Walter Lüönd, Bubikon (ZH) – Aufenthalt in der Casa Sciaredo (www.fondazione-sciaredo.ch)
Nach seinem 21/2 monatigen Aufenthalt in der Casa Sciaredo in Barbengo/Lugano (TI) schreibt der Zürcher Maler und Installationskünstler Walter Lüönd ins Gästebuch des Hauses: „Es war eine Traumzeit“. Was anderswo banal klingen könnte, meint hier etwas ganz Besonderes. Unterhalb des Sciaredo-Hügels – da wo sich bei starkem Regen das Wasser zum Bach hinunter ins Tal bündelt – befindet sich ein der Stiftung gehörendes altes Grotto. Bis 1955
wurde es von Georgette Kleins Ehemann Luigi Tentori als Refugium respektive als Wein-Lager genutzt. Jahrelang dümpelte es vor sich hin, Staub und Dreck sammelte sich an, die Natur vereinnahmte es mehr und mehr. Bis Walter Lüönd kam und hoch oben unter dem First eine kleines, in blau und gelb gemaltes Haus-Zeichen entdeckte: „Mon Rêve“.1
Walter Lüönds Malerei zeigt oft unscheinbare Dinge, welchen er durch Vereinzelung im Bild-Raum Wertschätzung erweist und sie so gleichsam zum erzählen ihrer Geschichte anregt. Vor diesem Hintergrund ist es leicht nachvollziehbar, dass ihn der Gegensatz des verlotternden Grottos und des einst mit Zukunftsglauben gemalten „Mon Rêve“ faszinierte. So sehr, dass daraus ein eigentliches Sciaredo-Projekt wurde.
Mit Elan dämmte der Künstler die Natur zurück, entsorgte den Abfall und gab den verbliebenen Einrichtungsgegenständen (Gestelle, eine Truhe, eine Feuerstelle etc.) ihre Bedeutung zurück. „Attenti al lupo“ warnt neu ein Schild am Eingangstor. Eine Postkarte des nachgemalten „Mon Rêve“ lud Gäste von nah und fern zu „Tagen der offenen Türe“. Der „Traum“ und der Ort fanden wieder zusammen, erzählten von Vergangenheit, von glücklichen und schwierigen Zeiten, zeigten aber auch, dass mit kreativem Einsatz Erneuerung möglich ist.
Charakteristisch für die Malerei von Walter Lüönd ist – von Ausnahmen abgesehen – das Kleinformat. Die unprätentiös abgebildeten Dinge erhalten durch ihre malerische Präsenz eine Stimme, aber sie bleiben was sie sind. Die Sciaredo-Serie zeigt unter anderem eine alte Holzleiter mit weg- oder eingebrochenen Seigeln, ein Stück Wasserleitung, ein Asche-Kübel, eine Hausecke. Gerade die Bescheidenheit löst als Echo ein Gefühl von Nähe, von Vertrautheit, von Sympathie aus.
Dieselbe Haltung ist auch in einer weiteren Sciaredo-Arbeit enthalten, wenn auch komplexer. Seit langem ist das Klavier im Wohnzimmer der Casa Sciaredo mit einem alten Holz-Druckstock unterlegt. Er sorgt, ganz banal, dafür, dass das Instrument gerade steht. Niemand hat je beachtet, dass es sich eigentlich um eine künstlerische Arbeit handelt. Welcher Künstler, der einmal in Sciaredo war, den Stock geschnitzt hat, ist längst vergessen. Gerade dieser Art Beobachtung hat Walter Lüönd wohl dazu animiert, die Geschichte fortzuschreiben. Er hat den Druckstock von seiner Funktion „befreit“ und zwei Abzüge gedruckt. Sie zeigen links eine weibliche Figur und rechts ein Pferd, die durch eine schwungvolle, halbkreisförmige Linie miteinander verbunden sind. Dazwischen das Wort „thgindim“. Thema und Stil weisen auf die 1980er-Jahre, die Buchstaben ergeben rückwärts gelesen das Wort „midnight“, das Lüönd für sein Projekt in „mezzanotte“ umbenennt.
Er stellt dem vorgefundenen Bild in der Folge ein neues in ähnlichem Format gegenüber; nicht mehr in der Handschrift der 1980er-Jahre, sondern in der „Sprache“ des 21. Jahrhunderts. Das Bild weist das Muster eines QR-Codes auf, wie es uns von digitalen Erkennungszeichen her bekannt ist, gleichzeitig ist es aber auch eine an die Moderne erinnernde, geometrische Komposition, die unter anderem mit den „Bauhaus“-Grundrissen der Casa Sciaredo spielt.
Als Erstes erfolgt die Übertragung auf Millimeter-Papier, dann schneidet Lüönd das Code-Muster in eine neue Platte und druckt den Holzschnitt in schwarz/weiss. Damit nicht genug. Nun vergrössert der Künstler das Bild und malt es auf Stoff. Er näht die Kanten feinsäuberlich ab, so, dass es als Flagge an einer Stange auf der Dachterrasse befestigt werden kann. Für Bewegung sorgt der Wind.
QR-Codes dienen dazu Hintergrund-Informationen zu speichern, oft auch etwas zu orten. Rein äusserlich verraten sie das nicht, sind also eine Art Geheimnisträger. Und dieses Moment von Geheimnis und Erzählung ist es vermutlich, das auf der künstlerischen Ebene eine Öffnung bringt, die grösser ist als die Basis, von der es ausging; hier vom vergessenen Druckstock zu etwas, das Sciaredo als Ganzes mit denkt und fast zum Synonym wird für das, was Georgette Klein einst unter den First des Grottos malte: „Mon Rêve“. Unter das Klavier kommt nun der neue Druckstock. Für den bisherigen näht Lüönd eine Stofftasche mit dem neuen Code und deponiert sie im Archiv der Stiftung. Dieser kann von einer Smartphone-App gelesen werden und verweist auf eine Website, auf welcher „mezzanotte“ eingesehen werden kann.
Annelise Zwez Juli 2015
Zum Projekt II ist eine kleine Dokumentation erschienen.
Anmerkung:
1 Dass Georgette Klein es 1931 – als Geo und Luigi sich noch heimlich trafen und die Casa erst in ihren Köpfen existierte – dahin gemalt hatte, wusste W.L. nicht und so ist es hier auch nicht von Bedeutung.