Vogel Katharina – Die Signale der Sinne

Körpersprache zwischen Tanz und Performance

 

 

www.annelisezwez.ch    Text publiziert in Berner Almanach Tanz, herausgegeben von Daria Gusberti, Christina Thurner und Julia Wehren, Edition Atelier Bern, 2012

 

Als Katharina Vogel 1995 mit „Chief Josef“ ihr Debut in Bern gab, war das Staunen und die Begeisterung gross. Die 33-jährige Tanz-Performerin, die (scheinbar) von „Nowhere“ in Bern auftauchte, machte Innerlichkeit in einem Mass und einer Radikalität zu Körper-Sprache, wie man das noch kaum je gesehen hatte. Katharina Vogel waren Grenzen zwischen Tanz und Performance, zwischen  visueller Kunst und  bewegtem Körper fremd.

Ihr erfolgreicher Auftritt und die sich anschliessende internationale Tournée fielen in eine Zeit, in welcher Tanz als künstlerisches Medium vielerorten geschützte Gärten sprengte und sich verschiedenste Stilrichtungen und Neuinterpretationen östlicher und westlicher Prägung innerhalb der Tanzszene Bahn brachen. Katharina Vogel trug in Bern wesentlich dazu bei. Der breite Aufbruch führte indes dazu, dass ihre seither realisierten 11 Solo- und Duett-, ja sogar Quartett-Produktionen nicht mehr vergleichbaren Aufruhr auslösten, auch wenn Vogels konsequent verfolgte Vision von Tanz als ein Erforschen des Körpers als Raum sinnlicher Signale in der Schweizer Tanzwelt längst ein fester Begriff geworden ist.

„Chief Josef“ kam nicht aus dem „Nichts“. Das Stück war vielmehr eine Verdichtung dessen, was sich Katharina Vogel in ihrer Zeit mit dem walisischen Landart-Künstler und Musiker Nick Parkin erarbeitet hatte; in England (Wales), in Andalusien, auf Sizilien, im Unterengadin. Ihre eher von persönlichen Interessen als von Lehrerpersönlichkeiten geprägte Ausbildung klassischer, moderner und japanischer Ausrichtung in Zürich, in Amsterdam und vor allem auch an der Tanz-Akademie in Rotterdam bildete die Basis. Doch nun war nicht mehr der architektonische Raum der Ort der Entfaltung, sondern die Natur weit ab von der Grossstadt. Es galt sich zu befreien von Traditionen und Festgeschriebenem, um im Dialog mit der Landschaft, mit der Erde, dem

Wasser, dem Licht  und den Pflanzen eine neue Offenheit und zugleich eine neue Verbundenheit aufzubauen, Archaisches und Gegenwärtiges zu verschmelzen.

Fotografien, die sie mit lichterfülltem Gesicht und in der Körperspannung einer Tänzerin in einem durchlässigen „Gewebe“ aus feinen, dürren Zweigen zeigen, dokumentieren diese frühe Ausdrucksepoche.

 

In einem gewissen Moment begann Katharina Vogel das Unstete ihres Lebens jedoch zu belasten und so zog die im Raum Aarau Aufgewachsene 1994 in die Nähe ihres Bruders, der damals als Koch im Kulturzentrum „Kreuz“ in Nidau tätig war, und bereitete daselbst mit höchster

Intensität „Chief Josef“ vor.

Auf sich selbst gestellt, wollte sie alle entscheidenden Erlebnisse ihrer „Sturm- und Drang“-Zeit bündeln. Zu dieser gehörte insbesondere auch die Entdeckung der Butoh-Tänzerin Carlotta Ikeda in Wien. Sie hatte das Gefühl, die Produktion „Utt“ (Urschrei) sei nur für sie geschrieben worden und vieles in ihrem Ausdruck und ihrer Theorie basiert bis heute auf der mit jeder Faser des Körpers ausgekosteten und getanzten Sinnlichkeit wie sie ihr damals erstmals begegnete. Doch das Attribut „Butoh“, das sie seither mit sich ziehe, stimme eigentlich nicht, denn ihr Ziel sei es, Klassisches, Zeitgenössisches und Japanisches in einer eigenen Körperlichkeit zu verwirklichen. Doch es sei klar, dass die verlangsamte Konzentration auf Ur-Regungen aus dem Innern, aber auch die Sprache ihrer Hände, der Zug zum Mimischen bis hin zum Grotesken, immer wieder zu Ikeda zurückführe.

Der weitere Weg war nicht ganz eindeutig, sollte sie auf Solo-Produktionen setzen oder auf weitere Kollaborationen? Beides probierte sie aus. Es zeigte sich indes mehr und mehr, dass das Erforschen eigener Innerlichkeit, dass Reisen entlang von Muskeln und Nerven, von Gebautem und Gefühltem im Körper-Raum eine eminent einsame Sache ist; viel eher vergleichbar mit einer Malerin, die in Bildern Sinne und Seele zu visualisieren sucht als mit einer Tänzerin, die äussere Räume in Dialog mit dem Körper bringen will. Als Beispiel sei auf die frühen Body Awarness-Arbeiten der österreichischen Malerin Maria Lassnig (geb. 1919) hingewiesen.

Ein Zusammengehen war für Katharina Vogel viel eher im Umraum möglich, in Partnerschaften mit Licht- oder – insbesondere – Ton-Künstlern. Aus der Zeit bis  2000 sei besonders auf „Velvet Iglu“, eine Inszenierung mit Tanz, Stimme (Phil Minton) und Cello (Martin Schütz), hingewiesen. Die Inszenierung zeigte in der Betonung des Experimentellen auf mehreren Ebenen einerseits fortschreitende Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein, doch andererseits auch, dass vielerorten wenig Basis für den Umgang mit zeitgenössischer Musik-Tanz-Performance vorhanden war. Eine Kritik im Bieler Tagblatt fragte unverhohlen, was dieser sich wälzende Körper, dieses Wimmern von Saiten, dieses Rülpsen einer Stimme solle und zeigte Verständnis für alle, welche den Espace culturel in Biel vorzeitig verliessen.1 

„Für den Tanz fehlt in Biel ein Veranstalter, der uns tragen würde“, sagt Katharina Vogel. Zwar habe sie von kulturellen Gremien – seien sie städtisch, kantonal, eidgenössisch oder privat – immer wieder Anerkennung und Unterstützung erfahren und sich bis heute als freischaffende Solo-Tänzerin knapp halten können, doch sei es für sie immer schwieriger als Ein-Frau-Unternehmen heutigen Management-Erfordernissen gerecht zu werden. Da drohe sie unterzugehen und Zweifel machten sich breit, ob ihre künstlerische Forschung am Körper überhaupt noch gefragt sei. Von grösseren Tourneen träume sie mittlerweile nur noch. Zwar sei sie froh, um die selbstverständliche Integration in die Tanz-Szene Bern und freue sich über die Bemühungen um die Stellung des Tanzes in der  Schweiz, doch auf der individuellen Ebene sorge sie sich schon.

Was die Produktionen von Katharina Vogel charakterisiert, ist immer wieder die „Liebesfähigkeit“, die sie in den Regungen des Körpers sucht und über Bewegung nach aussen sichtbar macht. Die Nacktheit, das nur minimal verhüllt sein, spielen dabei eine wichtige Rolle, umsomehr als Bühnenbild und Attribute stets auf ein Minimum reduziert sind. Aggression, Wut, Rebellion dringen nur verhalten nach aussen. Es geht – und das ist auch für die Zuschauer spürbar -– viel mehr um die Sehnsucht dem Körper als „Wohnort“ der Sinne, des Liebens und des Geliebtwerdens auf die Spur zu kommen und dieses Erspüren auch zu geniessen. „Speak Tenderness“ (2008) war hierbei vermutlich ein Höhepunkt.

Doch zuvor gab es im Leben Katharina Vogels ein wichtiges Ereignis. Im Sommer 2005 kam Tochter Lina zur Welt. Im Kontext der Thematik von Vogels tänzerischem Oeuvre ist eine Schwangerschaft, eine Geburt ein werkprägendes Erlebnis. Dass sie ausgerechnet in diesem Jahr  ihr naturbetontes Frühwerk aufarbeitete und mit „Raum berühren“ eine Eigenproduktion im Freien präsentierte, war „Zufall“. Dennoch emotionalisierte die Schwangerschaft als real sichtbares Moment das extrem verlangsamt und minimalistisch angelegte und zugleich direkt im lebendigen Landschaftsraum angesiedelte Stück für die Zuschauer in ergreifender Art und Weise.

Gleichsam ein neues Kapitel schlug 2010 die Produktion „Ohr“ auf. Das Wagnis, sich mit dem Experimental-Musiker Christian Müller auf eine eigentliche Co-Produktion einzulassen, erforderte von der Tänzerin eine stärker denn je nach aussen gerichtete Dramaturgie. René Zächs Bühnenbild, welches zwei transparente Räume koppelte, unterstrich die Forderung nach rythmischem Austausch von Klang und Bewegung. Die in Blaugrau gekleidete Tänzerin liess sich gleichsam aufschrecken und durchschütteln und verwandelte dadurch inneres Erleben in äussere Vibration.

Dem Schritt ins Unbekannte folgte im Herbst 2011 in „Black Song – The Celebration of the Unknown“ ein Schritt ins Gegenteil, indem die Künstlerin darin tiefer denn je in die von Konventionen losgelösten Lebens-Energien ihres Körpers zu gelangen versuchte. Die seismographisch auf und ab schwellenden Bewegungen erforderten dabei vom Publikum analoge Körper-Konzentration, subtil unterstützt durch die reduziert mitschwingenden Cello-Klänge Frank Heierlis.

 

1 Regina Piazza im Bieler Tagblatt vom  7. Februar 2000.   

 

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