Die Website-Newsletter 2013 im Überblick

Was aufgefallen ist

Februar 2013

 

Etwas vom Nachhaltigsten in unserem Beruf sind zeitaufwendige Recherchen.

Erforscht man Leben und Werk von verstorbenen, zuweilen auch Rückblick haltenden, betagten KünstlerInnen, erhält man ein Bild von deren ganz persönlicher Welt. Man erfährt Dinge, die zu ihren aktiven Zeiten nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Es gibt die Haltung, dass dies reiner Voyeurismus sei. Ich bin nicht dieser Meinung, denn die Wärme (durchaus im Sinne von Beuys), die dabei entsteht, lässt das Geschaffene – und auch das nicht Realisierte – in einem Gesamtkontext erscheinen. Dieser lässt einem begreifen wie innere Strukturen und äussere Parameter (fördernde und hindernde) ständig interagieren. Ich durfte mehrfach solche Recherchen betreiben (Roland Guignard, Gertrud Debrunner, Hanni Pfister, Rolf Spinnler, Gertrud Guyer, Maia Aeschbach u.a.m.). Seit langem bin ich auf der Spur von Georgette Klein (1893-1963), die eher ein Gesamtkunstwerkgeschaffen (gelebt) hat als in einzelnen Sparten brillierte. Die Bandbreite geht von Textilkunst über Tagebücher bis zu Architektur, von geschnitzten Burratini über Gartenanlagen bis zu freien Holzskulpturen (siehe www.fondazione-sciaredo.ch). Ein Teil ihres Schaffens ist greifbar, vieles ist verschollen. Da sind es dann Highlights, wenn im Museum Bellerive in Zürich  zwei wunderschöne textile Arbeiten aus den 1920er-Jahren auftauchen oder bekannt wird, dass in Beringen (SH) die Handpuppenihrer einstigen Puppenspiel-Freundin Olga Gloor immer noch fröhlich zusammenleben…..  

 

 

März 2013

 

Obwohl ich offiziell pensioniert bin – daher sind die „neuen Texte“ ja auch rar geworden – und  ich auch tatsächlich nicht mehr für die Medien schreibe, bin ich eine fleissige Galerien- und Museumsbesucherin quer durch die Schweiz. Und die laut Web-Statistik täglich von rund 200 Besuchern aufgerufene Website beschert mir fast täglich Anfragen verschiedenster Art – zuweilen gefolgt von spannenden Gesprächen, Radio-Interviews usw.

Von den Ausstellungen, die ich in den letzten Wochen gesehen habe, seien hier folgende erwähnt: Klodin Erb in der Galerie Rotwand in Zürich. Welche Entwicklung! Ihre Untersuchungen zur Malerei sind gepaart mit einer Fülle an kunstgeschichtlichen Referenzen und zusammengeführt in eine atemberaubende, intelligente Bildsprache, die Expressives, Surrealistisches und traditionelle „Peinture“ bis hin zur „Freien Figuration“ verschmilzt. Nachhaltig eingeprägt hat sich auch die Ausstellung von Alexandre Joly in Langenthal. Der Genfer (geb. 1977) ist ein Poet. Seine „Silent Movements“ hören u.a. in Rhythmen und Frequenzen, die wir gängig nicht wahrnehmen. Mittels Klangsensoren, Lichtvibrationen, kombiniert mit Muscheln, „Diamanten“ und mehr macht er sie hör- und fühlbar. Allein in den Räumen, den Körper spüren wie er mitschwingt,  ist ein kleines, „magisches“ Erlebnis. Das März-Bild zeigt augenfällig, dass mit dem Iphone fotografierte Kunst oft das eigene Ich mit abbildet. Hier in einem Ausschnitt des „Schwimmer“ von Markus Müller(geb. 1943) im Kunstraum Asieben in Rombach bei Aarau (Vernissagerede von azw s.u. Texte 2013). Die Umrisslinien beruhen auf Papierstreifen, welche der Künstler aus einer Ghirlande herausgeschnitten hat, so dass sie seinen Körper als „Loch“ zeigen. Der „Schwimmer“ ist Teil einer grossen Werkgruppe, die aufzeigt, welche faszinierende Vielfalt in Bildern steckt, wenn man sie durch Verändern von Parametern (Blickwinkel) immer wieder und immer anders entstehen lässt.  Berichten könnte ich auch von den Ausstellungen von Peter Gysi in Grenchen, Subodh Gupta in Thun, den „Stillen Reserven“ in Aarau, Ladina Gaudenz und Tashi Brauen in Thun, Marianne Engel und Patrick Harter in der neuen nar-gallery von Nathalie Ritter in Biel, den „Artist’s Artists“ im Pasquart in Biel, Susanne Hodel in Solothurn und mehr. Kunst ist und bleibt spannend!

 

April/Mai 2013

 

Was läuft doch Monat für Monat in der Kunst!  Zu meinen April-Highlights gehört zweifellos die „Kinostadt“  von Steve McQueen im Schaulager in Basel. Weil: a) die Architektur zeigt wie Filmisches durch Wechsel von offenen und geschlossenen Situationen in eine Gesamtinstallation eingebunden werden kann; b) die Rücksichtslosigkeit, mit welcher McQueen die Zeit der Besuchenden in Anspruch nimmt (z.B. im Verharren im Gelände der Biennale Venedig zur Winterszeit) eine Herausforderung zum Nachdenken ist c) das Engagement für die Rassenfrage (McQueen ist von dunkler Hautfarbe) nicht polemisch, sondern wissend daher kommt.  -– Zumindest eine positive Überraschung war Paul Klee/Fausto Melotti in Lugano. Wer denkt, da solle wohl ein Italo vom Ruhm Klees profitieren, hat nicht ganz unrecht, aber da ist eine Verwandtschaft, die trotz klee’scher Inspiration des 22 Jahre Jüngeren, einen Dialog zur Bereicherung macht, zumal er von Bettina della Casa sehr schön inszeniert ist. – Beglückend war auch „Häutung und Tanz“ bei Elena Buchmann in Agra (Lugano). Der Kontrast des modernen Stahl/Glas/Beton-Baus, der White Cubes im Innern und den körperlich versehrten Bronze-Figuren Martin Dislers von (+/-)1990 stehen in einem Kontrast, der sich als emotionale Kraft vermittelt; Intensiver noch als vor Jahresfrist im Schönthal (BL).  Es sollen die letzten verkäuflichen der einst 66 in Lugano entstandenen Arbeiten des Zyklus sein.  – Auf Galerienebene schrieben sich teils an frühe Marc Antoine Fehr erinnernde Bilder von Anna Altmeier (z.Zt. im Mayhaus in Erlach) ein. Auf farblos grundierter, grober Leinwand lässt sie  an trockene Fresken erinnernde Schichten figürlicher Fragmente erscheinen. Die Gegenwart schimmert als wäre sie die Zukunft der Vergangenheit. Ob sie daraus ein Werk entwickeln kann?

 

Juni 2013

 

Wer sucht der findet! – Gute Ausstellungen, landauf landab. Es ist ein absolutes Privileg, dass wir in der Schweiz ein so hochkarätiges und von überall her in Kürze erreichbares Angebot haben. Kürzlich fuhr ich an die Eröffnung von „Hard and Fast“ von Bob Gramsma im KunstZeugHaus in Rapperswil, eine zugleich materialintensive wie fragile und emotionale Ausstellung. Ein vom Shed-Dach hängender, weiss-gelblicher „Erdklumpen“ zeigt im Innern einen breiten Spalt mit rankenbewehrter Öffnung. Es ist klar: Wir sind unten, dort ist oben. Andernorts gibt es handgeformte Leitern (Aluminiumguss) für den Aufstieg. Die Symbolik ist packend, nie illustrativ. – Dazu gab es (Ground) „Zero“ von Christoph Draeger – hat mich nicht ganz so gepackt – und „Gestalten zwischen analog und digital“ (Werkbund); eigenartig wie schwer es Analoges (Keramik z.B.) in digital bestimmtem Umfeld hat – besser nicht paaren. – Wenn schon Ostschweiz, gleich weiter nach St. Gallen, nur 50 Zug-Minuten entfernt. Dan Flavin im Kunstmuseum: Lustwandeln in längst Bekanntem – ein unaufgeregter Spaziergang. Dann ab in die Lokremise, Anthony McCall nicht verpassen. Unglaublich. Wunderbar. Licht, nichts als Licht und doch Skulptur. Hemmschwellen überwinden, hineinstehen in die konischen, sich langsam bewegenden Strahlen. Eine Dunstmaschine „bemalt“ die „Wände“ – mit Nichts. Ob es im Universum so aussieht? – In nur einem Tag, diese Fülle! – 1 Woche später: Solothurn: „Das doppelte Bild“. 12 x Malerei die Bezug nimmt – zu Kunstgeschichte, Design, sich selbst (Wittwer, Zandfleet, Erb, von Ofen, Baudevin u.a.m)  Spannend, grosszügig, aber kein mitreissender „Fluss“. Pointiert: Ian Anülls zweiteilige „Kunstliebhaberin“ (von Annatina Graf mit azw in Szene gesetzt).

 

News-Letter August 2012

 

2012 geht als „documenta(13)“-Jahr in die Annalen ein. Sie führte mich kürzlich zum 7ten Mal nach Kassel. Eine lange Zeit von Beuys 7000 Eichen-Aktion 1982 bis zur Carolyn Christov-Bakargievs künstlerischer Vision einer über Migration und mediales Bewusstsein global gewordenen Welt. Eine Welt, die sie zwischen Gewalt und Hoffnung, Zerstörung und Wiederaufbau, Vergangenheit und Gegenwart sieht. Nie bezog sich eine Dokumenta auf so viele historische Referenzen. Noch nie war Kassel selbst so sehr ein Thema und erstaunlicherweise macht sie das nicht „lokal“; zu universell sind die Themen. Ich habe viel Spannendes, Berührendes, Nachhaltiges gesehen, aber auch Projekte, deren Ideen in der künstlerischen Umsetzung scheiterten. Vielleicht spiegelt sich der Kern im Audio-Projekt von Aman Mojadidi (geb. 1971 USA, lebt in Kabul, Dubai, Paris)  in Kassels kahlem, unterirdischem Bunker. Über Zeit und Raum hinweg begegnen sich in diesem mehrschichtigen, traurig-poetischen Märchen eine Zigarettenverkäuferin, die bei der Bombardierung Kassels im Bunker war und ein Schamane, der die Zerstörung der Buddha-Statuen in Afghanistan beklagt; sie macht ihm Mut.  Eine Nische davon entfernt ist das Video von Allora&Calzadilla zu sehen, das eine Flötistin zeigt, die einem (lebenden) Gänsegeier auf einem 35’000 Jahre alten Instrument aus einem Gänsegeier-Knochen vorspielt….zusammen öffnen sie Dimensionen!!!

Weniger mochte ich die d(13) da, wo sie sich in ebenso ideologische wie utopische Lebensreform-Ideen verstrickt. In bleibender Erinnerung bleibt hingegen Ryan Ganders „Brise“, die über mehrere, leere Fridericianum-Räume hinweg nichts anderes intendiert als die Besucher von Ballast zu befreien und Augen und Atem frei zu machen für die faszinierende Welt der Kunst, die sich wohl noch nie so fraubetont zeigte wie heuer in Kassel (was indes nicht a priori als Qualitätsurteil zu werten ist). Bild: azw in den Weinbergterrassen, die von unten bis oben mit temporären, teils konstruktiven, teils erzählerischen Skulpturen von Adrian Villar Rojas (Argentinien) bestückt sind.

 

August/September 2013

 

Alle zwei Jahre…klar: Die Biennale Venedig. Heuer „Palast der Enzyklopädie“. Was Gioni (geb. 1973!) vereint, sind KünstlerInnen, die mit Leidenschaft ein Verbindungsnetz –  sei es körperlicher, spiritueller oder materieller Art – erforschen. Von Rudolf Steiners „Universum“ über Maria Lassnigs Körper-Gefühle bis zu Fischli/Weiss’ „Übersicht“ (Padiglione); von Lin Xues Metamorphosen über Cindy Shermanns „Sammlung“ bis zu „Apollos Ecstasy“ von Walter de Maria. Die Kritik sagt: Zu viel „Art brut“-Nahes. Zu wenig zeitgenössisch. Richtig. Trotzdem: Viel Wertvolles (von Emma Kunz über Hans Josephson bis Marisa Merz, von Sarah Lucas über Jessica Hutchins bis Robert Crumb und Artur Zimjewski). Auch Überflüssiges (z.B. Pamela Rosenkranz). – Die Länderpavillons sind oft besser als ihr Ruf. Highlights sind Vadim Zakharovs Geldregen „for ladies only“ (Russland), Jeremy Dellers „Magic English“ von der Steinzeit bis Prinz Harry (England). Von Kim Sooja (Korea) gab’s schon Bessers als diese 1-Minute-Darkness. Originell: Rumäniens  „Tableau vivants“ früherer Biennalen. Auch 2013 nicht verpassen: Luxemburg (Cathérine Laurent – Barocke Deckengemälde, elektronische Musik als Folge von Rauminstallationen). Beeindruckend: Richard Mosse (Irland). Kriegsfotografie (eigentlich Video) zwischen Doku und bildender Kunst. Interessant: Irene Lagator Pejovic’s „Denken“ als Raumplastik (Kupferdrähte), als Sternen-Himmel, als All-Over-Wandzeichnung (Montenegro). Eingeprägt: Bill Culberts Raum-Zeichnungen mit Neon (Neu-Seeland). Valentin Carron im Schweizer Pavillon? –  Ein Kontrapunkt zu 2011 (Thomas Hirschhorn) –  ok, aber die Schlange verführt nicht!!Neben der Biennale: Rudolf Stingels Teppich-Tapeten im Palazzo Grassi (ambivalent). Materia prima (Dogana): Kein Highlight. Chinese Independent Art (Arsenale Nord): So viel Kunst an einem Ort – das kann nur China. Qualitativ sehr durchzogen! Summa summarum: 4 Tage Kunst. Unendlich viel gesehen und bereichert  nach Hause. Foto: azw dekonstruiert in den Spiegelungen von Kim Sooja (koreanischer Pavillon). Foto: Evelyne Halder.

 

Oktober/November 2013

 

Nirgendwo ist die Dichte von Kunstmuseen, -hallen, -off spaces etc. grösser als in der Schweiz. Das ist Lust und Frust. So viel Engagement – so viel, das man verpasst. Denn selbst ist man ja auch am mit-weben des Kulturteppichs! Und somit beschäftigt. Für einiges hat die Zeit dennoch gereicht: Nach Aarau hat mich nicht Dieter Meier gelockt – bin da einfach nicht so Fan – aber dass es immer noch Werke von Künstlerinnen aus dem frühen 20. Jh. zu entdecken gibt, fasziniert mich: Die von Thomas Schmutz präsentierte Aargauer/Tessiner Malerin und Ärztin Iduna Zehnder (1877-1955) stützt meine langjährige These, wonach bei Frauen damals (vielleicht noch heute) Kunst und Lebensentwurf, Weltanschauliches und Individuelles eng verknüpft sind. – Ins Museum Oskar Reinhart am Römerholz in Winterthur haben mich nicht die Delacroix’, Renoirs, Van Goghs gerufen, sondern das Symposium „Kunst und Wissenschaft“  – als Kunstschreiberin muss man zwischendurch „tanken“, real erfahren, dass Kunst auch ein Forschungsbereich ist. Dabei ist Unvertrautes besonders spannend, zum Beispiel Untersuchungen zum „Material Farbe in der frühen Neuzeit“ oder zum Einfluss des „Kaleidoskops“ auf die Moderne. Nur: Dass ein Prof. S. Egenhofer (Uni Zürich) Piet Mondrian so bar jeglicher spiritueller Vision „erklärt“, das schauderte mich – wo wäre der Sinn der Kunst ohne Fragen an Gott und die Welt. – Der Kunstbetrieb hat viele Etagen: Hochkarätiges, durch Geschichte (und Auktionspreise) „heilig“ Gesprochenes hat seinen Sitz zuoberst in der Pyramide, da, wo nur wenige Platz haben.  Am spannendsten ist es von der Mitte an aufwärts , da wo sich Nationales und Internationales zu grossen Themen treffen. Im Parterre lagert Dutzendware mit unwichtigen Importen aus aller Herren Länder – ignorieren!  In den Etagen darüber „wohnt“ das Regionale. Dafür setze ich mich immer wieder ein, weil es der Acker ist, aus dem das Wichtige wächst. Und zu den KünstlerInnen, die da ihr Bestes geben (was nicht heisst, dass das immer genug ist), zähle ich hier auch die KunstvermittlerInnen; Off-Space-KuratorInnen ebenso wie langjährige GaleristInnen. Wie das aktuelle Bild zeigt, habe ich im Oktober 2013 zu „20 Jahre Jahre Galerie 25“ in Siselen (BE) gesprochen (Bild: Stefan Vogt).