissem Sinn „heimatlos“ gefühlt, denn Freundschaften hätten jeweils nur so lange gedauert wie die Kinder im Internat gewesen seien, dann seien sie wieder aufgeflogen und sie sei allein zurückgeblieben.

In ihrem eigenen Leben verband sie später das Kreative, Vermittelnde, auf Entwicklung setzende des Vaters sowohl in der Familie wie in ihrer Tätigkeit als Werklehrerin. Sie sei zugleich eine Chaotin wie eine wunderbare Improvisatorin gewesen, erinnert sich ihr Sohn Urs Aeschbach und Schwester Fani ergänzt: „Wenn etwas nicht klappte, hat sie immer den Dreh gefunden, alles doch noch zum Guten zu wenden“. Um den Ansprüchen ihres Mannes zu genügen, kochte sie für ihn jeweils Extra-Portionen, sodass er problemlos zur Mittagszeit zum Essen nach Hause kommen und dann wieder zurück ins Büro gehen konnte; so wie das in den 1960er-Jahren gang und gäbe war.

Doch zurück zur Chronologie:

Nach einem vorzeitigen Ausstieg aus der Kantonsschule Chur, weilt Maia Briner sechs Monate in England. 1948 wird sie Studentin an der Kunstgewerbeschule Zürich. Sie besucht zunächst den Vorkurs und schreibt sich danach in der Abteilung „Innenausbau“ (heute „Innenarchitektur“) ein.

Den Unterricht an der KGS  – damals unter Johannes Itten – empfand sie als eng, dennoch habe ihr, so  erinnert sich Lilly Keller (ab 1949 an der KGS in Zürich) das Studium Spass gemacht. Leider hat  sie alle Studien-Unterlagen – auch jene zu den Praktikumsaufenthalten im Ausland – später liquidiert, sodass es hiezu keine Dokumente mehr gibt.

Was sie hingegen anzog, war die Aufbruchstimmung im sog. „Trester-Club“, einem der ersten Untergrund-Jazz-Clubs in Zürich, da wo sich die „Rebellierenden“, die „Existenzialisten“ Zürichs trafen (und Unmengen von Alkohol, darunter viel Trester-Schnaps, tranken). Umsomehr als sich im Club nicht nur Musiker, sondern ebenso Designer, Fotografen, Innenarchitekten, Künstler –  und zwar auch Frauen!! – ein Stelldichein gaben. Alle traten sie für die neue Freiheit der Nachkriegszeit ein. Unter ihnen waren Daniel Spörri, Friedrich Kuhn, Lilly Keller, Kurt Fahrner, Alex Sadkowsky, aber auch der Bildhauer Hans Aeschbacher u benicar online.v.a.m. Der „Trester-Club“ war, wie Mitinitiantin Hanna Feurer in einem Interview in der NZZ sagte, ab 1949 in einem Zivilschutzkeller an der Strassburgstrasse, ab 1951 in einer ehemaligen Posamenten-Fabrik an der Münstergasse. Im Trester-Club lernt Maia Briner – damals eine bildschöne junge Frau –  den Posaunisten, Maler und Bildhauer  Muz Zeier (1929-1981) kennen, die beiden werden ein Liebespaar.

Die Beziehung ist eine intensive, es ist gar von Heirat die Rede. Zeier ist Gründungs-Mitglied der Ateliergemeinschaft Südstrasse. Ab 1951 ist er Posaunist und Bandleader der Jazzgruppe „Höngg Hot Trester Seven“. Aber er ist schon in dieser Zeit Alkoholiker. Wie weit auch Maia Aeschbach damals übermässig Alkohol konsumierte, ist nicht bekannt, aber es ist anzunehmen und es soll zwischen den zwei auch öfters zu wüsten Szenen gekommen sein. Maia selbst lebte in der Zürcher Zeit in einer WG in einem besetzten Haus in der Nähe des Bahnhofs Enge.  Ihre anarchistische Haltung brachte sie unter anderem dadurch zum Ausdruck, dass sie ausschliesslich schwarze Kleider trug; lustvoll vermutlich. Sogar ihre Unterhosen habe sie schwarz gefärbt, erzählte sie. Auftritt, Sprache und Erscheinung waren zuweilen derb; ein  Normenverstoss, den Maia Aeschbach in dosierter Form auch später immer wieder einsetzte, wenn es sie reizte.

Die Kunsthistorikerin Patricia Nussbaum schreibt im Katalog zur Ausstellung Muz Zeier im Aargauer Kunsthaus von 1985, Zeier sei sehr existentialistisch mit seinem Frühwerk umgegangen – das heisst, nicht auf Dauer ausgerichtet,  zerstörerisch gar, er habe für den Tag gearbeitet, den Moment, aber nicht weiter hinaus. In gewissem Sinn gilt das auch für die späten, schwarzen Arbeiten von Maia Aeschbach und  es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es hier einen – wenn auch unbewussten – Bogen zur existentialistischen Bewegung im Zürich der frühen 1950er-Jahre gibt. Allerdings kumuliert sich in dieser Geringschätzung bleibender Werte eine philosophische Ebene mit einem frauenspezifischen Phänomen, indem der von der Gesellschaft vermittelte Minderwert des Weiblichen wie massgeschneidert in diese Haltung passte. Maia Aeschbachs Abwertung des eigenen Tuns grenzte auch später vielfach ans Unerträgliche.

In diese existenzialistische, sozial gefährliche Zeit bricht  die „Entführung“ Maia Briners im Sommer 1952 wie ein Donnerschlag  ein.

Es ist unklar, warum die Eltern eingriffen, wer sie informierte; möglicherweise die Schule, da sie offenbar schon vorher das Diplom hatte „schleifen“ lassen. Nach verschiedenen Erzählungen spielte sich die Entführung in etwa so ab:

Ein von den Eltern angeheuerter Dedektiv entdeckt Maia auf seinen Streifzügen im Quartier. An einem vordefinierten Tag hält er mit Gertrud Briner im Fond des Wagens neben ihr an. Die Mutter lockt ihre Tochter unter dem Vorwand eines gemeinsamen Ausstellungsbesuches ins Auto, fährt sie dann aber schnurstracks in eine psychiatrische Klinik, wo man sie offenbar erwartet und „einsperrt“.

Es ist nicht belegt, ob sich dies alles genau so abspielte oder ob Maia später etwas Dramatik hinzugefügt hat. Fakt ist aber, dass man die Geschichte in der Szene sehr wohl erfuhr und sich entsetzte. „Freiheitsberaubung“ war das, ereifert sich Lilly Keller noch heute, wenn sie an damals zurückdenkt.

Fakt ist auch, dass die Leitung der Klinik sehr schnell reagierte und Maia Briner mit ihrem Einverständnis bei Elisabeth Giauque, Textilkünstlerin und zweite Frau des Malers Fernand Giauque, platzierte. Hier half Maia Aeschbach im Haushalt und lernte vor allem weben. Sie war damals 24 Jahre alt und blieb insgesamt 3 Jahre in Muntelier.

Dass Maia Briner sich dies nach der wilden Zürcher Zeit gefallen liess, ist erstaunlich, aktivierte offenbar die andere, die folgsame Seite in ihr. Man vergesse nicht, dass die frühen 1950er-Jahre gesamtgesellschaftlich noch keine Ansätze von weiblichem Aufbruch in sich trugen.  Immerhin waren die Giauques ein sowohl künstlerisch wie kulturpolitisch aktives Künstlerpaar. Elisabeth Giauque wurde 1954 Mitglied der Eidgenössischen Kommission für angewandte Kunst und sowohl ihre Bildteppiche wie Fernand Giauques in der Tradition der damaligen Schweizer Kunst stehende Malerei waren weit über die Region hinaus bekannt.  

Es scheint auch, dass Maia am Murtensee eine gewisse Ruhe fand und  vor allem eine warme familiäre Atmosphäre wie sie sie nie gekannt hatte und nach der sie sich eigentlich immer gesehnt hatte. Der Aufenthalt wird jedenfalls nicht als Zwangsjacke empfunden, sondern führt zu einer über Jahrzehnte gepflegten Freundschaft; alle Kinder der Aeschbachs erinnern sich an die Ausflüge an den Murtensee und Emil Aeschbach erzählt gerne von der für ihn lehrreichen, gemeinsamen Reise ins Burgund.

Ein einziges Mal „türmte“ sie, ging zurück nach Zürich, kam aber sehr bald wieder. Den Kontakt zu den Eltern hatte sie freilich nach der „Zwangsversetzung“ abgebrochen; bis es in Flims 1953 zu einem Brand kam, der sie dann doch nach Hause zog. So war sie da als das MG-Cabriolet des jungen Aarauer Architekten Emil Aeschbach vorfuhr.

Er kam, um zu schauen wie seine Praktikantin Esther Guyer, zusammen mit ihrem Partner Rudolf Guyer, den zuvor ausgebrannten Dachstock des Institutes renovierte. Mit Vergnügen lud er Maia zu einer Spritztour im offenen Wagen ein und da soll es gefunkt haben. Fortan fuhr Emil Aeschbach nach Muntelier „z’Kilt“. Er habe daselbst eine Familie kennen gelernt, wie es sie wohl nur im „aristokratischen“ Bern habe geben können,  robust, volkstümlich, und zugleich von einem stolzen bürgerlichen Selbstbewusstsein geprägt. Somit fast 100% das Gegenteil dessen, was Maia Briner in Zürich lebte. Der Konflikt zwischen den „beiden Seelen“ begleitete sie ein Leben lang.

Im Herbst 1955 heiraten Maia Briner und Emil Aeschbach und ziehen nach Aarau, dann nach Buchs, ins ehemalige „Hühnerhaus“ von Maler Maurer, wie sie gerne erzählten. Ende 1956 kommt Urs zur Welt, 1958 Sophie,  1960 Andreas und 1963 Fani.  Da mehrere Kinder besonderer Pflege bedürfen,  ist die junge Mutter  extrem gefordert.

Emil Aeschbach, der aus gut bürgerlichen Verhältnissen stammt, ist mit der lokalen Kunstszene vertraut. Das junge Paar besucht Ausstellungen, nimmt an der Eröffnung des Aargauer Kunsthauses (1959) teil. Zahlreiche Künstler gehören zu ihrem Freundeskreis, u.a. Werner Holenstein, den Maia von sporadischen Aufenthalten des Malers in Zürich her kennt.  Künstlerische Ambitionen hat sie keine in dieser Zeit, versteht sich  aber durchaus als Kunsthandwerkerin; 1959 tritt sie – möglicherweise auf Anregung von Elisabeth Giauque – der GSMB+K  (heute GSBK – Gesellschaft Schweizerischer Bildender Künstlerinnen) bei, die ihr im Laufe langer Jahre immer wieder Ausstellungsmöglichkeiten bietet, die sie auch wahrnimmt.

Sie hat in Buchs und dann vor allem in Küttigen, wo Emil Aeschbach anfangs der 1960er-Jahre ein Haus für die Familie baut, ihre Webstühle, webt Vorhänge, Bettüberwürfe, Tischtücher und mehr, doch sieht sie ihr Leben viel stärker auf die Menschen ausgerichtet als auf die Kunst. Dennoch entwirft sie im Auftrag ihres Gatten für die Halle des vom Architekturbüro Aeschbach&Felber  erbauten, neuen AHV-Gebäudes einen grossformatigen, geradezu impressionistischen Teppich, der im Zentrum einen kreisrunden, blauen „Teich“ zeigt, in dem sich in angedeutet geometrischen Vierecken Natur und Architektur in vibrierenden Farbflecken spiegeln. Leider wurde der Teppich irgendwann und ohne Mitteilung an Maia oder Emil Aeschbach entsorgt, sodass heute nur noch eine grossformatige Aquarell-Skizze sowie Fotos davon existieren. Vereinzelt entstanden auch Bildteppiche, darunter einer für das Kantonsspital Aarau. Er soll ein Don Quichote-Motiv illustriert haben. Leider ist auch dieser Teppich „unauffindbar“; es gibt nicht einmal Fotos davon. In der Familie erhalten ist ein kleinformatiger „Totentanz“.

Glücklich ist die junge Familienfrau, wenn sie mit Menschen verschiedenster Herkunft  etwas entstehen lassen kann. So spielt sie mit den eigenen Kindern und allen, die dazu stossen Theater, regt zum Bau von Seifenkisten an, organisiert Traktorfahrten, lässt die Kinder Gips- und Tonfiguren modellieren. Neben Haushalt, Weberei  und vielem mehr ist sie  als Werklehrerin tätig. Der allgemeine Lehrermangel lässt die Behörden die Augen zudrücken, wenn’s um Diplome geht. Der Abwart vom nahen Küttiger Primarschulhaus toleriert nolens volens, dass Maia Aeschbach den Werkraum immer mal wieder „auf den Kopf stellt“ und danach nicht aufräumt. Später erklärt sie mit dem ihr eigenen Humor, ihre zuweilen „chaotische“ Vorgehensweise habe halt mit ihren Zigeuner-Vorfahren zu tun. Allerdings weiss niemand in der Familie von solchen Ahnen…. Maia nimmt es mit der Wahrheit manchmal nicht so ernst, wenn ihr etwas in den „Kram“ passt, dann ist es eben „Wahrheit“.

Maia Aeschbach führt ein offenes Haus, nimmt auch einen in einer schwierigen Lebensphase steckenden Buben aus der Verwandtschaft bei sich auf, integriert in ihre Familie und ihr Werken wer immer ein „Zuhause“ nötig hat. „Ihr Empfinden kannte da keine Grenzen“, erinnert sich Urs Aeschbach. Sie führt zwar kein „Institut“, aber es ist klar, dass sie hier in einer von Zwängen möglichst befreiten Form Kindheitsprägungen umsetzt. Den gesellschaftlichen Verpflichtungen aus dem Umfeld ihres Mannes kommt sie nur nach, wenn es nicht anders geht, oft flieht sie in „Bauchschmerzen“ oder schiebt eine andere Entschuldigung vor.  Sie distanziert sich aber keineswegs von den beruflichen Herausforderungen ihres Mannes. Ihre wiederkehrende Mahnung: „Ist dies wirklich die beste Lösung, kann man es nicht noch besser machen?“ ist Emil Aeschbach zeitlebens eine Leitplanke.

Ganz entscheidend sind die frühen 1970er-Jahre, jene Jahre somit, in der die Entwicklung der 1968er-Jahre breit ins Leben der Frauen eindringt und sie Normen sprengen lässt und die „Selbstverwirklichung“ zum Kult-Wort wird. Maia Aeschbach wird nie eine Feministin im engeren Sinn, aber sie greift die Möglichkeiten, die der gesellschaftliche Wandel bietet, mit voller Kraft und ebenso viel Lust auf. Es  ist für sie ein Glücksfall, dass sich in unmittelbarer Nachbarschaft die einem neuen libertären Zeitgeist verpflichtete Kommune von Barbara Fischer – die Tochter des legendären Illustrators Hans Fischer genannt „fis“ –  und Hans Weiss, Sekretär des Landschaftsschutz Schweiz –  einmietet.  Die drei und weitere Bewohner der Kommune sind bald ein einziges Kreativteam. Was mit einem noch relativ harmlosen Krippenspiel im Hause Aeschbach  beginnt, wird bald zum shakespearschen Theaterunternehmen. Mit dem Heuwaagen fahren die Küttiger Kinder auf dem Dorfplatz vor und geben ihre Stücke zum besten. Der mit der Familie befreundete Maler Werner Holenstein malt  die Kulissen dafür.  Quasi en passant entsteht in dieser Zeit auch sein wunderschönes Porträt von Maia Aeschbach.

„Es waren eigentlich mehr Zirkusvorstellungen als Theateraufführungen“, erinnert sich Fani Aeschbach. „Die Gestaltung, die (Ver)-Kleidungen, die Stoffe, die Bühne waren das wichtigste“. Das Publikum waren die Dorfbewohner, die Eltern und zugewandte Orte, wobei es auch Leute gab, die demonstrativ nicht kamen. Kinder, die das Glück hatten just zu dieser Zeit in Küttigen zur Schule zu gehen, haben die Theateraufführungen in bleibender Erinnerung. Die Bieler Künstlerin Daniela de Maddalena-Gränicher (eine Mitschülerin von Sophie Aeschbach) etwa meint  mit spürbarer Rührung in der Stimme: „Maias Fantasie war einfach grenzenlos und ihre Begeisterung unglaublich ansteckend; für mich waren das von den nachhaltigsten Kindheitserfahrungen“.

Nach ein paar Jahren ist der Spuk vorbei, die Kinder besuchen jetzt höhere Schulen und plötzlich stellt sich die Frage nach der eigenen Zukunft. Die Webstühle reichen ihr nicht mehr; sie nimmt sich ein Atelier ausserhalb des Hauses, was zunächst niemand so recht begreift. Offensichtlich geht es um Abstand. Sie versucht es mit Karikaturen. Doch so humorvoll und witzig sie ist, das Umsetzen von Ideen in zeichnerisch Pointiertes fällt ihr nicht leicht. Sie ist keine virtuose Zeichnerin, die mit einem Federstrich festhalten kann, was ihr durch den Kopf geht. Zu jedem Blatt gibt es zahlreiche Skizzen; sie braucht Türen, Fenster, Sofas und mehr um die Szenen „aufzuführen“. Gerne wählt sie hiezu das Moment der Multiplikation, des „Domino“-respektive „Ping Pong“-Spiels. Die Themen kommen aus ihrem Alltag als Hausfrau und Mutter,  sie greift aber auch auf Kindheitserinnerungen zurück oder sie macht sich über die bürgerliche Gesellschaft lustig. Ein auch formal geglücktes Blatt zeigt zum Beispiel eine beleibte junge Frau mit Dauerwellenfrisur, die Ziehharmonika spielt, wobei sich der ausfahrende Blasbalg ins plissierte Kleid überträgt und im Teppich Wellen wirft – alles um einen kleinen Fisch in einem Wasserbecken zu unterhalten; weiblich-bürgerliche Langeweile par excellence.

Man trifft Maia Aeschbach nun auch vermehrt in Aarau – sie sucht, wie einst in Zürich, das Gespräch, die Geselligkeit, die Anregung. Im Sevilla, im Ticino, im Affenkasten und anderen Beizen wird sie zum unterhaltsamen und gern gesehenen Gast. Ihr Freundeskreis weitet sich und steht mehr und mehr in Opposition zu ihrem Hintergrund als Architektengattin. 


So wie sie schon in Kantonsschulzeiten und später im Studium mit einem Anflug von zerstörerischer Energie auf und davon lief, so packt sie auch  1981 – inzwischen 53 Jahre alt –  scheinbar ohne Vorankündigung ihre Koffer und reist, praktisch ohne Geld, nach Italien, genauer nach Florenz. Es ist als würde sie sich selbst aussetzen, um  bei sich selbst anzukommen.  Brachte ihr bei Elisabeth Giauque seinerzeit das Weben Momente von Disziplin zurück, so ist es in Florenz das Töpfern. Sie lernt die strenge japanische Töpferin Kisako Umino kennen und wird ihre Schülerin. Doch das Gefühl der Einsamkeit nagt nichtsdestotrotz. Sie notiert: „Warum bin ich nach glücklichen 25 Jahren mit 2 Koffern und wenig Geld aus der Ehe davon? Jetzt bin ich in Florenz gelandet. Trotz der fast nicht auszuhaltenden exakten Strenge, wo ich bei Kisako japanisch töpfern lerne, bin ich fasziniert. Sie beeinflusst mich sehr. Ich habe hunger und heimweh“.

Nach Monaten kehrt sie nach Aarau zurück, findet daselbst wohl zunächst bei Freunden Unterschlupf, zieht jedoch schon bald mit dem 10 Jahre jüngeren Erwin Sprenger, genannt „Pföli“ zusammen; sie wohnen in Suhr, in Gränichen und dann während Jahren in einem alten Bauernhaus in Hirschthal. „Pföli“  (1938 – 2011) ist Hafner und Plattenleger von Beruf und galt in der Aarauer Szene bis dahin als „ewiger Junggeselle“. Die beiden kannten sich von gemeinsamen Abenden im „Sevilla“. Was sie verband, so schildern Brigitte Lattmann und Silvio Ronchetti das ungleiche Paar, sei einerseits ihre, zumindest nach aussen, humorvolle Art gewesen, ihre Freude an Geselligkeit, andererseits die gemeinsame Lust auf Reisen. Im Laufe der Jahre verbrachten die beiden viele Monate in Frankreich, Spanien, Australien, auf Kuba und in anderen Weltgegenden mehr. Sie reisten mit Bahn, Bus oder Motorrad, mit wenig Geld, abenteuerlich.

Zweifellos spielte bei Maia Aeschbach auch ein Moment des Normenverstosses eine Rolle; sie wollte sich von der bürgerlichen Gesellschaft und „all diesem Kunstscheiss“ absetzen. Dennoch  ist sie hin- und hergerissen. Anfänglich geht sie häufig nach Küttigen zurück, um „zum Rechten“ zu schauen; sie bleibt auch mit ihrem Mann und ihren Kindern in Kontakt, sucht so weit als möglich auf „beiden Hochzeiten“ zu tanzen, was beide Männer offenbar tolerieren. Gleichzeitig nimmt sie wieder Pensen als Werklehrerin an – unter anderem bei der Migros Klubschule. Überdies erteilt sie   Asylbewerbern Deutschunterricht.

1982 tritt Maia Aeschbach erstmals mit einer Ausstellung an die Öffentlichkeit. In Louise Segradas  „Schlapphuet“ an der Halde 36 in Aarau zeigt sie Cartoons und Töpfe. Die Kritikerin des Aargauer Tagblatts beschreibt u.a. das (sich noch heute im Werkfundus befindende) Blatt, auf welchem in einem italienischen Bus einer dem andern die Moneten aus der Tasche klaut. Sie lobt und tadelt, meint aber schliesslich: „In den besten Blättern überlagern sich Denkfähigkeit, Empfindungskraft, Gestaltungsidee und zeichnerisches Können“.

Die Ausstellung ist (noch) nicht der Startschuss für die späte Künstlerkarriere.  Erst 1987 tritt Maia Aeschbach wieder an die Öffentlichkeit; diesmal in der Gemeindebibliothek in Suhr und zwar nicht mehr mit Cartoons, sondern mit künstlerisch ganz entscheidend weiter entwickelten Zeichnungen. Es dränge sie, die intensiven Lebenserfahrungen der letzten Jahre nach Bildern zu hinterfragen, erzählte sie der Kritikerin des Aargauer Tagblatts. Diese moniert, die Zeichnungen seien etwas allzu disparat, hebt aber insbesondere zwei Blätter hervor: Den „Hungertraum“ und die „Justitia“ (beide sind leider verschollen).

Der „Hungertraum“ ist sehr persönlich geprägt – er zeigt in einem surreal gefärbten Stil eine Tischlampe mit einer quallenartigen Lichtblase, die auch ein Gesicht andeutet. Die „Justitia“ hingegen hat Gesellschaftliches im Visier und ist von der Erscheinung her zukunftsweisend. Im Aargauer Tagblatt steht es so: „Die Justitia  ist reduziert auf eine einfache, figürliche Form mit einem winzigen Helm. Es ist eine zusammengesetzte Zeichnung, aufgespannt auf eine Sperrholzplatte und angelehnt an die Wand. Mit einem sepiabraunen Farbstift hat die Künstlerin die Teile gefüllt, Strich um Strich, Schicht um Schicht bis zuletzt eine dicht strukturierte Fläche entstand.“ Im selben Jahr bewirbt sich Maia Aeschbach im Rahmen des Wettbewerbes um Beiträge des Aargauer Kuratoriums um die Zuerkennung des Ateliers in der Cité Internationale des Arts in Paris. Und zwar erstmals  sowohl mit Blei- (im Untergrund teilweise auch Farb)stiften wie mit den Fingern und dem Radiergummi bearbeiteten Graphit-Zeichnungen. Drei davon zeigen an der Oberfläche horizontal oder leicht diagonal geschichtete Lamellenstrukturen.

Die Arbeiten markieren einen radikaler Schritt in der Entwicklung des nun klar künstlerisch orientierten Werkes.  Die Herleitung ist nicht einfach zu formulieren. Faktoren sind sicher die Vertrautheit  mit textilen Geweben respektive das Töpfern mit den Fingern. Aber das reicht nicht.

Die Jury Bildende Kunst des Aargauer Kuratoriums mit Ulrich Däster als Vorsitzendem begründet  die Vergabung des Pariser Ateliers an Maia Aeschbach mit den Worten: „ Die dichten, schlicht überzeichneten Papierbahnen erinnern an Häute oder Gewebe…. Introrversion und die Möglichkeit des Aufbrechens der geschlossenen Oberfläche stehen sich gegenüber.“

Maia Aeschbach hat sich nie mit Kunsttheorie befasst, ein konzeptueller Aspekt ist damit nicht in Betracht zu ziehen. Sie hatte aus ihrem subjektiven Empfinden heraus das Bedürfnis diese Zeichnungen gerade so zu schaffen. Keine Theorie heisst aber nicht „nicht schauen“. Im Fundus der Künstlerin gibt es  zahlreiche Fotokopien oder aus Printmedien herausgeschnittene Abbildungen, welche insbesondere rhythmische Formelemente wie geschwungene Treppen, abstrakte Skulpturen, geologische Formationen, Schichtungen verschiedener Art aufzeigen. Ähnlichkeiten zu den Zeichnungen liegen auf der Hand.

Zugleich weiss Maia Aeschbach mit Sicherheit um die Bedeutung der Zeichnung – insbesondere der „schwarzen“ Zeichnung – im Laufe der 1980er-Jahre, man denke nur an die frühen Kohle-Arbeiten von Miriam Cahn, die Pinselzeichnungen von Silvia Bächli, die Bleistift-Arbeiten von Marianne Kuhn, die Lebenszeichen von Barbara Hee, die Figurationen von Klaudia Schifferle, in gewissem Sinn auch die Holzschnitte von Josef Felix Müller. Im Aargau natürlich auch an die Zeichnungen von Heidi Widmer. In vielen ist ein expressives Moment enthalten, sei es durch den Duktus, das All-Over, die Materialität.

In diesen Kontext fügen sich die neuen Arbeiten von Maia Aeschbach. Ihre Ungegenständlichkeit, die nicht absolut ist, sondern in der Aussenform oder in der Multiplikation zuweilen auch Gegenstandsformen bildet, gibt den Papierarbeiten im überwiegend erzählerischen Stream der 1980er-Jahre eine eigene Position. Diese schliesst Einflüsse der Minimal Art und der Radikalen Malerei mit ein und reaktiviert last but not least die eigenen Prägungen durch die 1950er-Jahre. Das expressive Moment legt sie nicht in die Form, sondern in das „wilde“ Hin und Her des Bleistiftes respektive der Vermischung des Graphit mit Wachs und Leim, Sie will dem Papier vermehrt Stabilität geben, um in Multiplikationen zu eigentlichen Konstruktionen zu gelangen.

Doch so weit ist sie 1987 noch nicht. Da freut sie sich zunächst einmal auf Paris – die Zuerkennung des Ateliers durch das Kuratorium ist die erste öffentliche Anerkennung – ein Moment, das im Leben einer Frau ihrer Generation von enormer Bedeutung ist. Die „Verfolgung“ durch das Gefühl als Frau minderwertig zu sein wird aufgebrochen. Die Entwicklung zugunsten der Frauen  ist gegen Ende der 1980er-Jahre bereits vielerorten manifest; dennoch ist der Prozess der Bewusstwerdung weiblichen Selbstverständnisses  ein individuell zu leistender. Maia Aeschbach hat sich als jung, dann wieder in den 1970er-Jahren und vor allem ab 1981 immer wieder Freiheiten genommen, was aber nicht heisst, dass sie damit den inneren Zwiespalt ganz überwunden hätte. Die Regelmässigkeit mit welcher sie ihr eigenes Tun durch herabmindernde Charakterisierungen gleichsam aufhob  – „ach weisch, de Plunder“ – grenzte zuweilen an Manie. Auch die Tatsache, dass sie ihre Werke in Ausstellungen aufbaute und danach sogleich wieder in ihre Einzelteile auflöste, das heisst „zerstörte“, gehört  aspektweise in dieses Kapitel.

Paris ist für Maia Aeschbach ein befreiendes Erlebnis. Sie atmet die Stadt. Sie darf sich selbst sein. Sie ist 60 Jahre alt, ihre Kinder sind erwachsen und so ist sie an der Schwelle für etwas Neues. Es entstehen keine greifbaren Pariser Werke, doch der Aufenthalt bildet den Humus für die fruchtbaren, folgenden Jahre.

1988 nimmt Maia Aeschbach erstmals an der „Weihnachtsausstellung“ im Aargauer Kunsthaus teil. Sabine Altorfer kauft die „Streiffen“ mit „Farbstift+Bleistift“ und so gehört diese Arbeit zu den wenigen, die in Privatbesitz gelangen und den periodischen Liquidierungen der Künstlerin entgehen.

1990 findet in der Galerie „am Rindermarkt“ in Zürich, die dem Aargauer Kunstsammler Max Amsler gehört, eine Ausstellung mit Werken von Maia Aeschbach und Florence Gilliéron statt. Darin wird die Ausweitung und die Intensitätssteigerung der Zeichnungen seit 1988 deutlich sichtbar. Sie betrachtet die schwarzen Papiere, die sie entweder mit  Fett, Wachs, Farb- und Bleistift oder direkt mit Graphit bearbeitet, zum Teil auch wieder auswäscht,  nun deutlich als installative Elemente, die sich, wie in der Arbeit „Licht“, in wellenartige Bewegungs-Rhythmen ausfächern lassen. Oder sie nimmt Eisenstangen hinzu und konstruiert eine „Etagère Mc Donalds“ oder sie faltet das Papier zur horizontalen „Treppe“. Partner Erwin Sprenger ist ihr dabei ein wertvoller Mitarbeiter.

Ebenfalls 1990 bewirbt sich Maia Aeschbach um einen Werkbeitrag des Aargauer Kuratoriums. Sie reicht hiezu die „Kleiderständer immobil“ ein – es handelt sich um Metallgestelle, ähnlich wir sie von Kleidergeschäften her kennen, an die sie eine Vielzahl von schwarzen, an Kleider-Schutzhüllen erinnernde Papierbahnen hängt. Sowohl der Kleiderständer wie die „Etagère Mc Donalds“ zeigen, dass es der Künstlerin trotz der starken Reduktion ihrer Formensprache immer auch um die Verbindung mit dem Alltag ging und sie daraus ihre Ideen schöpfte.

Die Kuratoriumsjury, welche ihr einen der vier Hauptpreise in Höhe von 18 000 Franken zuspricht, rückt eher den ungegenständlichen Aspekt in den Vordergrund: „Die Schwerelosigkeit der hängenden ‚Häute’ erweist sich bei jedem Luftzug, andererseits lässt das lebendige Grauschwarz auch an andere, schwerere Materialien (Metall?) denken.“

Die Kunst hat mit diesen Ausstellungen und Auszeichnungen einen zentralen Stellenwert erhalten. Doch Maia Aeschbach versteht ihr Leben umfassender. Seit einiger Zeit lebt sie mit „Pföli“ in einem alten Bauernhaus in Hirschthal. Die bescheidenen Wohnbedingungen mit Holzfeuerung etc. sind eine Art Manifest, eine Rückbindung ihrer Lebensauffassung an Basiswerte wie sie auch in der Verwendung von  Papier, dessen Einreiben mit Graphit, Leim, Milch, Fett, Wachs zum Ausdruck kommen.  Obwohl sie diese animalische Ebene durch die Gestaltung letztlich auf eine wahrnehmungs-orientierte Ebene stellt.

Sie verfügt über ein  kleines Atelier, das sich bezeichnenderweise gleich hinter der Küche befindet. Sie hat aber auch einen Garten, sogar Bienenvölker und selbstverständlich Hühner. Die Natur hat aber nicht erst jetzt Bedeutung. Schon in Küttigen hatte sie einen etwas wilden „Gmüesblätz“ und dann war da vor allem auch das Haus im abgelegenen, bündnerischen Lohn (Bezirk Hinterrhein), das ihr stets eine Art „zweite Heimat“ war.

Emil Aeschbach hatte das Rustiko 1969 erworben und die Familie verbrachte viel (Ferien)-Zeit dort. Zu seinem Leidwesen durfte es der Architekt nur minimal umbauen – Maia (und ihren Kindern) war es lieber als urtümliches Refugium mit so wenig Komfort wie möglich. Später ging sie auch allein dahin, zeichnete für sich und half, so wird erzählt, oft und mit grossem Vergnügen den Bergbauern beim Einbringen des Heus.  Lohn war und ist für Maia Aeschbach  nicht zuletzt so wichtig, weil die umliegenden Berge für sie Bilder ihrer Kindheit sind. „Oben bin ich geboren und aufgewachsen, das Heimweh nach den Bergen ist geblieben“, betitelt sich eine 300 x 230 Zentimeter grosse Graphitarbeit von 1999. Überdies werden die Berge in den letzten Jahren ihrer künstlerischen Produktion zu collagierten Bildkulissen oder gar Skulpturen.

Im Überblick sind die 1990er- und die ersten 2000er-Jahre die künstlerisch erfolgreichste Zeit Maia Aeschbachs. Sie integriert sich in die Aargauer Kunstszene und fühlt sich von ihr auch getragen. Sie bezieht ein Atelier im „Kiff“ (die ehemalige Kunath Futterfabrik in der Aarauer Telli), wo auch Rosmarie Vogt,  Christina Käuferle, Sabine Trüb, Marianne Kuhn, Christoph Storz und mehr ihre Ateliers haben. Sie wird Mitglied der GSMBA (heute Künstlergesellschaft visarte) und wird regelmässig zu Einzel- aber auch Gruppen- und thematischen Ausstellungen eingeladen. Das motiviert sie enorm.

1993 zeigt sie im Schützenhaus in Zofingen unter anderem eine Weiterentwicklung des „Kleiderständer immobil“ von 1990. Dieser ist nun „mobil“ und besteht aus einem aus Metall konstruierten, von einem Motor bewegten, runden Gestell, an dem bodenlange schwarze Papierbahnen ihre Runden drehen. Die Assoziationen zu Arbeiten von Eva Aeppli, von Elsi Giauque aber auch den Mänteln von Rosmarie Vogt bettet die Arbeit in einen grösseren Kontext, wobei erneut die Reduktion, die offenen Schnittstellen zwischen reiner Form, Materialbetontheit und stummer Erzählung die Faszination ausmacht.

Im selben Jahr beteiligt sie sich an einer Ausstellung in der Galerie im „Goldenen Kalb“ in Aarau, wo sie unter dem Stichwort „Illusion“ ein überdimensioniertes Fragment eines alten Fischkutters zeigt, dessen Planken aus langen schwarzen Papierbahnen bestehen. Die Dimension beider Arbeiten kann ohne Zweifel als Reflektion der persönlichen Befindlichkeit der Künstlerin in dieser Zeit gelesen werden. Wie sehr Maia Aeschbach Anerkennung findet, zeigt sich auch in der, gemessen am bisherigen Leben eigentlich erstaunlichen, Wahl der Künstlerin in die Jury der Weihnachtsausstellung 1995 im Aargauer Kunsthaus. Plötzlich wechselt sie, welche sich lange von „all diesem Kunstscheiss“ distanziert hat und immer wieder betont, ihr Sohn Urs sei ein „richtiger“ Künstler, nicht sie, sie wechselt die Seite und wird zur Jurorin. Vielleicht darf man es nicht überschätzen, denn der rote Faden ihres Engagements für andere reisst nie ab.

Er zeigt sich auch im Bericht, den sie 1994 nach einem von der Basler Christoph Merian-Stiftung gesprochenen, dreimonatigen Artist in Residence-Aufenthalt in der Ukraine formuliert. Sie wohnt daselbst in einem Künstlermilieu, aber was sie bewegt, ist das Leben der Menschen, ihre Armut, ihre Überlebenskunst, aber auch ihr fataler Hang zum Wodka. Was sie selbst zeichnet und wo diese Zeichnungen heute sind, ist nicht bekannt. Fakt ist einzig, dass sie 1994/95 eine Zeichnung mit dem Titel „Kiew“ (Bleistift und Farbe) an der Jahresausstellung im Aargauer Kunsthaus zeigt. Und möglich ist, dass die das Papier mit Graphit und Leim fast bis zum „papier mach铠bearbeitenden, skulptural wirkenden, figürlichen, grau melierten „Collagen“ von 1994 mit Kiew im Zusammenhang stehen, ist doch eine von ihnen mit „Angst“ betitelt – ein Gefühl, das sie auch im Bericht mehrfach erwähnt.

Bereits Ende 1993 schreibt die Schweizerische Gesellschaft Bildender Künstlerinnen (GSBK) einen öffentlichen Wettbewerb für eine Ausstellung mit Papierkunst im Baltikum und in Russland aus (1994/95).  Zu den aus 145 Bewerbungen gewählten 26 Kunstschaffenden gehört neben Ueli Berger, Susanne Fankhauser, Germaine Frey, Beat Zoderer u.v.a. auch Maia Aeschbach. Sie schickt die „Kleiderständer immobil“ mit auf Reisen.

1995 bewirbt sich Maia Aeschbach um das 1993 eröffnete Aargauer Atelier in Prag, ein Indiz dafür, wie sehr sie das Fremde, das Andere interessiert und fasziniert und zwar hautnah, indem sie sich dem Leben vor Ort aussetzt.  Bewerben ist bei Maia Aeschbach in dieser Zeit fast ein Synonym für „zugesprochen erhalten“; allerdings ist die Konkurrenz beim Prager Atelier nicht sehr gross. Sie reist anfangs 1996 für sechs Monate in die tschechische Hauptstadt und arbeitet daselbst unter anderem an  den Zeichnungen für den vom Aargauischen Kuratorium 1995 ausgeschriebenen Buchillustrations-Wettbewerb zu Hermann Burgers „Wasserfallfinsternis von Bad Gastein“.

Es sind stilistisch an die Zeit um 1986/87 erinnernde Blätter, die sie zu Burgers apokalyptischer Geschichte des an Bechterew leidenden Nachtportiers Carlo Schusterfleck entwirft. Sie verdoppelt Burgers expressive Sprache nicht, sie setzt ihr feine, zeichnerische Rhythmen von Chromosomen-Reihen, von wellenden Wirbeln, von fallendem und versiegendem Wasser entgegen. Und gewinnt damit den Wettbewerb. Das bibliophile Bändchen enthält zusätzlich zum Umschlag sechs Illustrationen. 2000/2001 greift sie die Idee der Illustration nochmals auf, jetzt zum „Kübelreiter“ von Franz Kafka. Die sieben überzeugenden Zeichnungen sind im Vergleich illustrativer, enthalten auch kurze Beschreibungen wie „Einsam ist der Mann in seinem Zimmer und der Kohlenkübel ist leer und es ist eiskalt“.

Nicht nur mit den Illustrationen, sondern vor allem mit der Annahme von Einladungen zu Themen-Ausstellungen sucht Maia Aeschbach eine Erweiterung ihres Tuns. Das gelingt ihr dort, wo sie eng bei der ihr wie ein „Label“ zugeordneten Arbeitsweise bleibt, das gelingt ihr weit weniger, wenn sie sich ganz konkret in gesellschafts- und sozialkritische Themen vor wagt. Ein gelungenes Beispiel sind mehrere Arbeiten rund ums Thema Buch – Maia Aeschbach liebt es mehr als früher zu lesen, zum Beispiel die grossen russischen Romane der Weltliteratur. Ein erhalten gebliebenes Objekt aus Blei und Papier mit dem Titel „Kunst ist was?“ zeigt  eine Art Buch mit Sentenzen von Beethoven bis Marianne von Werefkin („Kunst ist kein Delirium, sondern eine Philosophie“).

Während der theoretische Ansatz etwas aufgesetzt wirkt, überzeugt hingegen die Installation für den „Salon“ von 1998 im Aargauer Kunsthaus: Ein Lehnstuhl mit einer Vielzahl von offenen,  nicht näher  definierten Buch-Hüllen rund herum. Hier, und noch viel stärker in einer Zeichnung von 1996, greift sie auf die stilistische Praxis der Cartoon-Zeit zurück. In dieser 100 x 200 Zentimeter grossen Zeichnung (Bleistift/Metallfarbe), die sie unter dem Thema „Täuschungen“ in der GSBK-Ausstellung in der Alten Zürcher Kunsthalle in Zürich zeigt, lässt sie in einem schräg gestellten, strassenartigen Band rund 600 goldfarbene Autos von rechts nach links vorbeifahren. Darunter gelegt ist – von links nach rechts –  ein diagonal platziertes,  riesiges Todeskreuz. Wirkt die inhaltliche Aufarbeitung des umweltkritischen Themas etwas allzu einfach, so zeigt sich indes auch hier der sichere Umgang der Künstlerin mit Komposition, etwas, das ihr Denken, Schauen und Umsetzen seit dem Studium in Zürich begleitet.

1998 bewirbt sich Maia Aeschbach erneut um einen Werkbeitrag des Aargauischen Kuratoriums – quasi zum 70sten Geburtstag. Die Jury unter dem Vorsitz von Sabine Altorfer spricht ihr einen Beitrag in Höhe von 24000 Franken „für ihre konsequente künstlerische Haltung“ zu. Altorfer ist zu dieser Zeit auch Leiterin der Städtischen Galerie im Amtshimmel in Baden. Überzeugt von der Qualität von Maia Aeschbachs Arbeiten, schlägt sie ihr eine „grosse“ Ausstellung vor, die ihr Schaffen endlich einmal im Überblick zeige. Die Ausstellung von 2000 ist die umfassendste, die es je von Aeschbachs Werk gab.

Wertvoll ist auch die Einschätzung Sabine Altorfers, dass sie in Maia Aeschbach eine durch und durch professionelle Künstlerin erlebte, die sich mit grossem Engagement auf die Werkschau vorbereitete und mit vielen neuen Arbeiten aufwartete. Ein Höhepunkt war zweifellos der beidseits aus bambusartigen, halben Papierröhren verkleidete Durchgang, der die Besuchenden gleichsam in die Welt Aeschbachs einschleust. Im Hauptraum sind sowohl gegenstandsnahe Arbeiten wie der „Fächer“ oder das „Gedanken-Archiv“ ausgestellt als auch eher skizzenartig improvisierte Arbeiten mit Bändern und geknickten Röhren. Im Begleittext spricht Altorfer von „tiefem Schwarz-Silberklang“, aber auch vom Misstrauen der Künstlerin gegenüber der Ästhetik des Materials, die sie durch „krude Formgebung“ breche. Das Echo auf die Ausstellung, so erinnert sich Altorfer, sei überaus positiv gewesen.

Was löst Maia Aeschbach mit ihren Arbeiten aus, dass ihr so viel Anerkennung zukommt. Spielt der Frauenbonus eine Rolle, das Alter als Rückversicherung für Jüngere, dass man auch mit 72 Jahren noch dabei sein kann? Tatsache ist, dass es in der Schweiz in den späteren 90er-Jahren eine erhöhte Anerkennung für Werke von Frauen gibt und auch einen gewissen Hunger, diese nicht auf junge Künstlerinnen zu beschränken. Wesentlicher ist jedoch die Qualitätsfrage. Maia Aeschbach vermag mit ihren Arbeiten  frauenspezifische und darum neue Aspekte in die Kunst einzubringen und nutzt gleichzeitig eine allgemeingültige Formensprache, die nicht einseitig auf weiblich-körperliche Erfahrungen fokussiert.

Das Frauenspezifische bringt sie durch das Material ein, die intensive Bearbeitung der Papiere bis hin zum Hautartigen und damit auch Hautnahen. Zugleich suggerieren das Papier und die  daraus konstruierten Objekte  Stabilität, die aber in Realität äusserst fragil, jederzeit von Zerstörung bedroht ist – man braucht nur am Papier zu reissen und schon ist es verletzt. Dies wird von der Künstlerin in genau dieser Ambivalenz eingesetzt, was wohl ein wichtiger Teil  der Ausserordentlichkeit ihres Schaffen ausmacht.

In der gemeinsamen Ausstellung mit Brigitte Lattmann und Sabine Trüb in der Städtischen Galerie im Zimmermannshaus in Brugg  zeigt Maia Aeschbach Ende 2000 erstmals ihre collageartig gestaffelten neuen Bergpanoramas, „um [darin] den Dunkelheiten im Dunkeln, dem hellen Glanz und den Helligkeiten, der Faltung nachzuspüren, dem scheinbar unvergänglichen Spiegel der Kindheit…“ wie Klaus Merz in der Vernissagerede sagt.

Klar ist, dass Maia Aeschbach mit den Ausstellungen von 2000 Massstäbe setzt. Dass in Baden auf ihren Wunsch gleichzeitig auch Bilder ihrer Nichte, der Bündner Malerin Menga Dolf, gezeigt werden, ist ein bewusstes Bekenntnis  zur Familie. Umgekehrt ist es dann 2005, wenn Urs Aeschbach seine Mutter einlädt, mit ihm zusammen in der Galerie Elisabeth Staffelbach in Aarau auszustellen.

In dieser Zeit ist Maia Aeschbach gesundheitlich bereits gefährdet. Von Jahr zu Jahr intensivierten sich die schon immer vorhandenen Stoffwechsel-Probleme (möglicherweise die Verstärkung einer angeborenen Gluten-Unverträglichkeit). Um den Schmerzen zu begegnen, gönnt sie sich eine übertriebene Pflege ihrer Haut mit Ölen, was zu Dünnhäutigkeit, schmerzhafter Überempfindlichkeit  und schliesslich zu einer an Verwahrlosung grenzenden  Erscheinung führt. Sie muss in eine Psychiatrische Klinik eingewiesen werden, wo – glücklicherweise  – eine Besserung erreicht werden kann. Das Paar gibt das Wohnhaus in Hirschthal auf und wohnt fortan in Rombach bei Aarau. 2011 stirbt Erwin Sprenger und Maia Aeschbach zieht um ins Seniorenzentrum Wasserflue  in Küttigen. Ihr mentaler Gesundheitszustand lässt eine künstlerische Tätigkeit nicht mehr zu, wohl aber begleitete Besuche ins „Sevilla“ oder auch ins Aargauer Kunsthaus.