Ansprache Peter Hauri Noemi Eichenberger Müllerhaus Lenzburg 2013

Generationenwechsel

 

 

www.annelisezwez.ch                 5. April 2013

„anfangs da ist etwas das sich findet

                                                                      am anderen Ende

wieder zu erkennen denken an

            der Ton beginnt bevor er anfangen hat

 

gestern und heute sind nicht miteinander verwandt

                       er atmet die Zeit und tut ab

            Blick und Moment sind                 das Bild

Zwischen Dingen und Zeit                                  liegt

Des Inneren des Aeusseren des

                                                                      draussen warten wir

 

die Rueckseite ist Vorderseite der Rueckseite

                                   oben und unten sind variabel

erfinde sie neu

die Kreise auf dem Tisch zaehlen

erfinde sie neu.

 

wie weit ist der Raum zwischen

den Dingen und der Zeit wenn man sie anhaelt?

ich zaehle und atme die Zeit

Zwischenraum ist Anhang des Geschehens

                                   ich atme

wenn ich nicht spreche“

 

Wenn Sie schon einen ersten Rundgang durch die Ausstellung gemacht haben, wissen Sie, dass der  Raum greifende Prosatext, den ich eben gelesen habe, eine wichtige künstlerische Arbeit von Noémi Eichenberger ist. Von einem Diaprojektor auf eine schräg an einen dunkelgrauen Tetraeder gelehnte, weisse Tafel projiziert. Der Ton, den wir hören, gibt nicht die Worte wieder, sondern den Vorgang der Projektion in den Raum.

Das sei doch Literatur, denken sie. Sicher ist die Lyrik mit zu denken, aber die präzise und formbewusste Verortung im Raum lässt den Text auch als Skulptur erscheinen.

Spätestens seit dem Dadaismus erscheint das Wort immer wieder in der bildenden Kunst, mit kalligraphischer oder inhaltlicher Betonung.

Hier möchte ich aber etwas ganz anderes herausschälen. Noémi Eichenberger ist 1986 geboren, Peter Hauri 1945. Zwischen ihnen liegen altersmässig gut 40 Jahre, 40 Jahre intensiver künstlerischer Entwicklung auch. Dass ein Künstler mit Jahrgang 1945 malt, dass er uns das zeigt, was wir ohne Probleme als „Werke“ bezeichnen , entspricht seiner Generation. Seine grossformatigen, in persönlich entwickelter Technik gemalten Aquarelle haben keine Skrupel „Bilder“ zu sein. Und wir geniessen diese Vertrautheit.

Eine Künstlerin, die 2012 die Hochschule der Künste in Bern abschloss, kann das nicht. Denn inzwischen haben die Bilder die Sprache überrundet. Wir leben in und mit Bildern. Wir werden überflutet von Bildern. Eine Künstlerin mit Jahrgang 1986 will da nicht einfach mitschwimmen, denn der selbstgewählte Auftrag der Kunst ist es, der Welt eine Position aufzuzeigen, die anders ist. Das ist nicht leicht. Und im ersten Jahr nach dem Diplom, wo es gilt, sich vom Schulbetrieb, von den Lehrern – in ihrem Fall insbesondere Anselm Stalder – abzulösen und eigene Wege zu gehen, doppelt. Die Unsicherheit ist noch spürbar, aber ebenso der Wille, kompromisslos das zu tun und zu zeigen, was ihr richtig scheint. In ihrem Text ist vom „anderen Ende“ die Rede, von der Rückseite, welche die Vorderseite der Rückseite ist und sie fordert: Erfinde sie neu.

In der Diplomausstellung in Langenthal zeigte Noémi Eichenberger eine Fotografie, welche oben und unten als links und rechts zeigte und damit den abgebildeten Raum aus den Angeln des Festgeschriebenen, des Erwarteten hob. Das macht sie auch hier, nur sehr viel radikaler. Indem sie uns Worte gibt, auf dass wir sie in Bilder umsetzen, auf dass wir ihre Ausdehnung, ihre Bezüglichkeit wahrnehmen, ihren Atem in der Zeit. Sie verlangt damit Hirn-Arbeit, verwöhnt uns nicht mit Fast Food.

Wir sind in Ausstellungen an fotografische Grossformate gewöhnt und bekommen hier gerade mal jene Dimensionen serviert, die wir von unserer eigenen Fotografiererei kennen. Wir sind ihr vielleicht gram und denken an Verweigerung und übersehen respektive überhören dabei den liebevolle Klang, der mitschwingt. Da ist zum Beispiel eine kleine Fotografie – qualitativ nicht besser als in ihren Fotoalben,  liebe Besucher und Besucherinnen. Es geht somit nicht um Fotografie, sondern darum zu zeigen, dass Fotografien sehr persönliche, verdichtete Momente sein können – „Blick und Moment sind      das Bild“– heisst es in ihrem Text.

Hier geht es ganz konkret um eine fast schon wehmütige Hommage ans Seetal, wo die Künstlerin aufgewachsen ist – unweit vom Haus, in dem Hugo Suter arbeitet und von dem sie sagt, keiner hätte sie in ihrer Jugendzeit so geprägt wie er. Die Fotografie zeigt zwei rote Ziegeldächer, die in der aufgenommenen Perspektive knapp ein junges Maisfeld überragen. „Mir ist wichtig, dass die Baukörper, die Architektur der Häuser nicht sichtbar sind, denn ich wohne nicht mehr hier, habe kein Haus mehr hier, aber ich bin geprägt von dieser Landschaft“, sagte sie mir sinngemäss im Gespräch. Mit der violetten Kordel, der Platzierung auf dem Boden macht sie einen kleinen, persönlichen Altar daraus, kombiniert mit drei weiteren Aufnahmen vom selben Ort, später im Jahr aufgenommen, aber beiseite gelegt. Künstlerisch arbeiten heisst viele Wege abtasten und  in diesem Fall auch sichtbar machen.

Einen Kontrapunkt zum Erwarteten setzt auch die Installation im Hauptraum. Ein Postkarten-Ständer mit Postkarten die das, was auch in der Realität zu sehen ist, abbilden, somit verdoppeln und unseren Blick schärfen. Zusätzlich  stattet uns Noémi Eichenberger mit zwei Zauberstäben, einem weiteren Brett,  einer schwarzen und einer gläseren Tafel aus. Und stellt dazu ein Glas, das, je nach Licht im  Raum, Schatten auf die Wand wirft, sich vervielfacht. Eine geheimnisvolle Anleitung zur Wahrnehmung von Raum.

Hier treffen wir auch gleichzeitig auf Arbeiten von Peter Hauri. Geschickt hat der Zürcher Bildhauer Piero Maspoli, ein langjähriger Freund von Peter Hauri, der die Ausstellung als beratender Kurator begleitet hat, hier ein vielleicht untypisches Bild ausgewählt, das aber gleichzeitig über alle Unterschiede der beiden Kunstschaffenden hinaus aufzeigt, dass es auch Berührungspunkte gibt. Das Stichwort heisst  „Transparenz“, etwas sichtbar machen, das nicht sichtbar ist und doch präsent ist. Während Noémi Eichenberger Leer-Räume durch Materialien, Zeichnungen, Fotografien bewusst macht, sucht Peter Hauri Gebautes, Dingliches durch Malerei aus seiner Materialiät zu lösen und zur Erscheinung werden zu lassen. Besonders augenfällig in diesem Stück Architektur, die gleichsam im Raum schwebt und ausgesprochen poetisch in diesem Bild einer Flasche, in welcher der „Geist“ gleichsam drinnen und draussen gleichzeitig ist.

Ausgangspunkt für die Arbeiten von Peter Hauri sind Fotografien, vornehmlich von Mauern, Toren, Fenstern, aufgenommen in nächster Umgebung oder auch auf Reisen nach Italien, nach Paris, wohin auch immer. Ihr Ortsbezug ist nicht eigentlich wichtig, wohl aber die Farbigkeit, die kompositorische Anlage. Von ihr bleiben Spuren im Bild sichtbar, aber die künstlerische Intention geht dahin, die Materialität aufzulösen und sie auf einer Metaebene neu aufleben zu lassen, einem fiktiven Ort, wo Härte nicht Härte ist, wo Nähe und Weite direkt ineinander übergehen.

Wenn man mit Peter Hauri spricht, fällt irgendwann das Wort „Barock“ und es ist ein Schlüsselwort, denn die Epoche des Barocks mit seinen wunderbaren Kuppeln und illusionistischen Malereien, versuchte Ähnliches, wenn auch meist eingebunden in einen religiösen Kontext. Es war die Epoche, als die Erde von der Scheibe zur Kugel wurde und das Universum als Unendlichkeit ins Bewusstsein der  Menschen drang. So weit geht Peter Hauri nicht, es geht nicht um Weltvisionen, sondern um das Erlebnis als Künstler, als Maler etwas so zu transformieren, dass aus einer banalen und in der Realität wohl keineswegs sonderlich ansehnlichen Situation etwas Neues entsteht, das die Kraft hat, uns im Geist zu beflügeln, hinauszutragen aus der Enge der täglich und ständig uns umgebenden Mauern.

Dass es hiezu einen geradezu alchemistischen Prozess braucht, verwundert nicht. Da werden in der oft lange dauernden Entstehungszeit Schichten aufgetragen und wieder abgewaschen, das Verbleibende wieder aktiviert und zurückgedrängt, bis das Papier und die Aquarellfarbe eins werden. Peter Hauri ist da ein Meister seines Fachs, ganz so wie es der langen Tradition der Malerei entspricht.

Die Werke, die Peter Hauri uns hier zeigt, stammen aus rund 20 Jahren. Das ist die Zeitspanne seit seiner letzten Einzelausstellung in der Galerie Antonigasse in Bremgarten. Wir merken das stilistisch kaum und als ich meinen ersten Text hervorsuchte, den ich über Peter Hauri geschrieben habe – das war 1978 anlässlich einer Ausstellung in der Galerie „Brättligäu“ in Lenzburg – so gab es da nichts, das dem Heutigen grundsätzlich widersprechen würde.  Die Bilder sind grösser, sicherer, reduzierter geworden, noch mehr auf Malerei als auf das Motiv ausgerichtet, aber grosse stilitische Umwälzungen hat es nicht gegeben. Das ist auch nicht zwingend. Peter Hauri ist kein Kunstproduzent, keiner, der mit 68 Jahren auf eine glanzvolle Karriere zurückblickt. Klar träumte auch er nach Abschluss der Ausbildung, seiner Zeit als Bühnenmaler und mehr von einem Leben als freier Künstler, aber wie bei vielen, bei sehr vielen Kunstschaffenden war das nicht mehr als eine Illusion.

Der Kunstbetrieb ist ein komplexer Markt und sich darin zurecht zu finden, ist nicht nur eitel Honig lecken. Und die Qualität der Kunst ist längst nicht das einzige Kriterium für sogenannten Markterfolg. Die überaus erfolgreiche Ausstellung der „Stillen Reserven“ im Aargauer Kunsthaus zeigt eindrücklich,  dass die Pioniere, die Überflieger der Kunstgeschichte grossartige Werke geschaffen haben, aber immer im Kontext einer Vielzahl von Künstlerinnen und Künstlern standen, die mit ihnen zusammen erst eine Bewegung bildeten. Wenn analog irgendwann mal eine professionell kuratierte Austellung zu „Kunst im Seetal seit den 1970er-Jahren“ kuratiert wird,  dann dürfen die Bilder von Peter  Hauri darin nicht fehlen!!

Ich freue mich sehr, dass die Kulturkommission Lenzburg Peter Hauri, dem es gesundheitlich glücklicherweise besser geht als vor einigen Jahren, eingeladen hat, hier auszustellen und damit diese wichtigen Bilder einer älteren Generation wieder und einer jüngeren Generation neu ins Bewusstsein zu bringen. Ebenso gratuliere ich der Kulturkommission, dass sie die Kombination mit einer ganz jungen Künstlerin gewagt hat, denn sie lässt, wie eingangs erwähnt, Dimensionen der Veränderung zwischen damals und heute aufscheinen, über die zu diskutieren ich sie nun bei einem Glas Wein animieren möchte.

Ich danke fürs Zuhören.

  

 

P.S. Sämtliche Texte von Annelise Zwez zu Peter Hauri findet man auf ihrer Website www.annelisezwez.ch  Stichwort „Hauri“. Ebenso diese Ansprache.